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Familienleistungsausgleich März bis Dezember 2001, Januar bis September 2002, Oktober bis Dezember 2003 und Januar 2004 bis Dezember 2007 für das Kind Patrick sowie Juli bis Dezember 2003, Januar 2004 bis Dezember 2005 sowie Januar bis Oktober 2006 f


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 03.09.2013
Aktenzeichen 6 K 8188/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkünfte und Bezüge der beiden Kinder der Klägerin über dem sog. Grenzbetrag lagen und ob die Festsetzung des Kindergelds aufgehoben werden durfte.

Die Klägerin ist Mutter der Kinder B…, geboren am … 1983, und C…, geboren am … 1985. Der Vater der Kinder, Herr D…, war am … 1996 verstorben.

Die Beklagte übersandte der Klägerin am 15. Dezember 2000 im Hinblick auf die bevorstehende Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes B… eine Mitteilung über die Voraussetzungen für die Fortzahlung des Kindes ab März 2001 (Bl. 25 und 31 der Streit-akte) sowie das Formular „Schulbescheinigung“. In der Mitteilung hieß es u.a:

„Eine Weiterzahlung ist jedoch nur dann möglich, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes bestimmte Grenzbeträge nicht überschreiten. Näheres enthält das beigefügte Merkblatt über Kindergeld. ….

Hat Ihr Kind – ggf. neben einer Ausbildungsvergütung – Einnahmen (z. B. Einnahmen aus einer nichtselbständigen oder selbständigen Arbeit oder aus einem Gewerbebetrieb, Erträge von über 100 DM aus Kapitalvermögen, „BAföG“, Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld, Krankengeld, Arbeitslosengeld, Unterhaltsleistungen des – auch geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden – Ehegatten des Kindes), müssen Sie dies der Familienkasse anzeigen.

Bitte teilen Sie auch alle sonstigen Änderungen, die für den Anspruch von Bedeutung sind, jeweils unverzüglich mit. Näheres finden Sie im Merkblatt. …“

Die Klägerin übersandte am 09. Januar 2001 die ausgefüllte Schulbescheinigung an die Beklagte (Bl. 51 der Kindergeldakte, Band I); danach würde B… die Schule noch bis Juli 2002 besuchen. Angaben zu den Einkünften und Bezügen ihres Sohnes B… machte die Klägerin nicht. Die Beklagte gewährte für den Sohn B… seit März 2001 Kindergeld; die entsprechende Kassenanordnung datiert vom 11. Januar 2001.

Mit – elektronisch gefertigtem – Schreiben vom 03. Juni 2002 wies die Beklagte auf die Beendigung des Kindergelds mit Ablauf des Juli 2002 hin. In diesem Schreiben (Bl. 32 der Streitakte) hieß es u. a:

„Hat Ihr Kind – ggf. neben einer Ausbildungsvergütung – Einnahmen (z. B. Ein-nahmen aus einer nichtselbständigen oder selbständigen Arbeit oder aus einem Gewerbebetrieb, Erträge von über 51 EUR aus Kapitalvermögen, „BAföG“, Studienbeihilfe, Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld, Krankengeld, Unterhaltsleistungen des – auch geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden – Ehegatten des Kindes), müssen Sie dies der Familienkasse anzeigen. Sofern Ihr Kind Einnahmen in der Vergangenheit hatte, müssen Sie die Familienkasse hierüber ebenfalls unterrichten; bereits mitgeteilte Einnahmen brauchen nicht nochmals angezeigt zu werden.“

Die Rückseite des Schreibens (Bl. 33 der Streitakte) enthielt Hinweise zu den Voraussetzungen der Kindergeldgewährung, nicht jedoch zu Einnahmen und Bezügen. Die Klägerin übersandte daraufhin am 24. Juni 2002 eine ausgefüllte Ausbildungsbescheinigung (Bl. 54 der Kindergeldakte, Band I). Angaben zu den Einkünften und Bezügen ihres Sohnes B… machte sie nicht.

Die Beklagte gewährte für den Sohn B… weiterhin Kindergeld, mit Ausnahme jedoch des Zeitraums Oktober 2002 bis September 2003, in dem B… den Zivildienst absolvierte. In der Folgezeit übersandte die Klägerin bzw. ihr Sohn B… zwar die erforderlichen Ausbildungsbescheinigungen, weiterhin aber keinen Nachweis über die Einnahmen und Bezüge. Diese hatte die Beklagte allerdings auch nicht angefordert.

