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Entscheidung 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 19.02.2021
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0219.1OLG53SS.OWI684.2.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 7. Oktober 2020 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei hat mit Bescheid vom 19. August 2019 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 195,00 € festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot unter Einräumung der zeitlichen Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Nach form- und fristgerecht erhobenem Einspruch hat das Amtsgericht Oranienburg den seit 2018 bereits vier Mal wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und wegen Überholens bei unklarer Verkehrslage vorgeahndeten Betroffenen mit Urteil vom 7. Oktober 2020 wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 390,00 € verurteilt und – wie schon zuvor die Verwaltungsbehörde – ein einmonatiges Fahrverbot unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am … 2019 gegen … Uhr als Fahrer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der Bundesautobahn … bei Kilometer … in Fahrtrichtung F…. im Bereich einer Großbaustelle die dort bestehende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um mindestens 47 km/h überschritten habe, mithin mindestens 107 km/h gefahren sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene mit dem bei Gericht am 14. Oktober 2020 angebrachten Anwaltsschriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach der am 6. November 2020 erfolgten Urteilszustellung mit weiterem bei Gericht am 4. Dezember 2020 eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet. Der Betroffene rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, dabei insbesondere die Ablehnung eines Beweisantrages sowie die Annahme vorsätzlicher Begehungsweise.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 22. Januar 2021 – ohne Darlegung einer Begründung – die Auffassung vertreten, dass die Urteilsfeststellungen nur eine fahrlässige Begehungsweise trage und beantragt, das angefochtene Urteil „unter Verwerfung im Übrigen dahingehend abzuändern, dass der Betroffene wegen einer fahrlässigen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt wird.“ Zum erkannten Fahrverbot verhält sich die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nicht.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg; sie erweist sich insgesamt als unbegründet.

a) Die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch; die Verfahrensrügen erweisen sich bereits als unzulässig, da sie nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen genügen.

aa) Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags genügt nicht den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG zu stellenden Anforderungen. Die Ausführungen in der Begründungsschrift verhalten sich nicht zur Konnexität zwischen Beweisthema und Beweistatsache. Weshalb der Betroffene in der Hauptverhandlung u.a. die Verlesung der „erteilten Eichscheine“, die Überlassung von Falldatensätze, Rohmessdaten, Statistikdatei erstrebt, wird nicht konkret mitgeteilt, so dass der Senat nicht einmal in die Lage versetzt ist zu prüfen, ob ein Beweisantrag oder ein bloßer Beweisermittlungsantrag vorliegt. Die Ausführung, „dass die zu Grunde liegenden Messdaten nicht ordnungsgemäß gewonnen wurden“ (S. 4 Begründungsschrift), ist eine „in’s Blaue“ hinein aufgestellt Behauptung und keine konkrete Beweistatsache.

bb) Auch die erhobenen Verfahrensrügen (1.) der Verletzung rechtlichen Gehörs und (2.) der Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren genügen nicht den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG zu stellenden Anforderungen.

(1.) Hinsichtlich der gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs bleibt unklar, worin diese zu erblicken ist. Mit dem Beweis- bzw. Beweisermittlungsantrag jedenfalls setzen sich die Urteilsgründe auseinander (S. 5 f. UA).

(2.) Soweit der Betroffene die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, offensichtlich unter dem Aspekt des Rechtes auf Zugangs auf Informationen die nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind, rügt, erweisen sie die Darlegungen in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 5. November 2020 ebenfalls als unzureichend. Es fehlt an Ausführungen dazu, ob und ggf. wann der Betroffenen welche konkreten Anträge auf erweiterte Akteneinsicht im Vorfeld der Hauptverhandlung gegenüber der Verwaltungsbehörde gestellt hat und ob und ggf. wann er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG im Falle einer ablehnenden Entscheidung durch die Bußgeldbehörde an das Bußgeldgericht gerichtet hat bzw. wie dieser Antrag beschieden worden ist. Denn zu dem erforderlichen vollständigen Tatsachenvortrag nach § 344 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG gehört auch, dass der Rechtsmittelführer die ihm nachteiligen Tatsachen nicht übergeht und auch Fakten vorträgt, die seiner Rüge den Boden entziehen können (statt vieler vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGH NStZ-RR 2007, 53, 54; KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 344 Rn. 38 m.w.N.).

