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Entscheidung 4 Sa 1357/14


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 4. Kammer Entscheidungsdatum 22.10.2014
Aktenzeichen 4 Sa 1357/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 613a BGB, Art 3 EGRL 23/2001

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. Februar 2013 teilweise abgeändert:

1. Das Versäumnisurteil vom 11. Mai 2012 wird hinsichtlich eines weiteren Betrags in Höhe von 47,53 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.2.2012 aufrechterhalten.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 47,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2013 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 334,06 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Januar 2013 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch um die Zahlung von 428,59 EUR brutto. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Differenz der nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel Berlin-West für das Jahr 2010 geltenden Beträgen für Sonderzahlungen bzw. den Bruttostundenlohn im Vergleich zu den nach dem Tarifvertrag für die Jahre 2011 bzw. 2012 geltenden Beträgen.

Der Kläger war ursprünglich bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Großversandhaus Q. Sch. KG Fürth/Bayern seit dem 1.3.1991 beschäftigt. In dem entsprechenden Arbeitsvertrag war eine Geltung der Tarifverträge des Einzelhandels Gebiet Berlin-Ost vereinbart. Im Rahmen eines Betriebsübergangs ging das Arbeitsverhältnis zum 01.01.1999 auf die U. GmbH über, die seit dem 1.3.2000 unter P. GmbH Technischer Kundendienst firmierte. Im Zusammenhang mit einer Versetzung wurde dem Kläger seitens der P. GmbH Technischer Kundendienst mit Schreiben vom 26.11.2004 ua. mitgeteilt:

„sonstige Änderungen
Ab 01.12.2004 gelten die Tarifverträge Einzelhandel Berlin-West“

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens vom 26.11.2004 wird auf Bl. 4 d. A. (Rückseite) verwiesen.

Nachfolgend zahlte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die jeweils gültigen Stundenlöhne entsprechend dem jeweils aktuellen Tarifvertrag des Einzelhandels Berlin-West.

Unter dem 31.3.2006 wurde dem Kläger ein Änderungsangebot hinsichtlich seines Arbeitsplatzes unterbreitet, das der Kläger annahm. In dem Anforderungsprofil für die neue Stelle des Klägers, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 66 d. A. verwiesen wird, war folgendes aufgeführt:

„Vergütung:
entsprechend Tarifvertrag Einzelhandel“

Mit Wirkung zum 1.10.2010 fand ein Betriebsteilübergang auf die nicht tarifgebundene Beklagte statt.

Soweit zweitinstanzlich noch rechtshängig hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 428,59 EUR brutto begehrt. Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz der Sonderzuwendung entsprechend dem Tarifvertrag für den Einzelhandel Berlin-West für das Jahr 2010 und der Sonderzuwendung entsprechend dem Tarifvertrag für den Einzelhandel Berlin-West für das Jahr 2011 iHv. 47,43 EUR brutto, dem 50 %igen Urlaubsgeld ausgehend von einer tariflichen Vergütung Stand 01.01.2012 iHv. 47 EUR brutto, einer Sonderzahlung für das Jahr 2012 iHv. 79,26 EUR, der Differenz des gestiegenen tariflichen Stundenlohns für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.12.2012 iHv. 204,80 EUR brutto sowie einer tarifliche Einmalzahlung iHv. 50 EUR brutto.

Das Arbeitsgericht hat die Klage in Höhe eines Betrags von 428,59 EUR brutto unter teilweiser Aufhebung eines gegen die Beklage ergangen Versäumnisurteils abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz gefasst – ausgeführt, bei der vor dem 01.01.2002 vereinbarten arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel handele es sich um eine Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Klausel sei auch nicht nach dem 31.12.2001 zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Parteien gemacht worden. Deswegen habe der Kläger ab dem Betriebsübergang auf die Beklagte keinen Anspruch auf Dynamisierung des Arbeitsentgelts gemäß nachfolgender Tariflohnerhöhung. Das Arbeitsgericht hat die Berufung für den Kläger zugelassen.