Im Hinblick auf die Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes C… übersandte die Beklagte der Klägerin am 17. April 2003 eine Mitteilung über die Voraussetzungen für die Fortzahlung des Kindes ab Juli 2003 (Bl. 34 der Streitakte). In der Mitteilung hieß es u.a:

„Ferner dürfen die Einkünfte und Bezüge Ihres Kindes einen bestimmten Grenzbetrag nicht überschreiten. Näheres enthält Nr. 3 des beigefügten Merkblattes über Kindergeld.

Hat Ihr Kind – ggf. neben einer Ausbildungsvergütung – Einnahmen sind diese der Familienkasse anzuzeigen. Zu den Einnahmen zählen insbesondere solche aus Ferien- und Nebenbeschäftigungen, aus Kapitalvermögen sowie „BAföG“, Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld.“

Die Klägerin übersandte eine Ausbildungsbescheinigung für C… vom 20. Mai 2003 (Bl. 68 der Kindergeldakte, Band I), so dass sie für ihren Sohn C… seit Vollendung dessen 18. Lebensjahres ab Juli 2003 bis Januar 2007 Kindergeld erhielt (Wiederbewilligungsverfügung vom 25. Juni 2003, Blatt 69 der Kindergeldakte). Einkünfte und Bezüge des Kindes C… teilte sie der Beklagten mangels Aufforderung nicht mit.

Die Klägerin reichte am 17. Oktober 2006 eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen für ihren Sohn C… ein, der das Oberstufenzentrum für … besuchte. Darin gab sie eine monatliche Halbwaisenrente von € 858,52 für 2005 und 2006 sowie eine monatliche Pensionsrente – gemeint war ein Waisengeld sowie eine Gewinnrente – von € 105,16 für die Jahre 2005 und 2006 an. Weiterhin übersandte sie am 14. Juni 2007 eine entsprechende Erklärung für ihren Sohn B… und erklärte gleich hohe Einkünfte wie für C… (Bl. 87 und 88 sowie Bl. 162 der Kindergeldakte).

Auf Anfrage reichte die Klägerin die Rentenbescheide für ihre Kinder ein und erklärte telefonisch am 23. Juli 2009 [so der Datumsstempel in der Akte auf Bl. 94 der Kindergeldakte – es dürfte sich aber um den 23. Juli 2007 handeln, da der spätere Aufhebungsbescheid aus dem Jahr 2008 datiert], dass der Unfall des Vaters der Kinder, der zum Bezug der Halbwaisenrente sowie des Waisengelds geführt hatte, 1995 geschehen sei; seitdem hätten die Kinder die genannten Renten bezogen (Bl. 94 der Kindergeldakte). Im weiteren Verlauf des Verfahrens reichte die Klägerin Erklärungen zu den Werbungskosten der Jahre 2001 bis 2007 ein, auf die der Senat Bezug nimmt (Bl. 105 ff. der Kindergeldakte).

Die Beklagte hob mit Bescheiden vom 20. November 2008 die Kindergeldfestsetzung für B… für die folgenden Zeiträume auf und forderte die in den Klammern genannten Beträge zurück:

März 2001 bis Dezember 2001 (€ 1.380,50),
Januar 2002 bis September 2002 (€ 1.386,- für den Zeitraum „Januar 2003 bis September 2003“),
Oktober 2003 bis Dezember 2003 (€ 462,-),
Januar 2004 bis Dezember 2004 (€ 1.848-),
Januar 2005 bis Dezember 2005 (€ 1.848-),
Januar 2006 bis Dezember 2006 (€ 1.848-) und
Januar 2007 bis Dezember 2007 (€ 924,- für den Zeitraum bis Juni 2007).

Die Beklagte hob außerdem mit Bescheiden vom 20. November 2008 die Kindergeldfestsetzung für C… für die folgenden Zeiträume auf und forderte die in den Klammern genannten Beträge zurück:

• Juli 2003 bis Dezember 2003 (€ 924,-),
• Januar 2004 bis Dezember 2004 (€ 1.848-),
• Januar 2005 bis Dezember 2005 (€ 1.848-),
• Januar 2006 bis Dezember 2006 (€ 1.848-) sowie
• ab Januar 2007 (€ 154,-).

Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, dass eine Änderung bzw. Aufhebung der Kindergeldfestsetzung verfahrensrechtlich unzulässig sei, weil sie ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen sei und lediglich Änderungen hätte mitteilen müssen. Seit 2001 hätten sich aber keine Änderungen ergeben, da ihre Kinder durchgehend Halbwaisenrente bezogen habe.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 04. Juni 2009 wies die Beklagte die Einsprüche überwiegend als unbegründet zurück. Die Einkünfte und Bezüge lägen in allen streitigen Zeiträumen unter Berücksichtigung der Werbungskosten über der Einkünftegrenze von € 7.680,-. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Kindergelds sei § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz – EStG –; für die Aufhebung des Kindergelds für B… für den Zeitraum März 2001 bis Dezember 2001 sei Rechtsgrundlage der § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung – AO –.

Zugleich berichtigte die Beklagte in der Einspruchsentscheidung für den Zeitraum Januar 2002 bis September 2002 für B… den Rückforderungszeitraum von „Januar 2003 bis September 2003“ in „Januar 2002 bis September 2002“ und stützte die Berichtigung auf § 129 AO.

Des Weiteren hob die Beklagte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind C… für den Zeitraum November bis Dezember 2006 sowie die Rückforderung des Kindergelds in Höhe von € 308,- auf, weil die Klägerin im Oktober 2006 die Einkünfte und Bezüge für C… angezeigt habe; die Weiterzahlung des Kindergelds für die Monate November und Dezember 2006 sei von der Klägerin nicht zu vertreten.

Schließlich hob die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2009 auch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind C… für den Januar 2007 und die Rückforderung des Kindergelds in Höhe von € 154,- auf.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften eine Rückforderung des Kindergeldes nicht zuließen. Weder handle es sich bei dem Bezug der Halbwaisenrenten um eine neue Tatsache im Sinne von § 173 AO, noch sei der Bezug der Halbwaisenrenten als rückwirkendes Ereignis anzusehen; denn die Halbwaisenrenten seien schon vor dem Entstehen des strittigen Kindergeldanspruchs bezogen worden.

 Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen lasse sich auch nicht auf § 70 Abs. 2 EStG stützen. Denn die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei auch nicht nach § 70 Abs. 3 EStG möglich, weil danach nur für die Zukunft geändert werden könne.

 § 70 Abs. 4 EStG a. F. scheide als Änderungsnorm jedenfalls für 2001 bereits deshalb aus, weil diese Norm gem. Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl. 2001, 2074) erst mit Wirkung ab 01. Januar 2002 in Kraft getreten sei. Im Übrigen setze § 70 Abs. 4 EStG a. F. voraus, dass die zu korrigierende Kindergeldfestsetzung vor Beginn oder während des fraglichen Kalenderjahres als Prognoseentscheidung über die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr ergangen sei (vgl. BFH, Urteil vom Urteil vom 28. Juni 2006, Az. III R 13/06). Ein derartiger Fall liege nicht vor. § 70 Abs. 4 EStG a. F. habe keinen Vorrang vor § 173 AO. Vielmehr fänden die Grundsätze, die einer Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entgegenstünden, auch auf die Vorschrift des § 70 Abs. 4 EStG a. F. Anwendung (vgl. Sächsisches FG, Urteil vom 02. April 2003, Az. 1 K 1491/99, Juris).
Die Klägerin habe nicht das von der Beklagten genannte Muster 002/09 erhalten, sondern das Muster 003/00, das dem Anschreiben der Beklagten vom 15. Dezember 2000 beigefügt gewesen sei. In diesem Muster sei die Anzeigepflicht für bestimmte Einnahmen des Kindes beschrieben worden, nicht aber der Bezug einer Waisenrente oder Halbwaisenrente. In einem weiteren Schreiben vom 03. Juni 2002 betreffend das Kind B… habe die Familienkasse ebenfalls auf die Mitteilungspflicht für die dort aufgeführten Einnahmen aufmerksam gemacht. Der Bezug einer Waisen- oder Halbwaisenrente sei aber ebenfalls nicht erwähnt worden.
Hinsichtlich des Kindes C… habe die Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsamt E…) mit Schreiben vom 17. April 2003 darüber informiert, dass im Einzelnen aufgeführte Einnahmen mitzuteilen seien. Eine Waisen- bzw. Halbwaisenrente sei dort aber ebenfalls nicht aufgeführt. Die Klägerin hat die genannten Schreiben der Familienkasse vom 15. Dezember 2000, 03. Juni 2002 und 17. April 2003 beigefügt; der Senat nimmt auf die Schreiben Bezug (Bl. 31 ff. der Streitakte).
Der Grund, weshalb die Klägerin erstmalig im Oktober 2006 den Rentenbezug für C… der Beklagten mitgeteilt habe, beruhe auf dem Schreiben der Familienkasse vom 19. September 2006 (Muster 001/06 Formular 6d). Aus den rückseitigen Hinweisen dieses Anschreibens habe die Klägerin erstmals entnehmen können, dass auch eine Halbwaisenrente anzugeben sei. Folglich habe die Klägerin die entsprechenden Informationen bezüglich ihres Sohnes C… übermittelt.

