Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.02.2020 | |
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Aktenzeichen | 5 L 224/19.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0225.5L224.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
In Ghana ist Tuberkulose kostenlos behandelbar.
Soweit der Antrag Erfolg hat, wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des zur Vertretung bereiten Herrn Rechtsanwalt M..., S..., 1..., bewilligt und im Übrigen versagt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet, soweit die Abschiebung nach Italien angedroht wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
Prozesskostenhilfe ist nach Maßgabe des Tenors zu bewilligen bzw. zu versagen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen insoweit eine bzw. keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Der auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gerichtete Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 5 K 620/19.A) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. März 2019 anzuordnen,
hat nach Maßgabe des Tenors Erfolg.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig aber nur teilweise begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG (hier Fall des § 38 Abs. 2 AsylG - Ausreisefrist eine Woche im Falle der Rücknahme des Asylantrags) folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Abzustellen ist insbesondere auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ist die Klage in der Hauptsache im Rahmen einer summarischen Prüfung offensichtlich erfolgreich, kann kein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides bestehen. Andererseits kann der Antragsteller kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend.
Der Maßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, nach dem die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, ist vorliegend nicht anwendbar. Denn § 36 AsylG gilt ausweislich seiner amtlichen Überschrift nur bei Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und bei offensichtlicher Unbegründetheit, nicht jedoch im Fall der vorliegenden Einstellung nach § 32 AsylG. § 38 Abs. 2 AsylG hingegen enthält keine § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG entsprechende Regelung (VG Bremen, Beschluss vom 23. März 2018 – 6 V 606/18 – Juris).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben überwiegt das private Interesse des Antragstellers daran, nicht schon jetzt nach Italien abgeschoben zu werden, denn bei summarischer Prüfung erweist sich der Bescheid des Bundesamts insoweit als rechtswidrig. Soweit die Abschiebungsandrohung Italien als Zielstaat bestimmt, ist sie rechtswidrig, weil sie gegen Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG verstößt, wonach die Mitgliedsstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Nach Rücknahme seines Asylantrages hält sich der Antragsteller illegal auf, weil er kein Asylbewerber mehr ist (vgl. 9. Erwägungsgrund zur Richtlinie 2008/115/EG). Die Ausreise nach Italien stellt vorliegend keine Rückkehr i.S.d. Art. 3 Richtlinie 2008/115/EG dar, weil Italien weder das Herkunftsland, noch ein Transitland oder ein anderes Drittland ist. Die Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2008/115/EG, wonach bei Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels vorrangig zur Ausreise in den gewährenden EU-Mitgliedsstaat aufzufordern ist, greift mangels eines im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gültigen italienischen Aufenthaltstitels nicht ein.
Soweit sich der Antrag gegen die Abschiebungsandrohung nach Ghana richtet, ist er unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, nicht schon jetzt nach Ghana abgeschoben zu werden, denn bei summarischer Prüfung erweist sich der Bescheid des Bundesamts insoweit als rechtmäßig.
Das Bundesamt hat das Asylverfahren zu Recht gemäß § 32 Satz 1 AsylG eingestellt und kein Abschiebungsverbot festgestellt.
Nach § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme oder des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylG in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Vorliegend hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 8. Oktober 2018 seinen Asylantrag zurückgenommen.
Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere wegen der Tuberkulose des Antragstellers, liegen hinsichtlich Ghana offensichtlich nicht vor. Grundlage für diese Prognose bilden nur diejenigen ärztlichen Bescheinigungen, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), wobei es dem Antragsteller obliegt, eine der Abschiebung entgegenstehende Erkrankung glaubhaft zu machen (vgl. § 60 a Abs. 2c Satz 2 AufenthG).
Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2/19 – Juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des EGMR haben die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat weder notwendig noch ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 278 und vom 29. Januar 2013 - Nr. 60367/10, S.H.H./Vereinigtes Königreich - Rn. 74). Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Denn die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR <GK>, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 278; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 – Juris Rn. 6). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadium an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.).
Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor.
Die letzte vom Antragsteller eingereichte fachärztliche Stellungnahme datiert vom 2. Januar 2019. Sie gibt den Zustand des Antragstellers von vor über einem Jahr wieder, scheidet deshalb schon mangels Aktualität als Grundlage für die Beurteilung einer krankheitsbedingten Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG aus. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 a Abs. 2c Satz 2 AufenthG obliegt es dem Antragsteller, eine der Abschiebung entgegenstehende Erkrankung glaubhaft zu machen.
Unabhängig davon belegte diese Stellungnahme auch dann keine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG, wenn sie noch den gegenwärtigen Zustand wiedergäbe. Diese Stellungnahme berichtet zum Beschwerdebild: „Chronische Schmerzen und ein dauerhafte Bewegungseinschränkung der linken Schulter (Abduktion nicht über 0° möglich – wohl 80° (vgl. fachärztliche Stellungnahme von 18. September 2018); dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit vorbehaltlich Begutachtung mit mindestens 50% anzusetzen) charakterisieren seinen subjektiven Zustand.“. Damit ist nicht ansatzweise ein besonderer Fall aufgezeigt, der jenem des an Aids Erkrankten, dessen Krankheit sich im tödlichen und unheilbaren Stadium befand, vergleichbar wäre. Abgesehen davon, dass das Beschwerdebild dem besonderen Ausnahmefall nicht nahekommt, ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller überhaupt einer Behandlung bedarf. Die letzte dem Gericht vorgelegte ärztliche Stellungnahme wurde am 2. Januar 2019 von dem behandelnden Oberarzt des Helios Klinikums Emil von Behring, Dr. Schönfeld, erstellt. Darin wird berichtet, dass die medikamentöse Therapie unter Berücksichtigung einer wahrscheinlichen Vorbehandlung im Ausland im Dezember 2018 ausgesetzt wurde. Der Antragsteller befinde sich nunmehr in einer engmaschigen Überwachungsphase. Eine Kernspintomografie der betroffenen Wirbelsäule sei für Januar 2019 geplant. Der Antragsteller hat weder vorgetragen, geschweige denn i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht, dass er seitdem einen Rückfall erlitten hat und sich deshalb erneut einer Therapie gegen Tuberkulose unterzieht. Damit ist davon auszugehen, dass er seit mittlerweile ca. 14 Monaten keiner Tuberkulosebehandlung mehr bedarf. Soweit die ärztliche Stellungnahme darauf verweist, dass Tuberkulose eine lebenslange Erkrankung sei und im Falle einer Reaktivierung, mit dem lebenslang jederzeit gerechnet werden müsse, der Antragsteller akut und langzeitig vom Tod bedroht sei, zeigt sie lediglich auf, dass die Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt sein kann, was indes kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet. Soweit die Stellungnahme das individuelle Risiko dadurch als „unkalkulierbar erhöht“ ansieht, dass „ nur rudimentäre Erkenntnisse über die Resistenz des Stammes vorliegen“, gilt diese Feststellung nicht nur für die Behandelbarkeit in Ghana, sondern auch im Inland, wodurch keine abschiebungsbedingte Gefahrerhöhung aufgezeigt wird. Schließlich bedarf der Antragsteller ausweislich der vorgenannten ärztlichen Stellungnahme derzeit keiner Medikation.
