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Entscheidung OVG 3 A 1.12


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 27.03.2012
Aktenzeichen OVG 3 A 1.12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 6 Abs 1 S 1 MRK, Art 13 MRK, Art 35 MRK, § 198 GVG, § 201 GVG, § 173 S 2 VwGO, Art 23 ÜberlVfRSchG

Leitsatz

Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist das verwal-tungsgerichtliche Verfahren bis zur Zustellung der Entscheidung und deren Unan-fechtbarkeit, nicht jedoch das Widerspruchsverfahren.

Ob Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen ist oder dieser Begriff auch lediglich das Verfahren in einer bestimmten Rechtsstufe umfassen kann, lässt der Senat offen.

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.000 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 47 % und der Beklagte 53 %.

Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Das Urteil ist für den Beklagten hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Rechtsschutz wegen der Dauer eines von ihm geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Er studierte seit dem Wintersemester 2000/2001 Geowissenschaften an der Universität . Mit Bescheid vom 27. Februar 2003 forderte das Studentenwerk von ihm Ausbildungsförderung im Umfang von 13.604,84 Euro zurück, weil ein auf seinen Namen geführtes Bankguthaben als Vermögen anzurechnen sei. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid erging unter dem 4. Juni 2003.

Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 27. Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht . Am 22. September 2003 begründete er die Klage im Wesentlichen mit der Erwägung, das bei ihm festgestellte Vermögen sei seinem Bruder zuzurechnen, für den er es lediglich treuhänderisch verwalte. Am 26. September 2003 erweiterte er die Klage und focht einen weiteren Rückforderungsbescheid des Studentenwerks vom 28. März 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2003 im Umfang von 3.510,00 Euro an. Am 15. Januar 2004 übersandte das Studentenwerk die Klageerwiderung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 hörte die Berichterstatterin die Beteiligten zu einer beabsichtigten Übertragung des Rechtsstreits auf sie als Einzelrichterin an. Auf ihre gleichzeitige Anfrage erklärten sich die Beteiligten am 11. bzw. 12. März 2004 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Der Kläger äußerte sich auch zur Sach- und Rechtslage. Das Verwaltungsgericht übersandte dessen Schriftsatz dem Studentenwerk mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sechs Wochen. Am 10. November 2004, 17. Mai 2006 und 17. Juli 2007 bat der Kläger das Verwaltungsgericht um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Die Berichterstatterin teilte ihm jeweils mit, eine Entscheidung stehe nicht bevor. Verfahrensleitende Verfügungen erfolgten in dem Zeitraum von März 2004 bis Januar 2010 ansonsten nicht. Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 wurde der Rechtstreit nach einem Dezernatswechsel dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit Urteil vom 2. Februar 2010, dem Studentenwerk am 12. Februar 2010 und dem Kläger am 23. Februar 2010 zugestellt, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Es hielt sie hinsichtlich des Bescheides vom 28. März 2003 wegen Versäumung der Widerspruchsfrist für unzulässig und im Übrigen für unbegründet.

Am 10. März 2010 beantragte der Kläger bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Zulassung der Berufung. Den Antrag begründete er am 23. April 2010. Am 24. Juni 2010 reichte das Studentenwerk die Antragserwiderung ein, zu der der Kläger am 3. September 2010 Stellung nahm. Am 27. Januar 2011 bat er das Oberverwaltungsgericht um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung über seinen Zulassungsantrag zu rechnen sei. Die Berichterstatterin teilte ihm mit, von einer Entscheidung bis Ende April 2011 sei auszugehen. Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 ließ das Oberverwaltungsgericht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4 VwGO die Berufung des Klägers zu. Die Berufungsbegründung legte der Kläger am 9. Juni 2011 vor. Ein für den 26. Oktober 2011 vorgesehener Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme wurde auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten aufgehoben und am 30. November 2011 durchgeführt. Im Termin wurden der Kläger und sein Bruder angehört. Durch am Terminstag verkündetes Urteil, dem Kläger am 12. Januar 2012 und dem Studentenwerk am 19. Januar 2012 zugestellt, änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und hob die angefochtenen Bescheide auf, da der Kläger die auf seinen Konten befindlichen Guthaben lediglich treuhänderisch für seinen Bruder verwaltet habe. Die Revision ließ es nicht zu. Hiergegen legte das Studentenwerk keine Nichtzulassungsbeschwerde ein.

