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DRG - Hauptdiagnose - Kodierrichtlinie 2005 - Suchterkrankung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 09.05.2014
Aktenzeichen L 1 KR 271/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kosten einer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin der DRK-Kliniken B M (früher: DRK-Kliniken M B), in denen die Versicherte der Beklagten C K vom 12. September 2005 bis 21. September 2005 behandelt wurde. Die Versicherte kam ohne Einweisung in das Krankenhaus und wurde über die Erste-Hilfe-Station aufgenommen. Nach dem Entlassungsbrief wurden im Krankenhaus (u.a.) die Diagnosen Alkoholkrankheit bei anankastischer Persönlichkeit, V.a. alkohol-toxischen Leberparenchymschaden gestellt.

Für die Behandlung im Krankenhaus stellte die Klägerin der Beklagten mit Schlussrechnung vom 7. Oktober 2005 einen Betrag von 2.205,48 € in Rechnung. Abgerechnet wurde (u.a.) die DRG-Position V62Z. Die Rechnung wurde von der Beklagten zunächst mit Ausnahme von noch abzuziehenden 14,10 € vollständig beglichen.

Am 24. Oktober 2005 wandte sich die Beklagte an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) wegen einer Überprüfung der Hauptdiagnose. Der MDK eröffnete der Klägerin am 21. November 2005, dass er von der Beklagten mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragt worden war. In seiner am 7. Dezember 2005 erstellten Stellungnahme teilte der MDK der Beklagten mit, dass aus seiner Sicht abrechnungsfähig die Position DRG V60B sei. Als Hauptdiagnose sei F10.3 (=Alkoholentzugssyndrom) anzuerkennen, die vom Krankenhaus angegebene Hauptdiagnose F10.2 (=Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom) sei (nur) als ressourcenverbrauchende Nebendiagnose anzusetzen. Durch Schreiben vom 19. Dezember 2005 informierte die Beklagte die Klägerin über dieses Ergebnis und bat um eine Gutschrift in Höhe von 2.205,48 € sowie um eine entsprechende Rechnungskorrektur.

Mit Schreiben vom 1. Februar 2006 lehnte die Beklagte eine Rechnungskorrektur ab. Die Diagnose F10.3 sei nur dann als Hauptdiagnose zu kodieren, wenn der Patient auf Grund einer bei Aufnahme bestehenden Entzugssymptomatik überwachungspflichtig werde und die notwendige Akutbehandlung erhalte. Nicht aber, wenn die Alkoholkrankheit durch eine ganzheitlich, qualifiziert und motivierend im Rahmen eines strukturierten Programms behandelt werde.

Die Beklagte legte den Vorgang mit dem Schreiben der Klägerin erneut dem MDK vor. Dieser blieb in seinem nach Begehung des Krankenhauses der Klägerin am 28. Juni 2006 gefertigtem Gutachten vom 10. Juli 2006 bei seiner vorigen Einschätzung. Das Abhängigkeitssyndrom könne nicht als Hauptdiagnose anerkannt werden, da die Behandlung der Alkoholabhängigkeit ein Thema der psychiatrischen Rehabilitation sei. Unter Hinweis auf das Gutachten forderte die Beklagte die Klägerin erneut zu einer Rechnungskorrektur auf.

Nach weiteren Erinnerungen, mit denen die Beklagte einen Differenzbetrag von 824,95 € anmahnte, rechnete die Beklagte am 8.Oktober 2008 gegen eine andere Forderung der Klägerin einen Betrag von 2.191,38 € auf.

