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Asylrecht


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Gericht VG Cottbus 8. Kammer Entscheidungsdatum 24.07.2020
Aktenzeichen 8 K 1987/16.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0724.8K1987.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 4 Abs 1 AsylVfG 1992, § 60 Abs 5 AufenthG, Art 3 MRK

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 3. bis 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. November 2016 verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. hinsichtlich einer Abschiebung nach Äthiopien Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger und die Klägerinnen als Gesamtschuldner zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Beteiligten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am 1. Januar 1990 in Adikuala auf dem Gebiet des heutigen Eritrea geborene Kläger zu 1., die nach ihren Angaben am 1. Januar 1991 in Adi-Wala ebenfalls auf dem Gebiet des heutigen Eritrea geborene Klägerin zu 2. und die am 3. November 2015 in der Bundesrepublik Deutschland als Tochter des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. geborene Klägerin zu 3. wenden sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrages.

Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. stellten für sich am 21. Juli 2015 sowie für die Klägerin zu 3. am 13. November 2015 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) in Eisenhüttenstadt Asylanträge.

In seiner am 13. November 2015 erfolgten Anhörung trug der Kläger zu 1. zur Begründung seines Antrages vor, dass er Angehöriger der Volksgruppe der Tigrinia sei und im Alter von zwei Jahren, also vermutlich 1992, zusammen mit seiner Mutter Eritrea verlassen habe. Bis zum Jahr 2013 habe er in Ondurman im Sudan gelebt, wo er, nachdem seine Mutter fünf Jahre nach ihrer Einreise in den Sudan gestorben sei, bei Freunden in einer Amharisch (oder Arabisch) sprechenden Gemeinde aufgewachsen sei. Er habe keine Schule besucht und im Haushalt gearbeitet. Papiere habe er auch keine besessen, weshalb er oft verhaftet und erst nach Bezahlung wieder freigelassen worden sei. 2013 sei er nach Libyen gegangen und von dort 2015 auf dem Seeweg nach Italien und mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, in die er am 4. Juli 2015 eingereist sei. Er befürchte, mangels legaler Dokumente bei einer Rückkehr nach Eritrea oder in den Sudan verhaftet zu werden.

Die Klägerin zu 2. gab in ihrer Anhörung am 9. Mai 2016 an, dass ihr – ihr unbekannter - Vater Eritreer und ihre Mutter Äthioperin sei und dass sie mit ihrer Mutter Eritrea 1993 verlassen habe und nach Äthiopien gegangen sei. Von dort seien sie 1995 nach Ondurman im Sudan gegangen, weil die äthiopische Regierung keine Ausländer im Land hatte haben wollen und ihre Mutter Sorge um sie gehabt habe, da sie Eritreerin sei. Sie habe keine Schule besucht und als Haushaltshilfe gearbeitet. 2012 sei sie vergewaltigt worden, habe aber wegen ihres illegalen Aufenhaltes ohne Papiere nicht zur Polizei gehen können. Ungefähr ein Jahr vor ihrer Ausreise aus dem Sudan sei sie von Unbekannten geschlagen und beraubt worden. 2014 sei sie nach Libyen gegangen und mit dem Kläger zu 1. über Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie fürchte, wegen der illegalen Ausreise ihrer Mutter in Eritrea verhaftet zu werden; im Sudan würde sie wieder vergewaltigt werden. Eine Rückkehr nach Äthiopien, wo sie keine Verwandten habe, würde ihr nicht erlaubt werden. Für ihre Tochter, die Klägerin zu 3., würden all diese Gründe ebenso gelten.

Nachdem das Bundesamt am 20. Juni 2016 eine Sprach- und Textanalyse veranlasst hatte, lehnte es mit Bescheid vom 3. November 2016, zugestellt am 8. November 2016, die Anträge des Klägers zu 1. und der Klägerinnen zu 2. und 3. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen und drohte ihnen ihre Abschiebung nach Äthiopien an. Zur Begründung verwies das Bundesamt im Wesentlichen darauf, dass der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. keine Umstände geschildert hätten, aus denen sich auf eine individuelle Bedrohung oder ein Verfolgungsschicksal schließen ließe. Sie seien im Hinblick darauf, dass Eritrea völkerrechtlich mit eigener Staatsangehörigkeit erst seit dem 24. Mai 1993 anerkannt sei – zumindest auch – äthiopische Staatsangehörige und dort keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen. Umstände, die zum nachfolgenden Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit geführt haben könnten, seien nicht ersichtlich. Ebenso wenig seien Abschiebungsverbote gegeben, insbesondere ergäben sich solche nicht aus den derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien, vielmehr könne im Allgemeinen von einer Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. hätten trotz ihrer fehlenden Schul- und Berufsbildung über Jahre hinweg ihren Lebensunterhalt durch ihre jeweiligen Tätigkeiten finanzieren können, was ihnen wieder gelingen dürfte.