Am 14. Dezember 2011 ist die Klage im hiesigen Verfahren bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen, das die Sache auf Antrag des Klägers noch vor Zustellung der Klageschrift an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg abgegeben hat.

Der Kläger hat sich zur Begründung seiner Ansprüche zunächst ausschließlich auf die aus seiner Sicht überlange Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht bezogen. Die wiederholten Sachstandsanfragen seien als Verzögerungsrügen anzusehen. Das Verwaltungsgericht habe die Erledigung des Rechtsstreites ohne hinreichende Rechtfertigung zwischen Februar 2005 und Februar 2010 verzögert. Im maßgeblichen Zeitraum seien am Verwaltungsgericht … mindestens zehn Richterstellen abgebaut worden. Aus all dem ergebe sich bei einer jährlichen Entschädigungsleistung von 1.200 Euro eine angemessene Entschädigung von 6.000 Euro. Er, der Kläger, habe während seines gesamten Studiums keine staatliche Unterstützung erhalten und sei gezwungen gewesen zu arbeiten. Durch die Rückforderungsbescheide des Studentenwerks sei er so eingeschüchtert gewesen, dass er keinen erneuten Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung gestellt habe. Da die Unangemessenheit der Verfahrensdauer schwerwiegend sei, könne er neben der Entschädigung auch die gesonderte Feststellung der Unangemessenheit beanspruchen.

In der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich § 198 GVG auf die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens als Ganzes beziehen könnte, beantragt er,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.000 Euro zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Dauer des gesamten Gerichtsverfahrens () unangemessen war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er rügt hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs, der Kläger habe den Anspruch ihm gegenüber nicht vor Klageerhebung geltend gemacht. In der Sache sei das Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht zwar komplex gewesen, wie auch die ungewöhnliche Länge - vier Stunden - der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht belege. Eine außergewöhnliche Schwierigkeit sei aber nicht vorhanden gewesen, was sich in der erstinstanzlichen Übertragung des Rechtstreits auf den Berichterstatter als Einzelrichter ausgedrückt habe. Die Verfahrensdauer sei im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg unangemessen lang, wenn sie drei Jahre überschreite. Hiernach sei für den Zeitraum von Juni 2006 bis zur erstinstanzlichen Entscheidung eine Entschädigungsleistung für drei Jahre und sieben Monate mit einem Jahresbetrag von 1.200 Euro in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich des Feststellungsantrags führt der Beklagte aus, dieser könne nicht neben dem Antrag auf Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung Erfolg haben, weil es sich nicht um einen schwerwiegenden Fall der überlangen Verfahrensdauer handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die beigezogene Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts sowie die zugehörigen Verwaltungsvorgänge (drei Hefter, ein Satz Kontoauszüge) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat ist gemäß § 173 Satz 2 VwGO, zuletzt geändert durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302), i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG, zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554), zur Entscheidung berufen. Eines Verweisungsbeschlusses durch das Brandenburgische Oberlandesgericht nach § 17a Abs. 2 GVG hat es nicht bedurft, weil die Sache dort mangels Zustellung nicht rechtshängig geworden ist (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO). Vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit kommt regelmäßig nur die Abgabe der Sache an ein anderes Gericht in Betracht, wenn der Kläger wie hier darum bittet, weil er nunmehr dieses andere Gericht anstelle des zuerst angegangenen Gerichts anrufen will (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2011 - X ARZ 263/11 -, juris Rn. 13).

Die Klage ist zulässig.

Es handelt sich hinsichtlich des Klageantrags zu 1. um eine allgemeine Leistungsklage, hinsichtlich des Klageantrags zu 2. um eine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO).