Mit der am 20. Februar 2009 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 2.191,38 € begehrt. Im Verlauf des Verfahrens vor dem Sozialgericht hat die Beklagte ausgeführt, dass sie irrtümlich in voller Höhe der ursprünglichen Rechnung aufgerechnet habe und hat 1.366,43 € nebst beantragter Zinsen wieder an die Klägerin ausgezahlt. Daraufhin hat die Klägerin ihre Klage lediglich wegen eines Betrages von 824,95 € weiter verfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. Juli 2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte mit Recht mit einem Betrag aufgerechnet habe, welcher der Differenz zwischen der von der Klägerin in der Rechnung kodierten Diagnose F 10.2 und der kodierten Diagnose F 10.3 entspreche. Nach den maßgebenden Allgemeinen Deutschen Kodierrichtlinien in der für das Jahr 2005 geltenden Fassung sei eine „psychische Verhaltensstörung durch Alkohol: Entzugssyndrom“ dagegen nicht eine „psychische Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom“ anzusetzen gewesen. Gemäß den Kodierrichtlinien sei als Hauptdiagnose die Diagnose auszuweisen, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich war. Die Analyse stehe am Ende des Krankenhausaufenthaltes und könne daher auch Informationen und Erkenntnisse einbeziehen, die sich erst im Verlauf der stationären Behandlung ergeben hätten. Vorliegend ergebe sich die zutreffende Hauptdiagnose insbesondere aus der Patientenakte. Auf eine Einweisungsdiagnose sei deswegen nicht abzustellen, weil die Patientin sich selbst in der Notaufnahme vorgestellt habe. Entscheidend sei auch nicht die Aufnahmediagnose, die als Psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom bezeichnet wurde, daneben aber unter der Rubrik: Hauptsyndrom den Alkoholentzug angab. Vielmehr sei retrospektiv die Diagnose herauszufiltern, für welche die meisten Ressourcen des Krankenhauses verbraucht oder gebunden worden seien. Das sei vorliegend die erwartete Entzugssymptomatik gewesen, welcher im ersten Drittel des Krankenhausaufenthaltes durch die Verordnung und Sicherstellung von Bettruhe begegnet worden sei. Die zahlreichen Eintragungen im Pflegebericht belegten, dass an diesen Tagen die Ressourcen des Krankenhauses in besonderem Maße in Anspruch genommen worden seien. Zwar sei die noch anschließende Aufenthaltsdauer länger als die Tage mit Bettruhe gewesen. Die in diesen Tagen vorgenommene Behandlung habe aber Doppelcharakter gehabt, indem neben der Behandlung der Alkoholkrankheit auch der stattgehabte Entzug stabilisiert worden sei. Der Doppelcharakter dieser Phase werde schon daran deutlich, dass die Klägerin selbst ihre Behandlung als „qualifizierten Entzug“ bezeichne. Wegen des Doppelcharakters könne aber nicht die gesamte Behandlung statt einem Entzugssyndrom einer Abhängigkeitserkrankung zugeordnet werden. Auch habe nach Durchsicht der Pflegedokumentation die zweite Phase der Behandlung nicht mehr Ressourcen der Klägerin gebunden als die erste. Eine strukturierte ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung der Abhängigkeit sei nicht dokumentiert und auch auf richterliche Nachfrage nicht dargelegt worden. Es könne offen bleiben, ob während der zweiten Phase des Aufenthalts der Versicherten bei der Klägerin überhaupt noch die Notwendigkeit einer Behandlung im Krankenhaus bestanden habe, auch wenn einiges dafür spreche, dass die weiter vorgenommene Behandlung auch hätte ambulant erfolgen können. Es komme ebenso wenig auf die Frage an, ob die Hauptdiagnose F 10.2 in somatisch ausgerichteten Abteilungen nie zur Anwendung kommen könne, sondern stets eine Behandlung in psychiatrischen Abteilungen erfordere.

