Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 30.05.2013 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 107/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 7 SGB 7, Anl 1 Nr 2108 BKV |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. April 2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist - nach Beschränkung des Klagebegehrens in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg vom 30. Mai 2013 - nur noch das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1948 geborene Kläger ist gelernter Werkzeugmacher. Nach einem Studium an der Technischen Hochschule in KStadt (September 1968 bis November 1970) arbeitete er zunächst als Dreher, Bereichsmeister und Ingenieur für Produktion und Wettbewerb. Ab dem 01. Juni 1978 war er als Bauleiter beim VEB (K) Bau K W, ab dem 07. November 1983 als Produktionsleiter und ab dem 01. Januar 1985 wiederum als Bauleiter beim VEB (K) Bau L tätig. Zum 01. September 1987 machte er sich mit einer Firma für Kanal- und Rohrreinigung selbständig.
Bereits im Jahr 1980 war der Kläger nach einem Arbeitsunfall wegen eines chronischen lumbalen Wurzelreizsyndroms stationär in der Nervenklinik T (später: Landesklinik T, jetzt: A Fachklinikum T) behandelt worden. Dort gefertigte Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule (LWS) und des Beckens zeigten eine abgeflachte Lordose, einen Übergang zur Steilstellung und einen deutlichen Achssprung bei LWK 4/5, eine Bandscheiben (BS)-Schädigung bei L 5/S1. Wegen anhaltender und zunehmender Beschwerden gefertigte Röntgenaufnahmen der LWS vom 15. August 1986 zeigten eine abgeflachte Lordose, eine flachbogige Skoliose mit Rotation, eine massive Erniedrigung des BS-Zwischenraumes L5/S1 mit Pseudospondylolisthesis. Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule (BWS) vom 25. September 1986 zeigten in den oberen Anteilen eine übersteigerte Kyphose, eine flachbogige Skoliose, Deckplatteneinbrüche und Randkanten einiger Wirbelkörper (WK). Diagnostiziert wurde ein Morbus Scheuermann. Eine lumbale CT-Aufnahme vom 29. Oktober 1986 zeigte eine Protrusion L4/5, einen BS-Vorfall links L5/S1 bei gleichzeitiger osteophytischer Anlagerung am kleinen Wirbelgelenk links und eine mögliche ältere Bogenfraktur L5 links. Im Jahr 1986 wurde beim Kläger wegen eines Wurzelkompressionssyndroms S 1 links in der Neurotraumatologischen Klinik des Krankenhauses im F eine BS-Operation bei L5/S1 durchgeführt (stationärer Aufenthalt vom 20. November bis zum 12. Dezember 1986). Nachdem sein Zustand bis 1997 relativ stabil war, kam es dann wieder zur Schmerzzunahme im Bereich der LWS und im linken Bein, die auch durch verschiedene Physiotherapien nicht gebessert wurden. Nach einem Treppensturz auf die linke Hüfte bzw. den unteren LWS-Bereich wurde der Kläger in der Neurologischen Klinik der Landesklinik T behandelt. Das dort gefertigte CT der LWS vom 18. Juni 1999 zeigte erhebliche degenerative Veränderungen, insbesondere der BS-Fächer L4/L5 und L5/S1, sowie eine spinale Enge. Eine Neurographie ergab mögliche Hinweise auf ein Radikulärsyndrom L5 rechts (Entlassungsbericht vom 29. Juni 1999).
Im August 2001 beantragte der Kläger, der mittlerweile im Juni 2001 an einem Leistenbruch in der S-klinik L operiert worden war, bei der Beklagten unter Beifügung eines Berichts über eine MRT-Untersuchung der LWS vom 05. März 2001 sowie von Röntgen- und CT-Aufnahmen aus der Landesklinik T vom 18. Juni 1999 und dem DRK-Krankenhaus L vom 05. September 2000 eine „Berufsunfähigkeitsrente“, da bei ihm seit dem 23. November 2000 Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen eines chronischen Lumbalsyndroms sowie weiterer Erkrankungen bestehe. Die Erkrankung der Wirbelsäule (WS) sei auf die Belastungen durch schweres Heben, Tragen und Arbeiten in gebückter Haltung als Bauleiter und bei der Kanal- und Rohrreinigung zurückzuführen.
In der ärztlichen Anzeige über eine BK vom 12. September 2001 vermerkte der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. (DM) F, dass für die Entstehung der BK das Heben und Tragen von Gullideckeln im Zeitraum von 1987 bis 1999 ursächlich sei. Der beigefügte Bericht über eine MRT-Aufnahme der LWS vom 05. März 2001 wies Vorwölbungen der BS bei L3/L4 und bei L4/L5, einen Prolaps bei L1/L2, ein angedeutetes Wirbelgleiten, eine Skoliose der mittleren und unteren LWS, eine Enge des Spinalkanals und beider Neuroforamina bei Pseudospondylolisthesis aus. Aus dem weiter beigefügten Bericht über eine CT-Aufnahme vom 05. September 2000 ergaben sich fortgeschrittene degenerative Veränderungen der unteren LWS bei Osteochondrosis intervertebralis im Segment L5/S1, eine fortgeschrittene Spondylarthrose bei L5/S1, BS-Protrusionen bei L3/4 und L4/5 mit kleinem Prolaps bei L4/5 und im Segment L5/S1 erhebliche BS-Degeneration mit BS-Prolaps.
