Gericht | SG Frankfurt (Oder) 29. Kammer | Entscheidungsdatum | 14.09.2011 | |
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Aktenzeichen | S 29 R 593/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 254b SGB 6, § 254c SGB 6, § 255a SGB 6, Art 3 Abs 1 GG, Art 30 Abs 5 EinigVtr |
Die Zugrundelegung eines besonderen Rentenwertes (Ost) bei der Berechnung der Höhe eines gesetzlichen Altersrentenanspruchs verstößt auch im Jahr 2011 nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG (Anschluss BSG, Urteil vom 14.03.2006, Az: B 4 RA 41/04 R und Landessozialgericht Berlin - Brandenburg, Urteil vom 23.09.2010, Az: L 33 R 1239/08).
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte bei der Berechnung der Rente des Klägers den Rentenwert Ost oder den Rentenwert zu Grunde zu legen hat.
Der Kläger ist Bezieher einer Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Mit Rentenanpassungsmitteilung vom 20. Mai 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Rente zum 1. Juli 2010 neu berechnet würde. Hierbei legte sie für die von Kläger im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten den Rentenwert (Ost) in Höhe von 24,13 Euro zu Grunde.
Mit Schreiben vom 7. Juli 2010 legte der Kläger Widerspruch ein und machte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz geltend. Mit Schreiben vom 10. August 2010 begründete der Kläger seinen Widerspruch weiter dahingehend, dass Bürger der Bundesrepublik Deutschland im Beitrittsgebiet ungerechtfertigt benachteiligt würden. Er verwies darauf, dass die Krankenkassenbeiträge, die Steuern und Gebühren wie auch die Preise im Öffentlichen Nahverkehr in West- und Ostdeutschland gleich hoch seien. Daher sei es nicht verständlich, warum es für die ostdeutschen Bürger einen niedrigeren Rentenwert gebe. Dieses sei möglicherweise in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung noch gerechtfertigt gewesen. Inzwischen gebe es hierfür jedoch keinen sachlichen Grund mehr.
Die Beklagte hat den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führt zur Begründung aus, dass gemäß § 254b Abs.1 SGB VI bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland persönliche Entgeltpunkte (Ost) und ein aktueller Rentenwert (Ost) für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente aus Zeiten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet gebildet werden, die an die Stelle der persönlichen Entgeltpunkte und des aktuellen Rentenwerts treten. Der aktuelle Rentenwert Ost werde gemäß § 255b SGB VI durch Rechtsverordnung bestimmt und betrage ab dem 1. Juli 2010 24,13 Euro. An diese gesetzlichen Vorgaben sei die Beklagte gebunden. Im Übrigen sei keine Ungleichbehandlung gegeben, da die Rentenberechnung im gesamten Beitrittsgebiet nach diesen Vorgaben erfolge.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 23. September 2010, Eingang bei Gericht am 27. September 2010 hiergegen Klage erhoben. Diese begründet er abermals damit, dass eine unterschiedliche Bewertung der Rente in Ost und West einen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz darstelle.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Rentenanpassungsmitteilung vom 20. Mai 2010 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 zu verurteilen, seine Rente unter Zugrundelegung des ab dem 1. Juli 2010 gültigen Rentenwerts in Höhe von 27,20 Euro neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist darauf, dass die Rente des Klägers unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen berechnet wurde.
Das Gericht hat den Beteiligten das Urteil des Landessozialgerichts vom 23. September 2010, Aktenzeichen L 33 R 1239/08 zugestellt. Das Gericht hat ferner zur weiteren Sachaufklärung das Gutachten von Prof. K. S. von der F. U. Berlin unter dem Titel: 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz vom 21. August 2009, sowie das Gutachten von J. R. (Projektleiter), S. S. und B. S. vom ifo Institut, Niederlassung Dresden vom Juli 2009 beigezogen und jeweils ein komplettes Exemplar beider Gutachten an die Beteiligten übersandt.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 12. Dezember 2010 erneut Stellung genommen und dargelegt, dass er die Klage aufrecht erhalte. Er könne es nicht nachvollziehen, wenn das Landessozialgericht Berlin – Brandenburg in seinem Urteil darlege, dass in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich Lebensvoraussetzungen herrschen. Die Preise seien überall gleich. Der Unterschied sei, dass den Rentner im Osten ein geringerer Rentenwert zugesprochen werde und damit auch eine geringere Kaufkraft bestehe. Das verstoße jedoch gegen Art. 3 Grundgesetz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2011 sowie die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
1.