Am 15. November 2016 hat der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Cottbus einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die vorliegende Klage erhoben. Mit Beschluss vom 28. Dezember 2016 – VG 5 L 575/16.A – hat das Gericht die aufschiebende Wirkung ihrer Klage angeordnet.

Am 23. September 2017 und am 16. Juli 2019 sind die weiteren Töchter A... und A... des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. geboren worden.

Zur Begründung der Klage, mit der sie zunächst ihre Anerkennung als Flüchtlinge, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt haben, tragen der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. im Wesentlichen vor, eritreische Staatsangehörige zu sein. Im Hinblick auf die aktuelle COVID-19-Pandemie seien wegen der in Äthiopien ansteigenden Zahlen der Neuinfektionen und der prekären medizinischen Versorgung zumindest Abschiebungsverbote anzunehmen.

Der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. beantragen nunmehr,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. November 2016 insoweit zu verpflichten, ihnen subsidiären Schutz zu gewähren,

hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufentG in Bezug auf Äthiopien festzustellen.

Die Beklagte hat sich zu dem Verfahren nicht geäußert.

Im Termin der mündlichen Verhandlung sind der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. informatorisch befragt worden. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges (5 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da diese mit der Ladung hierauf hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Entscheidung ist der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 1. und der Klägerinnen zu 2. und 3. in der mündlichen Verhandlung gestellte Klageantrag zugrunde zu legen. Soweit diese damit an dem im Klageschriftsatz vom 15. November 2016 gestellten Antrag auf Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr festhalten, handelt es sich um eine sachdienliche Klageänderung (Beschränkung des Klageantrages) nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), die jedoch kostenrechtlich als Klagerücknahme zu behandeln ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 155 Rn. 8).

Die dergestalt beschränkte Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 3. November 2016 ist nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig, soweit für den Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. keine Abschiebungsverbote im Hinblick auf Äthiopien festgestellt wurden, und verletzt diese daher insoweit in ihren Rechten. Der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. haben Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

1. Soweit das Bundesamt unter Ziffer 2. dem Kläger zu 1. und den Klägerinnen zu 2. und 3. die Zuerkennung des subsidiären Schutzes verwehrt, ist der Bescheid dagegen rechtmäßig. Der hiergegen gerichtete Hauptantrag bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Hier ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. subsidiär Schutzberechtigte im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG sind. Insoweit gilt auch hier – wie bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft – der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die für die Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht besitzen und gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen, wobei das Gericht sowohl von der Wahrheit des geltend gemachten Schicksals als auch von der Richtigkeit der Gefahrenprognose die volle Überzeugung gewinnen muss (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris Rn. 20 ff.; Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 3. Mai 2013 – 6a K 6153/12.A -, juris Rn. 20; Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 7. November 2016 – Au 5 K 16.31853 -, juris Rn. 35).

Soweit sich der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. auf ihnen in Eritrea drohende Gefahren berufen, fehlt es schon an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass sie die eritreische Staatsangehörigkeit besitzen. Subsidiär schutzberechtigt sind aber nur diejenigen Personen, die den Schutz gerade desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören.

Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris Rn. 24; Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 26; Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 24. Oktober 2014 – 12 K 1874/13.A -, juris Rn. 45) und ggf. durch deren Umsetzung in der Rechtspraxis konkretisiert (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 30, 36 mit dem Vorbehalt, dass die ausländische Rechtspraxis eine zumindest vertretbare Konkretisierung bzw. Auslegung der jeweiligen Rechtsnorm vornehmen muss). Dieses Recht hat das Gericht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln und in seinem systematischen Kontext und ggf. unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung zu erfassen. Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet dabei der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO); eine Beweisregel dergestalt, dass der Nachweis einer Staatsangehörigkeit nur durch Vorlage entsprechender Papiere des Staates geführt werden kann, existiert nicht. (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 28, 30; Verwaltungsgericht München, Urteil vom 11. April 2017 – M 12 K 16.33001 -, juris Rn. 34).

Hier vermag die Kammer nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. die eritreische Staatsangehörigkeit besitzen. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass sie (noch immer) äthiopische Staatsangehörige sind.