Die Beklagte forderte vom Krankenhaus im F Abteilung für Neurochirurgie, einen Krankheitsbericht bei WS-Erkrankungen vom 24. Oktober 2001 an, aus welchem sich die Diagnose einer erheblichen degenerativen Veränderung der LWS mit Torsionsskoliose, Pseudospondylolisthesis L5/S1 mit nachfolgender Spinalkanalstenose sowie ein BS-Vorfall rechts bei L1/L2 ergab. Am 01. Juni 2001 gefertigte Röntgenaufnahmen der LWS zeigten eine leichte rechtskonvexe Skoliose der LWS, eine fortgeschrittene Spondylarthrose sowie mehrortige Osteochondrosen, insbesondere bei L5/S1. Vergleichbare Diagnosen stellte der den Kläger mitbehandelnde Facharzt für Orthopädie DM F im Krankheitsbericht vom 28. November 2001.
Am 11. Juli 2002 erlitt der Kläger einen Schlaganfall mit Residuen einer Hemiparese links, ausgeprägter Gang- und Koordinationsstörung und Kraftdefiziten und wurde anschließend in der neurologischen Reha-Klinik B-H stationär behandelt.
Nachdem Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 negativ verlaufen waren (Stellungnahme vom 05. Juni 2002), lehnte die Beklagte nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom 06. August 2002 die Gewährung einer Entschädigung ab, da schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht gegeben seien.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch rügte der Kläger, dass die arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten seine tatsächliche Belastung nicht zutreffend erfasst hätten.
Nachdem eine ergänzende Stellungnahme des TAD vom 25. Oktober 2002 zu dem Ergebnis geführt hatte, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der für ein erhöhtes Krankheitsrisiko bezüglich der BK Nr. 2108 festgelegte Richtwert von 25 x 106 Nh nicht überschritten worden sei, wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28. November 2002 als unbegründet zurück.
Mit seiner hiergegen beim Sozialgericht (SG) Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend Einzelheiten zur Ausführung seiner beruflichen Tätigkeiten mitgeteilt und eingewandt, der TAD der Beklagten habe nicht alle Arbeitstage zu DDR-Zeiten und die Tatsache, dass die Kanal- und Rohrreinigungen ohne speziellen Werkzeuge, sondern mit selbstgefertigten Werkzeugen von Hand und in gebückter Haltung durchgeführt worden seien, nicht berücksichtigt. Zudem habe der Sachbearbeiter der Beklagten den Zeitraum ab 1992, von dem an entsprechende Arbeitsmaschinen eingesetzt worden seien, nicht dargestellt. Zu berücksichtigen sei auch, dass er 2 m groß sei und bei ihm in gebückter Haltung wesentlich stärkere Kräfte auf die WS wirkten als bei kleineren Menschen.
Die Präventionsabteilung der für die Tätigkeiten des Klägers im Zeitraum vom 01. September 1965 - 23. Juli 1968 und vom 28. Dezember 1970 bis zum 03. Januar 1973 beim ehemaligen VEB IFA Automobilwerk L zuständigen Norddeutschen Metall-BG ermittelte ergänzend eine anteilige Belastungsdosis von 3,0 x 106 Nh (Stellungnahme vom 03. Mai 2005).
Im Erörterungstermin vom 27. Februar 2009 hat Herr P H als Verantwortlicher für die Bauleitungsbereiche des VEB Bau K als Zeuge zu dem Ablauf der Tätigkeiten, insbesondere der Entladetätigkeiten von Betonelementen mit Gewichten bis zu 500 bis 600 kg, die durch 2 bis 6 Personen gemeinsam bewegt worden seien, ausgesagt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf das Protokoll verwiesen (Anl. 1 zur Sitzungsniederschrift).
In Ihrer ergänzenden Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 27. Juli 2009 hat die Präventionsabteilung der Beklagten unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 30. Oktober 2007, B 2 U 4/06 R, in juris) und der Angaben des Zeugen H hinsichtlich der BK Nr. 2108 für Beschäftigungszeiträume des Klägers vom 09. April 1975 bis zum 31. Dezember 2002 eine berufliche Gesamtdosis i. H. v. 21,8 x 106 Nh errechnet, was einem prozentualen Anteil von 87 % des Orientierungswertes von 25 x 106 Nh für Männer entspreche.
