Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 28. Senat | Entscheidungsdatum | 23.03.2011 | |
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Aktenzeichen | L 28 B 1701/08 AS | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 51 Abs 1 Nr 4a SGG, § 17a GVG, § 22 Abs 4 SGB 2 |
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2008 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 194,00 EUR festgesetzt.
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 971,00 EUR nebst Zinsen.
Mit Bescheid vom 29. März 2007 bewilligte der Kläger der Frau A und den mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden fünf Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01. April 2007 bis 30. September 2007 in Höhe von monatlich 669,20 EUR und überwies hiervon monatlich 189,82 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung direkt an die Beklagte. Frau A wurde am 15. März 2007 mit den Kindern von der Polizei in ein Frauenhaus gebracht und hielt sich nach Aktenlage vom 24. Mai 2007 bis 5. Juli 2007 im Libanon auf.
Am 04. März 2008 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung von 971,00 EUR zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 01. Juli 2007 zu verurteilen. Nachdem Frau A am 13. Mai 2007 in ein Frauenhaus habe umziehen müssen, habe der Kläger trotzdem die Miete bis Ende Juni 2007 weiter an die Beklagte gezahlt. Da Frau A seit dem 13. Mai 2007 einen Anspruch auf Unterkunftskosten für eine andere Wohnung gehabt habe, hätten ihr die Zahlungen für die Wohnung der Beklagten und folglich auch der Beklagten selbst nicht mehr zugestanden. Die Beklagte habe daher für diesen Zeitraum 971,32 EUR zurückzuzahlen. Der Anspruch ergebe sich aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, weil die Leistungen direkt an die Beklagte ausgezahlt worden seien. Die Beklagte sei durch Schreiben vom 12. Juni 2007 erstmals zur Zahlung zum 01. Juli 2007 gemahnt worden und seither im Verzug.
Das Sozialgericht Berlin hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 11. Juli 2008 sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht Mitte verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht vorliege. Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehe kein öffentlich-rechtlich begründetes Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern ein gleichrangiges Verhältnis. Das Leistungsverhältnis bestehe ausschließlich zwischen dem Kläger und der Frau A. Der Kläger habe die Mietzahlung auch nicht aufgrund einer im Verhältnis zur Beklagten bestehenden oder angenommenen eigenen Rechtspflicht geleistet, sondern die Schuld der Frau A gegenüber der Beklagten aus dem Mietverhältnis getilgt. Der Kläger habe gegenüber der Beklagten keine rechtsverbindliche Mietzahlungszusage erteilt. Als Anspruchsgrundlage kämen allenfalls die §§ 812 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht. Für derartige Ansprüche seien gemäß § 23 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Amtsgerichte als Zivilgerichte zuständig.
Gegen den ihm am 21. Juli 2008 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 11. August 2008 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass Grundlage für die geltend gemachte Rückforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei. Zur Begründung hat sich der Kläger auf Entscheidungen des Sozialgerichts Lüneburg vom 31. Mai 2006 (S 22 SO 122/05), des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 24. Juni 2003 (4 A 78/02) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom 20. Februar 2003 (4 OB 41/03) bezogen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Beschluss für zutreffend und führt aus, dass sie als Vermieterin überhaupt keine Kenntnis von irgendwelchen Rechtsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Art zwischen ihrer Mieterin und dem Kläger gehabt habe. Sollte sich die Rechtsprechung des Sozialgerichts Lüneburg durchsetzen, hätte das im Ergebnis katastrophale Folgen. Kein Vermieter sei letztlich in der Lage zu überprüfen, ob sein Mieter sozialhilfe- oder arbeitslosengeldberechtigt sei. Wäre die Rechtsprechung des Sozialgerichts Lüneburg richtig, stünde praktisch jede Zahlung, die der Kläger an die Beklagte aufgrund diverser Mietverhältnisse leiste, unter dem Rückforderungsvorbehalt. Dass sie evtl. zivilrechtliche Ansprüche gegen zahlungsunfähige Mieter habe, sei nur ein schwacher Trost.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG hat das Gericht, wenn es den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig hält, dies nach Anhörung von Amts wegen auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Gegen den Beschluss ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Für das sozialgerichtliche Verfahren bedeutet dies, dass gegen einen Rechtswegbeschluss des Sozialgerichts binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Landessozialgericht Beschwerde einzulegen ist (BSG, Beschluss vom 22. April 2009, B 13 SF 1/08 R = SozR 4-1500 § 51 Nr. 5).
Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht Berlin hat sich im angefochtenen Beschluss vom 11. Juli 2008 zu Unrecht für sachlich unzuständig erklärt und zu Unrecht den Rechtsstreit an das Amtsgericht Mitte verwiesen.
Für den Rechtsstreit ist der Sozialrechtsweg eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das Sozialgericht Berlin ist nach § 57 Abs. 1 Satz 2 SGG örtlich zuständig, denn die im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg (HRA 36948) eingetragene Beklagte hat ihren Sitz in Berlin.
Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG als auch von § 51 Abs. 1 SGG. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (vgl. BSG, Beschluss vom 22. April 2009, B 13 SF 1/08 R, aaO, unter Bezugnahme auf GmSOGB vom 10. Juli 1989, SozR 1500 § 51 Nr. 53). Auch bei der Prüfung der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs ist nicht auf die öffentlich-rechtliche Natur der mit der Klage geforderten Handlung, sondern auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des Rechtsverhältnisses abzustellen, aus dem der geltend gemachte Anspruch abgeleitet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 1990, 7 C 9/89 = BVerwGE 87, 115-133).
Hiernach ist die Natur des geltend gemachten Anspruchs öffentlich-rechtlicher Art in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Denn die Vermögensverschiebung in Form von Zahlungen des Klägers auf das (Miet-)Konto der Beklagten beruht nicht auf zivilrechtlichen Verpflichtungen im Dreiecksverhältnis zwischen Kläger, Frau A und Beklagter, sondern hat ihre Grundlage allein in § 22 Abs. 4 SGB II. Nach dieser Vorschrift sollen Kosten für Unterkunft und Heizung von dem kommunalen Träger an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch den Hilfebedürftigen nicht sichergestellt ist. Die Zahlung der Miete an die Beklagte erfolgte auch nicht etwa versehentlich, bspw. durch eine irrtümliche Falschzahlung auf das Konto der Beklagten. Bereits in den Fällen der unmittelbaren Mietzahlungen an Vermieter unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes hatten die Verwaltungsgerichte maßgeblich darauf abgestellt, ob sich der Anspruch als Folge eines Sachverhalts darstellt, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Bei einem Streit um den öffentlich-rechtlichen Charakter kommt es für die Rechtswegzuordnung folglich nicht auf das rechtliche Gepräge, sondern auf die Erfüllung der Aufgabe an (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20. Februar 2003, 4 OB 41/03). Somit bedarf es im Rahmen der Beschwerde keiner Entscheidung, ob sich der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch aus §§ 812 ff BGB oder aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 1409 Nr. 1; BVerwG, Beschluss vom 16. November 2007, 9 B 36/07 = NJW 2008, 601) herleitet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Regelung des § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht keine Kostenentscheidung zu treffen ist, findet bei Beschlüssen nach § 17a GVG keine Anwendung, wenn der beschrittene Rechtsweg für zulässig erachtet wird (vgl. BSG, Beschluss vom 22. April 2008, B 1 SF 1/08 R = SozR 4-1500 § 51 Nr. 4, mwN).
Der Senat hat die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) nach § 17a Abs. 4 Satz 4 und Satz 5 GVG zugelassen, weil noch nicht rechtseinheitlich geklärt erscheint, ob Rückzahlungsbegehren der kommunalen Träger gegen Vermieter in den Fällen des § 22 Abs. 4 SGB II dem öffentlichen oder dem privaten Recht zuzuordnen sind. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung erscheint eine höchstrichterliche Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen wünschenswert. Allein anhand der Entscheidung des BSG vom 22. April 2009 (B 13 SF 1/08 R, aaO) lässt sich diese Frage nicht eindeutig entscheiden, weil das BSG darin entscheidungserheblich darauf abgestellt hat, ob der von der Klägerin erhobene Anspruch nur als öffentlich-rechtlicher denkbar ist. Dies scheint hier jedoch wegen der auch in Betracht kommenden Ansprüche nach §§ 812 ff BGB nicht von vornherein der Fall zu sein.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG iVm §§ 47, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Bei einer Vorabentscheidung über den Rechtsweg erscheint es angemessen, ein Fünftel des mit der Klage geforderten Betrags anzusetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 22. April 2008, B 1 SF 1/08 R, aaO).