Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 13.04.2011 | |
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Aktenzeichen | L 10 AS 1087/09 NZB | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 143 SGG, § 144 Abs 1 S 2 SGG, § 144 Abs 3 SGG, § 145 Abs 5 S 1 SGG, § 144 Abs 1 S 1 N. 1 SGG |
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. Mai 2009 aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet; sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Potsdam über die Nichtzulassung der Berufung. Denn die Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des SG bedarf nicht der Zulassung (§ 143 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Zwar ist grundsätzlich die Zulassung in Fällen der vorliegenden Art (sowohl die hier streitige Aufhebung als auch die streitige Erstattungsforderung betreffen einen auf eine Geldleistung „gerichteten Verwaltungsakt“; vgl hierzu Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 31. Januar 2006 – B 11a AL 177/05 B, juris = SozR 4-1500 § 144 Nr 3, jeweils RdNr 6) nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26. März 2008 (BGBl I 444), die ohne Übergangsregelung zum 01. April 2008 eingeführt worden ist (vgl Art 5 des SGGArbGGÄndG), erforderlich, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt. Auch beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes (zum Begriff vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, RdNr 14 zu § 144 mwN) hier nur 649,72 EUR, so dass der bezeichnete Schwellenwert nicht überschritten wird. Die Zulassungsnotwendigkeit besteht aber nach § 144 Abs 1 Satz 2 SGG dann nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Dieser Ausnahmefall, den das SG offenbar übersehen hat, liegt hier vor. Denn die im angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 12. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2007 verfügte Teilaufhebung betrifft den Leistungszeitraum vom 10. März 2005 bis zum 31. Oktober 2006. Dies schlägt auf die im vorgenannten Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verfügte Erstattungsforderung durch, denn maßgeblich ist im vorliegenden Zusammenhang allein, für welchen Zeitraum ein wirtschaftlicher Ausgleich geschaffen werden soll (Bernsdorff in Hennig, SGG, Stand April 1996, RdNr 38 zu § 144 und Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, RdNr 12 zu § 144).
Da die Berufung bereits kraft Gesetzes statthaft ist, bedarf es keiner Entscheidung des Senats über deren Zulassung, so dass die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolglos bleiben muss, soweit sie hierauf gerichtet ist. Dies ist auch nicht etwa deshalb anders zu beurteilen, weil das SG – in der unzutreffenden Annahme der Zulassungsbedürftigkeit - die Berufung ausdrücklich nicht zugelassen hat und eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Es liegt auf der Hand, dass darin keine Nichtzulassungsentscheidung in dem Sinne liegt, dass der Klägerin der vom Gesetz gewiesene Weg der unbeschränkten, zulassungsfreien Berufung verwehrt wird oder verwehrt werden könnte. Konstitutive Bedeutung hat – wie sich aus der Regelung des § 144 Abs 3 SGG zweifelsfrei ergibt - nur die („positive“) Zulassung durch das SG (vgl Breitkreuz, aaO, RdNr 46), nicht jedoch die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung oder – so aber die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 12. April 2001 zum Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 23. März 2011 - eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung.Auch wenn die Klägerin somit nicht gehindert war, sogleich Berufung einzulegen, entfällt hierdurch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde, da die Nichtzulassungsentscheidung den Anschein erweckt, die Berufung gegen das Urteil sei kraft Gesetzes ausgeschlossen und es bedürfe zu ihrer Statthaftigkeit einer besonderen Zulassung durch das Gericht. Dieser Rechtsschein belastet denjenigen, der gegen ein Urteil Berufung einlegen möchte. Deshalb ist ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Aufhebung des unrichtigen Ausspruchs über die Nichtzulassung der Berufung anzuerkennen (Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Mai 2007 - L 9 KR 205/04 NZB, juris RdNr 5 mwN; Bernsdorff, aaO, Stand September 1996, RdNr 17 zu § 145 und Breitkreuz, aaO, RdNr 6 zu § 145 SGG).
Da somit eine Entscheidung des Senats über die Zulassung der Berufung nicht möglich ist, kann auch nicht die Rechtsfolge des § 145 Abs 5 Satz 1 SGG eintreten, wonach im Falle einer Berufungszulassung durch das LSG das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt wird und es der gesonderten Einlegung der Berufung nicht bedarf.
Auch ist für eine Umdeutung der Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung kein Raum, da die Umdeutung eines eindeutig eingelegten, aber unstatthaften Rechtsmittels in das zulässige Rechtsmittel ausscheidet (zum Fall der Umdeutung einer Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde vgl nur: BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 – B 11/10 AL 1/98 R, juris RdNr 20 und Urteil vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 25/01 R, juris = SozR 4-1500 § 158 Nr 1, jeweils RdNr 11ff; ausdrücklich gegen die Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung: Zeihe, SGG, Stand November 2010, RdNr 2a zu § 145; Burkiczak, Anmerkung zum Beschluss des Sächsischen Verfassungsgerichtshof vom 20. April 2010 – Vf 108-IV-09 – SGb 2010, 552, 553; zur ausgeschlossenen Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Revision vgl auch BSG, Beschluss vom 21. April 1975 – 2 BU 3/75; juris = SozR 1500 §160a Nr 2).
Infolgedessen muss die Klägerin – worauf sie im Schreiben des Berichterstatters vom 23. März 2011 hingewiesen worden ist - eine Berufung erst noch einlegen, wenn das hier in Rede stehende Urteil des SG einer inhaltlichen Überprüfung durch das LSG unterzogen werden soll. Hinsichtlich der Probleme im Zusammenhang mit der Berufungsfrist wird auf die entsprechenden Ausführungen des Berichterstatters in dem bezeichneten Schreiben Bezug genommen (dort Seite 3).
Eine (auch nur teilweise) Erstattung der der Klägerin durch das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten kommt nicht in Betracht. Hierfür fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Es ist keine gesetzliche Vorschrift ersichtlich, die es ermöglichen würde, im Falle unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht, die in der fehlerhaften Behandlung der Frage der Zulassungsbedürftigkeit der Berufung liegt, entstandene außergerichtliche Kosten eines der Beteiligten einem anderen Beteiligten oder, was näher liegt, der Staatskasse aufzuerlegen (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Mai 2007, aaO, RdNr 7 im Anschluss an Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 04. Juni 1991 – 4 B 189/90, juris)
Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§177 SGG).