 Damit komme eine rückwirkende Anwendung auf zurückliegende Kalenderjahre nicht in Betracht. Auch scheide eine Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO aus.

 Die Klägerin beantragt,

 die nachfolgend aufgeführten Bescheide über die Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld aufzuheben:
1. Bescheid vom 20. November 2008, F26 - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Januar 2007 bis Dezember 2007 über € 924,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 04. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
2. Bescheid vom 20. November 2008, F26 - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Januar 2006 bis Dezember 2006 über € 1.848,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 04. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
3. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 über € 1.848,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 05. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
4. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Januar 2004 bis Dezember 2004 über € 1.848,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 05. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
5. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Oktober 2003 bis Dezember 2003 über € 462,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 05. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
6. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum Januar 2002 bis September 2002 über € 1.386,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 08. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
7. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind B… für den Zeitraum März 2001 bis Dezember 2001 über € 1.380,50, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 08. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
8. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind C… für 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 09. Juni 2009 für den Zeitraum Januar 2006 bis Oktober 2006 über € 1.540,-, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
9. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind C… für den Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 über € 1.848,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 09. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
10. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind C… für den Zeitraum Januar 2004 bis Dezember 2004 über € 1.848,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 09. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. …;
11. Bescheid vom 20. November 2008, FG - KG-Nr. …, betreffend das Kind C… für den Zeitraum Juli 2003 bis Dezember 2003 über € 924,-, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse E… vom 08. Juni 2009, Geschäftszeichen F1.7-KG-Nr. ….

 Die Beklagte beantragt,

 die Klage abzuweisen.

 Sie hält § 70 Abs. 4 EStG a. F. für die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung. § 70 Abs. 4 EStG a. F. habe Vorrang vor § 173 AO. Die Klägerin habe erstmalig im Oktober 2006 mitgeteilt, dass ihr Kind C… eine Rente beziehe; tatsächlich hätten aber beide Kinder bereits seit 1996 eine Rente bezogen.
Zwar sei seit 1996 hinsichtlich der Rentenzahlung keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten; jedoch habe die Beklagte der Klägerin im Dezember 2000 (zwei Monate vor Vollendung des 18. Lebensjahres von B…) eine Information zu den Anspruchsvoraussetzungen für ein Kind über 18 Jahren zugesandt. Im April 2003 habe die Klägerin die gleiche Information für C… erhalten, weil das Kind vor der Vollendung des 18. Lebensjahres gestanden habe. In beiden Fällen habe die Klägerin die Einkünfte und Bezüge ihrer Kinder nicht mitgeteilt. Erstmalig im Oktober 2006 habe die Klägerin der Familienkasse den Rentenbezug C… bekannt gegeben – allerdings ohne Rentenbescheid oder Angabe, seit wann die Rente gezahlt werde. Die Klägerin sei damit ihrer Mitteilungspflicht bis September 2006 nicht nachgekommen, obwohl sie seit Dezember 2000 über die Anspruchsvoraussetzungen für Kinder über 18 Jahre informiert gewesen sei. Nach Auffassung der Beklagte sei von einer Steuerhinterziehung auszugehen, bei der die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 10 Jahre betrage.

 Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Der zunächst zuständige 8. Senat des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg hat dem Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung mit Beschluss vom 15. Juli 2009 stattgegeben, da die Beklagte die Kindergeldakten trotz gerichtlicher Aufforderung nicht vorgelegt hatte (Az. 8 V 8189/09).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands verweist der Senat auf die von der Klägerin beigefügten Anlagen sowie auf die Erklärungen und Mitteilungen der Klägerin in den beiden Kindergeldakten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide sowie die Einspruchsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Soweit die Aufhebung und Rückforderung Kindergeld ab einschließlich 2004 betrifft, ist § 70 Abs. 4 EStG a. F. die maßgebliche Rechtsgrundlage (s. unter 1. der Gründe); § 70 Abs. 4 EStG a. F. scheidet aber als Rechtsgrundlage für die Aufhebung und Rückforderung des Kindergelds für den Zeitraum 2001 bis einschließlich 2003 aus (s. unter 2. der Gründe). Für die Zeiträume bis einschließlich 2003 ist vielmehr § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 AO die zutreffende Rechtsgrundlage (s. unter 3. Buchst. a und b der Gründe). Verjährung ist wegen der Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO nicht eingetreten (s. unter 3. Buchst. c der Gründe).