Der Kläger zu 1. wurde seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt zufolge am 1. Januar 1990, die Klägerin zu 2. am 1. Januar 1991 geboren, wobei beide während ihrer Befragung durch die Einzelrichterin eingeräumt haben, letztlich nicht genau zu wissen, wann sie geboren wurden. Zu ihrer Abstammung hat die Klägerin zu 2. lediglich angeben können, dass ihr Vater Eritreer und ihre Mutter Äthiopierin sei, weiteren Angaben zu ihren Herkunftsfamilien bzw. den ihrer Eltern konnten weder sie noch der Kläger zu 1. machen. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass jedenfalls zum behaupteten Zeitpunkt ihrer Geburten der (völkerrechtlich anerkannte) Staat Eritrea noch nicht existierte, der vielmehr erst mit seiner Unabhängigkeitserklärung vom 24. Mai 1993 entstand. Zuvor war das Gebiet des heutigen Eritrea seit 1962 Teil Äthiopiens (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea (Stand Oktober 2019) vom 27. Januar 2020 (aktualisierte Fassung), Seite 8; EASO-Bericht Länderfokus Eritrea, Mai 2015, Seite 15). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. mit ihrer Geburt die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben haben. Denn gemäß Art. 1 des seinerzeit geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930 war äthiopischer Staatsangehöriger, wer als Kind eines äthiopischen Vaters oder einer äthiopischen Mutter in Äthiopien oder außerhalb geboren wird (zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien (Stand: 1. November 2004), Seite 18). Da die Eltern des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. nach ihrem Vortrag jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Geburten im Gebiet des heutigen Eritrea gelebt hatten und – wie bereits dargelegt – das Gebiet damals zu Äthiopien gehörte, ist davon auszugehen, dass auch sie – ungeachtet ihrer ethnischen Identität - äthiopische Staatsangehörige waren.

Dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nachfolgend verloren haben, ist nicht ersichtlich. Gemäß Art. 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1930 verliert ein äthiopischer Staatsangehöriger die äthiopische Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit (lit. a), eine äthiopische Frau zudem durch ihre Eheschließung mit einem Ausländer (lit. b). Etwas anderes gilt für den Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. insbesondere nicht im Hinblick auf das nachfolgend in Kraft getretene Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003 (Proklamation Nr. 378/2003, hier zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien (Stand: 1. November 2004), Seite 15), das zwar in Art. 25 das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1930 aufhebt, in Art. 26 aber eine Übergangsregelung enthält, wonach derjenige, der bis zum Inkrafttreten dieser Proklamation gemäß dem bisherigen Staatsangehörigkeitsgesetzes die äthiopische Staatsangehörigkeit innehatte, auch weiterhin äthiopischer Staatsangehöriger bleibt. Ebenso wenig unterfallen der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. der von der äthiopischen Regierung 2004 erlassenen Direktive, die sich mit der Situation von aus dem Gebiet Eritreas stammenden Personen befasst, aber nur für diejenigen gilt, die – was hier nicht der Fall ist - ihren Aufenthalt seit 1993 ununterbrochen in Äthiopien haben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 11. Mai 2009: Äthiopien: Eritreische Herkunft, Ziff. 1.2.2; Amnesty International, Auskunft an das Verwaltungsgericht Schwerin vom 15. August 2016, Ziff. 1 lit. b).

Nach Überzeugung der Kammer haben der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. ihre äthiopische Staatsangehörigkeit auch nicht gemäß Art. 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1930 durch Erwerb einer anderen, hier etwa der eritreischen Staatsangehörigkeit verloren.

Ob ein solcher, zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führender Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit einen entsprechenden Antrag des Betroffenen (vgl. Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 24. Oktober 2014 – 12 K 1874/13.A -, juris Rn. 51 ff. unter Hinweis auf das Gutachten des Eritrea-Experten Günther Schröder vom 22. März 2011; Verwaltungsgericht Saarlouis, Urteil vom 28. Juni 2016 – 3 K 2044/15 -, juris Rn. 95) bzw. zumindest Verhaltensweisen voraussetzte, die auf einen Verzicht der äthiopischen und auf eine Ausübung der eritreischen Staatsangehörigkeit schließen ließen (vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris Rn. 39; Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 28. Dezember 2016 – VG 5 L 575/16.A -, Seite 4 EA), ist in der Rechtsprechung umstritten. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die nach dem äthiopisch-eritreischen Grenzkrieg (1998 bis 2000) einsetzende Politik der äthiopischen Regierung, bestimmten aus dem Gebiet des nunmehrigen Eritrea stammenden Personen die äthiopische Staatsangehörigkeit abzuerkennen, was sich insbesondere in Deportationen der Betroffenen nach Eritrea und in der Verweigerung konsularischer Dienste äußerte (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 29. Januar 2013: Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, Ziff. 1). Dabei zogen die äthiopischen Behörden in Anwendung von Art. 11 lit. a des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1930 eine Reihe von voluntativen Elementen heran, aus denen sie auf einen zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führenden Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit schlussfolgerten. Von Bedeutung waren insofern insbesondere die Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum vom 24. Mai 1993 und der hierfür erforderliche Erwerb einer eritreischen ID-Karte, aber etwa auch Geldzahlungen an den eritreischen Staat und andere Formen der Unterstützung, durch die der Betroffene eine Beziehung zum eritreischen Staat zum Ausdruck gebracht hatte (vgl. Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 24. Oktober 2014 – 12 K 1874/13.A -, juris Rn. 54 ff.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris Rn. 41; Verwaltungsgericht Saarlouis, Urteil vom 28. Juni 2016 – 3 K 2044/15 -, juris Rn. 96; Verwaltungsgericht Potsdam, Urteil vom 17. Februar 2016 – VG 6 K 4063/15.A -, juris Rn. 22; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 11. Mai 2009, Ziff. 1.2). Zudem geht die äthiopische Regierung davon aus, dass die Deportierten in Eritrea die eritreische Staatsangehörigkeit ausgeübt haben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 11. Mai 2009, Ziff. 1.2).

