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Kommunalrechtliches Vertretungsverbot; Vertretung in einem Bereich in dem der Rechtsanwalt als Mitglied der Gemeindevertretung Entscheidungen trifft; Zuständigkeit der Gemeindevertretung für den Erlass, die Änderung und Aufhebung von Satzungen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 12.05.2011
Aktenzeichen OVG 9 L 11.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 23 Abs 1 KomVerf BB, § 28 Abs 2 Nr 9 KomVerf BB

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Januar 20011 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat Rechtsanwalt H... zu Recht vom Verfahren ausgeschlossen. Die Wahrnehmung der Interessen der Klägerin durch Rechtsanwalt H... in dem bei der Kammer anhängigen Klageverfahren zu VG 5 K 164/09 verstößt gegen das Vertretungsverbot des § 23 Abs. 1 BbgKVerf. Danach dürfen ehrenamtlich Tätige, die in der Gemeindevertretung oder in einem beschließenden Ausschuss mitwirken, in dem Bereich, in dem sie für die Gemeinde Entscheidungen treffen, Dritte berufsmäßig bei der Geltendmachung von Ansprüchen und Interessen gegenüber der Gemeinde nicht vertreten, es sei denn, sie handelten als gesetzliche Vertreter.

§ 23 Abs. 1 BbgKVerf ist eine Regelung der Berufsausübung, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Dem Vertretungsverbot liegt der Gedanke zugrunde, die Gemeindeverwaltung von allen Einflüssen freizuhalten, die eine objektive und einwandfreie Führung der Gemeindegeschäfte gefährden könnten. Es soll verhindert werden, dass Gemeindeangehörige den Einfluss von Ratsmitgliedern für ihre persönlichen Interessen ausnutzen und dass rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter, die zugleich Gemeinderatsmitglieder sind, durch die Doppelfunktion in einen Interessenwiderstreit geraten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Oktober 1987 - 2 BvR 674.84 -, Juris Rn. 6; Beschluss vom 18. Juli 1979 - 2 BvR 488.76 -, Juris Rn. 36). Zur Erreichung dieses Zwecks ist das Vertretungsverbot geeignet und erforderlich. Ferner ist der Eingriff verhältnismäßig im engeren Sinn (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Oktober 1987 - 2 BvR 674.84 -, Juris Rn. 8 ff., das die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt ist, allerdings offen lässt).

Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 BbgKVerf hat die Kammer zutreffend als erfüllt angesehen. Rechtsanwalt H... ist seit 2003 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Frankfurt (Oder). Er vertritt die Interessen der Klägerin in dem Klageverfahren zu VG 5 K 164/09 gegen einen Bescheid über die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren vom 12. Februar 2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2009. Er macht damit Interessen der Klägerin gegenüber der Gemeinde gem. § 23 Abs. 1 BbgKVerf geltend. Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder), gegen den sich die Klage richtet, handelt gem. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 BbgVwGG für den Rechtsträger, die Stadt Frankfurt (Oder), in einer Art Prozesstandschaft (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3. Oktober 1978 - XV A 1927/75 -, NJW 1979, 1057). Rechtsanwalt H... macht die Interessen der Klägerin auch in einem Bereich geltend, in dem er als Mitglied der Gemeindevertretung für die Gemeinde Entscheidungen trifft. Die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren bedarf einer Satzung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG) - maßgeblich ist vorliegend die am 7. Februar 2008 beschlossene „Satzung der Stadt Frankfurt (Oder) über die Reinigung und den Winterdienst öffentlicher Straßen, Wege und Plätze und die Erhebung von Gebühren (Straßenreinigungssatzung)“ vom 15. Februar 2008 -, für deren Erlass, Änderung und Aufhebung die Gemeindevertretung zuständig ist (§ 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BbKVerf).

Das Vertretungsverbot greift unabhängig davon, dass die vorliegend maßgebliche Straßenreinigungssatzung bereits beschlossen worden war, bevor der angegriffene Bescheid erlassen worden ist und Rechtsanwalt H... von der Klägerin beauftragt worden sein dürfte. Obwohl die Rechtmäßigkeit eines Bescheides über Straßenreinigungsgebühren von der Wirksamkeit der ihm zugrundeliegenden Satzung abhängt, kann auf Grund dieser zeitlichen Abfolge zwar ausgeschlossen werden, dass Rechtsanwalt H... im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Erlass der Straßenreinigungssatzung in der Gemeindevertretung einer Interessenkollision wegen der anwaltlichen Vertretung der Klägerin im vorliegenden Verfahren ausgesetzt gewesen sein könnte. Da die Gemeindevertretung jedoch nicht nur für den Erlass der Satzung, sondern auch für deren spätere Änderung und Aufhebung zuständig ist, ist die Möglichkeit einer solchen Interessenkollision durchaus gegeben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass mögliche Satzungsfehler, die zur Rechtswidrigkeit eines Bescheides über Straßenreinigungsgebühren führen, im Einzelfall durch eine rückwirkende Änderung der Satzung auch mit Wirkung für einen bereits erlassenen Gebührenbescheid geheilt werden können.

