Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Hilfsmittel - Silikonfingerepithese - Endglied rechter Ringfinger - Behinderungsausgleich...

Hilfsmittel - Silikonfingerepithese - Endglied rechter Ringfinger - Behinderungsausgleich - Reine Schmuckfunktion - Entstellung (verneint)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 04.02.2015
Aktenzeichen L 9 KR 99/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 13 Abs 3a SGB 5, § 33 SGB 5

Leitsatz

1. Die mit Wirkung vom 26. Februar 2013 eingeführte Regelung in § 13 Abs. 3a SGB V hat keine Auswirkungen auf Sachverhalte, in denen bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits ein Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse vorlag.

2. Es bleibt offen, ob die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nur greift, wenn der Antrag eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Systems der GKV geschuldete Leistung betrifft und sie dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht (so Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 26. Mai 2014, L 16 KR 154/14 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Silikonfingerprothese in Höhe von 2.023,00 Euro.

Die 1962 geborene Klägerin ist Fachärztin für diagnostische Radiologie. Sie ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 24. Januar 2012 erlitt die Klägerin aufgrund eines häuslichen Unfalls schwere Verbrennungen. In der Folge musste das Endglied des Ringfingers der rechten Hand amputiert werden.

Am 1. Februar 2013 verordnete der die Klägerin behandelnde Facharzt für Chirurgie, Dr. B H der Klägerin eine individuelle Silikonfingerprothese mit Acryl aufgrund des Zustandes nach Verbrennungen. Von der ET GmbH Orthopädietechnik erhielt die Klägerin am 11. Februar 2013 einen Kostenvoranschlag für eine individuelle Silikonfingerprothese inklusive einer Probeprothese und individuellem Acrylnagel; ausgewiesen waren zu erwartende Kosten in Höhe von 2.023,00 Euro.

Die ET GmbH leitete den Kostenvoranschlag für die Klägerin an die Beklagte, damit diese eine Kostenübernahme prüfe. Die Beklagte holte bei dem Leistungserbringer einen weiteren Kostenvoranschlag ein, nunmehr bezogen auf eine Prothese mit einem Silikonfingernagel, der sich über 1.830,40 Euro belief.

Der von der Beklagten mit dem Vorgang befasste sozialmedizinische Dienst konnte nicht dazu Stellung nehmen, ob aus medizinischer Sicht eine Indikation für eine Kostenübernahme bestehe; notwendig sei die Vorlage einer Fotodokumentation der rechten Hand (Dr. M M, Stellungnahme vom 19. März 2013).

Mit Bescheid vom 19. März 2013 lehnte die Beklagte daraufhin den Kostenübernahmeantrag der Klägerin ab. Eine Prüfung der Kostenübernahme sei auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen nicht möglich.

Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs machte die Klägerin geltend, als Ärztin ständigen Patientenkontakt zu haben und zur reibungslosen Ausführung ihres Berufes eine Fingerepithese mit Acrylnagel dringend zu benötigen. Sie könne und wolle ohne Prothese nicht arbeiten und ständigen Fragen von Patienten und Kollegen ausgesetzt sein. Ihrem Widerspruch fügte die Klägerin eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. B H bei, in der es heißt, aufgrund der Endgliedamputation des Ringfingers rechts sei „das Tragen einer Schmuckprothese indiziert“.

In der Folgezeit reichte die Klägerin vier Fotos ihrer rechten Hand zum Verwaltungsvorgang der Beklagten.

Am 4. April 2013 erstellte auf Anforderung der Beklagten Dr. C. K für den MDK Berlin-Brandenburg e.V. ein sozialmedizinisches Gutachten zum Begehren der Klägerin. Die medizinische Voraussetzung für eine Leistungsgewährung sei nicht erfüllt. Eine Versorgung mit einer Fingerepithese für das Endglied D 4 sei nicht notwendig. Beim sogenannten Spitzgriff seien Fingerkuppe von Daumen und Zeigefinger gegenüberliegend beteiligt. Im Falle des Schreibgriffs würden Daumen und Zeigefinger sowie in der Regel das Mittel- oder Endglied der Mittelfinger zur Abstützung des Schreibwerkzeugs hinzugezogen. Der Schlüsselgriff vollziehe sich zwischen Daumenkuppe und Zeigefingerseite. Der Kraftgriff oder das Umschließen eines Gegenstandes vollziehe sich unter Einsatz aller funktionsfähigen Finger, der Handfläche und des Daumens, d. h. hier sei die Beugekraft der Langfinger wie auch der Hohlhand gefordert. Im Falle des Hakengriffs wirkten die Langfinger als starre Haken ohne dass es des Schlusses zur Hohlhand bedürfe. Als Rechtshänderin resultierten bei der Klägerin aus der Verletzung und Amputation in Höhe des Endgliedes von D 4 rechts keine Einschränkungen des Spitz-, Schreib- und Schlüsselgriffes der dominanten Hand, nur in geringem Maße das Kraft- und Hakengriffs der rechten Hand. Ferner könne auch kein entstellender Charakter des Gliedmaßenverlustes in Höhe des Endgliedes von D 4 rechts erkannt werden, welcher durch eine Fingerepithese auszugleichen wäre, um den Verlust des Fingergliedes von einem unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen. Durch eine Versorgung mit der beantragten Fingerepithese sei kein funktioneller Zugewinn zu erwarten. Es handele sich um eine an kosmetischen Gesichtspunkten ausgerichtete Versorgung.

Auf dieser Grundlage und unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 25. September 2013 zurück.

Mit der am 8. Oktober 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beruft sich auf den im Februar 2013 eingeführten § 13 Abs. 3 a SGB V, wonach ein Leistungsantrag unter bestimmten Voraussetzungen, die hier vorlägen, als genehmigt gelte. Obwohl das Patientenrechtegesetz erst am 26. Februar 2013 in Kraft getreten sei, sei es auf ihren Fall anzuwenden. Im Übrigen sei die Silikonfingerprothese für den Behinderungsausgleich zwingend erforderlich. Die Ansicht der Beklagten, dass durch die Versorgung mit der beantragten Fingerepithese kein funktioneller Zugewinn zu erwarten sei, sei falsch. Die Klägerin sei als Radiologin tätig und benötige insoweit alle fünf Finger für die Untersuchungen von Patienten und die Auswertung von Befunden am Computer. Im Übrigen handele es sich um eine erhebliche Auffälligkeit, die naheliegende Reaktionen von Mitbürgern, Neugier oder Betroffenheit nach sich ziehe. Weil die Klägerin häufig Patienten anfassen müsse, in der Regel auch entkleidete Patienten, seien die Blicke doch in einem erheblichen Maß auf den fehlenden Finger gerichtet, was diese bei ihrer Arbeit unsicher werden lasse und sie dadurch beeinträchtige. Dieser Blicke könne sie sich nur erwehren, wenn sie ihren Beruf aufgäbe. Würde sie ihren Beruf aufgeben, würde sie vereinsamen und nicht nur das. Die Kosten der Fingerprothese seien gering, der Nutzen dagegen erheblich, sei es psychisch, sei es physisch, sei es rein mechanisch.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Freistellungsanspruch ergebe sich nicht aus § 13 Abs. 3 a SGB V. Diese Vorschrift sei mit Wirkung zum 26. Februar 2013 ohne Übergangsvorschrift eingeführt worden. Im vorliegenden Fall sei die Verordnung am 1. Februar 2013 ausgestellt und das Hilfsmittel am 11. Februar 2013 beantragt worden. Daher finde die Neuregelung des Patientenrechtsgesetzes keine Anwendung. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten resultiere aber auch nicht aus § 33 Abs. 1 SGB V. Denn die Versorgung der Klägerin mit einer Endfingerprothese sei nicht medizinisch erforderlich, um eine Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des MDK im Gutachten vom 4. April 2013 erfülle das Endglied des Ringfingers keine wesentliche Körperfunktion bei den verschiedenen Haltegriffen der Hand. Mangels maßgeblicher funktioneller Beeinträchtigung der Klägerin bestehe daher kein Anspruch auf Versorgung mit der Fingerprothese im Rahmen eines Behinderungsausgleichs. Weitergehende Amtsermittlung seitens der Kammer sei nicht erforderlich gewesen. Schließlich bestehe auch keine entstellende Wirkung durch das Fehlen des Endgliedes des rechten Ringfingers. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe ein Anspruch auf eine Krankenbehandlung insoweit nur, wenn Versicherte objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leiden, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet. Daran fehle es hier. Ein fehlendes Fingerglied gehöre zum breiten Kreis des möglichen und in der Gesellschaft akzeptierten Erscheinungsbildes der menschlichen Gestalt. Es möge Aufmerksamkeit erzeugen, gehöre jedoch nicht zu den Entstellungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Kammer habe sich anhand der in der Verwaltungsakte befindlichen Fotodokumentation ein Bild vom Aussehen der Verletzung gemacht. Diese Dokumentation zeige ein fehlendes Endglied des rechten Ringfingers, eine abgeschlossene Wundheilung mit vollständigem und nahezu narbenfreiem Verschluss der Stumpfspitze, welche den Rundungen der anderen Fingerspitzen harmonisch folge. Die geschädigte Hand stelle sich als ästhetisch versorgt dar. Damit liege keine entstellende Wirkung vor. Der nachvollziehbare Wunsch der Klägerin nach einem Gliedersatz habe nach Überzeugung des Gerichts allein einen kosmetischen Hintergrund, Kosten hierfür müsse die gesetzliche Krankenkasse aber nicht übernehmen.

Gegen den ihr am 24. Februar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. März 2014 Berufung eingelegt. Mit ihr vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, das Patientenrechtegesetz sei zwar erst nach Beantragung der Silikonfingerprothese in Kraft getreten, finde aber durchaus Anwendung auf noch offene Sachverhalte. Es handele sich um unechte Rückwirkung, der nichts entgegenstehe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten einer Silikonfingerprothese mit individuellem Acrylfinger in Höhe von 2.023,00 Euro freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Auf die Anwendbarkeit von § 13 Abs. 3 a und die Frage der Rückwirkung komme es nicht an, weil von dieser Vorschrift ohnehin nur Leistungen erfasst seien, welche die Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen habe. Hier stehe fest, dass die von der Klägerin beantragte Silikonfingerprothese nicht zum Leistungskatalog der Krankenkasse gehöre. Daher bestehe auch kein Anspruch darauf, die Kosten hierfür im Rahmen eines fingierten Anspruchs nach § 13 Abs. 3 a Satz SGB V zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2015 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 15. Dezember 2014 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen hat. Der Senat durfte zudem in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil sie (bzw. ihr Prozessbevollmächtigter) ordnungsgemäß geladen war und die Ladung den Hinweis enthielt, dass auch bei Ausbleiben eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden darf (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin im Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2014 die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Silikonfingerprothese für das fehlende Endglied des rechten Ringfingers.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug, die zutreffend und erschöpfend ist (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend bleibt in Würdigung des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren auszuführen:

Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass kein Anspruch auf Kostenübernahme nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) besteht. Denn die begehrte Fingerepithese würde nicht dem notwendigen Behinderungsausgleich dienen, sondern nur eine kosmetische Funktion erfüllen. So sprach auch der verordnende Arzt in seinem Schreiben vom 15. März 2013 lediglich von einer „Schmuckprothese“. Ebenso richtig ist zur Überzeugung des Senats auch die Annahme des Sozialgerichts, dass im Fehlen des Endgliedes des rechten Ringfingers keine ausgleichsbedürftige „Entstellung“ im Sinne der Rechtsprechungdes Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 23. Juli 2002, B 3 KR 66/01 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15 [Echthaarperücke]) liege; dieser körperliche Makel bewegt sich weit unterhalb der Schwelle, ab der eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, weil es aufgrund eines körperlichen Defizits erschwert oder gar unmöglich ist, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen.

Fehl geht die Klägerin schließlich auch in der Annahme, § 13 Abs. 3a SGB V verhelfe ihr zu einem Anspruch auf Kostenübernahme. Es liegt auf der Hand, dass die mit Wirkung vom 26. Februar 2013 eingeführte Vorschrift keine Auswirkungen auf Sachverhalte haben kann, in denen bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits ein Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse vorlag. Alles andere hätte im Übergangszeitraum für die Krankenkassen zu unkalkulierbaren Verläufen geführt. Allenfalls wäre es denkbar, die Drei- bzw. Fünfwochenfrist aus § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V auch für bereits anhängige Anträge ab dem 26. Februar 2013 laufen zu lassen. Auch dies würde indes nicht zum Erfolg der Klage führen, denn die Beklagte hatte fünf Wochen Zeit, um über den Kostenübernahmeantrag zu entscheiden, für dessen Bearbeitung sie den MDK einschalten durfte. Gerechnet vom 26. Februar 2013 an bewegte sich die Bescheiderteilung vom 19. März 2013 sogar im Rahmen der Drei-, jedenfalls aber im Rahmen der Fünfwochenfrist. Vor diesem Hintergrund muss der Senat nicht entscheiden, ob die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nur greift, wenn der Antrag eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Systems der GKV geschuldete Leistung betrifft und sie dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht (so Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 26. Mai 2014, L 16 KR 154/14 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).