Selbst wenn der Antragsteller einen Rückfall erleiden sollte, trifft es nicht zu, dass er in Ghana keine angemessene Behandlung erreichen könnte oder jeglicher moralischer oder sozialer Unterstützung entbehren müsste. Für bestimmte häufige Infektionskrankheiten, wozu auch Tuberkulose gehört, existieren in Ghana sog. Nationale Kontrollprogramme. Mit internationaler Hilfe, u.a. auch der EU, konnte im ganzen Land ein Netzwerk von Kliniken entstehen, wo flächendeckend Behandlungen durchgeführt werden (Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG, Stand Dezember 2018, S. 22). Tuberkulosediagnostik und –behandlung sind kostenfrei (Pedrazzoli e.al. „How affordable ist TB care? Findings from a nationwide TB patient cost survery in Ghana.“). Unabhängig davon kann der Antragsteller gegen einen geringen Beitrag von 25 USD jährlich und eine Registrierungsgebühr von 2 USD in den Genuss der Leistungen der nationalen Krankenversicherung kommen. Diese deckt die Kosten für Krankenhausaufenthalte, ambulante Arztbesuche, Labortests und bestimmte Medikamente, wobei die Ausstellung der Krankenversicherungskarte normalerweise einen Monat dauert (vgl. Auskunft von IOM-Vertretung Deutschland 1. Quartal 2019). Soweit der Antragsteller Unzulänglichkeiten des durch die Krankenversicherung finanzierten Gesundheitssystems beanstandet, übersieht er, dass die im Rahmen des Tuberkuloseprogramms ausgegebenen Medikamente auch für nicht krankenversicherte Patienten kostenlos sind (IOM-Verbindungsstelle bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, Auskunft an Bamf vom 16. Juli 2014). Irreführend ist im Zusammenhang mit den Kosten der Hinweis auf die Studie von Pedrazzoli D. et al.. „How affordable ist TB care? Findings from a nationwide TB patient cost survery in Ghana.“. Es trifft nicht zu, dass der Studie zu entnehmen ist, dass die Patienten für die Behandlung durchschnittlich 429 USD und im Falle von Multiresistenzen 659 USD während der gesamten Behandlung aufbringen müssen. Mit diesen Beträgen beziffert die Studie das bei Erkrankung eines Haushaltsmitglieds einem Privathaushalt entgehende Einkommen, die Kosten für die Anreise zur Behandlung und für den Aufenthalt am Behandlungsort (vgl. S. 1 der Studie). Diese Kosten sind im Falle des Antragstellers irrelevant. Der Antragsteller trägt keine Unterhaltslasten. Ebenso wenig entstünden in seinem Falle Kosten für die Anreise oder die Unterbringung, weil er in Kumasi, seinem Heimatort angemessene medizinische Versorgung erlangen würde. In Kumasi, wo u.a. das vom Auswärtigen Amt unterstützte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin seinen Sitz hat (vgl. Interneteintrag zu Kumasi), existieren mindestens vier große Tuberkulosekliniken (Komfo Anokye Teaching Hospital, Manhyia Hospital, Suntreso Government Hospital and the Kumasi-South Hospital) (vgl. K Obiri-Danso, L Acheampong, D Edoh. Cure rate of Tuberculosis patients using DOTS programme in Kumasi metropolis, Ghana.. The Internet Journal of Pulmonary Medicine. 2008 Volume 11 Number 1).
Dem Antragsteller droht in Ghana keine existentielle Not. Bereits vor seiner Ausreise vermochte er durch Arbeit in einer Fahrradwerkstatt seinen Unterhalt zu erwirtschaften. Es ist davon auszugehen, dass ihm dies erneut gelingen wird. Selbst in Libyen, einem ihm sprachlich und kulturell fremden Umfeld, war er im Stande, seinen Lebensunterhalt und zusätzlich die Kosten für die Weiterreise zu verdienen. Soweit in der ärztlichen Stellungnahme vom 2. Januar 2019 eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit vorbehaltlich einer Begutachtung von mindestens 50% prognostiziert wird, fehlt hierfür schon jedwede Begründung. Ebenso wenig ist ein Gutachten nachgereicht worden. Diese Prognose entbehrt zudem jeder Aussagekraft für die aktuelle Erwerbsfähigkeit des Antragstellers.
Nichts anderes gilt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach dem Vorstehenden drohen dem Antragsteller keine Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.