Gegen das ihm am 28.05.2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit am 20.06.203 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit beim Landesarbeitsgericht am 26.07.2013 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, die Bezugnahmeklausel auf die Tarifverträge des Einzelhandels sei durch die personelle Maßnahme vom 01.12.2004 zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht worden. Die personelle Maßnahme sei ein Angebot zur Vertragsänderung gewesen, das der Kläger zumindest konkludent angenommen habe. Es habe auch dem wirklichen Willen der Parteien entsprochen nach der personellen Maßnahme im Jahr 2004 den Tarifvertrag Einzelhandel Berlin-West zukünftig dynamisch anzuwenden. Dies belege auch die tatsächliche Durchführung des Vertrags, da dem Kläger seit 2004 der jeweilige Stundenlohn entsprechend dem aktuellen Tarifvertrag ausgezahlt wurde.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. Februar 2013 teilweise abzuändern und:

1.Das Versäumnisurteil vom 11. Mai 2012 hinsichtlich eines weiteren Betrags in Höhe von 47,53 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.2.2012 aufrechtzuerhalten,
2.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 47,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2013 zu zahlen.
3.Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 334,06 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Januar 2013 zu zahlen

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, ihre Rechtsvorgängerin sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Kläger 1991 normativ tarifgebunden gewesen. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel sei deswegen als Gleichstellungsabrede auszulegen. Diese sei nach dem 31.12.2001 auch nicht mehr zum Gegenstand der Willensbildung der Parteien bzw. zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten gemacht worden. Die Information, dass zum 1.12.2004 die Tarifverträge des Einzelhandels Berlin-West gelten, beruhe auf einem infolge einer Betriebsänderung abgeschlossenen Interessenausgleichs/Sozialplan vom 14.06.2004. In diesem sei unter der dortigen Ziff. 2.3 vereinbart gewesen, dass die Mitarbeiter aus dem im Ostteil Berlins liegenden Betrieb ab dem Zeitpunkt ihrer Versetzung nach dem Tarifvertrag Einzelhandel Berlin-West vergütet werden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten sei damit nur ihrer Verpflichtung aus dem Interessenausgleichs/Sozialplan vom 14.06.2004 nachgekommen und habe dies dem Kläger mitgeteilt. Damit liege eine einzelvertragliche Abrede zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht vor. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel sei auch nicht Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Betriebsparteien gewesen. Des Weiteren ergebe sich – wie der EuGH mit Urteil vom 18.07.2013 entschieden hat - aus der Richtlinie 2001/23/EG, dass es den Mitgliedstaaten der EU verwehrt sei, bei arbeitsvertraglichen Bezugnahmen auf einen Tarifvertrag nach einem Betriebsübergang verhandelte Änderungen als gegenüber dem Erwerber durchsetzbar anzusehen, wenn dieser nicht die Möglichkeit hatte, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen.

Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG aufgrund der Zulassung durch das Arbeitsgericht statthafte Berufung des Klägers ist von ihm fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG). Sie ist damit zulässig.

B. Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrten Zahlungen. Die Tarifverträge des Einzelhandels Berlin-West finden auf das Arbeitsverhältnis des Klägers in ihrer jeweiligen Fassung aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung Anwendung.

I. Nach der früheren Rechtsprechung BAG waren dynamische Bezugnahmeklauseln auf die fachlich einschlägigen Tarifverträge, soweit der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tarifgebunden war, als sog. Gleichstellungsabreden auszulegen. In diesem Fall führt der Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers dazu, dass die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung anzuwenden sind, die zum Zeitpunkt des Eintritts der fehlenden Tarifgebundenheit galt. Wäre die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel als Gleichstellungsabrede auszulegen, würde seit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die nicht normativ tarifgebundene Beklagte zum 1.10.2010 die Tarifverträge des Einzelhandels Berlin nur noch statisch in der zum Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs geltenden Fassung anzuwenden sein.

II. Für Arbeitsverträge, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 geschlossen worden sind („Neuverträge”), wendet das BAG die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede indes nicht an. Die Auslegung von Verweisungsklauseln in diesen Arbeitsverträgen hat sich in erster Linie an deren Wortlaut zu orientieren (vgl. im Einzelnen BAG 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 - AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Bezugnahmeklausel Nr. 6). Aus Gründen des Vertrauensschutzes legt das BAG Bezugnahmeklauseln, die vor dem 01.01.2002 vereinbart worden sind, weiterhin unter Maßgabe der ehemaligen Auslegungsregel als Gleichstellungsabrede aus (BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09 –AP Nr. 93 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Bezugnahmeklausel Nr. 38; BAG 18.11.2009 - 4 AZR 514/08 – AP Nr. 70 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 43, BAG 18.4. 2007 - 4 AZR 652/05 – AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Bezugnahmeklausel Nr. 6).