Derartige Anknüpfungspunkte für einen Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit in Anwendung von Art. 11 lit a des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1930 lassen sich dem Vorbringen des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. nicht entnehmen. Für eine Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum waren sie zu jung, und auch sonst haben sie keine Umstände vorgetragen, die in dem insoweit relevanten Zeitraum bis zum Jahr 2003 auf eine Ausübung der eritreischen Staatsangehörigkeit im genannten Sinne schließen ließen. Gleiches gilt ersichtlich jeweils für ihre Mütter, die das Gebiet mit ihnen vielmehr bereits vor der Unabhängigkeitserklärung verlassen haben. Soweit der Kläger zu 1. in seiner Befragung durch die Einzelrichterin erklärt hat, er habe Eritrea nicht, wie es im Anhörungsprotokoll des Bundesamtes aufgeführt ist, im Alter von zwei Jahren – also 1992 -, sondern erst mit drei Jahren – also 1993 - verlassen, erscheint dies letztlich nicht glaubhaft. Nicht nur konnte der Kläger im Übrigen keinerlei konkrete Angaben zu seiner Geschichte machen, etwa sein genaues Geburtsdatum oder das Jahr seiner Ausreise benennen, so dass es schon wenig überzeugt, dass er sich hinsichtlich seines Alters zu diesem Zeitpunkt so sicher sein will. Zudem hat er angegeben, er wisse sein Alter nur, weil ihm die Freundin seiner Mutter, bei der er nach deren Tod aufgewachsen sei, gesagt habe, dass er, als seine Mutter starb, sieben Jahre alt gewesen sei. Gleichzeitig hat er vorgetragen, dass seine Mutter fünf Jahre nach ihrer Einreise in den Sudan gestorben sei, woraus sich wiederum ergibt, dass der Kläger zu 1. im Zeitpunkt der Ausreise aus dem Gebiet des heutigen Eritrea erst zwei Jahre alt und dass dies folglich 1992 gewesen ist.

Die Klägerin zu 2. wiederum, die in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hatte, Eritrea 1993 verlassen zu haben, hat in ihrer Befragung durch die Einzelrichterin erklärt, dass sie letztlich nicht wisse, wann sie mit ihrer Mutter von dort weggegangen sei.

Ohnehin konnten beide insoweit jedenfalls kein genaues Datum benennen, so dass zur Überzeugung der Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass dies erst einen so relevanten Zeitraum nach der Unabhängigkeitserklärung gewesen ist, dass von einem Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit auszugehen wäre.

Dass ihre Mütter etwa am Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen oder sonst Kontakte zum eritreischen Staat unterhalten hätten, haben der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. in ihrem Vortrag ebenfalls nicht erkennen lassen. Allein das Verlassen des damaligen äthiopischen Territoriums durch Ausreise in den Sudan führte nicht zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 9. Juni 2016 an das Verwaltungsgericht Schwerin; missverstehend insoweit Verwaltungsgericht Cottbus; Beschluss vom 28. Dezember 2016 – VG 5 L 575/16.A – Seite 5 EA).

