Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 19.03.2012 | |
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Aktenzeichen | 1 (Z) Sa 2/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf die Unterlassung der Jagdausübung auf in seinem Eigentum stehenden Grundflächen in Anspruch. Er begehrt weiter die Feststellung, dass der zwischen den Beklagten geschlossene Jagdpachtvertrag vom 29.04.1992 nebst Ergänzungen hinsichtlich der in seinem Eigentum stehenden Grundstücke unwirksam sei.
Der Kläger hat die Klage unter Bezeichnung eines Streitwerts in Höhe von 2.304,00 € beim Amtsgericht Brandenburg an der Havel eingereicht. Das Amtsgericht hat unter dem 10.06.2011 auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit hingewiesen. Dazu haben die Parteien mit Schriftsätzen vom 21.07.2011 und 27.07.2011 Stellung genommen.
Durch Beschluss vom 31.08.2011 hat das Amtsgericht den Streitwert auf insgesamt 17.141,22 € festgesetzt.
Durch Beschluss vom 09.09.2001 hat das Amtsgericht sodann sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam verwiesen. Das Landgericht hat sich nach Anhörung der Parteien durch Beschluss vom 09.01.2012 gleichfalls für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 18.01.2012 erneut seine sachliche Unzuständigkeit ausgesprochen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil es für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Brandenburg an der Havel als auch das Landgericht Potsdam haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt, ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 09.09.2011 und letzteres durch den Beschluss über die Zurückverweisung des Rechtsstreits vom 09.01.2012; beide Beschlüsse genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/ Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 36, Rdnr. 24 f.).
3. Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.
Zwar kommt dessen Verweisungsbeschluss vom 09.09.2011 grundsätzlich Bindungswirkung zu (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Diese entfällt jedoch ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, Rdnr. 9, zitiert nach Juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink NJW 2003, 2364 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel nicht stand.
a) Das Amtsgericht ist nach § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
aa) Entgegen seiner Ansicht findet § 8 ZPO keine Anwendung.
§ 8 ZPO gilt nicht in Fällen, in denen die Wirksamkeit eines Jagdpachtvertrages durch einen Dritten, der nicht selbst Vertragspartei ist, angegriffen wird, da in einem solchen Fall das Urteil keine Rechtskraft zwischen den Vertragsparteien entfalten und folglich nicht zu einer Entscheidung über das Bestehen oder die Dauer des Vertrags führen kann (BGH, Beschluss vom 24.02.2000, III ZR 270/99, Rdnr. 7, zitiert nach juris; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 8 Rdnr. 4; MünchKomm/Wöstmann, ZPO, 3. Aufl., § 8, Rdnr. 7; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 8, Rdnr. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 8, Rdnr. 3; Musielak/Heinrichs, ZPO, 8. Aufl., § 8, Rdnr. 4). In derartigen Fällen ist der Streitwert nach § 3 ZPO zu bemessen (BGH a. a. O.).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger ist nach dem Vortrag der Beklagten (Bl. 144 d. A.) zwar Mitglied der Beklagten zu 1). Er ist jedoch nicht Partei des Jagdpachtvertrages vom 29.04.1992 nebst dessen Ergänzungen. Aus den zu den Akten gereichten Ablichtungen der Vertragsurkunden (Bl. 103 ff. d. A.) ist zu ersehen, dass der Kläger Partei weder des ursprünglichen Jagdpachtvertrags vom 29.04.1992 (Bl. 103 ff. d. A.) noch der Nachträge und Vertragsänderungen vom 01.04.1993 (Bl. 111 d. A.), 07.05.1997 (Bl. 112 f. d. A.), 15.11.1999 (Bl. 114 f. d. A.) und 10.07.2001 (Bl. 116 ff. d. A.) ist. Er nimmt die Beklagten vielmehr allein aus seiner Stellung als Eigentümer der streitbefangenen Grundflächen in Anspruch. Damit ist er im Hinblick auf den Jagdpachtvertrag ein Dritter, der nach den soeben dargestellten Grundsätzen nicht eine für und gegen die Vertragsparteien wirkende Entscheidung über den Jagdpachtvertrag herbeiführen kann.
bb) Demzufolge ist der Zuständigkeitsstreitwert hier nach §§ 2, 3 ZPO zu bemessen. Ob mit dem Landgericht auch die Regelung in § 9 ZPO zu beachten ist, kann dahinstehen, da in keinem Fall ein Streitwert von mehr als 5.000,00 € erreicht wird.