Die Klage ist form- und fristgerecht als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig erhoben worden. Insbesondere war es zulässig, die Klage mit der Begeht um Korrektur eines Rentenanpassungsbescheids bzw. eine Rentenanpassungsmitteilung zu erheben, da es sich bei dieser um einen selbständigen Verwaltungsakt handelt, der separat von eigentlichen Rentenbescheid angreifbar ist, da durch diese gegenüber dem Kläger der aktuelle Rentenwert in Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 68, 254b, 255a SGB VI einseitig festgesetzt wurde. (so auch Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, Urteil vom 23. September 2010, Aktenzeichen L 33 R 1230/08 Rn 19, Quelle: Juris).
2.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Rentenanpassungsbescheid der Beklagten vom 20. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid in zutreffender Weise die Sonderbewertungsvorschriften (Ost), insbesondere den ab dem 1. Juli 2010 gültigen Rentenwerts (Ost) angewandt. Insbesondere ist die Beklagte nach wie vor gemäß § 254b Abs.1 SGB VI, 255a SGB VI verpflichtet, die Anzahl der vom Kläger erarbeiteten Entgeltpunkte (Ost) mit dem Rentenwert (Ost) und nicht mit dem Rentenwert zu multiplizieren.
Der Wert des Rechts auf Rente bei Rentenbeginn bestimmt sich nach der Rentenformel der §§ 63 Abs. 6, 64 SGB VI als Produkt der Summe der Entgeltpunkte, dem Zugangsfaktor, dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert, jeweils mit ihrem Wert bei Rentenbeginn. Von den drei Berechnungsfaktoren ändert sich nur der aktuelle Rentenwert durch Zeitablauf. Diese Rentenformel gilt seit der Überleitung des SGB VI zum 1. Januar 1992 auch im Beitrittsgebiet. Hier sind nach den übergangsrechtlichen Sonderbewertungsvorschriften „Ost“ – den §§ 254b, 254d und 255a, 256a – besondere Entgeltpunkte (Ost) und ein besonderer aktueller Rentenwert (Ost) einzustellen.
Die von der Beklagte beachteten gesetzlichen Vorgaben der §§ 254b, 254d, 255a und 256a SGB VI sind zur Überzeugung der Kammer nach wie vor nicht verfassungswidrig und verstoßen nicht gegen das Angleichungsgebot des Art. 30 Abs. 5 S. 3 des Einigungsvertrages.
Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass die Vorschriften zur Anwendung und Berechnung der Entgeltpunkte (Ost) der §§ 254b, 254d, 256a SGB VI verfassungskonform sind.
a.
