Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.10.2010 | |
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Aktenzeichen | 6 Sa 1086/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 12 Abs 5 TVÜ-Bund, Art 3 Abs 1 GG |
§ 12 Abs. 5 TVÜ-Bund wonach bei Höhergruppierungen der Unterschiedsbetrag zum bisherigen Entgelt auf den nach Abs. 1 zu zahlenden Strukturausgleich angerechnet wird, findet keine Anwendung auf eine persönliche Zulage bei vorübergehender Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.04.2010 – 50 Ca 22368/09 – wird auf Ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin steht in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, auf das kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes für den Bund Anwendung finden.
Gemäß Schreiben der Beklagten vom 04. September 2007 (Ablichtung Bl. 4 d. A.) erhielt die Klägerin ab 01. Oktober 2007 einen Strukturausgleich in Höhe von monatlich 50,00 € brutto. Außerdem zahlte die Beklagte ihr wegen probeweiser Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit für die Zeit von Juli bis Dezember 2008 eine persönliche Zulage in Höhe von 4,5 % ihres Tabellenentgelts, die sich damit auf monatlich 109,77 € brutto belief.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2009 teile die Beklagte der Klägerin mit, die persönliche Zulage versehentlich nicht auf ihren Strukturausgleich angerechnet zu haben, und behielt deshalb 273,54 € vom Entgelt der Klägerin für November 2009 ein.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte verurteilt, diesen Betrag nebst Verzugszinsen an die Klägerin zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der eindeutige Wortlaut des § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund, wonach der Strukturausgleich auf Höhergruppierungen anzurechnen sei, spreche gegen einer Anrechnung im Falle einer nur vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit. Eine solche Anrechnung sei zwar nach Sinn und Zweck der Regelung ebenfalls möglich, aber nicht zwingend.
Gegen dieses ihr am 29. April 2010 richtet sich die am 14. Mai 2010 eingelegte und am 19. Juli 2010 begründete Berufung der Beklagten. Sie meint, § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund enthalte eine unbewusste Regelungslücke, da es an einem tarifgeschichtlichen Beleg für eine bewusste Regelung fehle. Das Bundesministerium des Inneren habe in einem Rundschreiben vom 10. August 2007 in Vertretung der Bundesrepublik Deutschland als tarifschließender Partei darauf hingewiesen, dass Entgeltsteigerungen wegen vorübergehender Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit für diese Zeit ebenfalls auf den Strukturausgleich anzurechnen seien, und damit den Willen der Tarifvertragsparteien ausgedrückt. Eine Benachteiligung der Mitarbeiter, die endgültig höhergruppiert würden, verletze bereits die Gesetze der Logik und stelle zudem eine sachwidrige Ungleichbehandlung dar. Zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer wie vorliegend die Klägerin endgültig auf der höherwertigen Stelle verbleibe, stelle es kein vernünftiges und praktisch brauchbares Ergebnis dar, wenn für die erste Zeit keine Anrechnung des höheren Entgelts auf den Strukturausgleich erfolge.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt den Angriffen der Berufung entgegen und verweist darauf, dass innerhalb des Tarifgefüges strikt zwischen dauerhafter und nur vorübergehender Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit unterschieden werde. Es sei vorrangig Sache der Tarifvertragsparteien, offene Fragestellungen zu regeln.
Wegen der weitern Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
1. Die Berufung ist unbegründet.
1.1 Die Klägerin hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung restlichen Entgeltes für November 2009 in Höhe von 273,54 €. Dieser Anspruch ist nicht gemäß §§ 387, 389 BGB durch Aufrechnung der Beklagten mit einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB erloschen. Die Zahlung des Strukturausgleichs gem. § 12 Abs. 1 TVÜ-Bund in Höhe von 50,00 € brutto monatlich für die Monate Juli bis Dezember 2008 ist nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil die der Klägerin in dieser Zeit ebenfalls gezahlte persönliche Zulage nicht gemäß § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund darauf anzurechnen war, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
1.1.1 Auch wenn der TVÜ-Bund im vorliegenden Fall auf das Arbeitsverhältnis der Parteien lediglich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet, richtet sich seine Auslegung doch nach den Grundsätzen über die Auslegung von Gesetzen (dazu BAG, Urteil vom 25.10.1995 – 4 AZR 478/94 – TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 57 zu I 1 c aa der Gründe). Durch die Bezugnahme haben die Parteien gem. ihrer übereinstimmenden Interessenlage erreichen wollen, dass ihr Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht so abgewickelt wird, als bestünde beiderseitige Tarifbindung gem. § 3 Abs. 1 TVG (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.1981 – 4 AZR 312/79 – BAGE 37, 228 = AP BAT § 4 Nr. 8).
