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Versicherungspflicht auf Antrag - Antragsfrist - Gesetzesänderung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 8. Senat Entscheidungsdatum 19.04.2012
Aktenzeichen L 8 AL 82/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 28 a SGB 3, § 434j Abs 2 SGB 3

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Pflichtversicherung auf Antrag in der Arbeitsförderung erfüllt.

Der 1957 geborene Kläger hatte nach vorangegangenen Beschäftigungen in Arbeitsverhältnissen seit November 2002 bis zum 31. August 2003 zunächst Kranken- und dann Arbeitslosengeld bezogen. Ab 21. Juli 2003 hatte er das Gewerbe „…“ angemeldet. Vom 1. September 2003 bis zum 31. August 2006 erhielt er von der Beklagten entsprechend seinem Antrag Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach § 421l Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III; sogenannte „Ich-AG“).

Den Antrag vom 2. November 2006 (Eingang bei der Beklagten) auf „freiwillige Weiterversicherung“ in der Arbeitsförderung ab 1. Oktober 2006 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 ab. Er sei nicht fristgerecht gestellt worden. Durch eine Neufassung des Gesetzes gelte ab dem 1. Juni 2006 die Aussetzung der einmonatigen Antragsfrist nach Aufnahme der zur Versicherung berechtigenden Beschäftigung oder Tätigkeit bis 31. Dezember 2006 nur noch in den Fällen, in denen eine selbstständige Tätigkeit oder eine Auslandsbeschäftigung nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen worden sei.

Mit seiner Klage hat der Kläger seine Auffassung aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft, dass der von der Beklagten herangezogene, ab 1. Juni 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) rückwirkend in Kraft gesetzte § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoße und deshalb verfassungswidrig sei. Nach der Ursprungsfassung des § 434j Abs. 2 SGB III habe er einen Antrag bis 31. Dezember 2006 stellen können.

Das Verfahren war auf Antrag der Beteiligten bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über einen Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Koblenz ausgesetzt. Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Februar 2010 abgewiesen. Der Kläger habe die Voraussetzungen für ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nicht erfüllt, weil er den Antrag nicht binnen eines Monats nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt habe. Die Voraussetzungen für die bis zum 31. Dezember 2006 verlängerte Antragsfrist erfülle er nicht. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Die Antragspflichtversicherung für Selbstständige habe erkennbar die versicherungsrechtlichen Nachteile mildern sollen, die sich aus der durch das Gesetz vom 23. Dezember 2003 mit Wirkung ab 1. Januar 2004 eingeführten, aber erst zum 1. Februar 2006 wirksam gewordenen Verkürzung der bislang zugunsten dieses Personenkreises erweiterten Rahmenfrist ergeben hätten. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber auch diejenigen in den Kreis der Schutzbedürftigen habe einbeziehen wollen, die bereits vor den Gesetzesänderungen zum 1. Januar 2004 selbstständig gewesen und deshalb von den ab 1. Februar 2006 wirksam gewordenen Gesetzesänderungen nicht betroffen seien. Das Sozialgericht Koblenz habe seinen Vorlagebeschluss im April 2009 aufgehoben, weitere seien nicht ersichtlich.

Mit seiner Berufung hat der Kläger weiter geltend gemacht, dass § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verfassungswidrig sei, und sich zur Begründung ergänzend auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 10. Januar 2007 - S 9 AL 302/06 - bezogen. Dieser sei aufgehoben worden, weil die Agentur für Arbeit den Anspruch anerkannt habe.

Der Kläger beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag ab dem 1. Oktober 2006 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung und ihre Bescheide für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen dafür, aufgrund seines Antrags vom 2. November 2006 ein Versicherungspflichtverhältnis in der Arbeitsförderung zu begründen.