Die weitere Anwendung eines geringeren Rentenwertes (Ost) im Vergleich zum Rentenwert und die damit tatsächlich bestehende Ungleichbehandlung wird bereits dadurch weitgehend gerechtfertigt, als diese Benachteiligung durch die Ermittlung und Anwendung des Entgeltpunktes (Ost) gemäß §§ 254d, 256a SGB VI weitestgehend aufgewogen wird. Das Landessozialgericht Thüringen führt hierzu in seiner Entscheidung vom 19. Februar 2009, Az.: L 1 R 1007/07 (Quelle: Juris) ausdrücklich aus:
„Die Entgeltpunkte (Ost) legen den Vorleistungswert von Beschäftigungen oder Tätigkeiten in der DDR, die gleichgestellt wurden, sowie von seit dem 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet versicherten Beschäftigungen oder Tätigkeiten gemessen am dort versicherten Arbeitsentgelt fest. § 256 a SGB VI legt als Sonderregelung zu § 70 SGB VI fest, welche Arbeitsentgelte und -einkommen als versicherte Arbeitsentgelte oder -einkommen Vorleistungen im Sinne des Bundesrechts sind. Dabei wird zur Ermittlung der Entgeltpunkte der im Beitrittsgebiet erzielte Verdienst des Einzelnen nach Hochwertung auf West-Niveau durch Vervielfältigung mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze je Kalenderjahr dem versicherten Durchschnittsentgelt aller in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten gegenübergestellt. Weil im Beitrittsgebiet aber ein wesentlich niedrigeres Lohnniveau bestand, sind die dort erzielten versicherten Verdienste zunächst mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI zu vervielfältigen, das heißt hoch zu werten, um ihre Vergleichbarkeit mit den höheren West-Durchschnittsentgelten herzustellen. Damit werden die im Beitrittsgebiet versicherten Arbeitsentgelte gerade auf das Niveau hoch gewertet, dass im übrigen Bundesgebiet bestand.“
Diesen überzeugenden Ausführungen des Landessozialgerichts Thüringen, welche ihrerseits wiederum auf dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. März 2006, Az.: B 4 RA 41/04 R (Quelle: Juris) beruhen, schließt sich die 29. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) aus eigener Überzeugung an. Durch die gemäß § 256a Abs. 1 SGB VI bestimmte Hochwertung der versicherten Arbeitsentgelte mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI stellt der Gesetzgeber verfassungskonform sicher, dass die Rentner für ihre Rentenzeiten im Beitrittsgebiet Entgeltpunkte in mindestens vergleichbarer Höhe zu denen des restlichen Bundesgebiets erhalten. Diese Rentner werden insofern privilegiert, da durch diesen Hochwertungsprozess, der für die Jahre 1980 bis 1990 erste Hälfte eine Hochwertung mit einem Faktor von über 3 zu 1 stattfindet. Die Zahl der Entgeltpunkte die durch diese Rechenweise erworben werden, steht somit in einem sehr günstigen Verhältnis zu den tatsächlichen Entgelten und Sozialversicherungsbeiträgen der Versicherten in diesem Zeitraum. Dieses gilt zumindest für diejenigen Rentner, die die Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht haben.
Darüber hinaus findet die vorgenannte Hochwertung der Beiträge im Beitrittsgebiet nach § 256a SGB VI auch für die Jahre nach 1990 weiterhin statt. Im Jahr 2010 wird zur Ermittlung des Entgeltpunktes (Ost) das beitragspflichtige Einkommen mit dem Faktor 1,1889 (vorläufig) multipliziert. Ein im Beitrittsgebiet in die Rentenversicherung im Jahr 2010 eingezahlter Euro bringt somit knapp 19% mehr Entgeltpunkte als ein im Gebiet der alten Bundesländer eingezahlter Euro. Damit wird die Diskriminierung beim Rentenwert von knapp 13 % (27,20 Euro Rentenwert zu 24,13 Euro Rentenwert Ost) in den für die Berechnung der Rentenanwartschaften zu bildenden Produkten von Rentenwert x Entgeltpunkt zu Rentenwert (Ost) und Entgeltpunkt (Ost) mehr als kompensiert (so auch Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O. Rn 46).
b.
Im Übrigen gibt es für die weitere Anwendung des Rentenwertes (Ost) in dem Fortbestehen unterschiedlicher Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern einen weiteren hinreichenden sachlichen Grund, welcher die Anwendung eines geringeren Rentenwertes (Ost) nach wie vor rechtfertigt. Hierbei bestehen die unterschiedlichen Lebensverhältnisse zur Überzeugung der Kammer weniger im unterschiedlichen Preis- oder Steuerniveau, worauf der Kläger abstellt. Der entscheidende Unterschied liegt vielmehr im unterschiedlichen Einkommensniveau auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt und damit verbunden dem unterschiedlichen Beitragsniveau in den alten und neuen Bundesländern. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. März 2006, Az.: B 4 RA 41/04 R die Verfassungsmäßigkeit der Sonderbewertungsvorschriften „Ost“ und somit auch des gemäß §§ 254b und 255a bei der Berechnung der Höhe der Rente zu berücksichtigenden Rentenwerts („Ost“) folgend gerechtfertigt:
„Entgegen der Auffassung des Klägers waren die Sonderbewertungsvorschriften „Ost“ am 20. Juli 2000 nicht verfassungswidrig.