Das SG Potsdam hat die den Kläger betreffenden „Arztakten“ der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg und die Röntgen-, CT-, und MRT-Aufnahmen der LWS aus den Jahren 1999 bis 2009 beigezogen.
Sodann hat es den Facharzt für Orthopädie Dr. W mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage zum Vorliegen einer BK nach Nr. 2108 beauftragt. In seinem Gutachten vom 04. Januar 2010 hat der Sachverständige beim Kläger folgende Diagnosen auf orthopädisch-neurologischem Gebiet gestellt:
- Zustand nach Nucleotomie L4/L5,
- Bandscheibenprolaps L1/L2,
- Bandscheibenvorfall L3/4,
- mittelgradige Torsionsskoliose der LWS,
- mehrsegmentale Spinalkanalstenosen/Recessuseinengungen,
- Pseudolisthesie L1/L2, L4 bis S1,
- Zustand nach Apoplex mit Residuen einer Hemiparese links, ausgeprägte Gang- und Koordinationsstörungen/Kraftdefizite.
Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger keine bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS zu diagnostizieren seien, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich sowohl i. S. der Entstehung (alleinige Ursache oder Teilursache) oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden auf langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Beugehaltung zurückgeführt werden könnten. Insbesondere könne eine wesentliche Verschlimmerung der anlagebedingten Erkrankung auch bei unterstellter beruflicher Überlastung nicht angenommen werden.
Zwar liege eine bildgebend/operativ gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines BS-Vorfalls auf der unteren LWS mit Nervenwurzelabtrennung und Zeichen einer Nervenwurzelreizung links vor, womit die Grundvoraussetzung erfüllt sei. Es sei jedoch das Kriterium der Langjährigkeit der Belastungen nicht erfüllt, worauf die relativ frühe Krankheitsentwicklung nach einer sehr kurzen Expositionszeit hinweise. Zudem sei eine besonders intensive berufliche Belastung gerade im Jahr 1986 gemäß den Ermittlungen des TAD nicht ersichtlich.
Davon abgesehen fehle es für die Annahme der Konstellationsgruppe „B“ der Konsensempfehlungen - bei Vorliegen eines altersüberschreitenden BS-Schadens der untere LWS – an dem wesentlichen Positivindiz einer belastungsadaptiven Begleitspondylose. Eine Zuordnung zur Konstellation B 2 entfalle auch deshalb, weil als wesentlich konkurrierende Ursache die mittelgradige Rotationsskoliose mit Punctum maximum über dem LWK 3 zu berücksichtigen sei. Diese führe zu biomechanischen Fehlbelastungen und verursache die mehrsegmentalen BS-Probleme (Höhenminderung/BS-Vorfälle) und die knöchernen Abstützreaktionen in Form von Randzacken. Die Tomographieaufnahmen hätten gezeigt, dass neben der unteren LWS auch minderbelastete Segmente (L1/L2 und L3/L4) höhergradige Veränderungen aufwiesen (Einengungen des Spinalkanales und der abgehenden Nervenrecessus), so dass eine nach kaudal zunehmende und die drei unteren Segmente betreffende BS-Erkrankung nicht nachgewiesen werden könne. Diese Veränderungen seien als Teil der genetischen Disposition und nicht als sekundäre Folge einer beruflichen BS-Erkrankung der unteren LWS einzustufen. Bei Würdigung der Gesamtumstände liege daher keine berufsbedingte BS-Erkrankung der LWS vor.
Der Kläger hat das Gutachten als unvollständig und unzureichend gerügt und nach Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Einholung eines Gutachtens von dem Facharzt für Orthopädie Dr. O in I beantragt.
Mit Urteil vom 16. April 2010 hat das SG Potsdam die Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W und dessen Einschätzung, dass es an einem Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und den WS-Erkrankungen des Klägers fehle, abgewiesen.
Der Antrag des Klägers auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG sei zurückzuweisen gewesen, da ein entsprechender Kostenvorschuss bis zur mündlichen Verhandlung nicht eingegangen und ein Grund für die fehlende Zahlung nicht mitgeteilt worden sei. Darüber hinaus hätte die Zulassung des Antrags die Erledigung des Rechtsstreites verzögert, der Antrag sei aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden (§ 109 Abs. 2 SGG). Der entscheidungsreife Rechtsstreit sei für den 16. April 2010 geladen und die Zulassung der Begutachtung aufgrund des Antrags vom 10. März 2010 hätte zu einer Aufhebung des Termins und damit zu einer Verzögerung geführt.
Mit seiner hiergegen bei dem LSG Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung rügt der Kläger das Gutachten von Dr. W als unvollständig und fehlerhaft.
Zudem sei der tatsächliche Umfang seiner Tätigkeit - obwohl umfangreich und plastisch dargestellt - nicht gewürdigt worden. Er sei bis zu seinem Unfall - wie in diesem Tätigkeitsbereich üblich - zwar stark belastet gewesen und habe auch hin und wieder Rückenschmerzen gehabt, was aber in dieser Berufsgruppe bzw. bei solchen Tätigkeiten nichts Besonderes sei. Dies könne nicht zu der Vermutung führen, dass die körperliche Disposition ausschlaggebend für den Schadenseintritt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2002 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG Potsdam auch unter Berücksichtigung der weiteren Ermittlungsergebnisse für zutreffend.
Der Senat hat vom A Fachklinikum T die den Kläger betreffenden Röntgen- und CT-Aufnahmen aus den Jahren 1980, 1986, 1987 und 1999 sowie vom V Klinikum im F die komplette Patientenakte über die stationäre Behandlung vom 20. November bis zum 12. Dezember 1986 in der Neurotraumatologischen Klinik mit Röntgen- und CT-Aufnahmen (29. November 1986), die Arztakten der DRV Berlin-Brandenburg (2 Bände) sowie die Verfahrensakte L 3 U 210/06 mit darin in Kopie befindlichen Patientenunterlagen der Nervenklinik T (Behandlungen 1980 bis 1987) beigezogen.
Des Weiteren ist die Beklagte gebeten worden, eine Prüfung der Berechnungen nach dem Mainz Dortmunder Dosismodell (MDD) unter Berücksichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Zeit der Tätigkeit des Klägers als Werkzeugmacher (01. September 1965 bis zum 23. Juli 1968) und als Dreher (28. Dezember 1970 bis zum 03. Januar 1973) durch die Norddeutsche Metall-BG zu veranlassen und die Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 27. Juli 2009 hinsichtlich Dauer und Umfang der beruflichen Belastung zu überprüfen, da der Kläger nach seinem Vortrag ab Beginn der AU am 23. November 2000 keinerlei körperliche Arbeiten mehr ausgeführt habe und der Zeitraum ab November 2000 bis zum Eintreten des Schlaganfalls im Juli 2002 mit stationären Behandlungen durchsetzt sei.
Die Präventionsabteilung der BG Metall Nord Süd hat daraufhin in ihrer Stellungnahme Arbeitsplatzexposition BK Nr. 2108 vom 11./19. Oktober 2010 für die Zeit vom 01. September 1965 bis zum 23. Juli 1968 (Werkzeugmacher/Lehre), vom 01. September 1968 bis zum 11. November 1970 (Student) und vom 28. Dezember 1970 bis zum 03. Januar 1973 (Dreher) eine Belastungsdosis von 3,1 x 106 Nh errechnet. Die Beklagte hat über ihre Präventionsabteilung ausgeführt, dass sich für die Zeit vom 09. April 1975 bis zum 23. November 2000 eine berufliche Gesamtdosis i. H. v. 19,2 x 106 Nh ergebe (Stellungnahme vom 01. Oktober 2010).
Nach nochmaliger eingehender Schilderung seiner beruflichen Belastungen durch den Kläger (Schriftsatz vom 10. Januar 2011) hat die Präventionsabteilung der BG Holz und Metall am 29. März 2011 mitgeteilt, dass die geltend gemachten Zeiträume voll in die Berechnung übernommen würden. Daher sei nunmehr für die Zeiträume ihrer Zuständigkeit eine Belastungsdosis von 3,5 x 106 Nh anzunehmen. Die Beklagte hat mit Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 10. März 2011 ergänzend ausgeführt, dass die Behauptung des Klägers, man habe ihm im persönlichen Gespräch 2002 zugesagt, dass 6000 Newton erreicht würden, unwahr sei. Die nochmalige Überprüfung der Berechnung habe ergeben, dass sich die Gesamtbelastungsdosis nicht ändere.
Der Sachverständige Dr. W hat am 27. Juli 2011 auf Anforderung des Senats eine ergänzende Stellungnahme abgegeben, in der er auch nach Sichtung der beigezogenen Röntgen-/MRT-/CT-Aufnahmen und medizinischen Unterlagen bei seiner Einschätzung geblieben ist, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK nach Nr. 2108 nicht gegeben seien. Er habe bereits eine ausreichende Gesamtexposition unterstellt, so dass sich aus den nachfolgenden arbeitstechnischen Ermittlungen nichts Neues ergebe. Auch nach Auswertung der nunmehr vorliegenden Patientenakte aus dem Jahre 1986 lasse sich keine neue medizinische Einschätzung ableiten. Lediglich die Höhenlokalisation des operierten BS-Faches müsse korrigiert werden, der Eingriff sei auf der Etage L5/S1 und nicht in Höhe L 4/5 erfolgt. Das zuvor veranlasste CT habe dort einen kleinen Nucleusprolaps mit Kontakt der S1-Wurzel aufgewiesen. Die Grundkriterien eines adäquaten, klinischen Erscheinungsbildes sowie eines altersüberschreitenden BS-Schadens auf der unteren LWS seien als gegeben eingestuft worden. Die medizinische Entscheidungsfindung sei nicht abhängig davon, ob das Segment L4/5 oder/und L5/S1 altersüberschreitend geschädigt gewesen/operiert worden sei, sondern sie habe sich aus einer Gesamtabwägung ergeben (BS-Schäden der LWS oberhalb der Hauptbelastungszone, d.h. bei L1/2 und L3/4; deutliches Unterschreiten der Mindestexpositionsdauer von 10 Jahren; Nachweis berufsunabhängiger konkurrierender Anlagefaktoren: mittelgradige Torsionsskoliose der LWS, mehrsegmentale Spinalkanalstenose/Recessuseinengungen, Pseudolisthesis L1/2 und L4 bis S1; kein Nachweis belastungsadaptiver Reaktionen im Bereich der gesamten LWS).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Gerichtsakten, die Gerichtsakten L 3 U 219/06sowie 2 Bd. Arztakten der DRV Berlin-Brandenburg, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben, inhaltlich Bezug genommen.
Die mit der Berufung verfolgte kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist – auch nach Einschränkung des Berufungsbegehrens im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2013 - unbegründet. Das SG Potsdam hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.
Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R, in juris, Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, in juris, Rn. 17 f.).
Von Nr. 2108 der Anlage zur BKV werden „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können“, erfasst.
Wie bereits dem Wortlaut der hier allein in Betracht kommenden BK Nr. 2108 zu entnehmen ist, wollte der Verordnungsgeber der BK nicht alle beruflich verursachten BS-Schäden im Bereich der LWS erfassen. Vorangegangen sein muss vielmehr eine langandauernde, die LWS in spezifischer Weise besonders strapazierende Tätigkeit. Hierfür ist auf das vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales [BMAS], BArbBl. 10/2006 S. 30 ff, abgedruckt etwa bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, Lieferung 2/12) zurückzugreifen. Danach steht unter den beruflichen Faktoren, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS verursachen oder verschlimmern können, fortgesetztes Heben oder Tragen schwerer Lasten einhergehend mit einer statischen Belastung der Bewegungssegmente und außergewöhnlicher Zwangshaltung der LWS im Vordergrund. Daneben sind untrennbar damit zusammenhängende Lastenhandhabungen wie Um- oder Absetzen, Halten, Ziehen, Schieben schwerer Lasten, Schaufeln von Schutt zu berücksichtigen. Durch diese spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist eine BK Nr. 2108 nicht anzuerkennen (BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007, B 2 U 4/06 R, vom 18. November 2008, B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R, alle in juris).
Für die BK Nr. 2108 ergibt sich die berufliche Belastung nach dem so genannten Mainz Dortmunder Dosismodell (MDD) aus einem gestuften Ermittlungs- und Beurteilungsverfahren. In einer ersten Stufe werden Hebe- und Tragetätigkeiten herausgefiltert, die eine Druckkraft am Übergang der LWS zum Kreuzbein von 3,2 kN (Kilo-Newton) für Männer und 2,5 kN für Frauen erzeugen, für Rumpfbeugehaltung wird eine Druckbelastung von 1,7 kN zu Grunde gelegt (Schwellenwert). Tätigkeiten, die diese Voraussetzungen erfüllen oder überschreiten, werden nach ihrer Häufigkeit in einer Arbeitsschicht erfasst und die Druckkräfte addiert. Als Beurteilungsdosisrichtwert, bei dessen Erreichen oder Überschreiten mit einer Gefährdung für das Entstehen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS zu rechnen ist, gilt für Männer 5,5 kNh (Kilo-Newton pro Stunde), für Frauen 3,5 kNh. Nur wenn diese Tagesdosisrichtwerte erreicht oder überschritten sind, werden die Tagesdosen zu einer Gesamtdosis addiert. Als Richtwert, bei dessen Erreichen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer BK Nr. 2108 als gegeben angesehen werden, wurden 25 x 10 6 Nh für Männer bzw. 17 x 10 6 Nh für Frauen vorgeschlagen. Das MDD legt selber für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte zu verstehen. Hiervon geht auch das aktuelle Merkblatt des BMAS zur BK Nr. 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der WS-Belastung auf das MDD verweist (BArbBl. 10/ 2006, S. 30 ff, a.a.O.).
Das BSG hat jedoch Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet (vgl. Urteile vom 18. November 2008, a. a. O.). Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nur mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10 6 Nh, also auf 12,5 x 10 6 Nh, herabzusetzen.
