Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 17.05.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 N 58.09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 Abs 7 S 2 KAG BB |
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 21. Januar 2009 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 2.387,86 EUR festgesetzt.
I.
Die beiden klägerischen Grundstücke in Großbeeren wurden im August 1994 an die Wasserversorgungsanlage des Zweckverbandes angeschlossen. Mit zwei Bescheiden vom 27. April 2005 forderte der Beklagte vom Kläger jeweils einen Wasserversorgungsbeitrag. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gegen diese Bescheide hat der Kläger am 18. November 2005 beim Verwaltungsgericht Potsdam Klage erhoben, mit der er Festsetzungsverjährung geltend gemacht hat. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2009 abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 15. Juni 2009 zugestellt worden. Er hat am 13. Juli 2009 die Zulassung der Berufung beantragt und am 12. August 2009 seinen Antrag begründet.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die Berufung ist nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Danach ist die Berufung hier nicht zuzulassen.
a) Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht, dass die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen wäre.
Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die bis zum 31. Januar 2004 geltende Fassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG (im Folgenden: a.F.) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des OVG Brandenburg annimmt, vor Bescheiderlass sei Festsetzungsverjährung eingetreten, trifft dies nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass weder nach der alten noch nach der maßgeblichen neuen Rechtslage im Fall des Klägers die Festsetzung verjährt ist.
Nach dem bis zum 31. Januar 2004 geltenden Recht war die sachliche Beitragspflicht für die klägerischen Grundstücke nicht entstanden, damit hatte auch keine Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen begonnen. Zwar entstand gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. die sachliche Beitragspflicht mit der Herstellung der Anschlussmöglichkeit, jedoch frühestens mit dem Inkrafttreten der Satzung, wobei mit dem „Inkrafttreten“ nicht an eine wirksame Satzung angeknüpft wurde, sondern an die erste Veröffentlichung mit formellem Geltungsanspruch (vgl. Urteil des Senats vom 12. Dezember 2007 - 9 B 45.06 -, Juris Rn. 52 m. w. N.; OVG Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, Juris Rn. 48). Dadurch war aber zunächst nur der - hier im Jahr 1994 liegende - Zeitpunkt festgelegt, zu dem allein nach damaligem Recht die sachliche Beitragspflicht für das jeweilige Grundstück hätte entstehen und nach dem die Festsetzungsverjährungsfrist hätte beginnen können. Da eine Abgabenpflicht generell ohne wirksame Abgabensatzung nicht entstehen kann (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG), musste desweiteren für die vollständige Erfüllung des Entstehungstatbestandes und für einen Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist der - bereits festgelegte - Entstehungszeitpunkt durch eine gültige, gegebenenfalls mit Rückwirkung neu beschlossene Abgabensatzung gedeckt sein (vgl. Beschluss des Senats vom 1. September 2005 - 9 S 33.05 -, Juris Rn. 4; dies übersieht die vom Kläger angeführte Zusammenfassung eines Gutachtens des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. vom 29. Oktober 2008 - BBU-Gutachten). Daran fehlte es bis zum Ablauf des 31. Januar 2004. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass die früheren Beitragssatzungen des Zweckverbandes jeweils nichtig waren; damit setzt sich der Berufungszulassungsantrag nicht auseinander; die Richtigkeit des Urteils ist insoweit nicht zweifelhaft.
Das Verwaltungsgericht führt weiter zutreffend aus, dass nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung (im Folgenden: n.F.) die sachliche Beitragspflicht am 1. März 2004 entstanden ist; auch demgemäß war die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG) vor Bescheiderlass nicht abgelaufen.
§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. knüpft für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht - gerade in Fällen wie hier, in denen es nach Schaffung der Anschlussmöglichkeit nur noch am Satzungsrecht fehlte - an das Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung an. Maßgeblich ist nun nicht mehr ein in der Vergangenheit als allein möglich festgelegter Entstehenszeitpunkt, sondern das Inkrafttretensdatum der ersten wirksamen Satzung. Das Verwaltungsgericht hat in der Beitragssatzung vom 15. Februar 2005, die sich Rückwirkung auf den 1. März 2004 beigelegt hat, die erste wirksame Satzung gesehen; der Berufungszulassungsantrag zieht deren Wirksamkeit nicht in Zweifel.
Soweit der Kläger meint, er habe aufgrund der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Rechtslage eine grundgesetzlich gesicherte Rechtsposition im Hinblick auf die Verjährung erworben, die ihm durch die Gesetzesänderung nicht in zulässiger Weise "rückwirkend" habe entzogen werden können, trägt dies nicht.
