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(Sozialgerichtliches Verfahren - Entschädigung eines Sachverständigen - Herabsetzung der Vergütung - Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes - Unmöglichkeit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens - nicht existenter Begutachtungsgegenstand)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 23.08.2010
Aktenzeichen L 2 SF 133/09 B ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 8 Abs 2 JVEG, § 9 Abs 1 JVEG

Leitsatz

Im Beschwerdeverfahren nach dem JVEG gilt das Verschlechterungsverbot nicht.

Tenor

Die Vergütung des Beschwerdeführers wird auf 265,35 Euro festgesetzt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

Der Beschwerdeführer begehrt für Vorbereitungsarbeiten für ein Verkehrswertgutachten 3.029,69 Euro nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

Mit Beweisanordnung im Verfahren S 12 AL 111/04 vom 24. November 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin den Beschwerdeführer zum Sachverständigen ernannt und die nachstehenden Beweisfragen formuliert:

1. Bestand am 15. Mai 2003 eine Nachfrage für Objekte der Art und Beschaffenheit wie die in der Kstraße in B vermietete Eigentumswohnung?

2. Bejahendenfalls, wie hoch ist der Verkehrswert des Objektes am 15. Mai 2003 anzusetzen?

3. War eine Veräußerung des Objektes zu dem unter 2. festgestellten Verkehrswert möglich oder wäre der Veräußerungserlös voraussichtlich vom festgestellten Verkehrswert abgewichen? Ggf. in welcher Höhe?

Auf die Bitte des Beschwerdeführers vom 29. November 2005 konkretisierte das Gericht mit Schreiben vom 2. Dezember 2005 die Beweisanordnung dahin, dass die vermietete Wohnung zu bewerten und als Bewertungsstichtag der 15. Mai 2003 zugrunde zu legen sei.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2006 teilte der Beschwerdeführer mit, dass die Erhebungen beim Ortstermin am 25. Januar 2006 und der dem Gutachterausschuss vorliegende Auszug aus dem Grundbuch von Birkenwerder, Blatt 1820, vom 9. Februar 2004 ergeben hätten, dass auf dem fraglichen Grundstück kein Wohnungseigentum i. S. des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) gebildet worden sei und damit eine separat veräußerbare Eigentumswohnung nicht bestehe. Daher könne auch kein Verkehrswert ermittelt werden.

Das Gericht bat den Beschwerdeführer daher mit Schreiben vom 30. Januar 2006 zunächst abzuwarten, bis eine Stellungnahme des Beklagten im Rechtsstreit S 12 AL 111/04 eingegangen sei. Am 27. März 2006 fragte der Beschwerdeführer nach dem Sachstand. Mit Beschluss vom 22. Mai 2006 hob das Sozialgericht Neuruppin die Beweisanordnung vom 24. November 2005 auf.

Der Beschwerdeführer machte Gesamtkosten für die Erstattung eines Gutachtens in Höhe von 3.029,69 Euro geltend (Kostenbescheid vom 3. Mai 2006). Insgesamt seien 33,5 Stunden zu 75,00 Euro zuzüglich Fahrtkosten und Mehrwertsteuer angefallen. 19,5 Stunden entfielen auf die Ortsbesichtigung durch 3 Gutachter.

Die Festsetzungsstelle/Geschäftsstelle der 12. Kammer des Sozialgerichts Neuruppin bat daraufhin um Überarbeitung der in Ansatz gebrachten Kosten, da ein Verkehrswertgutachten letztlich nicht erstellt worden sei.

Im Schreiben vom 1. Juni 2006 hat der Beschwerdeführer u. a. ausgeführt, „zur Erarbeitung des Gutachtens und in Vorbereitung der ebenfalls notwendigen Ortsbesichtigung Anfragen bei Ämtern und der Gemeinde“ gestellt zu haben. Die Ortsbesichtigung sei entsprechend den Vorschriften für den Beschwerdeführer mit 3 Sachverständigen erfolgt.

Die Geschäftsstelle des Sozialgerichts Neuruppin hat die Vergütung auf 411,08 Euro festgesetzt, dabei einen Zeitaufwand von 6 Stunden (2,62 Stunden für Aktenstudium, 1,5 Stunden für die Abfassung der Schreiben, 0,6 Stunden für Diktat und Korrektur und 1 Stunde für die Ortsbesichtigung) berücksichtigt.