(3.) Selbst wenn sich die Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren als zulässig erweisen würde, bliebe ihr der Erfolg versagt, da eine entsprechende Rechtsverletzung nicht zu besorgen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12. November 2020 (2 BvR 1616/18, abgedruckt in NZV 2021, 41 ff.) die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte zum so genannten standardisierten Messverfahren (grundlegend BGHSt 39, 291; BGHSt 43, 277; für PolyScanSpeed FM1 statt vieler: OLG Bremen, Beschluss vom 4. April 2020, 1 SsRS 50/19, zit. n. juris), die zu erheblichen Vereinfachungen im Beweisrecht und in den Urteilsgründen führen, bestätigt, dem Betroffenen dabei aber ein Zugangsrecht zu nicht in der Bußgeldakte befindlichen Informationen in gewissen Grenzen zuerkannt.

Bei Annahme eines standardisierten Messverfahrens bleibt der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden, nach höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung gewahrt, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen (statt vieler vgl. BGHSt 39, 291, 300; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014, IV 1 RBs 50/14, zit. n. juris, dort Rn. 10). Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen. Für einen erfolgreichen Beweisantrag muss der Betroffene jedoch konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen, wohingegen die bloß allgemeine Behauptung, die Messung sei fehlerhaft gewesen, das Gericht – wie im vorliegenden Fall – nicht zur Aufklärung anhält (vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf aaO.). Gleiches gilt für pauschale Behauptungen des Betroffenen „in‘s Blaue“ hinein, etwa, dass das Messgerät nicht richtig funktioniert habe, die Gebrauchsanweisung nicht eingehalten oder nachträglich Eingriffe an dem Gerät vorgenommen worden seien (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 3 StVO Rn. 56b m.w.N.). Um den Betroffenen jedoch in die Lage zu versetzen, konkrete Einwendungen gegen ein standardisiertes Messverfahren vorzubringen, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren, dass der Betroffene auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht hat, Kenntnis von solchen Unterlagen zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung der konkreten Ordnungswidrigkeit entstanden, aber nicht zur Verfahrensakte genommen worden sind (BVerfG aaO. Rn. 51 ff.).

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet dies allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt. Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten ist eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten, da andernfalls die Gefahr der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen und des Rechtsmissbrauchs besteht. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen. Die Verteidigung kann dabei grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen, wohingegen die Bußgeldbehörden und schließlich die Gerichte von einer weitergehenden Aufklärung gerade in Fällen standardisierter Messverfahren grundsätzlich entbunden sind. Es kommt deshalb insofern nicht darauf an, ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehende Information zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet (BVerfG aaO. Rn. 56, 56). Die Rechtsprechungspraxis zum standardisierten Messverfahren und die Ablehnungsmöglichkeiten nach § 77 Abs. 2 OWiGbegrenzen die Möglichkeiten der Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses unter Berufung auf die erlangten und ausgewerteten Informationen in zeitlicher Hinsicht. Zwar steht dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu (vgl. BVerfGE 63, 45, 67) er kann sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen Zugang rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt, was von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020, 2 BvR 1616/18, abgedruckt in NZV 2021, 41 ff. Rn. 60 a.E.).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene erstmals in der Hauptverhandlung am 7. Oktober 2020 mit dem Beweisermittlungsantrag zugleich einen Antrag auf erweiterte Akteneinsicht gestellt, obwohl er hierzu nach Zustellung des Bußgeldbescheides vom 18. August 2019 weit über ein Jahr Zeit gehabt hatte; von einer „rechtzeitigen“ (BVerfG aaO.) Geltendmachung des Zugangsrechts von nicht bei den Verfahrensakten befindlichen Messdaten bzw. der Geltendmachung eines erweiterten Akteneinsichtsrechts kann daher keine Rede sein.

b) Auch die erhobene Sachrüge bleibt ohne Erfolg.