Für den Zeitraum ab dem beantragten Beginn am 1. Oktober bis zum 1. November 2006 ergibt sich dies bereits daraus, dass das Versicherungspflichtverhältnis mit dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Agentur für Arbeit, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem erstmals die nach § 28a Abs. 1 Satz 1 SGB III geforderten Voraussetzungen erfüllt sind (§ 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III), beginnt. Insoweit ergibt sich nichts Abweichendes aus der Vorschrift des § 434j Abs. 2 SGB III. Ein Versicherungspflichtverhältnis konnte von daher allenfalls ab dem 2. November 2006 entstehen.

Für die Zeit ab dem 2. November 2006 scheitert ein Versicherungspflichtverhältnis daran, dass der Kläger - der die sonstigen Voraussetzungen nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB III durch seine selbstständige Tätigkeit nach vorangegangenem Bezug von Arbeitslosengeld erfüllt - den erforderlichen Antrag nach einfachem Gesetzesrecht nicht fristgerecht gestellt hat. Da er seine selbstständige Tätigkeit bereits 2003 aufgenommen hat, liegt der Antrag vom 2. November 2006 offensichtlich außerhalb der regulären Monatsfrist des § 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III (in der hier maßgeblichen Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, BGBl. I S. 2848). Die durch § 421j Abs. 2 Satz 1 SGB III geregelte Aussetzung der Monatsfrist bis zum 31. Dezember 2006 ist durch § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III auf Personen beschränkt, die ihre Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB III nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen haben. Eine Auslegung in einem für den Kläger günstigen Sinn kommt bereits angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes, nicht in Betracht.

Die Gerichte sind von Verfassungs wegen an Gesetz und Recht gebunden. Sie haben die geltenden Gesetze deshalb so anzuwenden, wie sie verkündet worden sind, wobei es ihnen lediglich gestattet ist, sie nach anerkannten Methoden der Rechtswissenschaft auszulegen. Nur dann, wenn ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, hat es das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz).

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verfassungswidrig ist. Der Kläger hat seinen Antrag auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses erst gestellt, nachdem das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706), durch dessen Art. 2 der hier entscheidungserhebliche § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III in kraft gesetzt wurde, im Bundesgesetzblatt I Nr. 36 vom 25. Juli 2006 verkündet war. Die Frist von knapp zwei Monaten, die bis dahin seit dem Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 1. Juni 2006 vergangen war, reichte aus, um den Vertrauensschutz der von § 434j Abs. 2 (Satz 1) SGB III bis dahin Begünstigten zu wahren (s. dazu Wenner, Soziale Sicherheit 2009, 197 [198]).

Weitergehende verfassungsrechtliche Pflichten des Gesetzgebers sind zur Überzeugung des Senats nicht begründbar (s. zur Gegenansicht SG Dortmund, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 10. Dezember 2010 - S 33 AL 259/09 WA; Az. des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/11). Die Versicherungspflicht auf Antrag gemäß § 28a SGB III war überhaupt erst ab dem 1. Februar 2006 eingeführt worden und ursprünglich nur als zeitlich begrenzte Sicherung für die erste Zeit (unter anderem) der selbstständigen Tätigkeit ausgestaltet. Denn sie sollte in derartigen Fällen spätestens am 31. Dezember 2010 enden (§ 28a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt a.a.O.). Dadurch war erkennbar, dass der Gesetzgeber selbstständig Tätige nicht dauerhaft als schutzwürdigen Personenkreis ansah. Wenn er vom begünstigten Personenkreis dann nachträglich noch diejenigen ausschloss, die bereits in den beiden Kalenderjahren vor dem Gesetzesbeschluss selbstständig tätig gewesen waren, so überschritt er damit nicht seine Handlungsbefugnisse. Anders als in den vom SG Dortmund zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geht das durch § 28a SGB III eingeräumte soziale Recht weder auf langjährige Vorleistungen in Gestalt von Beitragszahlungen zurück, noch begründet es eine Anwartschaft zu einer zeitlich unbegrenzten und damit für die Lebensplanung längerfristig bedeutsamen Sozialleistung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.