Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 21. Kammer | Entscheidungsdatum | 29.08.2013 | |
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Aktenzeichen | 21 Ta 1249/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 117 Abs 2 S 1 ZPO, § 118 Abs 2 S 4 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG |
1. Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf den Zeitpunkt der Antragstellung ist grundsätzlich nur möglich, wenn zeitgleich mit dem Antrag die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt.
2. Ausnahmen gelten, wenn das Gericht der Partei eine Frist zur Nachreichung der Erklärung eingeräumt hat und diese eingehalten wird oder wenn die Partei ohne ihr Verschulden an der Einreichung der Erklärung gehindert war und diese unverzüglich nachreicht. Eine Verpflichtung des Gerichts, eine Frist zur Nachreichung der Erklärung mit der Folge der Rückwirkung der Bewilligung einzuräumen, ergibt sich weder aus § 18 Abs. 2 Satz 4 ZPO noch aus Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Darüber hinaus kann im Einzelfall eine rückwirkende Bewilligung auf den Zeitpunkt der Antragstellung nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens geboten sein. Das setzt voraus, dass die Partei ersichtlich davon ausgeht, ein Nachreichen der Erklärung sei ausreichend, das Gericht keinen gegenteiligen Hinweis erteilt und die Partei ihr prozessuales Verhalten darauf einstellt, z.B. einen unwiderruflichen Vergleich schließt.
I. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. Juni 2013 - 59 Ca 17150/12 - abgeändert:
Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt bereits mit Wirkung ab dem 13. Juni 2013.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Im vorliegenden Verfahren wendet sich der frühere Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst ab dem 19. Juni 2013.
In dem dem Prozesskostenhilfeverfahren zugrunde liegenden Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Berlin beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 13. Juni 2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten und kündigte an, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen. Anschließend schlossen die Parteien einen Vergleich, wobei sich die Beklagte den Widerruf des Vergleichs bis zum 27. Juni 2013 vorbehielt. Am 19. Juni 2013 ging beim Arbeitsgericht die Erklärung des Klägers über dessen persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse nebst Nachweisen ein. Mit Beschluss vom 20. Juni 2013 bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gegen monatliche Raten in Höhe von 15,00 Euro mit Wirkung ab dem 19. Juni 2013.
Mit am 9. Juli 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger gegen diesen ihm am 2. Juli 2013 zugestellten Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten rückwirkend ab Antragstellung zu bewilligen. Mit Beschluss vom 12. Juli 2013 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, Prozesskostenhilfe sei regelmäßig frühestens ab dem Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu bewilligen. Da der Vorsitzende dem Kläger keine Frist zur Nachreichung der Erklärung nachgelassen habe, sei auch eine Abweichung von diesem Grundsatz nicht möglich. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Nichtabhilfebeschlusses (Bl. P 34 d. A.) verwiesen. Der Kläger beruft sich darauf, in seiner Ankündigung, die Erklärung nachzureichen, sei sinngemäß ein Antrag auf Gewährung einer Frist zur Nachreichung enthalten. Er habe die Erklärung binnen sechs Tagen eingereicht, ohne dass es einer Fristsetzung seitens des Arbeitsgerichts bedurft habe. Jedenfalls aber sei das Arbeitsgericht gehalten gewesen, eine entsprechende Frist einzuräumen, und habe dies unausgesprochen auch getan, da es andernfalls den Prozesskostenhilfeantrags sofort hätte zurückweisen müssen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf dessen Schriftsatz vom 15. August 2013 (Bl. P 36 ff.) verwiesen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist an sich statthaft (§ 11a Abs. 3 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) sowie frist- und formgerecht eingelegt worden (§ 11a Abs. 3 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, § 569 Abs. 2 ZPO). Die danach zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Das Arbeitsgericht hätte dem Kläger Prozesskostenhilfe ausnahmsweise rückwirkend ab Antragstellung bewilligen müssen.