Im Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Vergütung vom 16. August 2006 hat der Beschwerdeführer u. a. darauf hingewiesen, dass für die Erstellung von Gutachten eine frühzeitige Einholung der erforderlichen Unterlagen notwendig sei. Der angesetzte Zeitaufwand entspreche nicht dem tatsächlich entstandenen Aufwand. Im Übrigen sei die Honorargruppe 6 mit 75,00 Euro je Stunde in Ansatz zu bringen.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Beschwerdegegners hat das Sozialgericht Neuruppin die Vergütung des Beschwerdeführers auf 533,71 Euro festgesetzt (Beschluss vom 1. September 2008). Es hat dabei ebenfalls einen Zeitaufwand von 6 Stunden berücksichtigt, diesen aber entsprechend der Honorargruppe 6 mit 75,00 Euro je Stunde vergütet. Zusätzlich hat es Schreibauslagen von 3,75 Euro und Fahrtkosten von 6,00 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer berücksichtigt. Der darüber hinaus in Ansatz gebrachte Umfang der Vorbereitung des Gutachtens sei für das Gericht nicht glaubhaft. In keiner Weise sei dargetan, dass mehr als ein Sachverständiger den Ortstermin wahrgenommen habe.

Gegen den ihm am 15. September 2008 zugestellten Beschluss vom 1. September 2008 hat der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2008 Beschwerde eingelegt und an der geltend gemachten Vergütung festgehalten. Insbesondere sei nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht die durch 3 Sachverständige durchgeführte Ortsbesichtigung als nicht glaubhaft ansehe. Der Beschwerdeführer sei nach den für ihn geltenden Vorschriften verpflichtet als Kollegialgremium tätig zu werden. Die vom Sozialgericht angenommene Verfahrensweise würde einen Rechtsverstoß darstellen.

Der Beschwerdegegner hält den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin für zutreffend.

Die Beschwerde ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt (§ 4 Abs. 3 JVEG). Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist das Verfahren vom Einzelrichter auf den Senat übertragen worden (§ 4 Abs. 7 JVEG).

Anspruchsgrundlage der Vergütung sind die §§ 8, 9 JVEG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das angefochtene Verkehrswertgutachten über eine vermeintliche Eigentumswohnung nicht erstattet werden konnte, da bereits das dem Beschwerdeführer vorliegende Blatt 1820 des Grundbuches von B unzweifelhaft darüber Auskunft gab, dass Wohnungseigentum i. S. des WEG auf dem Grundstück nicht gebildet worden war und somit ein Verkehrswert nicht festgesetzt werden konnte.

Stellt der Sachverständige erst nach vorbereitenden Arbeiten fest, dass er das Gutachten aus einem Grunde, den er nicht zu vertreten hat, nicht erstatten kann, so ist er für die bisher geleistete Arbeit mit demselben Stundensatz zu vergüten, der ihm für das Gutachten zugestanden hätte (allgemeine Meinung, vgl. nur Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, Kommentar, 24. Auflage, Erläuterungen zu § 8, Rn 8.10 m. w. N.). Vorliegend ist nach § 9 Abs. 1 JVEG i. V. m. Anlage 1 ein Stundensatz von 75,00 Euro nach Honorargruppe 6 für die Bewertung von Immobilien abrechenbar. Genauso wie es bei dem Stundensatz der eigentlich für das Gutachten vorgesehenen Vergütung bleibt, bleibt es auch bei den ansonsten im Gesetz vorgesehenen Grundsätzen der Vergütungsfestsetzung. Damit richtet sich auch die Bemessung der Vergütung der vorbereitenden Arbeiten nach § 8 Abs. 2 JVEG. Es kann daher nur die erforderliche Zeit, die ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (a. a. O. Rn 8.48), berücksichtigt werden.

Vorliegend gehört es zur sachgemäßen Auftragserledigung zur Vorbereitung des Gutachtens und der Ortsbesichtigung die einschlägigen Unterlagen von den zuständigen Behörden anzufordern. Darauf hat der Beschwerdeführer zu Recht in seinen Schreiben vom 1. Juni 2006 und 16. August 2006 hingewiesen. Für den Senat besteht daher kein Zweifel, dass diese Unterlagen bei der Besichtigung am 25. Januar 2006 vorgelegen haben. Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben an das Gericht vom 26. Januar 2006. Damit steht aber fest, dass dem Beschwerdeführer vor der Ortsbesichtigung bekannt war, dass eine Eigentumswohnung im Rechtssinne als Begutachtungsgegenstand nicht existent war. Vor diesem Hintergrund entsprach die Besichtigung einer rechtlich nicht existenten Eigentumswohnung nicht mehr der sachgemäßen Auftragserledigung und kann daher bei der Berechnung der erforderlichen Zeit i. S. des § 8 Abs. 2 JVEG nicht berücksichtigt werden. Dem entspricht § 407 a Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Danach soll der Sachverständige Zweifel am Inhalt und Umfang des erteilten Auftrags unverzüglich mit dem Gericht klären, um unnötige Ermittlungen und Kosten zu vermeiden (a. a. O. Rn 8.10).

Damit war es vorliegend unzweifelhaft erforderlich, das Grundbuchblatt anzufordern und nach Einsichtnahme in den eindeutigen und selbst für den kundigen Laien leicht zu bewertenden Inhalt dem Gericht mitzuteilen, dass ein Gutachten mangels Eigentumswohnung nicht erstattet werden könne. Die vom Senat vorgenommene Berücksichtigung von 3 Stunden für diesen einfachen Vorgang nebst Schreiben ist bereits großzügig. Daneben waren die Schreibauslagen und die Mehrwertsteuer zu vergüten. Über die vom Senat berücksichtigten 3 Stunden hinaus ist erforderliche Zeit i. S. des § 8 Abs. 2 JVEG nicht angefallen. Damit ergibt sich:

3 x 75,00 Euro =

225,00 Euro

Schreibauslagen:

 3,75 Euro

zzgl. 16% MWSt:

  36,60 Euro

        

265,35 Euro

Für die Anwendung der Grundsätze für die Vergütung medizinischer Gutachten, die das Sozialgericht herangezogen hat, bestand vorliegend keine Veranlassung. Ein Aktenstudium ist schon deshalb nicht angefallen, weil das Sozialgericht dem Beschwerdeführer unter Wahrung des Sozialdatenschutzes keine Akten übersandt hat. Für die Bewertung einer Immobilie sind die Rechtsbeziehungen eines Klägers zur Bundesagentur für Arbeit ohne Bedeutung. Im Übrigen hat es sich bei den vergüteten Schreiben des Beschwerdeführers nicht um ein medizinisches Gutachten gehandelt, für das die objektivierenden Grundsätze zur Bewertung der erforderlichen Zeit allein aufgestellt wurden.

Der Senat sah sich auch durch den Grundsatz der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) nicht daran gehindert, die Vergütung im Vergleich zum Beschluss des Sozialgerichts herabzusetzen. Denn dieser Grundsatz gilt im Beschwerdeverfahren nach dem JVEG nicht (a. a. O. Erläuterungen zu § 4.18). Eine Beschwerde berechtigt und verpflichtet das Gericht zur Überprüfung des Gesamtansatzes (Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage, JVEG § 4 Rn. 26). Die hier mit Schreiben vom 3. März 2010 erfolgte Anhörung ist erforderlich, wenn das Gericht – wie hier – die Vergütung zu Ungunsten eines Betroffenen herabsetzen will (Hartmann, a. a. O. Rn. 28).

Das Verschlechterungsverbot ist in den jeweiligen Verfahrensordnungen geregelt, wenn der Gesetzgeber verhindern wollte, dass ein Rechtsmittelführer durch die Einlegung desselben Nachteile in Kauf nehmen müsste (vgl. z. B. § 528 ZPO für die Berufung). Im JVEG findet sich keine Anordnung eines Verschlechterungsverbotes. Die Beschwerde ist in § 4 Abs. 3 – 5 JVEG einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten geregelt. Die Vorschrift geht den in anderen Verfahrensordnungen enthaltenen Beschwerdebestimmungen vor (Meyer/Höver/Bach, a. a. O., Erläuterungen zu § 4 Rn. 4.14 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Für eine analoge Anwendung von Bestimmungen anderer Verfahrensanordnungen ist daher kein Raum. Das Verschlechterungsverbot ist auch keine zwingende Konsequenz aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. z. B. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, MDR 1985, S. 79-80), so dass seine Anwendung auch nicht von Verfassungswegen geboten ist. Allein der Gesetzgeber entscheidet über die Wohltat eines Verschlechterungsverbots (vgl. z. B. Meyer-Goßner, StPO, vor § 304 Rn 5).

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).