1.1.2 Der Wortlaut des § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund, wonach bei Höhergruppierungen der Unterschiedsbetrag zum bisherigen Entgelt auf den Strukturausgleich angerechnet wird, ist eindeutig. Er lässt keinen Raum für eine erläuternde Auslegung dahin, dass eine solche Anrechnung auch im Falle der Zahlung einer persönlichen Zulage für die Zeit der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit gem. § 14 TVöD zu erfolgen hat, weil eine Höhergruppierung gem. § 17 TVöD gerade deren dauerhafte Übertragung voraussetzt. Auch dem Kontext aller Vorschriften des TVÜ-Bund lässt sich nichts für einen Willen der Tarifvertragsparteien entnehmen, die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit wie eine Höhergruppierung zu behandeln.
Die bloße Äußerung einer Rechtsansicht in einem Rundschreiben des Bundesministeriums des Inneren an die nachgeordneten Behörden vermag dies nicht zu ersetzen. Deshalb war auch kein Raum für die Einholung einer Tarifauskunft. Ein für die Normadressaten aus dem Tarifvertrag oder dessen Historie nicht erkennbarer Wille der Tarifvertragsparteien ist unbeachtlich. Zudem besteht bei eindeutigem Wortlaut ohnehin keine Möglichkeit für die Feststellung eines hiervon abweichenden Willens der Tarifvertragsparteien (BAG, Urteil vom 15.12.1983 – 6 AZR 606/80 – AP BUrlG § 13 Nr. 14 zu 2 der Gründe).
1.1.3. Für eine ergänzende Auslegung zum Zwecke der Lückenschließung, die sich der Sache nach als Analogie darstellt, ist ebenfalls kein Raum. Eine solche müsste gem. Art. 3 Abs. 1 GG, der auch für Tarifverträge gilt (BAG, Urteil vom 16.08.2005 – 9 AZR 378/04 – AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8 zu B II 3 a der Gründe), geboten sein, weil es anderenfalls zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung käme. Dies lässt sich im vorliegenden Fall indessen nicht feststellen.
Zwar mag es zunächst unter dem Aspekt der Wertigkeit überraschen, dass eine Arbeitsleistung im Ergebnis höher vergütet wird, wenn sie lediglich probe- oder vertretungsweise und damit im Zweifel eher schlechter erbracht wird, während es zu einer Vergütungsminderung kommt, sobald sie dem Arbeitnehmer dauerhaft übertragen worden ist. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die probe- oder vertretungsweise Leistung einer ungewohnten Tätigkeit für den Arbeitnehmer mit besonderen Belastungen verbunden ist und dass der Arbeitgeber seinerseits ein Interesse daran hat, sich nicht durch eine sofortige Vertragsänderung dauerhaft zu einer entsprechenden Beschäftigung zu verpflichten bzw. bloß einen personellen Engpass zu überbrücken. Hinzu kommt, dass durch eine Höhergruppierung eine Art Statuswechsel bewirkt wird und damit der Anlass für die Zahlung eines Strukturausgleichs endgültig entfällt. Dem entspricht es, dass der Strukturausgleich auch im Falle einer Herabgruppierung gem. § 17 Abs. 4 Satz 4 TVöD, § 6 Abs. 2 Satz 3 TVÜ-Bund endgültig wegfallen soll, weil die tariflichen Regelungen keine Berücksichtigung eines neuen, fiktiven Exspektanzverlustes in der niedrigeren Entgeltgruppe eröffnen (dazu Rehm, TVöD, 30. Aktualisierung 6/2009, § 12 R 62).
Schließlich steht einer analogen Anwendung des § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund entgegen, dass diese auf die Beseitigung einer Ungleichbehandlung zweier Arbeitnehmergruppen zugunsten der Beklagten als einer nachgeordneten Bundesbehörde gerichtet wäre, für die die Bundesrepublik Deutschland den TVÜ-Bund gleichsam als Haustarifvertrag geschlossen hat, was indessen nicht dem Zweck des Art. 3 Abs. 1 GG entspräche.
1.2 Verzugszinsen stehen der Klägerin gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB, § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD zu.
2. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Auslegung des § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund zuzulassen.