…
Es liegt auch keine Verletzung des Rechts auf Gleichheit vor dem (Parlaments-)Gesetz aus Art 3 Abs. 1, 1 Abs. 3 GG durch die Regelungen der §§ 254b, 254c, 254d, 255a, 256a SGB VI vor, soweit sie auf das Begehren des Klägers anwendbar sind.
Zwar werden in dem seit 1992 bundeseinheitlichen System der gesetzlichen Rentenversicherung die Vorleistungen von Versicherten zum Teil ungleich behandelt, soweit wegen einer niedrigeren Beitragsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet Arbeitsverdienste nicht in gleicher Höhe wie „im Westen“ versichert sind (und insoweit bei der „Hochwertung auf West-Niveau“ ausfallen). Ebenso wird das Rentnerlohnprinzip ungleich ausgestaltet, weil auf das im Beitrittsgebiet niedrigere Niveau der Entgelte der aktiven Versicherten abgestellt wird. Das Gesetz differenziert insoweit jeweils materiell danach, dass die Wirtschaft im Beitrittsgebiet deutlich weniger an Roherträgen erwirtschaftet als die im „alten Bundesgebiet“, also auch entsprechend weniger zur Finanzierung der aktuellen Rentner beiträgt, sodass „Beitragstransfers“ und „Steuertransfers“ an die Rentner im Beitrittsgebiet notwendig sind. Daher wird die (gleichgestellte) Vorleistung der Versicherten zum Rohertrag der Wirtschaft im Beitrittsgebiet niedriger bewertet; aus diesem Grunde ist auch der Durchschnitt der versicherten Arbeitsverdienste der aktiven Versicherten im Beitrittsgebiet, in dessen Nähe der „Rentnerlohn“ liegen muss, ebenfalls geringer.
Es liegt somit zwar eine ungleiche Ausgestaltung der subjektiven Rechte der Versicherten und Rentner und damit eine Beeinträchtigung des Rechts auf (System-)Gleichheit auch vor dem Parlamentsgesetz vor. Dies war jedoch jedenfalls zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt, dem 20. Juli 2000, gerechtfertigt.
Das Recht des Klägers ist nicht verletzt (d. h.: rechtswidrig beeinträchtigt), weil die Ungleichbehandlung (gemessen am materiellen Differenzierungskriterium des Gesetzes) auf einem vernünftigen Grund von hinreichendem Gewicht beruht (vgl. BVerfGE 100, 138, 174; 101, 54, 101; 107, 218, 244). Die Sonderregelungen für EP aus im Beitrittsgebiet erbrachten Vorleistungen und diejenigen für das Rentnerlohnprinzip im Beitrittsgebiet waren im Hinblick auf den Gleichheitssatz jedenfalls am 20. Juli 2000 durch die unterschiedlichen Roherträge der Wirtschaft im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet gerechtfertigt. Die Ausgaben der Rentenversicherung werden vor allem durch die Beiträge der Arbeitgeber finanziert, die sie allein und in voller Höhe aus ihrem Privatvermögen bezahlen müssen und dafür allein mit ihrem Privatvermögen haften, auch wenn sie das abdingbare und auflösend bedingte Recht haben, sich bis zur Hälfte ihrer Beitragsschuld aus dem Arbeitslohn der Versicherten zu refinanzieren. Grundsätzlich erfüllen sie ihre Beitragsschuld, indem sie die Beiträge aus den Roherträgen ihres Unternehmens bezahlen. Entscheidend für die Finanzierung der Rentenversicherung sind daher (jedenfalls seit 1957) die Roherträge der Wirtschaftsunternehmen in Deutschland. Schwankungen nach Branchen oder Regionen sind dabei grundsätzlich unerheblich, nicht aber ein durch Kriegsfolgen bedingtes Zurückbleiben eines durch diese geprägten besonderen Wirtschaftsraums. Die gesetzlichen Unterschiede sind auf die besondere Ausnahmesituation nach der Wiedervereinigung (vor dem Hintergrund des Staatsbankrotts der DDR) und der damit – auch im Bereich der Rentenversicherung – zu bewältigenden Gesamtaufgaben des Staates zurückzuführen (vgl. BVerfGE 107, 218, 243). Demnach rechtfertigt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz als Gebot der sachgerechten Differenzierung die im Grunde systemwidrige Ungleichbehandlung zwischen der Bewertung der im Beitrittsgebiet und der im „alten Bundesgebiet“ erbrachten wirtschaftlichen Vorleistung und des Maßstabs des Rentnerlohns, jedenfalls bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.