aa) Der Schuldspruch ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden

(1.) Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den objektiven Tatbestand des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 47 km/h. Bei der Geschwindigkeitsmessung mittels des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes PolyScan FM1 der Firma Vitronic Dr.-Ing. S… Bildverarbeitungssysteme GmbH handelt es sich – wie oben dargelegt – um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291 ff.; BGHSt 43, 277 ff.; OLG Hamm DAR 2005, 407). Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH aaO.; OLG Stuttgart VRR 2007, 476). Mithin genügen vorliegend die Angaben insbesondere zu Art des Messverfahrens, zur gemessenen Geschwindigkeit und zur Höhe des in Abzug gebrachten Toleranzwertes, zur Einhaltung der Bedingungsvorschriften, Qualifizierung des Messbeamten und Gültigkeit Eichung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler bereits Beschluss vom 3. November 2003 – 1 Ss (OWi) 231/03 m.w.N). Konkrete Messfehler, die der Charakterisierung als standardisierten Messverfahrens entgegenstehen könnten, sind weder den Urteilsgründen zu entnehmen noch mit der Rechtsbeschwerde vorgetragen worden.

(2.) Die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu beanstanden.

(a.) Den Feststellungen und der diesen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung ist zu entnehmen, dass der Betroffene Kenntnis von der Geschwindigkeitsbeschränkung hatte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Würdigung der erhobenen Beweise grundsätzlich zu den ureigenen tatrichterlichen Aufgaben gehört, die in weiten Bereichen der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen ist. Dem Tatrichter bleibt es vorbehalten, sich eine Überzeugung von der Schuld oder der nicht vorhandenen Schuld des Angeklagten zu verschaffen. Daher ist das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Tatrichters gebunden. Jedoch sind die Beweismittel und deren Würdigung in das schriftliche Urteil aufzunehmen, weil anderenfalls jede Überprüfung der Richtigkeit des Schuldspruchs ausgeschlossen wäre. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt vom Tatrichter regelmäßig eine Beweiswürdigung, in der die Ergebnisse der Beweisaufnahme – als Grundlage der tatsächlichen Feststellungen – darzustellen und erschöpfend zu würdigen sind. In welchem Umfang dies geboten ist, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage, nicht zuletzt nach der Bedeutung, die der jeweiligen Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens für die Wahrheitsfindung zukommt (statt vieler: BGH DRiZ 1994, 59 f.), wobei zu berücksichtigen ist, dass an ein Urteil in Bußgeldsachen nicht die gleichen hohen Anforderungen gestellt werden können wie an ein Urteil in Strafsachen (vgl. BGHSt 39, 291; BayObLG NZV 2003, 247; OLG Hamm NZV 2003, 295; OLG Rostock DAR 2001, 421). Der Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung obliegt dem mit der Sachrüge befassten Rechtsbeschwerdegericht nur unter dem Gesichtspunkt, ob sie rechtliche Fehler aufweist. Solche Fehler können darin begründet sein, dass die Beweiswürdigung unklar, unvollständig bzw. lückenhaft oder widersprüchlich ist, ferner gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 17 m. w. N.).

Solche Fehler weist das angefochtene Urteil nicht aus. Das Tatgericht stützt seine Entscheidung über die Kenntnis des Betroffenen vor der Geschwindigkeitsüberschreitung auf die Erkennbarkeit der Gefahrensituation bei einer bestehenden Baustelle („Großbaustelle“, „dreispuriger Ausbau“), das Führen des gesamten Verkehrs („sämtlicher Verkehr“) auf einer Fahrbahnseite (Abgrenzung durch „Betonelemente“), die besondere Länge der Baustelle, wiederholt aufgestellte Verkehrsschilder mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h (Zeichen 274, § 41 Abs. 1 StVO), zuletzt 200 Meter und 1.000 Meter vor der Messstelle (S. 3, 6 UA). Bei einer Wertung all dieser objektiven Umstände in einer Gesamtschau ist der von der Bußgeldrichterin gezogene Schluss, dass der Betroffene Kenntnis von der Geschwindigkeitsüberschreitung hatte, rechtlich nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass – wenn es auch keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherten Erkenntnisse geben mag – davon ausgegangen werden darf, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftzeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden (vgl. BGHSt 43, 241). Diesen Regelfall dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte regelmäßig zugrunde legen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Vorschriftzeichen übersehen hat, brauchen sie nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist (vgl. BGH aaO.; OLG Hamm ZfS 2008, 408).