 1. Die Aufhebung und Rückforderung des Kindergelds für die Kinder B… und C… für die Zeiträume Januar 2004 bis Dezember 2007 (B…) bzw. Januar 2004 bis Oktober 2006 (C…) ist rechtmäßig. Die Beklagte durfte die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG a. F. aufheben.
a) Nach § 70 Abs. 4 EStG a. F. ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a. F. über- oder unterschreiten.
Die Korrekturmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG a. F. ist erforderlich, weil das Kindergeld im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (vgl. § 31 Satz 3 EStG), ein Anspruch darauf aber grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a. F.) nicht überschreiten (vgl. BFH, Urteil vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BStBl. II 2008, 621).
b) Nach der Rechtsprechung des BFH rechtfertigt § 70 Abs. 4 EStG a. F. eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids aber nur, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben. Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des § 70 Abs. 4 EStG a. F. sowie der Gesetzessystematik (vgl. BFH, Urteile vom 16. Oktober 2012 XI R 46/10, BFH/NV 2013, 555; vom 28. November 2006 III R 6/06, BStBl. II 2007, 717).
Wird zu Beginn oder während des Kalenderjahres Kindergeld für ein volljähriges Kind beantragt, hat die Familienkasse vor Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes auf Grund der bis dahin bekannten Tatsachen die voraussichtlich im Kalenderjahr anfallenden Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln. Wegen der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Einkünfte und Bezüge muss die Familienkasse die Möglichkeit haben, einen positiven oder negativen Kindergeldbescheid zu ändern, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge abweichend von der Prognose der Familienkasse auf Grund der bei der Prognoseentscheidung bekannten Tatsachen den maßgebenden Jahresgrenzbetrag überschreiten bzw. nicht überschreiten (BFH, Urteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BStBl. II 2007, 717). Eine Prognose (Vorhersage) wird hinsichtlich der im Lauf des Kalenderjahres erst zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten des Jahresgrenzbetrages bezieht sich somit auf von der Prognose abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrages der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf Änderungen, die auf nachträglich ergangener Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen (BFH, Urteil vom 16. Oktober 2012 XI R 46/10, BFH/NV 2013, 555).
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte bei der jeweiligen Festsetzung des Kindergelds Prognoseentscheidungen über die voraussichtlich künftigen Einnahmen und Bezüge der beiden Kinder B… und C… getroffen und ist von Einnahmen und Bezügen in Höhe von Null ausgegangen. Eine Prognoseentscheidung setzt nicht voraus, dass die Familienkasse eine Berechnung erstellt und diese dokumentiert.
d) Tatsächlich lagen die Einnahmen und Bezüge, zu denen der nicht steuerpflichtige Teil der Halbwaisenrente (Kapitalanteil) gehört (vgl. BFH, Urteil vom 09. Februar 2012 III R 73/09, BStBl. II 2012, 463; Beschluss vom 17. September 2008 III B 97/07, BFH/NV 2009, 144) über der jeweiligen Einkünftegrenze des § 32 Abs. 4 EStG a. F. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Das Waisengeld von monatlich € 105,16 und die monatliche Halbwaisenrente von € 858,52 ergaben zusammen einen Betrag von jährlich € 11.564,16, der auch nach Abzug der Kostenpauschale, des Werbungskostenpauschbetrags gemäß § 9a Nr. 3 EStG und der geltend gemachten Ausbildungskosten den jeweiligen Höchstbetrag des § 32 Abs. 4 EStG a. F. von € 7.680,- deutlich überschritt. Wegen der weiteren Berechnungen verweist der Senat auf den Inhalt der einzelnen Einspruchsentscheidungen.
e) Auf Grund der Mitteilung der Klägerin am 17. Oktober 2006 über den Bezug einer Halbwaisenrente ihres Sohnes C… erfuhr die Beklagte nachträglich, dass C… – entgegen der ursprünglichen Prognose der Beklagten – Einnahmen und Bezüge erhielt, die über der Einkünftegrenze lagen. Durch die weiteren Unterlagen und das Telefonat wurde die Beklagte darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Halbwaisenrente bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt worden war und dass auch der Sohn B… eine Halbwaisenrente bezog. Auf diese Weise wurde der Beklagten nachträglich bekannt, dass die Einkünftegrenze des § 32 Abs. 4 EStG a. F. überschritten wurde.
Es handelt sich im Streitfall nicht um eine geänderte Rechtsauffassung der Beklagten hinsichtlich der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge, die zum Ausschluss des § 70 Abs. 4 EStG a. F. führen würde.
f) Ob eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen auch auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden könnte, kann der Senat dahingestellt lassen. Dies gilt auch für die Frage, ob diese Änderungsnorm der AO durch § 70 Abs. 4 EStG a. F. verdrängt wird (so FG Nürnberg, Urteil vom 19. März 2008 III 11/2006, Juris).
2. § 70 Abs. 4 EStG a. F. kommt jedoch nicht als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldbescheide bis einschließlich 2003 in Betracht. Bezüglich der Kindergeldfestsetzung für 2001 folgt dies daraus, dass § 70 Abs. 4 EStG a. F. noch nicht in Kraft getreten war und nicht rückwirkend galt (s. Buchst. a). Bezüglich der Kindergeldfestsetzungen für die Jahre 2002 und 2003 liegen zwar die Voraussetzungen des § 70 Abs. 4 EStG a. F. vor; jedoch war bei Erlass der angefochtenen Bescheide am 20. November 2008 insoweit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten (s. Buchst. b). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin keine Steuerverkürzung vorzuwerfen (s. Buchst. c).
a) Auf die Kindergeldfestsetzung für das Kind B… für den Zeitraum März bis Dezember 2001 ist § 70 Abs. 4 EStG a. F. nicht anwendbar. Denn die Vorschrift ist erst am 01. Januar 2002 in Kraft getreten (vgl. Art. 1 Nr. 21 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001, BGBl. I 2001, 2074) und ist nicht rückwirkend anwendbar (BFH, Urteil vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890).
b) Für die Zeiträume 2002 und 2003 liegen zwar die Voraussetzungen des § 70 Abs. 4 EStG a. F. vor, wie unter Abschn. 1. Buchst. a) bis e) ausgeführt worden ist. Insoweit ist aber bereits Verjährung eingetreten.
aa) Auf das im laufenden Kalenderjahr monatlich als Steuervergütung gezahlte Kindergeld im Sinne von § 31 Satz 3 EStG sind nach § 155 Abs. 4 AO die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften, und damit auch die Verjährungsvorschriften der AO, sinngemäß anzuwenden (vgl. auch BFH, Urteile vom 15. Juli 2010 III R 32/08, BFH/NV 2010, 2237; vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BStBl. II 2008, 371).
Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist im Regelfall vier Jahre. Sie beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
bb) Die Verjährung für das Kindergeld Dezember 2003 begann mit Ablauf des Jahres 2003, so dass die Verjährung am 01. Januar 2004 begann und am 31. Dezember 2007 endete. Eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für Dezember 2003 und davor liegende Zeiträume war bei Geltung der vierjährigen Festsetzungsverjährung somit nicht mehr möglich.
c) Der Klägerin ist weder leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen, die eine Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG a. F. auf den Zeitraum 2003 ermöglichen würde – nicht aber auf 2002 –, noch eine Steuerhinterziehung vorzuhalten.
aa) Der Senat kann offen lassen, ob überhaupt der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist. Da die Klägerin keine Erklärung über die Einkünfte ihrer Kinder abgegeben hat – hierzu offensichtlich auch nicht aufgefordert wurde –, hat sie jedenfalls weder unrichtige noch unvollständige Angaben im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gemacht. In Betracht kommt damit allenfalls der objektive Tatbestand durch pflichtwidriges Unterlassen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
bb) Jedenfalls ist der Klägerin aber kein (bedingter) Vorsatz vorzuwerfen, da eine Kenntnis der Klägerin über die Einzelheiten der Einkünftegrenze, insbesondere die Berücksichtigung des Kapitalanteils der Halbwaisenrenten als Bezüge, nicht unterstellt werden kann. Die von der Beklagten übersandten Mitteilungen enthielten exemplarisch verschiedene Einnahmen und Bezüge, wobei Renten aber nicht aufgeführt waren. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Mitteilung vom 15. Dezember 2000 als auch die Mitteilung vom 03. Juni 2002 ausschließlich den Begriff „Einnahmen“ verwendet, nicht aber den Begriff der Bezüge. Die Mitteilung vom 17. April 2003 hingegen weist zwar allgemein auf „Einkünfte und Bezüge“ hin, verweist aber sodann auf „Nr. 3 des beigefügten Merkblattes über Kindergeld“, das jedenfalls dem Senat nicht vorliegt (zum Verschuldensvorwurf bei fehlenden Hinweisen in den Mitteilungen der Familienkasse s. auch FG München, Urteil vom 14. Juni 2012 5 K 1058/10, Juris); die Klägerin wiederum hat unwidersprochen behauptet, dass eine Halbwaisenrente nicht aufgeführt sei, wobei unklar ist, ob sie sich auf den Inhalt der – dem Senat vorliegenden – Mitteilung oder auf den Inhalt des unbekannten Merkblattes bezieht.