III. Kommt es in Arbeitsverhältnissen mit einer Bezugnahmeklausel, die vor dem 01.01.2002 vereinbart worden ist („Altvertrag“), nach dem 31.12.2001 zu einer Arbeitsvertragsänderung, hängt die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich dieser Klausel um einen Alt- oder Neuvertrag handelt, davon ab, ob die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Parteien des Änderungsvertrages gemacht worden ist. (BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09 - AP Nr. 93 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Bezugnahmeklausel Nr. 38; BAG 24.2.2010 - 4 AZR 691/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 75 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 47).

1. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel ist durch das Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 26.11.2004 nicht nur zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht worden. Die damaligen Parteien des Arbeitsvertrags haben vielmehr durch die Verweisung auf die Tarifverträge Einzelhandel-Berlin West nach dem 31.12.2001 eine eigenständige Regelung zur Verweisung auf die einschlägigen Tarifbestimmungen getroffen.

a. Mit Schreiben vom 26.11.2004 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagte dem Kläger unter dem Punkt „sonstige Änderungen“ mitgeteilt: „Ab 01.12.2004 gelten die Tarifverträge Einzelhandel Berlin-West“.

Damit hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten nach dem 31.12.2001 eine eigenständige Regelung zur Verweisung auf die einschlägigen tariflichen Bestimmungen getroffen. Die Erklärung kann von einem objektivierten Empfängerhorizont nur dahingehend verstanden werden, dass eine eigenständige Regelung hinsichtlich der Verweisung auf tarifliche Bestimmungen im Sinne einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung erfolgen soll. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte mit der entsprechenden Vereinbarung ihrer Verpflichtung aus dem Interessenausgleich/Sozialplan vom 14.06.2004 nachkommen wollte. Vielmehr ergibt sich aus der entsprechenden Verpflichtung gerade, dass die Beklagte ein konstitutives – rechtlich bindendes – Angebot zur Anwendung der Tarifverträge des Einzelhandel Berlin-West abgeben wollte, um ihrer Verpflichtung, die entsprechenden Tarifverträge im Vertragsverhältnis mit dem Kläger zur Anwendung zu bringen, nachzukommen. Eine ausdrückliche Annahme des Angebots durch den Kläger war nach § 151 Satz 1 BGB entbehrlich.

2. Durch die Vereinbarung sind die Tarifverträge des Einzelhandels Berlin (West) auch dynamisch in Bezug genommen worden. Dem steht nicht entgegen, dass nicht ausdrücklich auf die Tarifverträge „in der jeweils geltenden Fassung“ verwiesen wurde.

a. Es kann offenbleiben, ob es sich bei der Vereinbarung um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 BGB handelt. Auch nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen nach den §§ 133, 157 BGB ergibt sich, dass eine Verweisung auf den jeweils geltenden Tarifvertrag des Einzelhandels dem Parteiwillen entsprach.

b. Der Wortlaut der Vereinbarung enthält keine Anhaltspunkte für eine statische Verweisung in dem Sinne, dass ein bestimmter Tarifvertrag in einer bestimmten Fassung gelten soll. Zur Annahme einer statischen Verweisung reicht nicht das Fehlen des Zusatzes „in seiner jeweiligen Fassung“ aus (BAG 20. April 2012 - 9 AZR 504/10 - AP Nr. 58 zu § 7 BUrlG). Für eine statische – und nicht dynamische Verweisung wäre vielmehr typisch, dass ein Tarifvertrag konkret nach Datum und Gegenstand eindeutig bezeichnet wird (BAG 20. April 2012 - 9 AZR 504/10 - AP Nr. 58 zu § 7 BUrlG; BAG 19. September 2007 - 4 AZR 710/06 - AP Nr. 54 zu § 133 BGB = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 36).

IV. Die Beklagte ist aufgrund des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus dem in den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnis zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger eingetreten. Die vereinbarte dynamische Bezugnahmeklausel ist damit auch Inhalt des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten.