(b.) Dem Betroffenen ist darin beizupflichten, dass allein daraus, dass ein Kraftfahrer eine Geschwindigkeitsbeschränkung kennt, noch nicht geschlossen werden kann, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch bewusst und gewollt überschritten hatte (vgl. dazu auch OLG Celle ZfS 1996, 76; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.04.2010, 1 Ss 53/10 zit. n. juris). Damit hatte es im vorliegenden Fall aber gerade nicht sein Bewenden.

Es ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, dass das Tatgericht aus objektiven Umständen, wie der erheblichen Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf ein bewusstes und gewolltes Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schließt (st. Rspr. des Senats, vgl. statt vieler: Beschluss vom 22. Oktober 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 433/20 (264/20) Beschluss vom 22. September 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 374/20 (220/20); Beschluss vom 24. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 318/20 (193/20) Beschluss vom 6. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 286/20 (178/20) siehe auch KG NZV 2004, 598; KG VRS 109, 132; OLG Rostock VRS 108, 376; OLG Bamberg DAR 2006, 464; OLG Jena VRS 111, 52). Im vorliegenden Fall geht es um ein wegen einer besonderen Gefahrenstelle angeordnetes Tempolimit, wobei die Messstelle – ausweislich der Urteilsgründe – in einem Bereich eingerichtet war, bei dem der komplette Verkehr über eine Fahrbahnhälfte geführt worden war. Mithin ging es hier um ein Tempolimit bei einer nicht nur ausgewiesenen, sondern auch für jeden Kraftfahrer erkennbaren Gefahrenstelle.

Bloße Fahrlässigkeit hätte demzufolge nur damit begründet werden können, dass der Betroffene nicht bemerkt hätte, dass und in welchem Ausmaß er dieses Limit überschritten hätte. Dies war nach den von dem Amtsgericht hierzu getroffenen Feststellungen indes fernliegend. Schon angesichts des massiven Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung um 47 km/h drängte sich die Annahme vorsätzlicher Begehung geradezu auf (vgl. BGH DAR 1997, 497). Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit war damit so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er in der Gefahrenstelle nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr (vgl. OLG Düsseldorf in NZV 1995, 161, 162). Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 60 km/h an einer Gefahrenstelle um fast 80% überschreitet, dies beispielsweise anhand der Motorgeräusche des ihm vertrauten Fahrzeugs, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum ändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet (vgl. BGH in NJW 1993, 3081, 3084 m.w.N.). Selbst wenn der Betroffene nicht auf den Tachometer geschaut hätte, würde dies - aus den oben genannten Gründen - der Annahme von Vorsatz nicht entgegenstehen. Der Betroffene hatte – wie oben dargelegt – auch ohne ständige Tachometerbeobachtung eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung der gefahrenen Geschwindigkeit.

Dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (KG, Beschluss vom 10.12.2003 - 3 Ws (B) 500/3 - 345 OWi 401/02, zit. n. juris; BayOBLG NZV 1999, 97; OLG Koblenz DAR 1999, 227, OLG Jena VRS 111, 52). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dieses zumindest stark überhöhten Tempos unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß von 47 km/h zumindest billigend in Kauf nahm. Vorsatz setzt – wie oben dargelegt – nicht die positive Kenntnis von der exakten Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung im Zeitpunkt der Messung voraus (st. Rspr. des Senats, vgl. statt vieler: Beschluss vom 22. Oktober 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 433/20 (264/20); Beschluss vom 22. September 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 374/20 (220/20); Beschluss vom 24. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 318/20 (193/20); Beschluss vom 6. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 286/20 (178/20); siehe auch OLG Düsseldorf NZV 1996, 463).

Der Ausschluss eines so genannten Augenblickversagens durch das Amtsgericht (S. 6 UA) ist angesichts der vorstehenden Ausführungen von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

bb) Der Rechtsfolgenausspruch ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.