Nach anderer Auffassung ist die Heranziehung voluntativer Elemente durch die Behörden des betreffenden Staates für die seitens des Gerichtes zu klärende Frage der Staatsangehörigkeit unbeachtlich, soweit die behördliche Praxis im eindeutigen Widerspruch zu den gültigen Rechtsnormen des Staates steht (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 36). Hiernach führt der Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsrecht Eritreas bereits ipso iure zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit, während weder die faktische Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft bis zum Ausbruch des Grenzkrieges 1998 noch die im Ergebnis des Krieges einsetzende Deportationspraxis der äthiopischen Behörden auf den staatsangehörigkeitsrechtlichen Status der Betroffenen Einfluss hatten (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 70 ff.; im Ergebnis ebenso Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris Rn. 24 ff.). Dem ist im Grundsatz insoweit zuzustimmen, als willkürliche, extralegale Ausbürgerungen allenfalls zu einem De-facto-Verlust der Staatsangehörigkeit führen und damit ggf. eine asylerhebliche Verfolgung darstellen, nicht aber de iure die Staatsangehörigkeit des Betroffenen entziehen können. Andererseits erscheint die Auffassung, dass der zum Verlust einer Staatsangehörigkeit führende Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit insbesondere soweit dies Personen betrifft, die nicht dauerhaft im Hoheitsgebiet des Staates leben, dessen Staatsangehörigkeitserwerb in Rede steht, eine – wie auch immer geartete – entsprechende Willensäußerung des Betroffenen voraussetzt, nicht derart fern liegend und unvereinbar mit den gesetzlichen Regelungen, als dass eine behördliche Anknüpfung des Erwerbstatbestandes an voluntative Elemente von vorn herein für die Prüfung der Staatsangehörigkeit unbeachtlich wäre (vgl. auch Art. 33 Abs. 1 Satz 1 der äthiopischen Verfassung vom 21. August 1995 - hier zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien (Stand: 1. November 2004), Seite 15 – wonach keinem Äthiopier seine Staatsangehörigkeit gegen seinen Willen entzogen werden darf).

Dies entspricht letztlich auch der Rechtslage in Eritrea.

In Eritrea bestimmt sich die Staatsangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeitsverordnung vom 6. April 1992 (Proklamation 21/1992, hier zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea (Stand: 23. August 2004), Seite 8), die am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas in Kraft trat (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 41). Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vater oder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. Eritreischer Abstammung ist gemäß Absatz 2 der Regelung, wer 1933 – dem Jahr, in dem die damalige italienische Kolonialmacht eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann (vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 47; Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea (Stand: 23. August 2004), Seite 7) - seinen Aufenthalt in Eritrea hatte. Dabei ist davon auszugehen, dass nach Sinn und Zweck dieser Bestimmungen genügt, dass – soweit weder Mutter noch Vater 1933 bereits gelebt haben - jedenfalls Vorfahren in direkter Linie eritreischer Abstammung sind, also 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten (vgl. ebenso Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 50; Verwaltungsgericht München, Urteil vom 11. April 2017 – M 12 K 16.33001 -, juris Rn. 38; im Ergebnis auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris Rn. 31). Hierfür spricht auch die Regelung des gerade im Familienrecht für das Rechtsdenken prägenden (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea (Stand: 23. August 2004), Seite 8, Kap. B Ziff. 1, Fußnote 1) Art. 3 Abs. 1 der - nicht in Kraft getretenen - Eritreischen Staatsverfassung vom 22. Mai 1997, wonach Eritreer durch Geburt ist, wer einen eritreischen Vater oder eine eritreische Mutter hat. Gemäß Art. 2 Abs. 5 der Staatsangehörigkeitsverordnung hat, wer durch Geburt Eritreer ist, seinen Aufenthalt im Ausland hat und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, einen Antrag an das Ministeriums des Innern zu richten, wenn er förmlich auf seine ausländische Staatsangehörigkeit zu verzichten und die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben oder wenn er die Anerkennung seiner eritreischen Staatsangehörigkeit unter Beibehaltung der fremden Staatsangehörigkeit wünscht.

Dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. hiernach mit der Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 die eritreische Staatsangehörigkeit erworben haben, vermag die Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen.

Zum einen fehlt es schon an hinreichenden Anhaltspunkten, anhand derer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte, dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. eritreische Staatsangehörige durch Geburt sind, also aus Familien stammen, die in direkter Linie bereits seit 1933 auf diesem Gebiet gelebt haben. Beide konnten vielmehr keinerlei nähere Angaben zu ihren familiären Herkunftsverhältnissen machen. Daher vermag die Kammer nicht zu ihrer Überzeugung festzustellen, dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. Nachkommen von Personen eritreischer Abstammung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung und damit selbst eritreische Staatsangehörige durch Geburt sind. Es fehlt an jeglichen hinreichend konkreten und belastbaren Angaben, die eine solche Annahme stützen könnten.

