Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 22.08.2011 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 1275/11 ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 24. Juni 2011 sowie vom 01. August 2011 werden abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um die Gewährung von Wohnungsbeschaffungskosten im Rahmen der Leistungsgewährung nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) sowie um Gewährung von laufenden Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende für den Monat August 2011; ferner begehren die Antragsteller Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners.
Die bei dem Sozialgericht Neuruppin am 03. Juni 2011 sowie am 01. August 2011 eingegangenen Anträge, mit dem die Antragsteller (sinngemäß) beantragen,
1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig den sich aus dem Bewilligungsbescheid vom 31. Mai 2011 ergebenden vollständigen Zahlbetrag für den Monat August 2011 zu gewähren,
2. die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 24. Juni 2011 gegen den Versagungsbescheid des Antragsgegners vom 21. Juni 2011 anzuordnen
und
3. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig Wohnungsbeschaffungskosten in Höhe eines Betrages von 200,00 € nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren,
haben keinen Erfolg.
1. Der gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichtete Antrag zu 1. ist bereits unzulässig. Der Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens steht nämlich insoweit bereits die Regelung des § 17 Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), der gemäß § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, entgegen. Danach kann während der Rechtshängigkeit einer Sache diese von keinem Beteiligten anderweitig anhängig gemacht werden. Dies ist hinsichtlich des hier mit dem antragserweiternden Schriftsatz vom 01. August 2011 geltend gemachten Begehrens aber der Fall, da die Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zum Aktenzeichen – S 26 AS 1090/11 ER – mit ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2011 ebenso begehren, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, den sich aus dem Bewilligungsbescheid vom 31. Mai 2011 ergebenden Zahlbetrag in voller Höhe zu gewähren. Hierüber hat die Kammer im Übrigen mit Beschluss vom heutigen Tage bereits entschieden.
2. Die Rechtsschutzgewährung hinsichtlich des Antrages zu 2. hat demgegenüber nicht in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu erfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz ist vielmehr nur nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Denn die Antragsteller wenden sich gegen eine sie belastende Verfügung, mit der die Gewährung von Wohnungsbeschaffungskosten bzw. Fahrtkosten zu Wohnungsbesichtungsterminen versagt worden ist (Bescheid vom 21. Juni 2011). Richtige Rechtsschutzform dagegen ist in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, 1. Alternative SGG). Der von den Antragstellern mit Schreiben vom 24. Juni 2011 hiergegen erhobene Widerspruch hat jedoch gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. In diesen Fällen kann das Gericht in der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen. Bei verständiger Würdigung ist deshalb im wohlverstandenen Interesse der Antragsteller davon auszugehen, dass sie begehren, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs anzuordnen (vgl. § 123 SGG).
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage sieht § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, Rdnr. 12). Es trifft dabei in jedem Fall eine eigene Ermessensentscheidung nach denselben Gesichtspunkten wie die Widerspruchsbehörde in den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des betroffenen Verwaltungsakts oder fehlende Erfolgsaussichten von Widerspruch und/oder Anfechtungsklage können allein das besondere Vollzugsinteresse jedoch nicht begründen, auch nicht eine Prüfung ersetzen oder entbehrlich machen. Sie können nur zur Folge haben, dass die vorhandenen, ihrer Art nach dringlichen Vollzugsinteressen grundsätzlich als schwerwiegender anzusehen sind als das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der zu treffenden Abwägung der Interessen sind dabei vor allem die Natur, die Schwere und insbesondere auch die Dringlichkeit der dem Antragsteller auferlegten Belastungen und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung der Maßnahme und ihre Folgen zu berücksichtigen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt vorliegend das Interesse des Antragsgegners am Vollzug des streitgegenständlichen Versagungsbescheides vom 21. Juni 2011 gegenüber dem Interesse der Antragsteller an einer aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs, weil es an dem auch für diese Entscheidung erforderlichen Dringlichkeitselement fehlt. Die Antragsteller haben nämlich nicht glaubhaft machen können, dass ihnen bei Nichtgewährung der begehrten Wohnungsbeschaffungskosten, deren konkrete Entstehung sie nicht einmal in der erforderlichen Art und Weise substantiiert dargelegt oder gar glaubhaft gemacht haben, eine existenzielle Notlage droht oder worin die besondere Dringlichkeit der begehrten Entscheidung liegen soll, obwohl der Antragsgegner auf diese Unzulänglichkeiten in seinem Schriftsatz vom 22. Juli 2011 bereits ausdrücklich und völlig zu Recht hingewiesen hat. Weil die Antragsteller hierzu – obwohl sie ausreichend Gelegenheit dazu hatten – bis zum heutigen Tage weder konkret etwas vorgetragen, noch für die Kammer sonst etwas ersichtlich ist, was dafür sprechen könnte, dass ihnen durch die Versagungsentscheidung des Antragsgegners existenzielle Nachteile drohen könnten, war der Antrag auch insoweit abzulehnen, ohne dass es darauf ankäme, ob der Antragsgegner die Gewährung der begehrten Kosten zu Recht auf der Grundlage des § 66 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – versagt hat. Im Übrigen verkennen die Antragsteller, dass vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen nicht dazu dienen, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen. Sie sind vielmehr nur dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies ist - wie bereits ausgeführt - hier weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insoweit ist es den Antragstellern zuzumuten, den Ausgang des Widerspruchs- und des sich gegebenenfalls anschließenden Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
3. Der gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichtete Antrag zu 3. ist zulässig, jedoch unbegründet. Nach der genannten Vorschrift des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch, d. h. die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, d. h. die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt. Auch insoweit fehlt es für die begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Wohnungsbeschaffungskosten in Höhe eines Betrages von 200,00 € jedenfalls am Vorliegen eines den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Anordnungsgrundes. Insoweit verweist die Kammer zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen auf ihre Ausführungen zum fehlenden spezifischen Dringlichkeitselement (oben 2.), das im Wesentlichen dem Anordnungsgrund entspricht.
4. Hinsichtlich der auch in diesem Verfahren begehrten Akteneinsicht wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer vom heutigen Tage zum Aktenzeichen S 26 AS 1046/11 ER Bezug genommen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG; sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache, in der die Antragsteller vollumfänglich unterlagen.
6. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.