Die übergangsrechtliche Sonderbewertungsvorschrift des § 254b Abs. 1 SGB VI stellt in Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sicher, dass die Teilhabeberechtigung aus Beitrittsgebietszeiten unter Wahrung des Verhältnisses der im Beitrittsgebiet versicherten Arbeitsentgelte zum Durchschnittsentgelt der dort Beschäftigten im jeweiligen Kalenderjahr gewonnen wird (EP <Ost>); ebenso wird gewährleistet, dass das Systemversprechen gemäß den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen der versicherten Beschäftigten im Beitrittsgebiet (aktueller Rentenwert <Ost>) erfüllt wird (vgl. BSG SozR 3-2600 § 256a Nr. 2 S. 7 f). Maßgebend für die übergangsrechtliche Sonderbewertung ist bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet die Überlegung, dass der Geldwert von Renten im Beitrittsgebiet auch bei bundesgesetzlich durch Aufwertung und Hochrechnung auf „West-Niveau“ gleichgestellter Vorleistung dem im übrigen Bundesgebiet geltenden Geldwert erst dann entsprechen soll, wenn (auch) die Lohn- und Gehaltssituation im Beitrittsgebiet an die im übrigen Bundesgebiet angeglichen ist (vgl. BT-Drucks 12/405 S 111). Dadurch wird zum einen eine Überlastung der Arbeitgeber und der aktiven Versicherten verhindert und zum anderen gesichert, dass die Rentner „Ost“ auch bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse an der Entwicklung der Löhne und Gehälter der aktiven Versicherten im Beitrittsgebiet nach dem Alterslohnprinzip teilhaben (vgl. BSGE 90, 11, 26 = SozR 3-2600 § 255c Nr. 1 S. 17; dazu auch: BSG SozR 4-2600 § 93 Nr. 2 RdNr 38; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 4 RA 27/05 R, Umdruck RdNr 71, zur Veröffentlichung vorgesehen).“
Diese Aussage des Bundessozialgerichts des „unterschiedlichen Rohertrages der Wirtschaft im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern“ hat zur Überzeugung dieser Kammer weiterhin bestand. Als hinreichenden sachlicher Grund zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Rentenberechnung für die im Beitragsgebiet erzielten Entgelte ist nach wie vor anzuführen, dass diese auf der Ausnahmesituation nach der Wiedervereinung beruhen, welche auch im Gebiet der Finanzierung der Rentenversicherung die Bundesrepublik Deutschland vor erhebliche Probleme stellte und weiterhin stellt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Rentenversicherung nicht allein durch Steuern finanziert wird, sondern deren Finanzierung zu einem erheblichen Teil durch die Arbeitgeber und die aktiven Versicherten geschieht. Hierbei müssen die Arbeitgeber und Versicherten aus den alten Bundesländer jedes Jahr einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich aufbringen, da das Beitrittsgebiet selbst zur Zahlung der im Beitrittsgebiet derzeit anfallenden Renten nicht über genug Wirtschaftskraft und damit auch nicht über hinreichend Beiträge zur Rentenversicherung verfügt. Um deren Überlastung zu verhindern, wurden die Übergangsvorschriften des § 254b SGB VI und § 255a SGB VI geschaffen, welche zum Gegenstand haben, dass der Geldwert der Renten im Beitrittsgebiet erst dann dem Niveau des übrigen Bundesgebiets entsprechen darf, wenn auch die Lebensverhältnisse – also die Entwicklung der Löhne und Gehälter der aktiven Versicherten – im Beitrittsgebiet das Niveau der alten Bundesländer erreicht haben.