V. Der Geltung der von Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt auch nicht gegen Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (im Folgenden: RL 2001/23/EG).

1. Nach Artikel 3 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/23EG gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

Nach Artikel 3 Abs. 3 RL 2001/23EG erhält nach dem Übergang der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.

2. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/23/EG bezweckt mit dem unmittelbaren und automatischen Eintritt des Erwerbers in die arbeitsvertragliche Rechtsstellung des Veräußerers, dass der Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsübergang unter den gleichen Vertragsbedingungen weiterarbeiten kann, die er mit dem Veräußerer vereinbart hatte. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/23/EG schließt es aus, eine Verweisung auf Tarifverträge oder Tarifwerke im Falle eines Betriebsübergangs unabhängig vom übereinstimmend gebildeten Willen der Arbeitsvertragsparteien stets so zu verstehen, dass der Erwerber an die betreffenden Tarifverträge auch in den Fassungen gebunden ist, die erst nach dem Betriebsübergang vereinbart wurden (EuGH 09.03.2006 – C-499/04 - (Werhof) EzA § 613a BGB 2002 Nr. 44 = AP Nr. 2 zu Richtlinie 77/187/EWG). Die Vereinbarung einer beim Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber statisch wirkenden Verweisungsklausel ist im Rahmen der Vertragsfreiheit ebenso zulässig und von Rechts wegen ebenso möglich wie die einer dynamischen Verweisung (vgl. BAG 23.09.2009 – 4 AZR 331/08 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 45 = AP Nr. 71 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des EuGH 09.03.2006 – C-499/04 - (Werhof)). Zuständig für die vertragliche Auslegung der jeweiligen Verweisungsklausel ist das nationale Gericht (BAG 23.09.2009 – 4 AZR 331/08 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 45 = AP Nr. 71 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).

3. Demgegenüber regelt Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG die - qualifizierte - Weitergeltung von kollektivvertraglich begründeten Rechten und Pflichten eigenständig. Danach erhält der Erwerber nach dem Betriebsübergang die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrages bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrages in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Zwar kann der Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen durch die Mitgliedstaaten gesetzlich begrenzt werden, allerdings nicht auf eine kürzere Zeitspanne als ein Jahr. Die Ablösung dieser Bedingungen kann damit innerhalb dieser Zeit auch nach der Richtlinie grundsätzlich nicht einzelvertraglich erfolgen, wie dies für die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG genannten Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag möglich ist (EuGH 12.12 1992 - C-209/91 - [Rask], EAS C RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 8; EuGH 14.09 2000 - C-343/98 - [Collino, Chiappero], AP EWG-Richtlinie Nr. 77/187 Nr. 29). Daraus wird deutlich, dass auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht der kollektivrechtliche Charakter der vor dem Betriebsübergang normativ geltenden - und nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG in das Arbeitsverhältnis transformierten - Mindestarbeitsbedingungen nach dem Betriebsübergang erhalten bleibt (BAG 23. September 2009 - 4 AZR 331/08 -, Rn. 34, BAGE 132, 169 = AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 71 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 45).

4. Vorliegend ist ein von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RL 2001/23/EG umfasster Sachverhalt gegeben. Einer Auslegung der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel als dynamische Verweisung steht Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG nicht entgegen (BAG 23.09.2009 – 4 AZR 331/08 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 45 = AP Nr. 71 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).

5. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung Alemo-Herron des EuGH (vgl. EuGH vom 18.072013 - C-426/11 - EzA Richtlinie 2001/23 EG-Vertrag 1999 Nr. 8 = AP Nr. 10 zu Richtlinie 2001/23/EG). Der EuGH hatte entschieden, dass Art. 3 RL 2001/23/EG dahingehend auszulegen sei, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar seien, wenn dieser nicht die Möglichkeit habe, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen.