Gegen einen Vorsatz spricht im Übrigen, dass die Klägerin auf den ersten konkreten Hinweis der Beklagten, dass Rentenbezüge beim Kindergeld zu berücksichtigen seien (Schreiben der Beklagten vom 19. September 2006), den Bezug der Halbwaisenrente offenbart hat und auch den Beginn der Rentenbezüge der Beklagten mitgeteilt hat. Hätte sie Kindergeld erschleichen wollen, wäre diese Mitteilung der Klägerin kontraproduktiv gewesen.
cc) Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne von § 378 AO verneint der Senat. Eine leichtfertige Steuerverkürzung begeht gemäß § 378 Abs. 1 Satz 1 AO, wer als Steuerpflichtiger oder Kindergeldberechtigter einer der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Leichtfertigkeit im Sinne von § 378 Abs. 1 Satz 1 AO bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Beschluss vom 17. März 2000 VII B 33/99, BFH/NV 2000, 1180) einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen abstellt. Ein derartiges Verschulden liegt vor, wenn der Betreffende nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtwertung des Verhaltens des Klägers erforderlich (FG Hamburg, Urteil vom 18. Juni 2012 6 K 41/12, Juris, mit weiteren Nachweisen; s. auch Klein/Jäger, AO, 11. Aufl., § 378 Rz. 20).
Angesichts der nach Aktenlage unzureichenden Information über die Berücksichtigung von Rentenbezügen liegen nicht genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin auf Grund ihrer individuellen Fähigkeiten hätte erkennen können, dass der Kapitalanteil der Renten zu den Bezügen im Sinne von § 32 Abs. 4 EStG a. F. gehört und damit zu einer Überschreitung der Einkünftegrenze führen kann.
3. Für die Jahre 2001 bis 2003 ist eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung aber nach § 175 Abs. 2 AO bzw. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO möglich; dies gilt nicht nur für das Jahr 2001 (s. Buchst. a), sondern auch für die Jahre 2002 und 2003, da in diesen beiden Jahren § 175 AO neben dem bereits in Kraft getretenen § 70 Abs. 4 EStG a. F. anwendbar blieb (s. Buchst. b). Verjährung ist für diese Jahre wegen der Anlaufhemmung nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO nicht eingetreten (s. Buchst. c).
a) § 175 AO war bis einschließlich 2001 anwendbar, wenn sich nachträglich höhere Einkünfte und Bezüge ergaben.
aa) Vor dem Inkrafttreten des § 70 Abs. 4 EStG a. F. – d.h. bis einschließlich 2001 – konnte die Familienkasse eine vor Beginn oder während eines Kalenderjahres erlassene Festsetzung von Kindergeld nach § 175 AO rückwirkend aufheben, wenn abzusehen war oder bekannt wurde, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den (Jahres-) Grenzbetrag überschreiten werden bzw. überschritten haben (BFH, Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BStBl. II 2002, 84; vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, BStBl. II 2002, 86). Dabei ließ der BFH offen, ob sich die Rückwirkung der nachträglichen Erkenntnis über die tatsächliche Höhe der Einnahmen und Bezüge aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO oder aber aus § 175 Abs. 2 AO ergab (kritisch zum Offenlassen: Greite, NWB 41/2002, F. 2, 7989, 7992).
bb) Die nachträgliche Erkenntnis der Beklagten über die Höhe der Einkünfte und Bezüge der beiden Kinder im Jahr 2006 wirkt damit auf das Jahr 2001 zurück. Zwar stellt die nachträgliche Kenntnis von Tatsachen grundsätzlich kein rückwirkendes Ereignis dar, sondern kann allenfalls als nachträgliches Bekanntwerden neuer Tatsachen im Sinne von § 173 AO gewürdigt werden. Im Kindergeld ergibt sich aber eine Rückwirkung auf Grund der von der Familienkasse zu treffenden Prognose, die durch die tatsächlich erzielten Einkünfte (rückwirkend) ersetzt wird. Der Senat folgt damit nicht der Auffassung des Sächsischen FG, das bei nachträglicher Kenntniserlangung einer Halbwaisenrente die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ausschließt (Sächsisches FG, Urteil vom 02. April 2003 1 K 1491/99 Kg, FGReport 2003, 7).