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts Berlin - Brandenburg war dieses im Jahr 2009 noch nicht der Fall (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O. Rn 43f.). Dem schließt sich dieses Gericht an und sieht dieses auch im Jahre 2010 noch nicht als gegeben an. Im Jahr 2007 betrug das durchschnittliche Bruttoentgelt im Beitrittsgebiet 21.680,00 Euro und 27.994,00 Euro in den alten Bundesländer (LSG Thüringen, a. a. O., m. w. N.) Im Jahr 2008 betrug das Bruttoentgelt im Beitrittsgebiet 22.370,00 Euro und in den alten Bundesländern 28.787,00 Euro (vgl. S. 30 des Gutachtens des ifo – Instituts für Wirtschaftsforschung, Bestandsaufnahme der Wirtschaftlichen Fortschritte im Osten Deutschlands 1989 – 2008, Dresden Juli 2009, den Beteiligten jeweils vom Gericht übergeben). Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Lücke in der Zwischenzeit vollständig geschlossen wurde. Im Weiteren teilt die Kammer auch nicht die verfassungsrechtlichen Zweifel des Landessozialgerichts Berlin – Brandenburg dahingehend, dass es gegebenenfalls Gebiete in den neuen Bundesländern (z.B. in Sachsen) gibt, in denen der durchschnittliche Bundesarbeitslohn gleich hoch oder höher ist, als in wirtschaftlich vergleichsweise schwachen Regionen der alten Bundesländer (z.B. Schleswig – Holstein). Denn dem Gesetzgeber bleibt eine gewisser Freiraum um bei seinen bundesweit einheitlich geltenden Regelungen Pauschalierungen vorzunehmen. Dass das Beitragsaufkommen in den neuen Bundesländern auf Grund der schwächeren Wirtschaftsleistung deutlich geringer ist als in den alten Bundesländer und dass es auf Grund dieses Umstandes weiterhin Umlagezahlungen im zweistelligen Milliardenbereich bedarf, um die Rentenzahlungen in den neuen Bundesländern garantieren zu können, reicht aus Sicht der Kammer für die Rechtfertigung der Regelung der §§ 254b, 255a SGB VI aus, zumal es hierdurch auf Grund der Hochwertung der Entgeltpunkte Ost und der durchschnittlich höheren Lebensarbeitszeit in den neuen Bundesländern – welche in allen neuen Bundesländern gegeben ist – derzeit keineswegs zu niedrigen Rentenzahlungen kommt als in den alten Bundesländern. Gemäß der Statistik des Rentenversicherung Bund, welche über die Internetseite der Rentenversicherung Bund abzurufen ist, betrug der durchschnittliche monatliche Rentenzahlbetrag zum 31. Dezember 2009 für Rentner im Beitrittsgebiet bei Männer rund 1019 Euro und für Frau rund 700 Euro, während der durchschnittliche monatliche Rentenzahlbetrag zum gleichen Zeitpunkt für Männer in den alten Bundesländern rund 969 Euro und für Frauen 500 Euro betrug (zu recherchieren unter http://www.deutsche-rentenversicherung-bund.de/cae/servlet/contentblob/30000/publicationFile/19088/aktuelle_daten_2011.pdf).
3.