Die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 n.F. KAG auf den vorliegenden Sachverhalt stellt keinen Fall der echten Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen dar. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Gesetzgeber nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift oder Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen, bei Abgabengesetzen, wenn im Zeitpunkt der Verkündung die Abgabenschuld bereits entstanden ist (vgl. Urteil des Senats vom 12. Dezember 2007 - 9 B 45.06 -, Juris Rn. 55 m. w. N.). So liegt der Fall hier nicht. Die durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG bewirkte Rechtsfolge tritt erst nach der Gesetzesänderung ein, nämlich mit dem Inkrafttreten der Beitragssatzung vom 15. Februar 2005 als erster rechtswirksamer Beitragssatzung zum 1. März 2004. Hierin liegt auch kein „rückwirkender“ Eingriff in einen der Vergangenheit angehörenden („abgeschlossenen“) Tatbestand, vielmehr werden lediglich für die Zukunft neue abgabenrechtliche Folgerungen an die andauernde Vorteilslage geknüpft. Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt liegt insbesondere deshalb nicht vor, weil § 8 Abs. 7 Satz 2 n.F. KAG Wirkung nur für Fallkonstellationen entfaltet, in denen vor Inkrafttreten der Neuregelung keine rechtswirksame Beitragssatzung erlassen worden war. Ohne rechtswirksame Satzung konnte indessen - wie vom Verwaltungsgericht und nochmals oben ausgeführt - noch keine sachliche Beitragspflicht entstehen und daher auch keine Festsetzungsverjährung eintreten (vgl. zum Ganzen: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2007, a.a.O., Juris Rn. 55 m. w. N.; hierzu: BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 - 9 B 22.08 -, Juris). Auch die Zusammenfassung des BBU-Gutachtens gibt keinen Anlass für eine insoweit andere Sichtweise, zumal es - wie oben ausgeführt - von unzutreffenden Voraussetzungen ausgeht.
Der hier vorliegenden grundsätzlich zulässigen sogenannten "unechten Rückwirkung" stehen auch nicht ausnahmsweise Gründe des Vertrauensschutzes entgegen. Denn für den Bereich des Abgabenrechts gilt, dass die bloße Erwartung, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, grundsätzlich nicht geschützt wird (vgl. Urteil des Senats vom 12. Dezember 2007, a.a.O., Juris Rn. 58 m. w. N.). Gewichtige Interessen des Klägers, die dem öffentlichen Interesse, Beitragsausfälle zu vermeiden, vorgehen würden, hat er nicht dargetan.
Soweit der Kläger auf einen Gerichtsbescheid (8 K 1953/01) verweist, durch den das Verwaltungsgericht Potsdam bereits früher gegenüber dem Kläger erlassene Beitragsbescheide aufgehoben hatte, führt auch dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Selbst wenn in einem früheren Verfahren unrichtig oder mit anderer Begründung entschieden worden sein sollte, wäre dies für das mit dem Berufungszulassungsantrag gerügte Urteil unerheblich, zumal es in den jeweiligen Verfahren um verschiedene Bescheide ging. Überdies besteht auch nach dem jeweiligen Verfahrensausgang kein Widerspruch, da auch mit dem Gerichtsbescheid vom 31. August 2004 darauf abgestellt wurde, dass die bis dahin erlassenen Satzungen sämtlich unwirksam und die sachlichen Beitragspflichten nicht entstanden waren. Zudem schützt die rechtskräftige Aufhebung von Bescheiden wegen mangelnder Rechtsgrundlage nicht vor neuen Bescheiden aufgrund neuen Rechts.
Nicht tragfähig ist auch, soweit der Kläger zweifelt, ob mit der Einfügung des Tatbestandsmerkmals "rechtswirksam" in § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG eine inhaltlich substantielle Änderung dieser Vorschrift bewirkt worden sei und er zugleich annimmt, "rechtswirksam" sei jede Satzung, solange sie nicht in einem Normenkontrollurteil aufgehoben worden sei. Mit dem Begriff „rechtswirksam“ ist erkennbar die Eigenschaft einer Satzung gemeint, eine materiell rechtmäßige Abgabenerhebung zu ermöglichen. Diese Eigenschaft kann sogar solchen Satzungen fehlen, gegen die bereits von einem anderen erfolglos ein Normenkontrollantrag gestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1984 - 3 C 88.82 -, Juris Rn. 20; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 121 Rn. 93). Sie kann erst Recht bei Satzungen fehlen, die noch nicht einmal Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens gewesen sind. Beide Arten von Satzungen können im Rahmen eines Anfechtungsprozesses inzident als unwirksam angesehen werden. Dies dient dem Rechtsschutz der Bürger. Der Umstand, dass dieser weitgehende Rechtsschutz gleichsam die Kehrseite hat, dass auch noch nach Jahr und Tag Satzungsfehler entdeckt werden können und damit festgestellt wird, dass die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden und deshalb auch keinerlei Festsetzungsverjährung eingetreten ist, mag als misslich empfunden werden; er wiegt die Vorteile, die mit der Möglichkeit der Inzidentprüfung verbunden sind, nicht auf.
b) Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich auch nicht, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen wäre. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt u.a. voraus, dass sie eine Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Allgemeininteresse der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Das ist hier nicht der Fall, der Kläger hat insoweit bereits keine konkrete Frage angesprochen. Außerdem ist - zumal nach dem Voranstehenden - nichts ersichtlich, was zu seiner Klärung der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte und nicht bereits im Zulassungsverfahren zu klären wäre bzw. geklärt worden ist.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).