Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 11.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 87.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 Abs 1 S 2 VwGO, § 123 Abs 3 VwGO, § 850c Abs 4 ZPO, § 920 Abs 2 ZPO, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 36 Abs 2 S 1 AufenthG, § 32 Abs 5 SGB 12, § 42 SGB 12, § 35 SGB 12, § 28 SGB 12, § 19 Abs 2 SGB 12, § 12 Abs 1c S 4 VAG, § 110 Abs 2 S 3 SGB 11 |
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Mit der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung eines Visums würde die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorweggenommen. Eine stattgebende Entscheidung kommt in derartigen Fällen im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot einer die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden bei Versagung der begehrten Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 1. Februar 2013 – OVG 2 S 66.12 –). Der Hilfsantrag, der den Inhalt der Anordnung offen lässt, ergibt nichts anderes, denn gegenüber der Antragsgegnerin kommt eine andere zur einstweiligen Rechtsschutzgewährung geeignete Regelung nicht in Betracht.
1. Die Antragsteller haben bereits einen Anordnungsanspruch nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Dabei kann offen bleiben, ob die aus § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzuleitenden Voraussetzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 10.12 –, juris Rn. 38 f.) hinreichend dargetan sind.
Das Vorbringen der Antragsteller genügt jedenfalls nicht, um die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG glaubhaft zu machen. Für die insoweit erforderliche Prognose einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel kommt es darauf an, ob nach den maßgeblichen sozialrechtlichen Bestimmungen entsprechende Leistungen beansprucht werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., Rn. 13).
Für die Antragsteller kommt in erster Linie ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter (§ 19 Abs. 2 SGB XII, §§ 41 ff. SGB XII) in Betracht. Der danach abzudeckende Bedarf ergibt sich gemäß § 42 Nr. 1 SGB XII zunächst aus dem Regelsatz der in der Regelbedarfsstufe 3 seit Anfang diesen Jahres 306 Euro beträgt (Anlage zu § 28 SGB XII). Daneben sind gemäß § 42 Nr. 2, § 32 Abs. 5 SGB XII die Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung im Basistarif einzuberechnen, im Hinblick auf die Absenkungsmöglichkeit nach § 12 Abs. 1 c Satz 4 VAG, § 110 Abs. 2 Satz 3 SGB XI allerdings nur in halber Höhe (vgl. für den Krankenversicherungsbeitrag BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., Rn. 23). Für jeden der Antragsteller sind deshalb bei Zugrundelegung der bis Ende 2013 geltenden Rechengrößen ein monatlicher Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 305,16 Euro (zum Höchstbeitrag im Basistarif der privaten Krankenversicherung von gegenwärtig 610,32 Euro vgl. http://www.pkv.de/positionen/basistarif/hoechstbeitrag/) sowie ein Pflegeversicherungsbeitrag von monatlich 40,36 Euro anzusetzen. Der Höchstbeitrag in der sozialen Pflegeversicherung ergibt sich aus dem aktuellen Beitragssatz von 2,05 % und der derzeitigen Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3.937,50 Euro und beträgt danach 80,72 Euro. Hinzuzurechnen sind ferner die nach § 42 Nr. 4, § 35 SGB XII vom Umfang der Grundsicherung umfassten anteiligen Unterkunftskosten (vgl. Urteil des Senats vom 25. Januar 2011 – OVG 2 B 10.11 –, juris Rn. 35 ff.; BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., Rn. 24). Diese betragen nach den Angaben im Schriftsatz der Antragsteller vom 14. Januar 2013 im Klageverfahren 162,16 Euro (Gesamtkosten der laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung im Haus der Tochter V_____ P_____ =: 115,39 Euro + 208,94 Euro = 324,33 Euro x 2/4 =162,16 Euro). Daraus ergibt sich ein laufender Bedarf in Höhe von 1.462,20 Euro (2 x 306 Euro + 2 x 305,16 Euro + 2 x 40,36 Euro + 162,16 Euro).
Soweit die Antragsteller sich zur Begründung des Zulassungsantrags im Verfahren OVG 2 N 28.13, worauf sie hinsichtlich des Anordnungsanspruchs verweisen, auf Renteneinkünfte berufen, haben sie nicht glaubhaft gemacht, dass die Renten im Falle einer Verlagerung des ständigen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland weiter ausgezahlt würden. Dies hatte bereits das Verwaltungsgericht im Urteil vom 31. Januar 2013 (UA S. 7) in Frage gestellt.