Dem Klageantrag zu 1. fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger seine Ansprüche nicht vor Klageerhebung bei dem Beklagten geltend gemacht hat. Eine derartige verpflichtende außergerichtliche Befassung des Beklagten sieht das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht vor. Die Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22) lässt mit dem Hinweis, der Anspruch könne nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, jedoch keine Verpflichtung handelt. Auch die allgemeine Regelung über die Kostentragung bei sofortigem Anerkenntnis in § 156 VwGO zeigt, dass kein vorheriger Antrag bei der Behörde erforderlich ist.

Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. überwiegend begründet.

Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist gemäß dessen Art. 23 Satz 1 anwendbar, wobei offen bleiben kann, ob die 1. oder 2. Alt. dieser Vorschrift einschlägig ist.

Ein Entschädigungsanspruch des Klägers setzt nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zunächst voraus, dass die Dauer des von ihm betriebenen Gerichtsverfahrens unangemessen lang war. Die Angemessenheit richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist allein das verwaltungsgerichtliche Verfahren, nicht jedoch das Widerspruchsverfahren.

§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert ein Gerichtsverfahren als Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Die Frage, ob auch das Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen ist, lässt sich anhand des Wortlauts der Vorschrift nicht eindeutig beantworten. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 17/3802, S. 17) ergibt sich jedoch, dass das Widerspruchsverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers unberücksichtigt bleibt. Nichts anderes ist im Hinblick auf die EMRK geboten.

Zwar geht § 198 GVG maßgeblich auf die Rechtsprechung des EGMR zur überlangen Verfahrensdauer zurück, wonach das nationale Recht bei Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK vorsehen muss (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15 f.). Der EGMR lässt den für die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigenden Zeitraum an dem Tag beginnen, an dem der Beschwerdeführer seinen Widerspruch einlegt, und begründet dies mit dem Umstand, dass die Einlegung des Widerspruchs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann (vgl. u.a. EGMR, Urteil vom 30. Juni 2011, Beschwerde Nr. 11811/10, Rn. 21; Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 25756/09, Rn. 21; Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr. 46682/07, Rn. 36). In der Amtlichen Begründung der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 17) wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, für eine Entschädigungsregelung wegen Verzögerungen im Widerspruchsverfahren gebe es keinen Bedarf, da die Verwaltungsgerichtsordnung mit der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) für den Fall, dass über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden sei, die Möglichkeit einräume, unmittelbar Klage zu erheben. Diese Erwägungen sind konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, da der Widerspruch angesichts der Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK darstellt und die gerichtliche Behandlung der Untätigkeitsklage ihrerseits am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen ist. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet ebenfalls nicht, das Widerspruchsverfahren unter den Begriff des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu subsumieren (offen gelassen für Verwaltungsverfahren, die dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgelagert sind: BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 -, NVwZ-RR 2011, 625 = juris Rn. 33).

Zu dem Gerichtsverfahren nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zählt auch der Zeitraum von der Verkündung einer gerichtlichen Entscheidung bis zu deren Zustellung (vgl. EGMR, Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr. 46682/07, Rn. 36). Dieser Zeitraum ist nach dem Sinn und Zweck des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einzubeziehen. Eine Gefährdung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kann nämlich auch noch nach Verkündung der gerichtlichen Entscheidung eintreten, indem sich die Absetzung des Urteils verzögert; das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 26. März 2001 - 1 BvR 383/00 -, NJW 2001, 2161 = juris Rn. 21) zieht insoweit eine äußere Grenze von fünf Monaten nach Verkündung für die Übergabe des in vollständiger Form unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle.

Ob zum Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ferner der Zeitraum von der Zustellung der Entscheidung bis zu deren Rechtskraft zu zählen ist, kann mangels Entscheidungsrelevanz auf sich beruhen.

Der Senat lässt ebenso offen, ob Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen (hier: vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht) ist oder ob dieser Begriff auch das Verfahren in einer bestimmten Rechtsstufe (hier: vor dem Verwaltungsgericht) umfassen kann, dessen angemessene Dauer isoliert zu betrachten wäre.

In prozessualer Hinsicht hat der Kläger, wie seine schriftsätzliche Klagebegründung ergibt, zunächst lediglich Entschädigung für die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht begehrt. In der mündlichen Verhandlung hat er sich dann hilfsweise auch auf die Unangemessenheit des gesamten Gerichtsverfahrens (in beiden Rechtszügen) gestützt. Hierin liegt aufgrund der Änderung des den Klageantrag unterlegenden Sachverhalts (Greger, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 263 Rn. 7) eine im Hinblick auf die Einwilligung des Beklagten (vgl. § 91 Abs. 2 VwGO) zulässige Klageänderung.

In materieller Hinsicht ist dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht eindeutig zu entnehmen, ob nur die Dauer des gerichtlichen Verfahrens in allen Rechtsstufen zum Gegenstand des Entschädigungsverlangens gemacht werden kann oder ob auch eine Beschränkung auf die Verfahrensdauer in einer bestimmten Rechtsstufe möglich ist.

Für das Erfordernis, die Dauer des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu überprüfen, streitet der Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, wonach Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss ist. Auch nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 17/3802, S. 18 f.) ist Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren.

Andererseits lässt § 198 GVG auch die Kompensation von Nachteilen in Konstellationen zu, in denen schon vor Verfahrensabschluss eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 19, 22). § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG fordert eine erneute Verzögerungsrüge, wenn sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter verzögert. Nach der Amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (BT-Drs. 17/3802, S. 21) muss die Verzögerungsrüge wegen ihrer Warnfunktion für das jeweilige Gericht in einem Verfahren erneut erhoben werden, wenn die Sache bei einem anderen Gericht anhängig wird und es dort nochmals zu einer weiteren unangemessenen Verzögerung kommt. Auch dies spricht dafür, dass das Entschädigungsverlangen auf die Verfahrensdauer vor einem bestimmten Gericht bezogen werden kann, ebenso die Amtliche Begründung zu § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG (BT-Drs. 17/3802, S. 20), wonach der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben haben muss. Ferner deutet die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG, die die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge zulässt, auf die Möglichkeit der Geltendmachung einer Entschädigung für die Verfahrensdauer in einer bestimmten Instanz. Schließlich könnte argumentiert werden, dass sich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer in einer Instanz und der daraus folgende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr kompensieren lässt. Dementsprechend könnte eine Gesamtbetrachtung das Bild der Unangemessenheit verfälschen.

Aus der Rechtsprechung des EGMR sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG ergibt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob nur die Dauer des gerichtlichen Verfahrens in allen Rechtsstufen zum Gegenstand des Entschädigungsverlangens gemacht werden kann oder ob auch eine Beschränkung auf die Verfahrensdauer in einer bestimmten Rechtsstufe möglich ist.

Der EGMR stellt zwar in Angelegenheiten nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auch auf die Gesamtverfahrensdauer ab (vgl. Urteile vom 24. Juni 2010, Beschwerden Nr. 21423/07 [Rn. 30], und 25756/09 [Rn. 21], sowie vom 30. März 2010, Beschwerde Nr. 46682/07 [Rn. 36]) und berücksichtigt, dass ein Verfahren zwar in einer Instanz lange anhängig war, in einer späteren Instanz jedoch innerhalb eines kurzen Zeitraums abgeschlossen wurde (EGMR, Urteil vom 7. Januar 2010, Beschwerde Nr. 40009/04, Rn. 151). Bei anderer Gelegenheit beschränkt er sich jedoch auf die Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen überlanger Dauer nur eines bestimmten Verfahrensabschnitts (EGMR, Urteil vom 1. April 2010, Beschwerde Nr. 12852/08, Rn. 48; Urteile vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 34, sowie Beschwerde Nr. 39444/08, Rn. 62 f.; Urteil vom 21. Januar 2010, Beschwerden Nr. 42402/05 und 42423/05, Rn. 61; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, in: Grote/Marauhn, EMRK, 2006, Rn. 105, unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR vom 21. Dezember 1999 [Beschwerde Nr. 26297/95], das allerdings [Rn. 37] ausdrücklich auch auf die Gesamt-Verfahrensdauer abstellt). In der Literatur wird hierzu ausgeführt (vgl. Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, 3. Aufl., 2009, Rn. 250), der EGMR sei zur pauschalen Betrachtung des Verfahrens als Ganzes in Fällen übergegangen, in denen schon nach erstem Anschein eine unangemessene Verfahrensdauer zu erkennen sei.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt in mehreren Entscheidungen eher nahe, dass auch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer in einer einzelnen Instanz gerügt werden kann.