Der mit der Beschwerde erhobene Einwand, Rechtsanwalt H... könne durch seine Mitwirkung an der Änderung der Straßenreinigungssatzung keinen unmittelbaren Vor- oder Nachteil erlangen, eine Interessenkollision sei entsprechend vorliegend ausgeschlossen, da die Straßenreinigungssatzung durch einen Gebührenbescheid umgesetzt werden müsse, trägt ebenfalls nicht. Dem steht zum einen der soeben angesprochene Zusammenhang zwischen der Rechtmäßigkeit eines Bescheides über Straßenreinigungsgebühren und der Wirksamkeit und möglichen Heilung der ihm zugrundeliegenden Satzung entgegen. Gegenstand der gegen den Bescheid gerichteten Klage ist wegen dieser Verbindung mittelbar auch eine Normenkontrolle, für die selbst nach der Beschwerde das Vertretungsverbot einschlägig sein soll, sofern diese unmittelbar Gegenstand eines Verfahrens wäre. Die Straßenreinigungssatzung gibt zudem den Gebührenmaßstab und Gebührensatz genau vor sowie wer Gebührenpflichtiger ist (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Februar 1981 - 14 C 1.80 -, NVwZ 1982, 44). Damit hat die Mitwirkung an dem Erlass oder der Änderung der Straßenreinigungssatzung unmittelbaren Einfluss auf einen auf der Grundlage der Satzung erlassenen Gebührenbescheid. Auch vor diesem Hintergrund ist deutlich, dass die anwaltliche Vertretung im Verfahren VG 5 K 164/09 einen Bereich betrifft, in dem Rechtsanwalt H... für die Gemeinde Entscheidungen gem. § 23 Abs. 1 BbgKVerf trifft. Dass der Erlass des Gebührenbescheides ein Geschäft der laufenden Verwaltung ist (§ 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf), die der Hauptverwaltungsbeamte zu führen hat, kann nach alledem ebenfalls nicht dazu führen, dass die Vertretung der Klägerin durch Rechtsanwalt H... dem Vertretungsverbot nicht unterfällt.

Auch der Hinweis der Beschwerde, dass „der Erlass der hier relevanten Straßenreinigungssatzung der Stadt ausdrücklich pflichtig ist“, rechtfertigt es nicht, die angefochtene Entscheidung zu ändern. Zum einen sind die Gemeinden nach dem von der Beschwerde insoweit angeführten § 49 a BbgStrG lediglich berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Straßenreinigungssatzung zu erlassen. Selbst wenn eine solche Pflicht aus § 64 Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf i.V.m. § 49 a Abs. 7 Satz 1 BbgStrG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG folgen sollte, berührt dies das Vertretungsverbot vorliegend nicht, da die gesetzlichen Vorgaben für eine Straßenreinigungssatzung (vgl. §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 2, 6 KAG) deren Inhalt nicht so genau vorgeben, dass Mitglieder der Gemeindevertretung keine Entscheidung im Sinne des § 23 Abs. 1 BbgKVerf treffen, sofern sie über den Erlass oder die Änderung einer Straßenreinigungssatzung beschließen.

Es ist ferner nicht davon auszugehen, dass das Vertretungsverbot nach der Gesetzesbegründung zu § 23 Abs. 1 BbgKVerf vorliegend nicht einschlägig sein kann. Zwar hat der Gesetzgeber das vormalige Vertretungsverbot des § 29 GO, welches eine Vertretung Dritter bei der Geltendmachung von Ansprüchen und Interessen gegenüber der Gemeinde allgemein ausschloss, dahingehend eingeschränkt, dass es um „Bereiche“ gehen muss, in denen dem Ehrenamtlichen Entscheidungsbefugnisse zugewiesen sind. Dadurch sollte nach der Gesetzesbegründung die Gewinnung qualifizierter ehrenamtlich Tätiger insbesondere aus den rechtsberatenden Berufen erleichtert werden (vgl. LT-Brandenburg, Drucks. 4/5056, S. 161). Die Einschränkung des Vertretungsverbots bezieht sich indessen nur auf Bereiche, in denen der Rechtsanwalt innerhalb der Gemeinde keine Entscheidung zu treffen hat. Insoweit kann ein Rechtsanwalt nunmehr vertreten, nicht aber dort, wo er zu entscheiden hat. Soweit die Begründung zum Gesetzesentwurf der Landesregierung davon ausgeht, dass ehrenamtlich Tätige aus rechtsberatenden Berufen "nicht mehr aufgrund ihres ehrenamtlichen Engagements in ihrer Berufsausübung beschränkt werden", kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, § 23 Abs. 1 BbgKVerf gelte für Rechtsanwälte überhaupt nicht; dies stünde im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut und zu Sinn und Zweck des Gesetzes. Um ein allgemeines Vertretungsverbot, das der Gesetzgeber nicht (mehr) anordnen wollte, geht es vorliegend - wie aufgezeigt - nicht.

Schließlich war die Kammer auch gehalten, Rechtsanwalt H... wegen des Verstoßes gegen das Vertretungsverbot des § 23 Abs. 1 BbgKVerf auszuschließen. § 23 Abs. 1 BbgKVerf entfaltet nicht nur Wirkungen im gemeindeverfassungsrechtlichen Bereich, sondern auch im Verhältnis des als Anwalt tätigen Ratsmitglieds zu den Gerichten. Das Vertretungsverbot ist ferner im Gerichtsverfahren durchsetzbar. § 23 Abs. 2 BbgKVerf begründet kein Entscheidungsmonopol der Gemeindevertretung oder des Hauptverwaltungsbeamten für die Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des Vertretungsverbots. Das Verwaltungsgericht hat insofern zutreffend angenommen, dass es im Rahmen seiner Aufgabe, für einen dem geltenden Recht entsprechenden Verfahrensablauf zu sorgen, auch auf die Einhaltung der durch Gesetz begründeten Pflichten des auftretenden Rechtsanwalts zu achten habe (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 2 BvR 488.76 -, Juris Rn. 4 und 38 ff.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).