Gegen das ihr am 24. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. September 2011 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Zutreffend habe das Sozialgericht erkannt, dass von den Kodierrichtlinien ausgegangen werden müsse. Das Sozialgericht habe diese aber in wesentlichen Teilen falsch ausgelegt. Eine Analyse mit dem Ziel der Feststellung der zu kodierenden Hauptdiagnose habe zwar am Ende des stationären Aufenthaltes stattzufinden, beziehe sich aber rückwirkend auf die Situation bei Beginn des Krankenhausaufenthaltes. Auch die Frage des Ressourcenverbrauchs sei grundsätzlich unerheblich. Es komme darauf an, welche Diagnose für die Veranlassung des Krankenhausaufenthaltes maßgeblich sei, nicht für welche während des Verlaufs der Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht worden seien. Etwas anderes gelte nur, wenn zwei oder mehr Diagnosen gleichermaßen der Definition der Hauptdiagnose entsprächen. Dass es auf den Ressourcenverbrauch grundsätzlich nicht ankomme, zeige sich auch an den Übergangsregelungen für die Abrechnung gemäß der Bundespflegesatzverordnung. Nach den dortigen Bestimmungen werde ausdrücklich die Diagnose zur Hauptdiagnose des gesamten Krankenhausfalles, für welche die meisten Ressourcen verbraucht worden seien. Dahingegen stellten die Kodierrichtlinien auf die Diagnose ab, welche die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes maßgeblich verantwortet habe. Bei der Versicherten der Beklagten hätten die Phänomene eines Alkoholabhängigkeitssyndroms unstreitig vorgelegen. Sie habe bei der Aufnahme in das Krankenhaus nicht an Entzugssymptomen gelitten, sondern habe dem Wunsch, Alkohol zu konsumieren, nicht widerstehen können. Folglich sei die Abhängigkeit Anlass der stationären Behandlung gewesen. Die Aufnahme sei auch nicht wegen des drohenden Eintritts von Entzugssymptomen erfolgt. Selbst wenn das aber der Fall gewesen sein sollte, wäre relevante Diagnose nicht ein „Entzugssyndrom“, sondern ein „Entzugssyndrom, sich anbahnend oder drohend“ gewesen. Diese sei aber in den ICD-10-Verzeichnissen nicht vorgesehen. Auch die Argumentation des Sozialgerichts, dass der Aufenthalt deswegen nicht der Behandlung der Abhängigkeit zugeordnet werden könne, weil die Behandlung Doppelcharakter gehabt habe, überzeuge nicht. Es seien Diagnosen zu kodieren, nicht Behandlungen. Die Therapie lasse nicht darauf schließen, welche Diagnose für die Aufnahme in das Krankenhaus verantwortlich war. Die Behandlung wegen Alkoholabhängigkeit habe auch in der somatischen Abteilung der Klägerin stattfinden können. Das ergebe sich schon daraus, dass die Kodierrichtlinien ausschließlich für somatische Krankenhäuser gelten und für psychiatrische Kliniken oder Rehabilitationseinrichtungen keine Anwendung fänden. Der Chefarzt der Klägerin habe zudem ein anerkanntes Behandlungskonzept für Abhängigkeitskranke entwickelt. Schließlich bestehe eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit im Rahmen der Entzugstherapie bei Alkoholabhängigkeit unabhängig von Entzugssymptomen. Die Entgiftung sei nur eine Voraussetzung für die Entwöhnungsbehandlung. Sie habe sich auch mit den Ursachen für das Trinkverhalten zu beschäftigen. Die erforderliche Motivationsarbeit könne nicht geleistet werden, wenn der Kranke nach der Entgiftung entlassen werde und sich selbst überlassen bleibe. Die Bereitschaft zur Öffnung gegenüber Therapiemaßnahmen werde insbesondere unter den Bedingungen einer stationären Behandlung hergestellt. Dazu beruft sich die Klägerin auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 824,95 € zuzüglich Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2008 bis einschließlich zum Tag der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Berlin. Ergänzend führt sie aus, dass die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit erst nach dem Entzug erfolgen könne. Sie sei aber Aufgabe der Rehabilitation. Ein Krankenhaus müsse und dürfe dagegen einen Patienten mit Entzugssymptomen aufnehmen, auch wenn diese nur zu erwarten seien. Entgegen der Klägerin komme es auch nicht darauf an, welche Diagnose die Aufnahme in das Krankenhaus, sondern welche Diagnose den Aufenthalt im Krankenhaus veranlasste. Deswegen lasse sich den Kodierrichtlinien auch entnehmen, dass die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose nicht der Aufnahme- oder Einweisungsdiagnose entsprechen müsse. Die als Hauptdiagnose in Betracht kommende Krankheit müsse die Behandlungsmaßnahmen tatsächlich veranlasst und über die Dauer des Krankenhausaufenthaltes mitbestimmt haben. Nach der Rechtsprechung des BSG sei die Deutsche Kodierrichtlinie wortlaut- und systemgetreu auszulegen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte und die von der Klägerin geführte Patientenakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung weiterer 824,95 €.