Hinreichende Mittel zur Bedarfsdeckung sind ferner nicht glaubhaft gemacht, soweit sich die Antragsteller auf Erwerbseinkünfte und Vermögen ihrer Töchter berufen, die inzwischen gegenüber der Ausländerbehörde Verpflichtungserklärungen abgegeben hätten. Ob und in welchem Umfang eine Verpflichtungserklärung im Hinblick auf den absehbaren Bedarf des Ausländers und seine Mittel sowie das Vorliegen ausreichender und stabiler Verhältnisses des Garantiegebers genügt, um von einem gesicherten Lebensunterhalt ausgehen zu können, bedarf jeweils der Prüfung im Einzelfall (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., Rn. 32 ff.). Ein ausreichendes Einkommen und Vermögen ihrer Töchter haben die Antragsteller jedoch bisher nicht belegt.
Das Einkommen der Töchter reicht selbst dann nicht aus, um den Unterhaltsbedarf zu decken, wenn der Argumentation in der Begründung des Zulassungsantrags gefolgt werden kann, bei der Bestimmung des pfändbaren Anteils seien der Ehemann und der Sohn der Tochter V_____P_____ sowie der Ehemann der Tochter N_____Z_____ nicht als Unterhaltsberechtigte zu berücksichtigen (zur Berücksichtigung des § 850 c Abs. 4 ZPO vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., Rn. 35). Das in dem Begründungsschriftsatz dargelegte Durchschnittseinkommen der Tochter V_____P_____ in Höhe von 1.259 Euro ist, sofern kein Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist, lediglich in Höhe von 143,47 Euro pfändbar (vgl. zur Berechnung http://www.jm.nrw.de/BS/Hilfen/freibetrag/index.php). Das pfändbare Einkommen der Tochter N_____Z_____ beläuft sich, ausgehend von dem angegebenen Durchschnittseinkommen von 2.295,20 Euro bei Ansatz nur eines Unterhaltsberechtigten auf 425,83 Euro. Der laufende Bedarf in Höhe von 1.462,20 Euro könnte danach nur in Höhe von 569,30 Euro aus einem Zugriff auf die Erwerbseinkünfte der Töchter gedeckt werden. Demnach bliebe eine Deckungslücke von monatlich 892,90 Euro.
Eine vollständige Unterhaltssicherung ist auch nicht glaubhaft gemacht, wenn man daneben das Vorbringen zu den Guthaben der Tochter V_____P_____ am 31. Dezember 2012 und am 21. März 2013 berücksichtigt. Abgesehen davon, dass nicht belegt ist, dass ein entsprechendes Guthaben aktuell noch besteht und ferner fraglich erscheint, ob es einem Vollstreckungszugriff dauerhaft zur Verfügung stünde, genügt der Betrag angesichts der dargelegten Deckungslücke nicht, um eine nachhaltige Bedarfsdeckung zu gewährleisten. Ein Guthaben in Höhe von 52.000 Euro wäre bei einem monatlich aufzuwendenden Betrag von 892,90 Euro bereits in weniger als fünf Jahren aufgezehrt.
Hinzu kommt, dass in dem bisher veranschlagten Bedarf noch nicht der weitere Bedarf enthalten ist, der sich aus einem möglichen Anspruch der Antragsteller auf Hilfen zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) ergibt. Ein derartiger Anspruch kommt während der zweijährigen Wartezeit in Betracht, die im Rahmen einer von den Antragstellern nach Begründung eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland abgeschlossenen privaten Pflegeversicherung vereinbart werden darf (vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 33 Abs. 2 Nr. 6 SGB XI). In dieser Zeit könnte den Antragstellern angesichts der von ihnen geltend gemachten Pflegebedürftigkeit ein Anspruch auf Pflegegeld (§ 64 SGB XII) und ggf. Erstattung von Aufwendungen nach § 65 SGB XII zustehen.
2. Die Antragsteller haben außerdem einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Sie haben nicht dargelegt, dass es ihnen nicht zumutbar möglich wäre, die erforderliche Pflege vorübergehend bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Lettland, sei es durch Unterbringung in einer stationären Pflegeeieinrichtung oder durch Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes sicherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat geht in einstweiligen Anordnungsverfahren, die die Erteilung eines Visums betreffen, auch dann von der Hälfte des Auffangstreitwerts aus, wenn das Begehren auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt (vgl. etwa Beschluss vom 29. Oktober 2013 – OVG 2 S 80.13/OVG 2 M 48.13 –).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).