Gericht | VG Cottbus 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.12.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 6 K 856/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 43 VwGO |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte den Kläger zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag für dessen Grundstück Gemarkung D, Flur 15, Flurstück 1106, Schlossplatz 5 in D in Höhe von 5.284,56 Euro heran.
Das Verwaltungsgericht Cottbus hob diesen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 mit Urteil vom 10. Juni 2011 - VG 6 K 159/10 - wegen bestehender Mängel in der zugrunde liegenden Beitragssatzung auf. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 30. September 2011 - OVG 9 N 69.11 - ab.
Der Kläger hat am 10. April 2013 Klage erhoben, mit der er die Feststellung der Nichtigkeit des bereits aufgehobenen Beitragsbescheides des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 begehrt. Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf dessen Rechtswidrigkeit und trägt in diesem Zusammenhang insbesondere vor, der Beitrag sei bereits „verjährt“ und das KAG verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass der mit rechtskräftigem Urteil des VG Cottbus vom 10. Juni 2011 - VG 6 K 159/10 - aufgehobene Beitragsbescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 nichtig war, sowie
2. festzustellen, dass der Beitragsbescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 „in verjährter Zeit“ ergangen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, die Klage sei bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Oktober 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
Der Klageantrag zu 1. ist bereits unzulässig. Insoweit fehlt es der Klage am erforderlichen Feststellungsinteresse gemäß § 43 Abs. 1 VwGO. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage, 2013, § 43 Rz. 23). Bei der Vergangenheit angehörenden Rechtsverhältnissen ist ein berechtigtes Interesse grundsätzlich nur anzuerkennen, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkung in der Gegenwart hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage, 2013, § 43 Rz. 25 m.w.N.). Entsprechendes gilt für Nichtigkeitsfeststellungsklagen, wenn sich der in Rede stehende Bescheid erledigt hat, etwa weil er aufgehoben wurde bzw. für sich keine Geltungsdauer mehr in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 1999 - 6 B 122/98 -, NVwZ-RR 2000, 324). Dann muss das Feststellungsinteresse aus den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für vergangene Rechtsverhältnisse entwickelt werden (vgl. Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, 2010, § 43 Rz. 110). Anhaltende Wirkungen werden bejaht bei Wiederholungsgefahr, fortdauernder Diskriminierung (Rehabilitationsinteresse) und im Falle der Absicht des Klägers, Amtshaftungs- oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen, wobei hinsichtlich der letztgenannten Variante besondere Einschränkungen prozessökonomischer Art existieren (vgl. Sodan/Ziekow, a.a.O., Rz. 90).
Die genannten Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger beruft sich zwar auf ein auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch fortbestehendes rechtliches und wirtschaftliches Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des mit rechtskräftigem Urteil des VG Cottbus vom 10. Juni 2011 - VG 6 K 159/10 - aufgehobenen Beitragsbescheides des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010, da er vom Beklagten mit Säumnisbescheid vom 8. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2011 wegen der Nichterfüllung der Beitragsschuld aus dem in Rede stehenden Bescheid im Zeitraum vom 18. November 2009 bis 10. Juni 2011 zu Säumniszuschlägen in Höhe von 997,50 Euro herangezogen werde. Zutreffend ist insoweit seine Überlegung, dass bei Nichtigkeit des Beitragsbescheides mangels dessen Wirksamkeit die geltend gemachten Säumniszuschläge an sich nicht verwirkt wären. Der Kläger muss aber - schon um dessen Bestandskraft zu verhindern - ohnehin unmittelbar den Säumnisbescheid anfechten. Im Rahmen dieser Anfechtungsklage ist dann die Frage der Wirksamkeit des Abgabenbescheides inzident prüfbar. Für den Fall aber, dass der Säumnisbescheid bestandskräftig sein sollte, wofür vorliegend die Zustellung des Widerspruchsbescheides am 8. Dezember 2011, dessen ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung sowie die (späte) Klageerhebung erst im Jahr 2013 (unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Klage VG 1 K 980/13 überhaupt um eine Anfechtungsklage handelt) sprechen dürften, ist ohnehin nicht ersichtlich, welches Interesse der Kläger noch an der begehrten Feststellung haben könnte. Die Festsetzung der Säumniszuschläge wäre dann bestandskräftig, ohne dass die begehrte Feststellung daran noch etwas ändern könnte.
Auch ist eine Wiederholungsgefahr nicht anzunehmen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 22.12 -, juris Rz. 12 m.w.N.). Daran fehlt es hier schon wegen der neuen Satzung über die Erhebung von Abwasserbeiträgen des B. es vom 14. August 2012, die rückwirkend zum 23. August 2011 in Kraft trat, und die die (u.a.) im Urteil vom 10. Juni 2011 - VG 6 K 159/10 - beanstandeten Mängel nicht mehr aufweist (vgl. Beschluss der Kammer vom 18. März 2013 - VG 6 L 329/12 -, S. 5 des E.A.). Hinzuweisen ist auch auf das bereits im November 2013 vom Landtag beschlossene, allerdings im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verkündete Sechste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg, das gerade eine zeitliche Obergrenze der Abgabenerhebung, deren bisheriges Fehlen der Kläger moniert, einführt. Im Übrigen ist eine Wiederholungsgefahr ohnehin entfallen, falls sie sich durch Erlass eines neuen Abwasserbeitragsbescheides für das betreffende Grundstück vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits verwirklicht haben sollte.
Der Klageantrag zu 1. ist aber - dessen Zulässigkeit einmal unterstellt - überdies auch unbegründet. Denn der Beitragsbescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 war zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig im Sinne des § 125 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG. Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Der Verstoß eines Verwaltungsakts gegen materielles Recht begründet in der Regel keine Nichtigkeit, auch nicht ein Verstoß gegen höherrangiges Recht. Ein Verwaltungsakt ist nicht ohne weiteres nichtig, wenn sich aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herausstellt, dass er auf einer verfassungswidrigen gesetzlichen Grundlage oder Auslegung beruht und erst recht nicht, wenn die gesetzliche Grundlage zwar für verfassungswidrig gehalten wird, vom Bundesverfassungsgericht aber noch nicht für nichtig erklärt worden ist (vgl. zu Vorstehendem insgesamt: Klein, AO, Kommentar, 11. Auflage, 2012, § 125 Rz. 10 m.w.N.). Letzteres ist vorliegend der Fall. Eine Regelung des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg ist vom Bundesverfassungsgericht nicht für nichtig erklärt worden. Selbst Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - zunächst nur für unvereinbar mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) erklärt worden, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris Rz. 49). Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08, juris Rz. 51). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013, a.a.O.). Die Aussetzung gibt dem bayerischen Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013, a.a.O. Rz. 52).
Der Kläger missversteht überdies das Bundesverfassungsgericht, wenn er aus dessen Beschluss vom 11. Oktober 2013 - 1 BVR 2616/13 - (veröffentlicht bei beck-online) folgert, dass höchstens eine gesetzliche Bestimmung der zeitlichen Grenze der Abgabenerhebung von 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Anschlussmöglichkeit und damit die Vorteilslage entstanden sind, verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Eine solche Aussage ist dem Beschluss nicht zu entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht führt lediglich aus, dass der Hinweis des Oberverwaltungsgerichts im Verfahren OVG 9 S 47.13, wonach der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts keine Konsequenzen für den Fall habe, dass ein Anschlussbeitragsbescheid innerhalb der „normalen“ Festsetzungsverjährungsfrist ergehe, also innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Vorteilslage entstanden sei, mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, der beitragsrelevante Vorteil sei im Jahr 2004 entstanden, nicht vereinbar sei. Dies erklärt sich daher, weil der im dortigen Verfahren in Rede stehende Beitragsbescheid erst am 12. Mai 2011 erlassen wurde. Im Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - hat das Bundesverfassungsgericht dem Bayerischen Gesetzgeber gegenüber gerade keine Vorgabe gemacht, wie eine zeitliche Grenze der Abgabenerhebung ausgestaltet sein muss, um noch verfassungsgemäß zu sein. Es führt unter anderem aus, der Gesetzgeber könne etwa das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. Beschluss vom 5. März 2013, a.a.O. Rz. 50). Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber der nachfolgende Satz, in dem das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausführt, dass der Gesetzgeber dies u.a. mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist bzw. Regelungen der Verjährungshemmung verbinden könne (vgl. Beschluss vom 5. März 2013, a.a.O. Rz. 50). Dies macht - gerade in Anbetracht der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen - deutlich, dass durchaus auch eine längere Frist als 4 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage entsteht, als verfassungsgemäß angesehen wird.
Atypische Umstände oder sonstige Gründe, hier ausnahmsweise doch von einer Nichtigkeit und nicht von der bloßen Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 auszugehen, liegen nicht vor.
Auch der Klageantrag zu 2. ist unzulässig. Es fehlt bereits an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1, 1. Alt. VwGO. Nicht feststellungsfähig sind bloße Elemente, unselbständige Teile oder Vorfragen von Rechtsverhältnissen, die nicht unmittelbar Rechte und Pflichten begründen, sondern nur Voraussetzungen solcher Rechte und Pflichten sind. Um eine solche Vorfrage der (Rechtmäßigkeit der) Beitragserhebung handelt es sich bei der Frage nach der „Verjährung“ des Beitrages im Sinne einer zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung. Im Übrigen fehlt es wiederum am Feststellungsinteresse, da nicht erkennbar ist, dass die mit dem Antrag zu 2. begehrte Feststellung, die einen bereits aufgehobenen Bescheid betrifft, für den Kläger noch irgendwie vorteilhaft sein könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.