Unstreitig zwischen den Beteiligten ist, dass die Klägerin aus einem anderen Rechtsgrund noch einen Anspruch gegen die Beklagte in Höhe von 824,95 € hatte, der nicht erfüllt worden ist. Aus diesem Anspruch kann die Klägerin aber nichts mehr herleiten, da er durch Aufrechnung entsprechend § 387 BGB erloschen ist. Der Beklagten stand gegen die Klägerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ein Erstattungsanspruch in Höhe von 824,95 € zu. In dieser Höhe hatte die Beklagte nämlich die für die Behandlung der Versicherten erstellte Schlussrechnung vom 7. Oktober 2005 beglichen, obwohl die Forderung keinen Rechtsgrund hatte.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin für die Behandlung der Versicherten der Beklagten ist dem Grunde nach durch die in Übereinstimmung mit dem Leistungs- und Leistungserbringerrecht des SGB V erfolgte Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung entstanden (vgl. BSG, Urt. v. 30. Juni 2009 – B 1 KR 24/08 R – juris Rn 15). Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass die Versicherte der Beklagten am 12. September 2005 einer Behandlung im Krankenhaus bedurfte.

Der Höhe nach bestimmt sich der Anspruch der Klägerin nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Gemäß § 7 Satz 1 KHEntgG werden die Leistungen der Krankenhäuser (u.a.) durch die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog abgerechnet. Diese Entgelte vergüten nach § 7 Satz 2 KHEntgG alle allgemeinen Krankenhausleistungen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen (bzw. seit dem 1. Januar 2008 der Spitzenverband Bund der Krankenkassen) haben dazu nach §§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG, 17b Abs. 2 KHG Fallpauschalen und ein Vergütungssystem zu vereinbaren, dass sich an einem international bereits eingesetzten Vergütungssystem auf der Grundlage der Diagnosis Related Groups (DRG) orientiert und jährlich weiterzuentwickeln und anzupassen ist. Das Vergütungssystem der allgemeinen Krankenhausleistungen soll nach § 17 b Abs. 1 Satz 1 KHG durchgängig, leistungsorientiert und pauschalierend sein. Dieses auf Vereinbarungen zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der der Deutschen Krankenhausgesellschaft beruhende Vergütungssystem wurde nach § 17b Abs. 6 Satz 1 KHG verbindlich für alle Krankenhäuser zum 1. Januar 2004 eingeführt.

Der in Ausführung dieser gesetzlichen Verpflichtung vereinbarte Fallpauschalenkatalog sieht für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalls zu einer DRG zwei Schritte vor: Zunächst ist die durchgeführte Behandlung nach Gegenstand und prägenden Merkmalen nach einem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen Kode zu verschlüsseln. Dazu haben die Vertragspartner Kodierrichtlinien beschlossen, die ebenfalls jährlich überprüft und angepasst werden. Der sich ergebende Kode ist in zu diesen Zwecken entwickelte Computerprogramme (sog. Grouper) einzugeben, die dann nach bestimmten vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Kriterien die Zuordnung zu einer bestimmten DRG vornehmen. Aus dieser wird dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von dem Krankenhaus zu zahlende Vergütung berechnet (vgl BSG Urt. v. 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn 17-21, Urt. v. 18. September 2008 – B 3 KR 15/07 R – juris Rn 16).