Nach dem Inhalt des letzten Nachtrags zum Jagdpachtvertrag beträgt der jährliche Pachtzins 2,00 €/ha. Die im Eigentum des Klägers stehenden Grundflächen weisen ausweislich der Anlage 3 zur Klageschrift (Bl. 51 - 55 d. A.) eine Gesamtfläche von 128,6539 ha aus. Daraus ergibt sich für das auf die Feststellung der Wirksamkeit des Jagdpachtvertrags gerichtete Klagebegehren ein Gegenstandswert in Höhe von (128,6539 ha x 2,00 € =) 257,31 €. Bei Berücksichtigung des § 9 ZPO ergibt sich ein Wert in Höhe von (257,31 € x 3,5 Jahre =) 900,59 €.
Auf die dem Jagdpachtvertrag unterliegende Gesamtfläche von 952,29 ha (Bl. 118 d. A.) kann entgegen der Ansicht des Amtsgerichts dabei nicht abgestellt werden. Denn die Antragstellung des Klägers (Bl. 2 f. d. A.) ist ausdrücklich auf den Bereich der in seinem Eigentum stehenden und in der Anlage 3 zur Klageschrift näher bezeichneten Grundflächen beschränkt. Schon dieser klare und eindeutige Wortlaut der Klageanträge verbietet die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung, dass die Klage die Gesamtfläche des Jagdpachtvertrags zum Gegenstand habe. Eine derartige Auslegung kann auch nicht aus dem Inhalt der Klagebegründung hergeleitet werden. Denn darin ist an keiner Stelle die Rede davon, dass abweichend von der Formulierung der Klageanträge die Gesamtfläche des Jagdpachtvertrags Streitgegenstand sein soll. Die Auslegung des Amtsgerichts lässt sich schließlich auch nicht auf die Erwägung im Beschluss vom 18.01.2012, dass dem Bundesjagdgesetz eine Teilnichtigkeit von Jagdpachtverträgen unbekannt sei, stützen. Dieser rechtliche Ausgangspunkt wird in Rechtsprechung und Schrifttum zwar vertreten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 30.10.2009, 30 U 182/08, Rdnr. 84, zitiert nach juris, m. w. N.). Er vermag indes nicht dazu zu führen, dass der Klage entgegen dem - eindeutigen - Wortlaut der Klageanträge die Gesamtfläche des Pachtvertrags zu unterstellen ist. Sollte, was hier dahinstehen kann, der Erwägung in materiell-rechtlicher Hinsicht zu folgen sein, so wäre bei zutreffender Sachbehandlung durch das Gericht zunächst nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen und auf eine Stellung sachgerechter Anträge hinzuwirken; sollten diese nicht gestellt werden, wäre die Klage abzuweisen, da eine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge begehrt wird. Denn die Auslegung eröffnet nicht die allgemeine Möglichkeit, einer eindeutigen Erklärung der Partei den Sinn zu geben, der dem vermeintlichen Interesses der Partei am besten dient (Zöller/Greger, a. a. O., Rdnr. 25 vor § 128).
Der Umstand, dass der Kläger in der Klageschrift zwei Sachanträge, nämlich den auf das Unterlassen der Jagdausübung gerichteten Leistungsantrag und den Feststellungsantrag, angekündigt hat, führt ebenfalls nicht zu einer Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts. Beide Anträge haben trotz ihrer unterschiedlichen Formulierung dasselbe Interesse des Klägers zum Gegenstand, weshalb eine Addition gesondert festzusetzender Streitwerte nicht stattfindet (vgl. Brandenbg. OLG, Urteil vom 14.12.2005, 3 U 1/05, zitiert nach juris, zu § 41 Abs. 1 GKG; Zöller/Herget, a. a. O., § 5, Rdnr. 8). Das verkennt auch das Amtsgericht im Rahmen der von ihm niedergelegten Hinweise und Begründungen seiner Beschlussfassungen nicht.
b) Im Hinblick darauf stellt sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom 09.09.2011 als grob rechtsfehlerhaft und damit willkürlich dar.