Schließlich ist die Kammer der Überzeugung, dass die Anwendung des aktuellen Rentenwerts anstatt des Rentenwerts Ost nicht geschehen muss, da mit einem Ausgleich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nicht mehr zu rechnen sei und sich die Lebensverhältnisse im Beitrittsgebiet auf einem geringen Niveau stabilisiert hätten. Zum einen sieht die Kammer bereits auf Grund der nach wie vor erheblichen Transferleistungen im Rahmen des Solidarpakts II bis 2019 von West nach Ost und der damit verbunden Stärkung der Kaufkraft und der Industrieförderung den Aufholprozess im Beitrittsgebiet noch nicht als abgeschlossen an. Insbesondere Letztere kann trotz Mitnahmeeffekten und einigen Fehlinvestitionen in einigen Ländern des Beitrittsgebiets als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden (vgl. zusammenfassend Bl. 93 des Gutachtens von Prof. K. S. von der F. U. B. unter dem Titel: 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz vom 21. August 2009, den Beteiligten in diesem Verfahren übergeben).
Zum anderen bedarf es zur Überzeugung des Gerichts heute mehr denn je des Schutzes der Arbeitgeber und aktiven Versicherten in der Rentenversicherung vor einer übermäßigen Inanspruchnahme, da das Rentenversicherungsverhältnis nicht allein auf dem Versicherungsprinzip sondern auch auf dem Gedanken der Verantwortung und des sozial Ausgleichs – auch der Beitragszahler und der Rentenempfänger – beruht (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, Urteil vom 14. Juli 2009, Az.: L 21 R 910/07, Quelle: Juris). Denn diese werden derzeit durch den Ausgleich des enormen Fehlbetrages bei den ostdeutschen Sozialkassen erheblich belastet. So betrug das Umverteilungsvolumen von West nach Ost zur Finanzierung dieses Fehlbetrags im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung (bei gegenwärtiger Rechtslage) in den Jahren 2004 und 2005 jährlich jeweils 21 Milliarden Euro (vgl. Bl. 89ff des Gutachtens von Prof. K. S. von der F. U. Berlin unter dem Titel: 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz vom 21. August 2009). Die Beitragszahler in den alten Bundesländer zahlen derzeit knapp 6 % ihres Gehalts um die Transferleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung zu bezahlen (Bl. 92 des Gutachtens von Prof. K. S. von der F. U. Berlin unter dem Titel: 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz vom 21. August 2009). Dieser Betrag würde nochmals erheblich steigen, wenn der aktuelle Rentenwert anstatt des Rentenwerts Ost für die Berechnung der Renten im Beitrittgebiet zur Anwendung käme. Dieses hält die Kammer im Rahmen des in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Prinzips der gegenseitigen Verantwortung und des sozialen Ausgleichs für nicht mehr zumutbar.
Schließlich weist die Kammer nochmals darauf hin, dass ihrer Überzeugung ein Teil der Benachteiligung durch die Anwendung des Rentenwerts (Ost) durch die Aufwertung / Hochrechnung der tatsächlich erzielten Entgelte durch die Anwendung der Anlage 10 zum SGB bei der Ermittlung der Entgeltpunkte (Ost) kompensiert wird. Eine isolierte Betrachtung nur des aktuellen Rentenwertes (Ost) und eine Ersetzung desselben wie in der Klage beantragt durch den aktuellen Rentenwert, verbietet sich bereits aus diesem Grunde.
4.
Weiterhin sieht die Kammer auch keinen Verstoß gegen das Angleichungsgebot des Art. 30 Abs. 5 S. 3 des Einigungsvertrag, welcher neben einer Angleichung der Löhne auch eine Angleichung der Renten im Beitrittsgebiet an die Renten in den alten Bundesländern fordert. Die Eckrente Ost ist im Vergleich zu den Westrenten von 40,3 % am 1. Juli 1990 auf 88,1% am 1. Juli 2005 gestiegen (Bl. 44 des Gutachtens von Prof. K. S. von der Freien Universität Berlin unter dem Titel: 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz vom 21. August 2009). Auf Grund der durchschnittlich höheren Lebensarbeitszeit im Osten und der Berücksichtigung der Entgeltpunkte (Ost) sind die tatsächlich gezahlten gesetzlichen Renten im Beitrittsgebiet sogar höher als in den alten Bundesländern (s.o. und Bl. 44 des Gutachtens von Prof. S., a. a. O., m. w. N.).
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache.