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Entscheidung 1 AR 16/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 31.03.2011
Aktenzeichen 1 AR 16/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Sache wird gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten in der Hauptsache die Vergütung von Mobilfunkleistungen in Höhe von 411,31 €, die dieser unter der Anschrift „G…-Straße 42 b, F…“ in Auftrag gab.

Die Klägerin hat über diese Forderung beim Amtsgericht Hagen einen Mahnbescheid beantragt, der dem Beklagten unter der Anschrift „Z…-Ring 28, F…“ zugestellt worden ist. Hiergegen hat der Beklagte Widerspruch erhoben und als seine Anschrift „F… Str. 58, B…“ mitgeteilt. Das Amtsgericht Hagen hat das Verfahren an das in dem Mahnantrag als Prozessgericht bezeichnete Amtsgericht Fürstenwalde abgegeben. Mit ihrem Schriftsatz vom 13. Oktober 2010 hat die Klägerin den Anspruch begründet und als Anlage das Auftragsformular zu den Akten gereicht. Nachdem die Anspruchbegründung unter der Anschrift „Z…-Ring 28, F…“ nicht zugestellt werden konnte, hat die Klägerin als neue Anschrift des Beklagten „M…-Straße 93, B…“ mitgeteilt, unter der die Anspruchsbegründung am 30. November 2010 zugestellt worden ist.

Mit Verfügung vom 22. Dezember 2010 hat das Amtsgericht Fürstenwalde die Klägerseite um Mitteilung gebeten, ob Verweisung an das Amtsgericht Berlin-Neukölln beantragt werde, weil der Beklagte nach seinen Angaben bereits zum Zeitpunkt der Widerspruchserhebung im Januar 2010 in B… wohnhaft gewesen sei. Gleichzeitig hat es dem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zum zu erwartenden Verweisungsantrag eingeräumt. Unter Bezugnahme auf diesen Hinweis hat die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 7. Januar 2011 die Verweisung an das Amtsgericht Berlin-Neukölln beantragt. Mit Beschluss vom 13. Januar 2011 hat sich das Amtsgericht Fürstenwalde für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO an das nach §§ 12, 13 ZPO für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Amtsgericht Berlin-Neukölln verwiesen.

Das Amtsgericht Neukölln hat die Parteien mit Verfügung vom 31. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz bei Vertragsschluss in F… gehabt habe, weswegen das Amtsgericht Fürstenwalde nach „§§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 29 ZPO“ örtlich zuständig und der Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO nicht bindend sei. Die Klägerin hat daraufhin die Rückverweisung an das Amtsgericht Fürstenwalde beantragt. Mit Beschluss vom 22. Februar 2011 hat sich das Amtsgericht Neukölln für unzuständig erklärt und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

II.

1. Der Zuständigkeitsstreit wäre gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das den am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichten zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das zum Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehörende Amtsgericht Fürstenwalde zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Fürstenwalde als auch das Amtsgericht Neukölln haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 13. Januar 2011 und letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluss vom 22. Februar 2011, der als solcher den Anforderungen genügt, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 36 Rdnr. 24 f.).

3. Der Senat geht davon aus, dass das Amtsgericht Neukölln als zuständiges Gericht zu bestimmen wäre.

Dessen Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 13. Januar 2011 (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie das Übersehen einer zuständigkeitsbegründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht (BGH, Beschl. v. 15.10.1996 - XII ARZ 15/96, zitiert nach juris, Rdnr. 6; Beschl. v. 08.04.1992 - XII ARZ 8/92, zitiert nach juris, Rdnr. 3; Senat, Beschl. v. 10.12.2003 - 1 AR 84/03, zitiert nach juris, Rdnr. 8). Hinzu kommen muss dafür vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; MDR 2006, 1184; NJW 2004, 780; eingehend ferner Tombrink NJW 2003, 2364, 2364 f.; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Bei Herabsenkung der Willkürschwelle auf einfache Rechtsfehler würde § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO hingegen weitgehend leerlaufen, da sich sein Anwendungsbereich regelmäßig auf rechtsfehlerfreie Verweisungen beschränken würde. Deshalb bedarf die Annahme von Willkür zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH, Beschl. v. 18.02.2010 - Xa ARZ 14/10, zitiert nach juris, Rdnr. 16).

Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde stand:

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist beachtet worden.

Der Verweisungsbeschluss entbehrte auch nicht der gesetzlichen Grundlage, da sich der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten seit seinem Umzug zunächst in die F…straße und schließlich in die M…-Straße im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Neukölln befindet (§§ 12, 13 ZPO).

Nach der im Auftragsformular genannten Anschrift des Beklagten liegt der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB zwar beim Amtsgericht Fürstenwalde, der einer Verweisung wegen der jedenfalls mit Eintritt der Rechtshängigkeit (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 35 Rdnr. 2 mit Rechtsprechungsnachweisen) bindenden Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO entgegengestanden hätte. Im Verkennen des besonderen Gerichtsstands des gesetzlichen Erfüllungsorts durch das Amtsgericht Fürstenwalde liegt nach den Umständen des Falles jedoch keine Willkür. So führt selbst der Umstand, dass ein Gericht seine eigene ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 29 a Abs. 1 ZPO übersieht, für sich allein noch nicht zur Annahme objektiver Willkür (siehe dazu BGH NJW 1962, 1918; OLG Düsseldorf Rpfl. 1976, 186; OLG Frankfurt/M. Rpfl. 1979, 389, 390 = OLGZ 1979, 451, 452; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 29 a Rdnr. 15). Für den (bloßen) Wahlgerichtsstand nach § 29 ZPO kann folglich nichts anderes gelten (so schon BayObLG, Beschl. v. 16.04.1999 - 1Z AR 26/99, zitiert nach juris, Rdnr. 12).

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Amtsgericht Fürstenwalde seine Zuständigkeit als Gericht des Erfüllungsortes erkannt und die Unwiderruflichkeit des Wahlrechts verkannt hat. So hat sich keine der Parteien - ausdrücklich oder stillschweigend - auf den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes berufen. Zum Zeitpunkt der Beantragung des Mahnbescheids konnte die Klägerin aufgrund der ihr bekannten Anschrift vielmehr davon ausgehen, dass der Beklagte in F… wohnt und sich dort demzufolge auch sein allgemeiner Gerichtsstand befindet. Auch auf den Hinweis des Amtsgerichts Fürstenwalde, dass der Beklagte offensichtlich bereits zum Zeitpunkt der Widerspruchserhebung in B… wohnhaft gewesen sei, hat sich die Klägerin nicht etwa auf den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts berufen, sondern Verweisung an das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Gericht beantragt.

4. An der Bestimmung des Amtsgerichts Neukölln als zuständiges Gericht sieht sich der Senat jedoch durch Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Beschl. v. 17.08.2001 - 21 AR 65/01), des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschl. v. 20.02.2006 - 1 W 98/05), des Oberlandesgerichts München (Beschl. v. 09.07.2007 - 31 AR 146/07) und des Kammergerichts (Beschl. v. 17.09.2007 - 2 AR 37/07) gehindert, da diese in den zitierten Entscheidungen einem Verweisungsbeschluss an das Gericht des Wohnsitzes des jeweiligen Beklagten schon dann die Bindungswirkung wegen Willkür abgesprochen haben, wenn das verweisende Gericht den bei ihm begründeten besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 29 Abs. 1 ZPO übersehen hat. Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich, da nach dieser Rechtsprechung der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 13. Januar 2011 keine Bindungswirkung entfalten würde und das Amtsgericht Fürstenwalde gemäß § 29 Abs. 1, § 35 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen wäre.