(1.) Zutreffend hat das Bußgeldgericht angesichts der vorsätzlichen Begehungsweise die Regelgeldbuße für fahrlässige Begehungsweise gemäß § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelt und infolge der straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen weiter maßvoll erhöht.

Auch die gegenüber dem Bußgeldbescheid vom 19. August 2019 vorgenommene Verböserung der Geldbuße ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass das Verschlechterungsverbot nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid dann nicht gilt, wenn das Bußgeldgericht durch Urteil entscheidet. Dies folgt aus dem Wesen des Einspruchs als Rechtsbehelf eigener Art. Der Einspruch des Betroffenen hat den Inhalt, dass der vorläufige Spruch der Verwaltungsbehörde, die das Bußgeldverfahren zum Abschluss bringen soll, abgelehnt wird. Entsprechend führt der Einspruch im gerichtlichen Verfahren nicht zu einer Nachprüfung der getroffenen Entscheidung der Verwaltungsbehörde, die nur vorläufigen Charakter hat. Der Einspruch bringt die Sache vielmehr dann, wenn die Verwaltungsbehörde nach Prüfung im Zwischenverfahren den Bußgeldbescheid nicht zurücknimmt, aus einem Vorverfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Hauptverfahren (vgl. BGHSt 29, 173, 175). Die Bedeutung des Bußgeldbescheides ändert sich bei einem wirksamen Einspruch des Betroffenen. Der Bußgeldbescheid verliert die Bedeutung einer vorläufigen Entscheidung und behält nur noch die einer tatsächlich und rechtlich näher bezeichneten Beschuldigung. Entsprechend ist beispielsweise die Verwaltungsbehörde nach Einlegung eines Einspruchs nicht gehindert, im Zwischenverfahren den ersten Bußgeldbescheid zurückzunehmen und in einem zweiten Bußgeldbescheid nachteiligere Rechtsfolgen festzusetzen (siehe auch § 66 Abs. 2 Nr. 1 b OWiG). Gilt das Verschlechterungsverbot im Bußgeldverfahren nach Einspruch nicht, können Umstände, die das Gericht veranlassen, eine höhere Geldbuße als im Bußgeldbescheid festzusetzen, überdies keine solche darstellen, die eine Hinweispflicht nach § 265 StPO iVm. 46 Abs. 1 OWiG auslösen (vgl. BayObLG DAR 2002, 366; OLG Hamm NJW 1980, 1587). Gleiches gilt erst Recht, wenn das Tatgericht – wie im vorliegenden Fall – aufgrund bekannter Umstände auf eine höhere Geldbuße als im Bußgeldbescheid erkennt.

(2.) Das erkannte Fahrverbot entspricht der Regelanordnung nach Ziff. 11.3.7 der Tabelle 1c zur BKatV. Die Urteilsgründe lassen erkennen, dass das sich das Tatgericht der Möglichkeit eines Absehens von einem Fahrverbot bei Existenzgefährdung bewusst war (S. 6 UA). Aus Verhältnismäßigkeitsgründen kann das Absehen von einem Fahrverbot oder die Verringerung des Regelfahrverbotes nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich dieses als eine für den Betroffenen „besondere Härte“ darstellen würde. Eine „besondere Härte“ kann aus wirtschaftlichen Gründen aber nur dann vorliegen, wenn nachweislich schwere wirtschaftliche Schäden, etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Vernichtung der beruflichen Existenz oder der wirtschaftlichen Existenz eines Betriebes drohen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Senatsbeschluss vom 19. März 2003, 1 Ss (OWi) 14 B/03; Senatsbeschluss vom 22. April 2009, 1 Ss (OWi) 44 B/09; siehe auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 25 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Derartige Gründe sind jedoch ausweislich des angefochtenen Urteils von dem Betroffenen weder vorgetragen worden noch sind sie sonst ersichtlich.

Die dem Betroffenen eingeräumte zeitliche Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG mildert die Folgen des Fahrverbots.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO iVm. § 46 Abs. 1 OWiG.