Diese Entscheidung bezieht sich allerdings auf Fallgestaltungen nach Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG, nicht jedoch nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG (LAG Hessen 24.06.2014 – 8 Sa 1135/13 - juris; LAG Hessen 25.03.2014 – 8 Sa 1211/13 – juris; LAG Hessen 10.12.2013 – 8 Sa 537/13 – juris; ähnlich LAG Köln 23.09.2013 – 2 Sa 242/13 – juris; ArbG Cottbus 15.01.2014 – 2 Ca 204/13 – nv.; a. A. allerdings die überwiegenden Literaturstimmen vgl. ua. Willemsen/Grau NJW 2014, 12, 15; Lobinger NZA 2013, 945; Jacobs/Frieling EuZW 2013, 737; Latzel RdA 2014, 110).

a. Dies ergibt sich allerdings nicht explizit aus der Entscheidung des EuGH. Der EuGH hat sowohl im Tenor wie auch in den Entscheidungsgründen pauschal auf Art. 3 RL 2001/23/EG abgestellt, anstatt zwischen Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG zu differenzieren.

b. Jedoch ist unter Ansehung der der Entscheidung zugrunde liegenden Bezugnahmeklausel davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH allein Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG betrifft.

Der Entscheidung lag eine englische Bezugnahmeklausel zugrunde, die mit deutschen Bezugnahmeklauseln nicht vergleichbar ist. Das englische Recht kennt keine normative Wirkung von Tarifverträgen aufgrund Tarifbindung iSd. § 3 Abs. 1 TVG mit der in § 4 Abs. 1 TVG angeordneten Wirkung. Im englischen Tarifvertragsrecht sind arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln erforderlich, um eine rechtsverbindliche Wirkung des Tarifvertrags im einzelnen Arbeitsverhältnis zu begründen, wobei nach englischem Recht Bezugnahmeklauseln nicht nur durch „custom and practice“ in den Vertrag eingeführt werden können, sondern schon dann anzunehmen sein können, wenn der Vertrag anderenfalls nicht durchführbar wäre (Forst, DB 2013, 1847, (1849); Willemsen/Grau, NJW 2014, 12 (15)). Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags können daher in England nach einem Betriebsübergang nur aufrechterhalten werden, wenn auch die Verweisungsklausel weiter Bestand hat. Damit geht es in der Entscheidung funktional um die kollektivrechtliche Wirkung und somit um Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG. Der EuGH hat insoweit offenbar die englische Bezugnahme aufgrund ihrer wesentlichen Bedeutung für die Einbeziehung des Tarifvertrags mit der normativen Geltung eines Tarifvertrags, wie sie in Deutschland bei Verbandszugehörigkeit nach dem Tarifvertragsgesetz angeordnet ist, gleichgesetzt. Im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG kann angesichts der – im deutschen Recht in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kodifizierten – Veränderungssperre, die unternehmerische Freiheit des Erwerbers übermäßig tangiert werden. Diese Argumentation ist jedoch nicht auf die streitgegenständliche Bezugnahmeklausel übertragbar. Die Beklagte kann zwar als Erwerberin keinen Einfluss auf die Tarifverhandlungen des Handelsgewerbes für Berlin nehmen. Sie kann aber mangels Geltung der Veränderungssperre des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB sofort mit ihren Arbeitnehmern Änderungsverträge schließen oder ggfs. eine Änderungskündigung aussprechen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Sinn und Zweck der RL 2001/23/EG darin besteht, den Arbeitnehmer davor zu schützen, dass allein durch den Betriebsübergang der Arbeitsvertragsinhalt verändert wird. Das wäre aber der Fall, wenn allein der Betriebsübergang dazu führte, dass die Bezugnahmeklausel nicht mehr dynamisch gelten würde (LAG Hessen 10.12.2013 – 8 Sa 537/13 – juris). Zwar dient die RL 2001/23/EG nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Betriebsübergang, sondern sie soll auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten (EuGH vom 18.07.2013 - C-426/11 - EzA Richtlinie 2001/23 EG-Vertrag 1999 Nr. 8 = AP Nr. 10 zu Richtlinie 2001/23/EG). Angesichts der durch Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG angeordneten Veränderungssperre, bei der der Erwerber zumindest innerhalb von einem Jahr nach Betriebsübergang einer Bindung an einen von ihm nicht beeinflussbaren Tarifvertrag nicht entgehen kann, wird die unternehmerische Freiheit des Erwerbers unangemessen eingeschränkt. Demgegenüber hat bei der vorliegenden dynamischen Bezugnahmeklausel, die unter den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG fällt, die Beklagte die Möglichkeit, sofort nach Übernahme des Betriebs, die Verweisungsklausel durch Änderungsverträge oder ggfs. eine Änderungskündigung zu modifizieren.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

D. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.