In dem Beschluss verkennt das Amtsgericht nicht nur die Nichtanwendbarkeit des § 8 ZPO.
Es legt seiner Entscheidung, wie aus der Begründung der Beschlussfassung über die Streitwertfestsetzung vom 31.08.2011 zu ersehen ist, darüber hinaus die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 24.02.2000, III ZR 270/99) zu Grunde, obwohl diese Rechtsprechung die Sichtweise des Amtsgerichts nicht stützt, sondern - wie dargestellt - im Gegenteil die Anwendbarkeit des § 8 ZPO auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art ausdrücklich verneint. Aus den im Beschluss vom 31.08.2011 weiter herangezogenen Entscheidungen des Landgerichts Stendal (Urteil vom 18.07.2007, 23 O 483/06, zitiert nach juris), des Landgerichts Oldenburg (Urteil vom 19.12.2007, 1 O 2231/07, zitiert nach juris) und des Landgerichts Nürnberg-Fürth (Urteil vom 05.06.2009, 14 O 1593/09, zitiert nach juris) lässt sich eine Anwendbarkeit des § 8 ZPO gleichfalls nicht herleiten. Allen diesen Entscheidungen haben Fallgestaltungen zu Grunde gelegen, in denen sowohl die klagenden als auch die beklagten Parteien an den jeweils im Streit stehenden Jagdpachtverträgen beteiligt gewesen sind; hier ist jedoch - wie ausgeführt - der Kläger nicht Vertragspartei. Obwohl die Entscheidungen durchweg die rechtliche Sichtweise des Amtsgerichts zu tragen nicht geeignet sind und die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs ihr sogar offen entgegensteht, hat das Amtsgericht gleichwohl eine weitergehende inhaltliche Begründung seines Rechtsstandpunkts weder in die Gründe des Beschlusses vom 31.08.2011 noch in die Beschlussfassung über die Verweisung des Rechtsstreits vom 09.09.2011 aufgenommen. Dieser Fehler wiegt umso schwerer, als zuvor im Schriftsatz der Beklagten vom 21.07.2011 (Bl. 144 f. d. A.) ausdrücklich vorgetragen worden ist, dass aus der in Rede stehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Nichtanwendbarkeit des § 8 ZPO folgt.
Ein weiterer Fehler des Amtsgerichts im Rahmen seiner Beschlussfassung über die Verweisung des Rechtsstreits und der ihr zu Grunde liegenden Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts liegt darin, dass es in nicht mehr zu vertretender Weise das Klagebegehren dahingehend ausgelegt hat, dass es nicht lediglich die im Eigentum des Klägers stehenden Grundflächen, sondern die vom Jagdpachtvertrag erfasste Gesamtfläche zum Gegenstand habe; insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen im Vorstehenden verwiesen.
Bereits die fehlerhafte Erfassung des Klagebegehrens führt dazu, dass die vorgenommene Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht als willkürlich und folglich nicht bindend nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO angesehen werden muss (vgl. OLG Hamburg, MDR 2003, 1072; Zöller/Greger, a. a. O., § 281, Rdnr. 17). Darüber hinaus und jedenfalls aber liegt, wie aufgezeigt, der Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht eine Vielzahl von Rechtsirrtümern zu Grunde, die ungeachtet dessen und umso mehr zu der Bewertung nötigen, dass eine grobe Rechtsfehlerhaftigkeit der Beschlussfassung vorliegt, die die Grenze zur objektiven Willkür überschreitet (vgl. BGH NJW-RR 1992, 383; Zöller/Greger, a. a. O.).