a) Nach § 11a Abs. 3 ArbGG i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung und damit für die Zukunft bewilligt werden. Eine Rückwirkung der Bewilligung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Jedoch kann eine Rückwirkung bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen ordnungsgemäßen Antrag alles für die Bewilligung Erforderliche und Zumutbare getan hat (BAG vom 16.02.2012 - 3 AZB 43/11 -, EzA § 114 ZPO 2002 Nr. 3; vom 08.11.2004 - 3 AZB 54/03 -, BAGReport 2005, 379; BGH vom 08.10.1991 - XI ZR 174/90 -, NJW 1992, 839). Hierfür ist ein ordnungsgemäßer Antrag erforderlich. Ferner sind dem Antrag nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen, wobei sich die Parteien nach § 117 Abs. 4 ZPO für die Erklärung der in § 117 Abs. 3 genannten amtlichen Vordrucke zu bedienen haben (BAG vom 08.11.2004 - 3 AZB 54/03 -, a. a. O).
Liegt die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vor, ist eine rückwirkende Bewilligung bis zur Antragstellung weiter möglich, wenn das Gericht der Partei eine Frist zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen und Belege gesetzt hat und diese gewahrt wird (vgl. BAG vom 03.01.2003 - 2 AZB 19/03 -, MDR 2004, 415; Hessisches LAG vom 17.10.2012 - 7 Ta 281/12 -, juris) oder wenn die Partei ohne ihr Verschulden an der rechtzeitigen Einreichung der Unterlagen und Belege gehindert war und diese unverzüglich nachreicht (BAG vom 08.11.2004 - 3 AZB 54/03 -, a. a. O.; LAG Sachsen-Anhalt vom 28.10.2008 - 8 Ta 72/08 -, FamRZ 2010, 314; MüKo-ZPO-Motzer, § 119 Rn. 53).
b) Eine Verpflichtung des Gerichts, der Partei eine Frist zur Nachreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu setzen mit der Folge einer rückwirkenden Bewilligung, ergibt sich weder aus § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, noch aus den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs.
aa) Die in § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO vorgesehene Fristsetzung dient allein der Nachholung einer Glaubhaftmachung oder Beantwortung bestimmter Fragen, enthebt die Partei aber nicht von ihrer Last, überhaupt erst einmal eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben (LAG Berlin-Brandenburg vom 20.02.2007 - 6 Ta 324/07 -, juris; LAG Schleswig-Holstein vom 06.04.2006 - 2 Ta 13/06 -, juris; BFH vom 02.11.1999 - X B 51/99 -, BFH/NV 2000, 581; a. A. Hessisches LAG vom 18.10.2010 - 6 Ta 380/10 -, juris). Versäumt die Partei dies, kann sie - anders als wenn nur die Belege zur Glaubhaftmachung fehlen oder die Angaben und Belege Anlass für Nachfragen geben - von vornherein nicht mit einer positiven Entscheidung rechnen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2011 - 7 Ta 2607/10 -, juris).
bb) Nach den Grundsätzen des nach Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Rechts auf rechtliches Gehör, darf das Gericht einen Prozesskostenhilfeantrag, dem keine Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlich Verhältnisse beigefügt ist, zwar nicht sofort zurückweisen, sondern muss der Partei entweder eine Frist zur Nachreichung der Erklärung setzen (vgl. Hessisches LAG vom 17.10.2012 - 7 Ta 282/12 -, juris; Zöller-Philippi, § 117 Rn. 17) oder, wenn die Partei bereits angekündigt hat, die Erklärung nachzureichen, eine angemessene Zeit warten, bevor es entscheidet (vgl. BVerfG vom 26.11.1963 - 2 BVR 301/63 -, AP Nr. 6 zu Art. 103 GG). Dies rechtfertigt jedoch keine rückwirkende Bewilligung auf einen Zeitpunkt vor Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Durch die Gewährung rechtlichen Gehörs soll verhindert werden, dass eine ablehnende Entscheidung ergeht, gleichwohl im Fall einer Fristsetzung oder des Abwartens einer angemessenen Zeit eine positive Entscheidung grundsätzlich noch rechtzeitig möglich wäre (vgl. Hessisches LAG vom 02.04.2007 - 8 Ta 49/07 -, juris; LAG Hamm vom 25.11.2002 - 4 Ta 180/02 -, AR-Blattei ES 1290 Nr. 33; vom 19.11.2002 - 4 Ta 220/02 -, juris; OLG Karlsruhe vom 22.04.1998 - 2 WF 37/98 -, NJW-RR 1999, 578). Das rechtliche Gehör dient jedoch nicht dazu, einer Partei verfahrensrechtliche Vorteile einzuräumen, die sie sonst nicht hat (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 20.02.2007 - 6 Ta 324/07 -, a. a. O.).
c) Eine ausnahmsweise Verpflichtung des Gerichts, einer Partei Gelegenheit zu geben, die fehlende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit rückwirkender Wirkung nachzureichen, kann sich jedoch im Einzelfall aus anderen Gründen, insbesondere aus den Grundsätzen eines fairen Verfahrens ergeben. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine Partei ersichtlich davon ausgeht, dass ein Nachreichen der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausreichend ist, das Gericht der Partei keinen gegenteiligen Hinweis erteilt, sondern sie in diesem Glauben belässt und sich die Partei daraufhin entsprechend prozessual verhält (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 22.05.2013 - 17 Ta 882/13 -, juris).
d) In Anwendung dieser Grundsätze war im Fall des Klägers die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Antragstellung zu erstrecken. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob der Kläger ohne sein Verschulden gehindert war, zeitgleich mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe das Formular für die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob in der Ankündigung, die Erklärung nachzureichen, ein Antrag auf Gewährung einer Frist zur Nachreichung enthalten ist und/oder das Arbeitsgericht dem Kläger eine solche Frist unausgesprochen eingeräumt hat. Denn jedenfalls wäre das Gericht nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens gehalten gewesen, den Kläger vor Abschluss des für ihn unwiderruflichen Vergleichs darauf hinzuweisen, dass eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für die Zeit nach Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse möglich ist.
aa) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ging, als er den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellte, offensichtlich davon aus, dass ein Nachreichen der Erklärung der Kläger über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohne weiteres ausreichend ist. Denn er hat lediglich angekündigt, die Erklärung des Klägers nachzureichen und keinerlei Gründe angegeben, weshalb es dem Kläger nicht möglich oder nicht zumutbar war, den amtlichen Vordruck rechtzeitig auszufüllen, zu unterschreiben und zeitgleich mit dem Antrag einzureichen.
Einen Hinweis des Gerichts, dass ein Nachreichen der Erklärung zu spät sein könnte, oder die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst ab Vorliegen der Erklärung in Betracht kommt, lässt sich dem Protokoll ebenfalls nicht entnehmen. Als der Kläger den Vergleich schloss, durfte er deshalb davon ausgehen, dass er, jedenfalls dann, wenn er die Erklärung unverzüglich nachreicht, Prozesskostenhilfe nicht erst ab Vorliegen der Erklärung, sondern bereits ab Antragstellung erhält. Der Kläger hat die Erklärung nebst Belegen innerhalb von sechs Tagen und damit noch unverzüglich nachgereicht (LAG Schleswig-Holstein vom 09.01.1992 - 6 Ta 132/91 -, juris).
bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger den Antrag erst im Kammertermin gestellt hat und von daher ohnehin mit einer das erstinstanzliche Verfahren beendigenden Entscheidung zu rechnen gewesen wäre, wenn der Kläger keinen Vergleich geschlossen hätte. Denn zum einen hätte er sich - ebenso wie die Beklagte - den Widerruf des Vergleichs vorbehalten und innerhalb der Widerrufsfrist die fehlende Erklärung nachreichen können. Dies wäre dann jedenfalls für die Verfahrens- und die Einigungsgebühr noch rechtzeitig gewesen (vgl. BAG vom 08.11.2004 - 3 AZB 54/03 , BAGReport 2005, 379). Zum anderen ist, da keine Anträge gestellt worden sind und das Gericht für den Fall des Widerrufs des Vergleichs durch die Beklagte keinen Termin zu Verkündung einer Entscheidung anberaumt hat, davon auszugehen, dass der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif war, sondern es ohne den Vergleich zu einem Fortsetzungstermin gekommen wäre. Bis zu diesem Termin hätte der Kläger die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse jederzeit nachreichen können.
3. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nach § 72 Abs. 2, § 78 Satz 2 ArbGG kein Anlass.