Bezogen auf den Streitfall sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die von der BK Nr. 2108 geforderten Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung nach dem Ergebnis der unter Berücksichtung der vorerwähnten Rechtsprechung des BSG durch die Präventionsabteilungen der Beklagten und der BG Holz und Metall überprüften Berechnungen nach dem MDD als gegeben anzusehen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 23. November 2000 in einem ausreichenden Ausmaß während seiner versicherten Tätigkeit die LWS belastenden Tätigkeiten, wie sie die BK Nr. 2108 voraussetzt, ausgesetzt war. So ist von der Präventionsabteilung der BG Holz und Metall (Stellungnahme vom 29. März 2011) für die versicherten Zeiten vom 01. September 1965 bis zum 23. Juli 1968, vom 01. September 1968 bis zum 11. November 1970 und vom 28. Dezember 1970 bis zum 03. Januar 1973 eine Belastungsdosis von insgesamt 3,5 x 106 Nh errechnet worden. Zudem hat sich nach den Berechnungen der Präventionsabteilung der Beklagten (Stellungnahme vom 01. Oktober 2010)unter teilweiser Zugrundelegung der Angaben des Klägers und derjenigen des Zeugen H für die Zeit vom 09. April 1975 bis zum 23. November 2000 eine berufliche Gesamtdosis i. H. v. 19,2 x 106 Nh ergeben. Mit einer Gesamtbelastungsdosis von 22,7 x 106 Nh überschreitet der Kläger den vom BSG als unterste Grenze geforderten hälftigen Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh bei weitem, so dass an der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen keine Zweifel bestehen.
Es fehlt jedoch an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108. In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass BS-Schäden insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Da diese BS-Erkrankungen in Berufsgruppen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, ebenso vorkommen wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zur BK Nr: 2108, Bekanntmachung des BMAS, BArbBl. 10/2006, S. 30 ff., a.a.O.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK Nr. 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den Beurteilungskriterien (Konsensempfehlungen) zur Zusammenhangsbegutachtung bei den bandscheibenbedingten Bken der LWS durch die auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen BGen eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe (vgl. Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Bolm-Audorff u.a., in: Zeitschrift Trauma und Berufskrankheit Heft 3/ 2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Diese stellen nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von LWS-Erkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009, B 2 U 16/08 R, Rn. 14 f. in juris). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der Gesetzlichen Unfallversicherung gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.
Unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung ist nach den Konsensempfehlungen unter Punkt 1.3 der bildgebende Nachweis eines BS-Schadens, d. h. einer Höhenminderung der BS (= Chondrose) beziehungsweise eines BS-Vorfalls. Hinzutreten muss eine damit korrelierende klinische Symptomatik. Als mögliche sekundäre Folge des BS-Schadens können Veränderungen wie Spondylose, Sklerose der WK-Abschlussplatten, Retrospondylose, Spondylarthrose, degenerative Spondylolisthesis und eine knöcherne Enge des Spinalkanals auftreten. Teilweise können derartige Veränderungen auch unabhängig von einem BS-Schaden auftreten, wie zum Beispiel bei der primären Spondylarthrose oder dem anlagebedingt engen Spinalkanal (vgl. Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung [2. ÄndVO]), durch welche die BK Nr. 2108 in die BK-Liste aufgenommen worden ist, BR-Druck 773/92 S.8; ferner das aktuelle Merkblatt zur BK Nr. 2108 sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3). Heranzuziehen sind die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder sowie, wenn ein BS-Schaden sich bereits länger davor manifestiert hat, die zum Zeitpunkt der (Erst-) Manifestation erstellten Röntgenbilder (vgl. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS beim Kläger nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen des gesamten Verfahrens, insbesondere aus dem auf den Konsensempfehlungen beruhenden Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W-R vom 04. Januar 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 27. Juli 2011, die der Sachverständige unter Berücksichtigung der übersandten Kopien der Patientenakte des V Klinikum im F, des A Fachklinikums T sowie sämtlicher im Berufungsverfahren beigezogener Röntgen-, MRT- und CT-Aufnahmen gefertigt hat.