Zum anderen könnten sie, selbst wenn sie die Voraussetzungen für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 1 und 2 der eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung erfüllten, diese erst nach einem Verzicht auf ihre äthiopische Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Verordnung erwerben (vgl. ebenso Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea (Stand: 23. August 2004), Seite 7; UNHCR, Auskunft an das Verwaltungsgericht Schwerin 2016, Ziff. 1). Die Vorschrift enthält ihrem Wortlaut und ihrer Systematik nach eine gegenüber Art. 2 Abs. 1 spezielle Bestimmung für Nachkommen von Personen eritreischer Abstammung, die ihren ständigen Aufenthalt im Ausland haben und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen; diese sind nicht bereits ipso iure eritreische Staatsangehörige, sondern müssen, da das eritreische Rechtssystem – ebenso wie das äthiopische – grundsätzlich eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea (Stand: 23. August 2004), Seite 7 und Äthiopien (Stand: 1. November 2004), Seiten 12 f.), die ihnen zustehende Staatsangehörigkeit konstitutiv unter Verzicht auf die ausländische Staatsangehörigkeit erwerben.

Die dem entgegen stehende Auffassung, Art. 2 Abs. 5 der eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung gelte nur für Personen, die zwar eritreische Volkszugehörige seien, jedoch nicht das weitere Merkmal der Abkunft von Personen eritreischer Abstammung erfüllten (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris Rn. 40; Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 63), vermag nicht zu überzeugen. Hiergegen spricht zum einen der eindeutige Wortlaut der Regelung („durch Geburt Eritreer“), der auf Art. 2 Abs. 1 der Verordnung verweist. Die Auffassung, dass dieser Begriff nicht Personen meine, die durch Geburt eritreische Staatsangehörige im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Verordnung sind, vernachlässigt, dass auch Absatz 4 der Regelung, der sich insoweit unzweifelhaft auf Personen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Verordnung bezieht, ebenfalls den Begriff „durch Geburt Eritreer“ verwendet.

Aber auch die Systematik der Regelung spricht für die hier vertretene Auffassung. Art. 2 der Verordnung gilt, worauf auch seine Überschrift hinweist, insgesamt für Personen, denen die eritreische Staatsangehörigkeit durch Geburt zusteht (also die Nachkommen von Personen eritreischer Abstammung sind), mögen sie diese nun ipso iure (Absatz 1) oder konstitutiv auf Antrag (Absatz 5) erwerben. Für Personen, die nicht eritreischer Abstammung sind, sondern erst nach 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten – und insoweit als „eritreische Volkszugehörige“ bezeichnet werden können - sowie deren Nachkommen enthalten dagegen Art. 3 und 4 der Verordnung gesonderte Einbürgerungsregelungen, wobei auch diese Personen, sofern sie die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besitzen, erst förmlich auf diese verzichten müssen (Art. 3 Abs. 1 Satz 3, Art. 4 Abs. 2 lit. e der Verordnung).

Etwas anderes folgt auch nicht aus den Auskünften des Auswärtigen Amtes zur praktischen Umsetzung der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung.

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Gießen vom 2. Februar 2001 (hier zitiert nach Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 67) gilt die Verbalnote der eritreischen Regierung vom 30. September 1993 – Az. VN/AA-369/93 – zum Staatsangehörigkeitsrecht weiterhin. Mit dieser Verbalnote wurde u. a. bestätigt, dass es für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit keine Sonderregelungen für im Ausland lebende Personen gibt. Soweit das Auswärtige Amt hieraus schlussfolgert, dass die Staatsangehörigkeitsverordnung auch auf solche eritreischstämmigen Personen Anwendung findet, die vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Äthiopien gelebt haben und nicht über eine ID-Karte Eritreas verfügen, umfasst dies auch die Regelung des Art. 2 Abs. 5 der Verordnung (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. April 2002 – A 2 S 203/98 -, juris Rn. 21).

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 21. November 2001 (hier zitiert nach Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 – 9 K 3488/13.A -, juris Rn. 65) hat das für Staatsangehörigkeitsfragen zuständige „Department for Immigration and Nationality“ Eritreas auf mündliche Nachfrage erklärt, dass im Ausland lebende Eritreer, die eine fremde Staatsangehörigkeit innehaben, keinen förmlichen Antrag im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Staatsangehörigkeitsverordnung stellen müssen, um als eritreische Staatsangehörige anerkannt zu werden. Faktisch würde jeder im Ausland lebende Eritreer, auch wenn er eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, als eritreischer Staatsangehöriger anerkannt, wenn er – etwa im Rahmen der Beantragung einer eritreischen ID-Karte oder eines Reisepasses - seine Abstammung nachweisen oder ggf. Zeugen für seine Abstammung benennen könne.