So bezeichnet es in seinem Beschluss vom 2. Dezember 2011 (1 BvR 314/11, ZIP 2012, 177 = juris Rn. 8 ff.) die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht als mit dem Recht der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar; es sei verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass erst nach 22 Jahren erstinstanzlich über den Antrag der Beschwerdeführer entschieden worden sei. Die Dauer des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht von bis dahin drei Jahren begegne jedoch in Anbetracht der Komplexität der Materie noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beschluss vom 7. Juni 2011 (a.a.O., Rn. 28 ff.) stellt für ein Verfahren auf Wiederbestellung zum Steuerberater fest, das Finanzgericht habe gegen das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer verstoßen, während der tatsächliche Ablauf des vorherigen Verfahrens vor der Steuerberaterkammer keinen Anhaltspunkt für eine unzureichende Förderung des Verfahrens biete und auch die bis dahin festzustellende Dauer des noch laufenden Verfahrens vor dem Bundesfinanzhof in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sei.

Dem Beschluss vom 14. Dezember 2010 (1 BvR 404/10, juris) liegt eine Verfassungsbeschwerde wegen behaupteter Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht verneint eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts (a.a.O., Rn. 16), hält jedoch das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht für besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergeben habe; die Gerichte hätten auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung zu bemühen (a.a.O., Rn. 17), die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer spreche gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz (a.a.O., Rn. 18; vergleichbar: BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, 214 = juris Rn. 12, 15).

Demgegenüber erörtert das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2003 (1 BvR 901/03, NVwZ 2004, 334 = juris Rn. 12 f.) die Dauer eines sozialhilferechtlichen Prozesskostenhilfeverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht zunächst nach Instanzen getrennt. Es stellt fest, das Verwaltungsgericht habe die Sache für fast dreieinhalb Jahre und das Oberverwaltungsgericht für ein Jahr und zehn Monate in keiner Weise inhaltlich gefördert. Sowohl für das Ausgangs- als auch für das Beschwerdeverfahren hält es im Weiteren unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls die Verfahrensdauer für nicht gerechtfertigt. Schließlich führt es aus, eine Verfahrensdauer von fünfeinhalb Jahren in einer Prozesskostenhilfesache im Sozialhilfebereich sei nicht mehr hinzunehmen. Hiernach beurteilt es in dem Beschluss die Angemessenheit der Verfahrensdauer sowohl nach einzelnen Instanzen als auch in der Gesamtschau.

In seinem Beschluss vom 19. April 1993 (2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 = juris Rn. 19 ff.) rügt das Bundesverfassungsgericht die Dauer eines Strafverfahrens. Es führt im Einzelnen aus, die Urteile des Amts- und des Landgerichts ließen eine Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer bei der Strafzumessung nicht erkennen, auch das Oberlandesgericht habe Reichweite und Wirkungsweise des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebots nicht ausreichend erkannt. Es zieht den Schluss, die Gesamtdauer des Verfahrens von rund zehn Jahren und zwei Monaten sei mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Durchführung eines Strafverfahrens nicht mehr vereinbar.