Im Fall des Klägers lässt sich bei ausreichender beruflicher Belastung (Exposition) nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R zwar ein altersuntypischer BS-Schaden mit einer korrelierenden klinischen Symptomatik in Form eines lumbalen Wurzelsyndroms feststellen (hierzu Punkt 1.2 und 1. 3 der Konsensempfehlungen). Die zeitlich der Tätigkeitsaufgabe (23. November 2000) am nächsten liegenden bildgebenden Befunde (CT-/MRT-Aufnahmen der LWS vom 05. September 2000 und vom 05. März 2001 sowie Röntgen-Aufnahme der LWS vom 01. Juni 2001) zeigten altersüberschreitende BS-Veränderungen in mehreren Segmenten (hoher BS-Vorfall auf dem Segment L1/2 mit Osteochondrosis intervertebralis; auf dem WS-Segment L3/4 BS-Protrusion/Prolaps mit Kontakt zur Nervenwurzel L3 rechts; bei L 4/5 als Hauptbelastungszone eine BS-Protrusion, Spndylosisthesismit Einengung des knöchernen Spinalkanals und der Neuroforamina sowie einer zweitgradigen Osteochondrose intervertebralis; im lumbosakralen Übergang eine Pseudo-Spondylosisthesis und eine fortgeschrittene Spondylarthrose bei L5/S1). Der Kläger wurde aber bereits wesentlich früher, nämlich im Jahr 1980, wegen eines chronischen lumbalen Wurzelreizungssyndroms stationär in der Nervenklinik T behandelt. Die Röntgenaufnahmen der LWS und des Beckens zeigten bei dem damals 32-Jährigen u. a. eine BS-Schädigung im Segment L 5/S1 und einen Achssprung bei LWK 4/5. Die im Jahr 1986 erstellten bildgebenden Befunde wiesen massive BS-Schäden aus (Röntgenaufnahmen der LWS vom 15. August 1986: Erniedrigung des BS-Zwischenraumes L5/S1 mit Pseudospondylolisthesis, Röntgenaufnahmen der BWS vom 25. September 1986: Deckplatteneinbrüche und Randkanten einiger WK, CT der LWS vom 29. Oktober 1986: Protrusion bei L4/5, BS-Vorfall links bei L5/S1). Schließlich erfolgte im Krankenhaus im F wegen eines Wurzelkompressionssyndroms S 1 links die operative Entfernung eines BS-Vorfalls auf der Etage L5/S1.
Wenn auch beim Kläger ein altersuntypischer BS-Schaden mit einer korrelierenden klinischen Symptomatik vorliegt, so fehlt es, wie der Sachverständige Dr. W-R in seinem Gutachten vom 04. Januar 2010 und der ergänzenden Stellungnahme vom 27. Juli 2011 überzeugend dargelegt hat, jedoch an den weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung einer beruflichen Verursachung nach den Konsensempfehlungen (Punkt 1.4), insbesondere kann hier eine so genannte Begleitspondylose nicht sicher nachgewiesen werden.
Nach den Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) wird diese definiert als Spondylose (vordere und seitliche Randzackenbildungen an den WK) in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segmenten bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segmenten, die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen (Punkt 1.2 und 1.4 der Konsensempfehlungen). Zudem darf sie nicht auf einen konkurrierenden Ursachenfaktor zurückgeführt werden können, wie z.B. auf Abstützreaktionen bei Skoliose. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R findet sich beim Kläger ausweislich des Röntgenbildes vom 15. April 2002 eine altersüberschreitende Spondylose allenfalls auf dem WK L5, jedoch nicht in den über L5 gelegenen Segmenten der LWS und BWS. Da der WK-L5-Bereich vom BS-Vorfall und der Chondrose betroffen ist, ist nach den Konsensempfehlungen die knöcherne Ausziehung nicht als belastungsadaptive Reaktion anzuerkennen. Gleiches gilt für das Segment L1/L2, wo sich knöcherne Randzacken ausgebildet haben, welche die Altersnorm zwar überschreiten, jedoch das Segment betreffen, welches von Chondrose und Vorfall geschädigt ist. Typischerweise entwickeln sich derartige belastungsadaptive Reaktionen auf den mittleren WS-Abschnitten L2 bis L4, wo sie beim Kläger jedoch gerade nicht vorhanden sind. Der Schluss des Sachverständigen, dass dies ein eindeutiges Negativkriterium darstelle, ist somit von den Konsensempfehlungen gedeckt.
Soweit ausnahmsweise nach den Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) eine berufliche Verursachung auch bei fehlender Begleitspondylose als wahrscheinlich angesehen wird, sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Konstellation B2 nicht erfüllt.
Für die Fallkonstellation B2 (keine Begleitspondylose) müssen folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein:
- gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS,
- ausreichende Exposition,
- plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung,
- bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- es besteht eine Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren.
Zusätzlich werden für die Konstellation B2 das Vorliegen mindestens eines der folgenden Kriterien gefordert:
- Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben oder "black disc" im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten oder besonders intensive Belastung (Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) oder besonderes Gefährdungspotential (Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen = Männer ab 6 kN).