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Kodierung der von der Klägerin angesetzten Hauptdiagnose F10.2 statt die von der Beklagten anerkannten F10.3 zu einer Entgeltdifferenz von 824,95 € führt. Der Senat ist mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass für den hier streitigen Behandlungsfall von der Hauptdiagnose F10.3 auszugehen ist. Demnach hat die Klägerin einen überhöhten Rechnungsbetrag ausgewiesen. Die eingetretene Überzahlung durfte die Beklagte im Wege der Aufrechnung gegen die Klägerin geltend machen.

Nach den Kodierrichtlinien in der für das Jahr 2005 geltenden Fassung ist Hauptdiagnose die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Die Evaluation der Befunde erfolgt am Ende des stationären Aufenthalts und kann auch erst im Verlauf des Aufenthalts gewonnene Erkenntnisse berücksichtigen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 16. Januar 2014 – L 16 KR 177/09 – juris Rn 36). Die festgestellte Hauptdiagnose muss deswegen nicht notwendig der Aufnahme- oder Einweisungsdiagnose entsprechen (D002d [S. 4] der Kodierrichtlinien in der für das Jahr 2005 geltenden Fassung).

Maßgebend für die Frage, welche Hauptdiagnose zu kodieren war, ist demnach, wegen welcher Diagnose überwiegend die Leistungen des Krankenhauses in Anspruch genommen worden sind. Nicht die Einweisungs- oder Aufnahmediagnose, sondern die tatsächlich erbrachten Behandlungsleistungen bestimmen also über die nach den Kodierrichtlinien zugrunde zu legende Hauptdiagnose. Dabei können weitere Diagnosen als Nebendiagnose kodiert werden, soweit das Krankenhaus Leistungen erbracht hat, deren Umfang über das im Rahmen der Hauptdiagnose üblicherweise Anfallende hinausgehen (BSG, Urt. v. 25. November 2010 – B 3 KR 4/10 R - juris Rn 17).

Vorliegend kommen als Hauptdiagnose nach dem ICD-10-GM (Stand: 2005) in Betracht F10.2 (Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom) und F10.3 (Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Entzugssyndrom). Dabei wird das Abhängigkeitssyndrom im ICD-10-GM definiert als Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom. Dagegen wird ein Entzugssyndrom beschrieben als Gruppe von Symptomen unterschiedlicher Zusammensetzung und Schwere nach absolutem oder relativem Entzug einer psychotropen Substanz, die anhaltend konsumiert worden ist. Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind zeitlich begrenzt und abhängig von der Substanzart und der Dosis, die unmittelbar vor der Beendigung oder Reduktion des Konsums verwendet worden ist. Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden.

Schon das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus den Behandlungsunterlagen der Klägerin eine überwiegende Behandlung der Versicherten wegen Entzugserscheinungen ergibt. Zwar kommt es für die Kodierung nicht auf die Art Behandlung, sondern auf die zu stellende Diagnose an. Eine Wechselbeziehung zwischen Behandlung und Diagnose ergibt sich aber daraus, dass die Hauptdiagnose sich nach der durch sie veranlassten Behandlung bestimmt.