Das von dem Kläger durchgeführte Gerichtsverfahren war unabhängig davon, welcher der vorstehend aufgezeigten Auslegungsmöglichkeiten zu folgen ist, unangemessen lang. Dies gilt bereits aufgrund der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht, ohne dass sich hieran etwas ändert, wenn die Dauer auch des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht mit in den Blick genommen wird.

Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 32).

Was die Schwierigkeit des von dem Kläger geführten Verfahrens angeht, so stellten sich keine neuen oder komplexen Rechtsfragen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage war nicht überdurchschnittlich aufwändig. Es war zum einen hinsichtlich des am 28. März 2003 erlassenen Rückforderungsbescheides zu würdigen, ob er ordnungsgemäß zugestellt wurde. Zum anderen ging es um die Frage, ob der Kläger das bei ihm festgestellte Vermögen lediglich treuhänderisch für seinen Bruder verwaltet hat (vgl. zu Treuhandabreden bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung: BVerwG, Urteil vom 4. September 2008 - 5 C 12.08 -, BVerwGE 132, 21 = juris Rn. 13 ff.). Dass das Verwaltungsgericht der Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art beigemessen hat, ist daran erkennbar, dass es den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zu Entscheidung übertragen hat (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht wiederum hat die Berufung aufgrund § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4 VwGO, nicht jedoch wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen. Die Länge der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht - vier Stunden - belegt keine besonderen Schwierigkeiten, sondern wird dem Umstand gerecht, dass zur Klärung der Frage, ob und mit welchem Inhalt ein wirksamer Treuhandvertrag geschlossen wurde, alle Umstände des Einzelfalls sorgsam gewürdigt werden mussten (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2008, a.a.O., Rn. 19), weswegen der zuständige Senat sowohl den Kläger als auch seinen Bruder eingehend befragte.

Eine besondere Bedeutung wies das Verfahren für den Kläger letztlich nicht auf. Zwar belief sich die Forderung des Studentenwerks zunächst auf den für einen Studenten beachtlichen Betrag von 13.604,84 Euro und nach Erlass des Bescheides vom 28. März 2003 sogar auf insgesamt 17.114,84 Euro. Die Situation des schwebenden Verfahrens hatte jedoch keine gravierenden Auswirkungen auf das tägliche Leben des Klägers (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 - 2/01 -, DVBl. 2001, 912 = juris Rn. 9), die Rückforderungen des Studentenwerks bedrohten ihn nicht existenziell. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) führte dazu, dass er ihnen während des gerichtlichen Verfahrens nicht nachzukommen brauchte. Eine Regelung für die Zukunft über die Ablehnung der weiteren Gewährung von Ausbildungsförderung trafen die Bescheide nicht, wobei der Förderungszeitraum laut dem Bescheid vom 27. Februar 2003 ohnehin spätestens im März 2005 geendet hätte. Nach der Bekundung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger aufgrund eigenen Entschlusses nach Erlass der Rückforderungsbescheide keinen neuen Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung gestellt. Dabei wäre dieser Antrag nicht von vornherein sinnlos gewesen. Der Kläger hätte gegebenenfalls in zumutbarer Weise gerichtsgebührenfrei (vgl. § 188 Satz 2 VwGO) einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen können, wofür er in erster Instanz keinen Verfahrensbevollmächtigten benötigt hätte (vgl. § 67 Abs. 1 VwGO). Dass er von den Rückforderungen eingeschüchtert gewesen sei, wie sein Prozessbevollmächtigter geltend gemacht hat, ist unter diesen Umständen nicht nachzuvollziehen. Das Gleiche gilt für seine Darlegung, er habe seinen Lebensunterhalt angesichts der Rückforderungen des Studentenwerks durch Arbeit verdienen müssen. Er hätte es zudem in der Hand gehabt, die mit seinem Bruder geschlossene Treuhandabrede aufzuheben, den streitigen Betrag an den Bruder zurückzugeben und damit zu bewirken, dass ihm dessen Vermögen im Falle der Beantragung weiterer Ausbildungsförderung nicht mehr zugerechnet werden konnte.

Was das Verhalten des Klägers angeht, so hat er die am 27. Juni 2003 erhobene Klage am 22. September 2003 begründet und im gleichen Monat erweitert. Nachdem das beklagte Studentenwerk im Januar 2004 die Klageerwiderung übersandt hatte, förderte das Verwaltungsgericht das Verfahren durch die Anfrage an die Beteiligten, ob sie mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, was diese im März 2004 bejahten. Da der Kläger sich zugleich erneut umfänglich zur Sach- und Rechtslage äußerte, durfte das Verwaltungsgericht Anlass sehen, seinen Vortrag dem Studentenwerk zur freigestellten Stellungnahme binnen sechs Wochen zu übersenden.

Für den sich anschließenden Zeitraum von Mitte 2004 bis Januar 2010, als der Berichterstatter wechselte und ihm nach § 6 Abs. 1 VwGO der Rechtsstreit als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen wurde, befinden sich in der Gerichtsakte ausschließlich Wiedervorlagefristen sowie - auf die Sachstandsanfragen des Klägers von November 2004, Mai 2006 und Juli 2007 - Schreiben des Verwaltungsgerichts an den Kläger, wonach der Zeitpunkt einer Entscheidung über die Klage nicht absehbar sei.

Der Kläger war seinerseits nicht verpflichtet, Untätigkeitsbeschwerde zu erheben, da es sich hierbei nicht um einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK handelt (EGMR, Urteil vom 2. September 2010, Beschwerde Nr. 46344/06, NJW 2010, 3355 = juris Rn. 32, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 B 8.03 -, NVwZ 2003, 869 = juris) und die Untätigkeitsbeschwerde dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht genügt (BVerfG, Beschluss vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, 503 = juris Rn. 5). Ebenso wenig war er zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde verpflichtet. Mit ihr kann einer überlangen Verfahrensdauer nicht abgeholfen werden (vgl. EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006, Beschwerde Nr. 75529/01, NJW 2006, 2389, Rn. 103 ff., 108).

Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dauerte von März 2010 bis Januar 2012, soweit auf die Zustellung des Urteils abgestellt wird, bzw. bis Februar 2012, soweit die Rechtskraft maßgeblich wäre. Das Oberverwaltungsgericht hatte zunächst über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung und nachfolgend über die Berufung zu befinden. Nach Stellung und Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung, Abgabe einer Gegenerklärung durch das Studentenwerk sowie neuerlichen schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers im September 2010 ist der Zeitraum bis zum Beschluss über die Zulassung der Berufung im Mai 2011 angemessen. Das Gleiche gilt für den Zeitraum vom Eingang der Berufungsbegründung im Juni 2011 bis zur mündlichen Verhandlung im November 2011, zumal ein geplanter Verhandlungstermin im Oktober 2011 auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers verlegt werden musste, was dem Beklagten des hiesigen Verfahrens nicht zum Nachteil gereichen kann. Die Zustellung des Urteils erfolgte zeitnah im Januar 2012.

Der Beklagte kann sich seinerseits nicht auf die allgemeine Belastung der Verwaltungsgerichte in dem fraglichen Zeitraum berufen. Die Gerichte haben sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, WM 2012, 76 = juris Rn. 7). Der Beklagte ist verpflichtet, seine Rechtsordnung so zu organisieren, dass seine Gerichte in der Lage sind, das Recht des Einzelnen zu garantieren, innerhalb einer angemessenen Frist eine rechtskräftige Entscheidung zu erwirken, wobei ein zeitweiliger Rückstand bei der Geschäftserledigung der Gerichte nach der Rechtsprechung des EGMR nur dann nicht zur Haftung führt, wenn mit der gebotenen Schnelligkeit geeignete Abhilfemaßnahmen getroffen werden (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 34). Dies war hier nicht der Fall. Zwischen 2004 und 2009 wurden am Verwaltungsgericht sieben Richterstellen abgebaut (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 30/09 -, NVwZ 2010, 378 = juris Rn. 23).

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sieht der Senat die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens bis einschließlich September 2006 als noch angemessen war. Das Verwaltungsgericht hatte durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es das Verfahren für im Großen und Ganzen „ausgeschrieben“ hielt. Dies gilt auch für den zugleich erteilten Hinweis, die Übertragung des Rechtsstreits auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin sei beabsichtigt. Nach Übersendung des letzten Schriftsatzes des Klägers an das Studentenwerk durch das Verwaltungsgericht im März 2004 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist war die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließt sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen ist.

Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe ist, für sich betrachtet, weder unangemessen lang, noch ist das Verfahren so zügig durchgeführt worden, dass die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens im Falle einer Gesamtbetrachtung der Verfahrensdauer in allen Rechtsstufen kompensiert werden könnte. Dies rechtfertigt es jedenfalls im konkreten Fall, für die Frage der Entschädigungspflicht allein auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abzustellen.

Dem Entschädigungsbegehren des Klägers steht nicht entgegen, dass er eine Verzögerungsrüge im Sinne von § 198 Abs. 3 GVG nicht erhoben hat.

Die drei bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Anfragen des Klägers, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei, stellen keine Verzögerungsrügen im Sinne von § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG dar. Hierfür hätte es sich um auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gestützte Rügen handeln müssen, das damals jedoch noch nicht galt. Indes bedarf es gemäß Art. 23 Satz 4 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren keiner Verzögerungsrüge, wenn bei einem (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011) anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz - wie hier vor dem Verwaltungsgericht - erfolgt ist. Für die Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht wiederum war keine Verzögerungsrüge erforderlich, da es dort aus den oben genannten Gründen nicht zu einer (weiteren) relevanten Verzögerung gekommen ist (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG).

Für den aufgrund der unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens zu vermutenden Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG), ist eine Entschädigung auch im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG zu gewähren. Danach kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, also insbesondere durch die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist. Im Falle des Klägers genügt eine derartige Feststellung nicht. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat eine noch angemessen erscheinende Verfahrensdauer erheblich überschritten. Ferner hatte es für den Kläger angesichts der Höhe der Rückforderungen des Studentenwerks eine gewisse Bedeutung (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 20). Andere hinreichende Kompensationsmöglichkeiten wie zum Beispiel im Strafverfahren (vgl. EGMR, Urteil vom 29. Juli 2004, Beschwerde Nr. 49746/99, Rn. 67 f.; BT-Drs. 17/3802, S. 20) sind nicht ersichtlich.

Der Entschädigungsbetrag für den vermuteten immateriellen Schaden beläuft sich gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG pauschal auf 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung, wobei für Zeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolgt (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 20). Bei einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von drei Jahren und vier Monaten ergibt sich hieraus ein Entschädigungsbetrag von 4.000 Euro. Eine Unbilligkeit im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG, die erforderte, von dem Regelfall der Pauschalierung abzuweichen und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls eine höhere oder niedrigere Entschädigung festzusetzen, ist nicht erkennbar.

Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2. unbegründet.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung, dass die Dauer des Gerichtsverfahrens unangemessen war, besteht nicht. Dabei kommt es auch insoweit nicht darauf an, ob Maßstab der rechtlichen Prüfung die Dauer des Verfahrens in der ersten Rechtsstufe oder in beiden Rechtsstufen ist. Die begehrte Feststellung kann gemäß § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG nur in scherwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden. Ein derart schwerwiegender Fall ist schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung hatte und der Kläger, wie ausgeführt, die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung gestellt und die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kostenverteilung beruht auf dem Wertansatz von 6.000 Euro für die Leistungsklage und 1.500 Euro (ein Viertel des Wertes der Leistungsklage) für die Feststellungsklage. Der Kläger obsiegt im Umfang von 4.000/7.500 entsprechend 53 %.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 167 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, §§ 173 Satz 2, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.