Im Fall des Klägers fehlt es bereits an einer plausiblen zeitlichen Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung. Denn bei der Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung im Jahr 1980 war der Kläger noch keiner langjährigen Belastung durch schweres Heben und Tragen bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ausgesetzt gewesen. Nach den Berechnungen der Präventionsabteilung der BG Holz und Metall (Stellungnahme vom 29. März 2011) ergab sich für die versicherten Zeiten vom 01. September 1965 bis zum 23. Juli 1968, vom 01. September 1968 bis zum 11. November 1970 und vom 28. Dezember 1970 bis zum 03. Januar 1973 maximal eine Belastungsdosis von insgesamt 3,5 x 106 Nh. Wie die Präventionsabteilung der Beklagten überzeugend dargelegt hat, bestand für den Kläger in der Zeit von Januar 1973 bis zum 07. April 1975 (Tätigkeit als in Invest-Bauleiter Schaltgerüste Bau S), vom 09. April 1975 bis zum 31. Dezember 1977 (Bereichsmeister VEB Spezialbau P), vom 01. Januar bis zum 07. April 1978 (Bauleiter VEB Spezialbau P) sowie von April bis zum 31. Mai 1978 (Ingenieur für Produktion und Wettbewerb VEB Spezialbau Potsdam) keine für eine BK Nr. 2108 maßgebliche Exposition. Erst vom 01. Juni 1978 bis zum 15. August 1980 (bauleitende Betreuung der Baustelle vor Ort Berlin, mit Waggonentladetätigkeit) war eine den Richtwert überschreitende Teildosis, d.h. eine Belastung von 0,6 x 106 Nh zu ermitteln (Stellungnahme vom 01. Oktober 2010). Dies bedeutet, dass der Kläger bei Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung im Jahr 1980 mit einer Gesamtbelastungsdosis von 4,1 x 106 Nh von dem vom BSG als unterste Grenze geforderten hälftigen Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh noch weit entfernt war. Auch für die anschließende Zeit vom 01. September 1980 bis zum 01. September 1987 (bauleitende und kaufmännische Tätigkeiten Berlin) konnte keine den Richtwert überschreitende Teilbelastungsdosis ermittelt werden. Erst nach der 1986 erfolgten BS-Operation L5/S1 ergaben sich für die Tätigkeit als selbstständiger Kanal- und Rohrreiniger ab dem 09. September 1987 bis zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit am 23. November 2000 deutliche Dosisüberschreitungen (18,6 x 106 Nh). Mithin ist die Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. W-R dass sich aus dem dargestellten zeitlichen Verlauf und dem frühen Auftreten behandlungsbedürftiger BS-Erkrankungen ein Negativindiz für einen Ursachenzusammenhang ableiten lasse, gut nachvollziehbar.
Gleiches gilt auch für das weitere Erfordernis, nämlich dass die bandscheibenbedingte Erkrankung typischerweise die Wirbelabschnitte L5/S1 und/oder L4/5 betreffen und das Ausmaß einer Chondrose Grad II oder höher und/oder eines Vorfalles haben muss. Der Sachverständigen Dr. W-R hat darauf hingewiesen, dass sich beim Kläger ausweislich der CT-Aufnahmen vom 05. September 2000 und der MRT-Aufnahmen vom 05. März 2001 jedoch altersüberschreitende Veränderungen auf mehreren WS-Abschnitten zeigen, und zwar in auffälliger Weise auch auf den höher gelegenen Segmenten L1/2 und L3/4. Derartige Instabilitäten auf den knöchernen Strukturen des Achsenorgans auf mehreren Segmenten sind als eigenständige (innere) Krankheitsanlage zu werten, welche gegen einen beruflich verursachten BS-Schaden der unteren LWS spricht, wie Dr. W-R in Übereinstimmung mit den Konsensempfehlungen dargelegt hat. Denn bei einer Reaktion aufgrund beruflicher Überlastungen wäre belastungstypisch eine nach kaudal zunehmende BS-Schädigung zu erwarten gewesen, wogegen beim Kläger gerade auch die höher gelegenen Segmente L1/2 und L3/L4 ausgeprägt betroffen sind.
Zudem liegen im Fall des Klägers wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z.B. eine relevante Skoliose) vor, die ebenfalls gegen eine berufliche Verursachung des BS-Schadens an der LWS sprechen. Wie von Dr. W-R an Hand der Röntgenaufnahmen festgestellt, besteht beim Kläger eine relevante, d.h. mittelgradige Rotationsskoliose mit einem Punctum maximum über dem LWK 3 mit Steilstellung im thorako-lumbalen Übergang. Skoliotische Veränderungen zeigten sich bereits in den Röntgenaufnahmen der LWS von 1980 (Achssprung bei L4/5) und 1986 (flachbogige Skoliose mit Rotation) und der BWS von 1986 (flachbogige Skoliose).
Auf die zur Annahme der Konstellation B 2 zusätzlich geforderten Kriteriien, nämlich Höhenminderung und/oder Prolapes an mehreren BSen oder „black disc“ im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten, oder besonders intensive Belastung oder besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, kommt es im Streitfall daher nicht an. Denn selbst wenn beim Kläger eine der zuvor genannten zusätzlichen Voraussetzungen vorliegen würde, könnten sie unter Berücksichtigung der als wesentliche konkurrierende Ursache anzusehenden Rotationsskoliose sowie der weiteren, gegen eine beruflichen Verursachung sprechenden Faktoren nicht zu einer Bejahung des Ursachenzusammenhanges führen.
Die Berufung war danach zurückzuweisen.
Die Kosten Entscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.