Diese praktische Handhabung spricht nach Überzeugung der Kammer dafür, dass die eritreischen – ebenso wie die äthiopischen – Behörden derartige Anträge einschließlich der Nachweisführung hinsichtlich einer eritreischen Abstammung bereits als Betätigung der eritreischen und Verzicht auf die äthiopische Staatsangehörigkeit verstehen. Damit suspendiert sie möglicherweise – die Angaben des Antragstellers werden „vor Ort in Eritrea“ überprüft (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 21. November 2001), offen bleibt, von welcher Stelle – von einen förmlichen Antrag an das Ministerium des Innern, nicht aber von einem Verzicht auf die äthiopische Staatsangehörigkeit. Dass Personen eritreischer Abstammung, die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, ohne eine entsprechende Verzichtserklärung – mag sie auch schon in der Beantragung der ID-Karte gesehen werden – bereits mit der Unabhängigkeitserklärung Eritreas ipso iure eritreische Staatsangehörige geworden sind, folgt hieraus nicht. Vielmehr kommt der praktischen Handhabung, die erst wirksam werden kann, wenn der Betroffene einen entsprechenden Antrag stellt, insoweit im Einklang mit den Bestimmungen der Staatsangehörigkeitsverordnung in diesen Fällen – anders als im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 und 4 der Verordnung - eine für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit konstitutive Wirkung zu.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Fall des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. keinerlei Verhaltensweisen oder sonstige Anhaltspunkte ersichtlich sind, aus denen auf einen für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Verzicht auf ihre mit der Geburt erworbene äthiopische Staatsangehörigkeit geschlossen werden könnte. Selbst wenn sie – woran aber nach den vorliegenden Feststellungen durchgreifende, eine entsprechende Annahme hindernde Zweifel bestehen – Nachkommen von Personen eritreischer Abstammung wären und dies nachweisen könnten, bestünde lediglich die Aussicht, dass sie faktisch als eritreische Staatsangehörige anerkannt würden, was aber einen entsprechenden, insoweit konstitutiv wirkenden Antrag der beiden voraussetzen würde. Dass der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sich nachfolgend um den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit bemüht hätten, ist jedoch ebenso wenig ersichtlich.

Für die Klägerin zu 3. ist dementsprechend ebenfalls von einer äthiopischen Staatsangehörigkeit auszugehen.

Nur höchst ergänzend wird darauf hingewiesen, dass vorliegend zudem davon auszugehen ist, dass jedenfalls den Klägerinnen zu 2. und 3. selbst für den Fall, dass sie eritreische Staatsangehörige wären, dort kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen würde, sie namentlich nicht Gefahr liefen, absehbar zum Nationaldienst eingezogen zu werden. Vielmehr wären sie im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea nicht dienstpflichtig, was zum einen für die 2015 geborene Klägerin zu 3. auf der Hand liegt. Gleiches würde aber auch für die die Klägerin zu 2. gelten, die als Mutter dreier 2015, 2017 und 2019 geborener Kinder nicht zum Nationaldienst eingezogen werden würde (vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2017 – 6 K 12164/16.A -, juris Rn. 35 f.; Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 7 K 2230/16.A -, juris Rn. 29; Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 12. Juli 2018 – VG 6 K 241/16.A – juris Rn. 44; EASO-Bericht Länderfokus Eritrea, Mai 2015, Seite 33 f.; Schweizerisches Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea – Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), Seite 49 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea (Stand Oktober 2019) vom 27. Januar 2020 (aktualisierte Fassung), Seite 15).

Dafür, das dem Kläger zu 1. und den Klägerinnen zu 2. und 3. in Äthiopien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht, haben diese keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich.

2. Der auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Hilfsantrag hat demgegenüber sowohl für den Kläger zu 1. als auch die Klägerinnen zu 2. und 3. Erfolg, und zwar auch unter Berücksichtigung dessen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen ist, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern mit ihren minderjährigen Kindern) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45.18 -, juris Rn. 17).

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Bedingungen im Herkunftsland können auch als sog. nicht staatliche Gefahren im Ausnahmefall Art 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung zwingend sind. Das setzt voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Davon ist auszugehen, wenn die Rückkehrer ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, was nicht generell, sondern unter Würdigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. August 2018 – 1 B 25.18 -, juris Rn. 11; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. Juli 2019 – 10 ZB 19.32520 -, juris Rn. 4; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 27. August 2019 – 28 K 530.17.A -, juris Rn. 58). Eine „Extremgefahr“ nach dem Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist aber nicht erforderlich (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteilvom 21. November 2014 – 13 a B 14.30284 -, juris Rn. 15 ff.; Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 19. Mai 2020 – AN 3 K 17.33199 -, S. 10 UA; www.asyl.net).

Vorliegend ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles davon auszugehen, dass für den Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. aufgrund der harten Existenzbedingungen in Äthiopien die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben sind.