cc) Unabhängig davon, ob § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO oder § 175 Abs. 2 AO die zutreffende Korrekturnorm ist, gilt in beiden Fällen die Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO, auch wenn sich dieser nach seinem Wortlaut nur Abs. 1 Nr. 2 bezieht; denn Abs. 1 Nr. 2 wird durch die Regelung des Abs. 2 erweitert, so dass auch die Anlaufhemmung für Fälle des Abs. 2 gilt (ebenso: von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 175 AO Rz. 410).
b) Die Korrekturnorm des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sowie des § 175 Abs. 2 AO galt auch in den Jahren ab 2002 und war damit in den Streitjahren 2002 und 2003 neben § 70 Abs. 4 EStG a. F. anwendbar.
aa) Ab 2002 wurde § 70 Abs. 4 EStG a. F. eingeführt, um insbesondere die Fälle einer nachträglichen (besseren) Erkenntnis besser erfassen zu können (BTDrucks. 14/6160, 14; s. hierzu Greite, NWB 41/2002, F. 2, 7989, 7992, der die Konkurrenzfrage offen lässt). Eine ausdrückliche Konkurrenzregelung besteht zwar nicht. Der Senat geht aber davon aus, dass § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 AO neben § 70 Abs. 4 EStG a. F. anwendbar ist. Der Senat leitet aus der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 70 Abs. 4 EStG a. F. (BTDrucks. 14/6160, 14) ab, dass § 70 Abs. 4 EStG in der damaligen Fassung die Regelung des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO bzw. § 175 Abs. 2 AO nicht verdrängen sollte; dies schließt der Senat daraus, dass die Neuregelung eine „Ergänzung“ sein sollte, die die Korrektur der Kindergeldfestsetzung „sicherstellt“. Soweit daher im Einzelfall § 70 Abs. 4 EStG a. F. nicht anwendbar ist, kann die Familienkasse auf § 175 AO zurückgreifen.
Für diese Ergebnis spricht auch die Rechtsprechung des BFH: Der BFH hat zwar im Verhältnis von § 70 Abs. 2 EStG zu § 175 AO offen gelassen, welche der beiden Normen vorrangig ist (BFH, Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BStBl. II 2002, 84; vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, BStBl. II 2002, 86; vom 27. Oktober 2004 VIII R 43/04, HFR 2005, 554; vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). In seinem Urteil vom 16. Oktober 2012 (XI R 46/10, BFH/NV 2013, 555) ist der BFH aber von einer Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO neben § 70 Abs. 4 EStG a. F. ausgegangen und hat eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nur deshalb abgelehnt, weil diese Norm nicht der Korrektur von Rechtsanwendungsfehlern dient. Im Übrigen hat der BFH die Regelungen des § 70 Abs. 2 bis 4 EStG als ergänzende Korrekturvorschriften für Kindergeldfestsetzungen bezeichnet, die insbesondere der Tatsache Rechnung tragen, dass Kindergeldfestsetzungen Dauerverwaltungsakte darstellen; die allgemeinen Regelungen über die Steuerfestsetzung würden hierdurch nur insoweit verdrängt, als das EStG wie in § 70 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 EStG speziellere Regelungen enthalte (BFH, Urteil vom 08. Dezember 2011 III B 72/11, BFH/NV 2012, 379). Im Übrigen hält der BFH auch die Korrekturnorm des § 173 AO neben § 70 Abs. 3 EStG für anwendbar (BFH, Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BStBl. II 2002, 174).
cc) Gilt damit auch in den beiden Jahren 2002 und 2003 die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 AO, konnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung auch insoweit aufheben. Die Verjährung war wegen der Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO nicht eingetreten (s. oben zu Abschn. 3 Buchst. a, cc).
4. Die Klägerin ist nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zur Rückzahlung verpflichtet. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung eine Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages, wenn eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund bezahlt oder zurückgezahlt worden ist.
Auf Grund der Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen ist insoweit der rechtliche Grund entfallen, so dass eine Rückzahlungspflicht der Klägerin besteht.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es sich bei § 70 Abs. 4 EStG a. F. um auslaufendes Recht handelt und daher die Klärungsbedürftigkeit zu verneinen ist.