Hier spricht bereits der Anlass der Aufnahme für ein Entzugssyndrom als Hauptdiagnose. Die Versicherte suchte die Klägerin auf, nachdem sie (erneut) begonnen hatte, ihren Alkoholkonsum aufzugeben. Am Anfang einer Abhängigkeitsbehandlung steht aber die Entgiftung. Die Versicherte hatte – ausweislich der in den Patientenakten der Klägerin dokumentierten Anamnese – bereits in der Vergangenheit nach einer Unterbrechung des Alkoholkonsums an Entzugserscheinungen zu leiden gehabt und war deswegen bereits vom 5. Juli bis 14. Juli 2005 im Krankenhaus behandelt worden. Das spricht dafür, dass sie die Klägerin gerade wegen der von ihr befürchteten erneuten Entzugserscheinungen aufgesucht hat. Auch die Klägerin wollte auf die befürchteten Entzugserscheinungen reagieren bzw. ihrer Verschlimmerung vorbeugen und hatte dazu Bettruhe verordnet. Dass die Bettruhe nicht der Beseitigung der Abhängigkeit vom Alkohol als Verhaltensstörung diente, ist offensichtlich. Die angeordnete und durchgeführte apparative Diagnostik bezweckte ersichtlich ebenso die Überwachung des körperlichen Zustandes im Hinblick auf befürchtete weitere Entzugserscheinungen. Ziel der Behandlung bei der Klägerin war vorrangig die Entgiftung, wie sich auch aus dem Kurzbericht über die Versicherte vom 21. September 2005 ergibt. Die behandelnden Ärzte der Klägerin haben nie für sich in Anspruch genommen, dass die Abhängigkeit als solche während des Aufenthaltes im Krankenhaus therapiert werden konnte. Vielmehr wurde die Versicherte planmäßig an eine andere Therapieeinrichtung weiter geleitet. Insoweit ist die Darstellung der Klägerin, die Aufnahme bei der Klägerin sei nicht erfolgt, um Entzugserscheinungen zu begegnen, sondern um die Alkoholabhängigkeit als solche zu therapieren, nicht nachvollziehbar. Auch der in der mündlichen Verhandlung erfolgte Hinweis auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen v. 16. Januar 2014 (L 16 KR 177/09 – juris) führt nicht weiter. Vorliegend gibt es nämlich keine wesentliche Diskrepanz zwischen Aufnahmebefunden und den im Verlauf der Behandlung weiter gestellten Diagnosen. Die Versicherte ist vielmehr von Anfang an zutreffend wegen ihrer Alkoholerkrankung behandelt worden.

F10.3 als Hauptdiagnose scheidet auch nicht deswegen aus, weil die Versicherte keine Entzugserscheinungen gehabt hätte. Nach der Definition des Entzugssyndroms in F10.3 ist kennzeichnend, dass Entzugserscheinungen in ganz unterschiedlicher Stärke auftreten. Die den Behandlungsunterlagen zu entnehmende Gabe von Valdispert und der grenzwertige Blutdruck belegen, dass der Entzug des Alkohols auch an der Versicherten nicht gänzlich spurlos vorbeiging. Nach dem Entlassungsbericht zeigte die Versicherte mäßige vegetative Entzugssymptome. Im Übrigen ist es Teil der bei einem Entzug geschuldeten Behandlungsleistungen, eine mögliche Verschlimmerung der Beschwerden zu überwachen. Das ergibt sich aus der Spannbreite der dem Entzugssyndrom zuzurechnenden körperlichen Veränderungen. Gerade wenn man - wie die Klägerin - retrospektiv auf die Verhältnisse bei Beginn der Behandlung im Krankenhaus abstellen will, ist zudem zu bedenken, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie stark sich die Entzugssymptome entwickeln würden.

Soweit noch während des Krankenhausaufenthaltes mit der Behandlung der Abhängigkeit begonnen worden war, etwa indem die Versicherte an Terminen von Selbsthilfegruppen und ärztlichen Informationsveranstaltungen teilnahm, kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob dies den Rahmen der üblicherweise bei einer Entzugsbehandlung zu erbringenden begleitenden Leistungen überstieg. Denn das würde nur die Kodierung eines Abhängigkeitssyndrom als Nebendiagnose rechtfertigen, was von der Beklagten aber schon berücksichtigt worden ist und deswegen vorliegend nicht weiter erlöswirksam werden würde.

Die Beklagte war auch nicht deswegen mit ihren Einwänden gegen die Richtigkeit der von der Klägerin am 7. Oktober 2005 erstellten Rechnung ausgeschlossen, weil der MDK die Klägerin erst am 21. November 2005 und damit später als sechs Wochen nach Rechnungslegung über seinen Prüfauftrag informierte. Die Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c SGB V (zu deren Wirkungen vgl. BSG, Urt. v. 16. Mai 2012 – B 3 KR 14/11 R) ist nämlich nur auf Behandlungen anwendbar, die nach dem Inkrafttreten der Vorschrift am 31. März 2007 begonnen haben (BSG, Urt v. 22. Juni 2010 – B 1 KR 29/09 R).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Sozialgerichtsgesetz iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.