Äthiopien ist trotz leichter Verbesserungen nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung (rund 30%) lebt unter der absoluten Armutsgrenze und das rasche Bevölkerungswachstum trägt zum Verharren in Armut bei. Aktuell haben die Folgen des immer stärker sichtbar werdenden Klimawandels – schneller aufeinander folgende und lang anhaltende Dürreperioden, zunehmender Wassermangel, Vernichtung von Waldgebieten und Heuschreckenplagen -, aber auch gesellschaftliche und ethnische Spannungen mit gewalttätigen Ausschreitungen zu einer schweren humanitären Krise geführt (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 17. Dezember 2018; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien (Stand März 2020) vom 24. April 2020, S. 21, und Pressemitteilung vom 3. Juli 2020; Welthungerhilfe, Factsheet Äthiopien - Stand 17. Januar 2019 -). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert: die Ernährungssituation der Bevölkerung wird immer noch mit „ernst“ bewertet, 50% haben immer noch keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und weniger als 30% zu sanitären Einrichtungen. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe und zur Abhilfe gegen die Heuschreckenplage, darüber hinaus sind sieben Millionen Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht, ebenso wenig gibt es eine kostenlose medizinische Grundversorgung oder beitragsabhängige Leistungen. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien (Stand März 2020) vom 24. April 2020, S. 21 f.; Welthungerhilfe, Factsheet Äthiopien (Stand 17. Januar 2019); zum Ganzen auch Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 27. August 2019 – 28 K 530.17.A -, juris Rn. 60).

Angesichts dieser Verhältnisse in Äthiopien ist vorliegend davon auszugehen, dass es dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. insbesondere als Eltern dreier 2015, 2017 und 2019 geborener Töchter nicht möglich sein wird, ihrer Familie dort ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Soweit überhaupt unterstellt werden kann, dass in den meisten Regionen Äthiopiens und jedenfalls in Addis Abeba eine – wenn auch bescheidene – Existenzsicherung grundsätzlich möglich ist, betrifft dies regelmäßig Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen (vgl. so etwa Verwaltungsgericht München, Urteil vom 11. April 2017 – M 12 K 16.33001 –, juris Rn. 49; Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 7. Dezember 2018 – 5 K 1915/16.A -, juris Rn. 45; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 27. August 2019 – 28 K 530.17.A -, juris Rn. 60; ) bzw. auf familiäre Unterstützung zurückgreifen können. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sprechen zwar die Landessprache Amharisch, sind aber ansonsten beide Analphabeten ohne jede Schul- und Berufsausbildung. Über Angehörige in Äthiopien verfügen sie ebenfalls nicht, so dass sie insoweit mit keinerlei Unterstützung rechnen können. Soweit das Bundesamt in seiner Entscheidung darauf verwiesen hat, dass es dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. auch vor ihrer Ausreise im Sudan möglich gewesen sei, sich durch hauswirtschaftliche Tätigkeiten eine Existenzgrundlage zu verschaffen, ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 im Sudan aufgewachsen und also – anders als in Äthiopien – mit den dortigen Verhältnissen vertraut waren, bei Bedarf auf familiäre bzw. freundschaftliche Unterstützung zurückgreifen konnten und – vor allem – nur für sich selbst und nicht noch zusätzlich für drei kleine Kinder im Vorschulalter zu sorgen hatten. Die Rückkehrsituation unterscheidet sich damit maßgeblich von den früheren Lebensverhältnissen des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. und rechtfertigt die Annahme eines Abschiebungsverbotes. Hinzu kommt, dass sich die ohnehin prekären Verhältnisse in Äthiopien aktuell durch die COVID-19-Pandemie – insbesondere im Zusammenspiel mit der gegenwärtigen Heuschreckenplage - weiter verschärft haben (vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 19. Mai 2020 – AN 3 K 17.33199 -, S. 10 ff. UA; www.asyl.net) und der Zugang zu Arbeit, adäquater Unterkunft, Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung durch die damit einhergehenden Beschränkungen jedenfalls für eine fünfköpfige Familie mit noch sehr kleinen Kindern und ohne familiäres Netzwerk zusätzlich maßgeblich erschwert, wenn nicht zeitweise unmöglich ist. Von der Möglichkeit einer Sicherung des Existenzminimums kann unter diesen Umständen nach Überzeugung der Kammer nicht ausgegangen werden.

Über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG war wegen des insoweit einheitlichen Streitgegenstandes nicht mehr zu entscheiden.

3. Haben der Kläger zu 1. und die Klägerinnen zu 2. und 3. danach einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG, sind auch die dem entgegenstehenden, unter Ziffern 4. und 5. des Bescheides des Bundesamtes vom 3. November 2016 erfolgten Regelungen aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung für das nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.