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Verrechnung - Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung - Bestimmtheit - Reihenfolge - Forderungsmehrheit


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 25.07.2013
Aktenzeichen L 3 R 63/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen §§ 51ff SGB 1, § 33 SGB 10

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 09. Januar 2013 geändert sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheid vom 09. Januar 2012 sowie der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2013 erklärten Abänderung aufgehoben.

Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Verrechnung von Beitragsforderungen der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Hannover (BauBG) mit seiner Altersrente.

Der 1947 geborene Kläger steht ab 01. August 2010 bei der Beklagten im Bezug einer Altersrente.

Die BauBG war zunächst mit Schreiben vom 27. Mai 1998 an den Verband deutscher Rentenversicherungsträger herangetreten und hatte den zuständigen Rentenversicherungsträger zur Verrechnung mit einmaligen und laufenden Geldleistungen unter Hinweis auf eine damals in Höhe von 49.311,51 DM bestehende Beitragsschuld ermächtigt. Die BauBG hatte der Beklagten gegenüber unter dem 17. Mai 2010 die Restforderung einschließlich Kosten und aufgelaufener Zinsen zum 30. April 2010 mit 61.663,50 € und die monatlich hinzukommenden Zinsen mit 252,58 € angegeben.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 16. August 2010 zur beabsichtigten Verrechnung von Forderungen der BauBG in Höhe von „derzeit 61.663,50 € (gegebenenfalls zuzüglich weiterer Zinsen, Säumniszuschläge)“ mit seiner Rente an; es seien von der laufenden Rente 545,40 € monatlich und von einer Rentennachzahlung 15,00 € einzubehalten. Der Kläger machte mit Schreiben vom 08. September 2010 Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, verwies auf die Pfändungsfreigrenze und legte einen an seine Ehefrau gerichteten Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) vor. Die Beklagte forderte beim Kläger mit Schreiben vom 13. September 2010 eine Sozialhilfebedürftigkeitsbescheinigung an, woraufhin er mit Anwaltsschreiben vom 04. Oktober 2010 auf die Unpfändbarkeit der Rentenzahlungen verwies.

Mit Schreiben vom 09. November 2010 schlüsselte die BauBG auf Bitten der Beklagten einen nunmehr mit 25.299,98 € angegebenen Beitragsgesamtanspruch wie folgt auf:

„Restbeitrag 1996 vom 24.04.1997
Fälligkeit: 15.05.1997
Forderungsbetrag:

 13.030,61 EUR

Beitrag 1997 vom 09.04.1998
Fälligkeit: 15.05.1998
Forderungsbetrag:

 9.393,95 EUR

Säumniszuschläge 1996 vom 24.04.1997
Fälligkeit: 15.05.1997
Forderungsbetrag:

 513,34 EUR

Säumniszuschläge 1997 vom 09.04.1998
Fälligkeit: 15.05.1998
Forderungsbetrag:

 1.914,28 EUR

 Vollstreckungskosten:

   447,80 EUR

Gesamt:

   25.299,98 EUR

Die bezeichneten Forderungsbescheide haben Bestandskraft erlangt.“

Die Beklagte erließ gegenüber dem Kläger den Bescheid vom 30. Juni 2011, in welchem sie ausführte: „die Deutsche Rentenversicherung Bund ist von der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover mit Schreiben vom 27.05.1998 nach § 52 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) ermächtigt worden, die von Ihnen geschuldeten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung von 61.633,50 EUR (gegebenenfalls zuzüglich weiterer Zinsen, Säumniszuschläge) gegen die Ihnen zuerkannte laufende Geldleistung (Rente) zu verrechnen… Gegen Ihre Rente werden monatlich 545,40 EUR sowie von der Rentennachzahlung 15,- EUR aufgerechnet beziehungsweise verrechnet.“

Der Kläger erhob unter Beibehaltung seines bisherigen Vorbringens am 15. Juli 2011 Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09. Januar 2012 zurückwies.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 12. Januar 2012 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage weiterverfolgt. Nachdem der Kläger eine Bescheinigung des sozialhilferechtlichen Bedarfs zur Feststellung der Pfändungsfreigrenze vom 28. August 2012, welche ein bedarfsübersteigendes Einkommen von 307,16 € ausweist, vorgelegt hatte, hat das SG nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 09. Januar 2013 den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Januar 2012 aufgehoben, soweit ein höherer Betrag als 307,16 € zur Verrechnung steht, und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat gegen den ihm am 23. Januar 2013 zugestellten Gerichtsbescheid am 31. Januar 2013 Berufung eingelegt. Er hat an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten und geltend gemacht, dass der angefochtene Bescheid nicht hinreichend bestimmt sei.

Die Beklagte änderte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25. Juli 2013 den Bescheid vom 30. Juni 2011 dahingehend ab, dass der Forderungsbetrag, mit dem verrechnet werden soll, nur noch 25.299,98 €, so aufgeschlüsselt wie im Schreiben der BauBG vom 09. November 2010, gegebenenfalls zuzüglich weiterer Säumniszuschläge, beträgt.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 09. Januar 2013 abzuändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 09. Januar 2012 sowie der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2013 erklärten Abänderung aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Verrechnung zumindest so, wie sie vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtens erachtet worden ist, für zulässig.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. Mai 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte nach dem Übertragungsbeschluss vom 29. Mai 2013 gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden.

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat den angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 09. Januar 2012 zu Unrecht nur teilweise und nicht ganz aufgehoben, wobei die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 25. Juli 2013 ausgesprochene Abänderung gemäß § 96 SGG ebenfalls zum Gegenstand vorliegenden Verfahrens geworden ist, weil der angefochtene Bescheid durch die Erklärung der Beklagten vom 25. Juli 2013 geändert wurde, welche als (Änderungs-) Bescheid i.S.v. § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) anzusehen ist. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchs- und Änderungsbescheids ist rechtswidrig und beschwert den Kläger.

Ermächtigungsgrundlage für die von der Beklagten ausgesprochene Verrechnung ist § 52 SGB I, wonach der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen kann, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger u.a. mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) wird.

Hiernach bestehen keine durchgreifenden Bedenken, dass die Beklagte grundsätzlich zur Verrechnung von Beitragsforderungen der BauBG mit der laufenden Rentenzahlung befugt ist. Der Bescheid erweist sich gleichwohl – auch unter Einbeziehung der Abänderung vom 25. Juli 2013 – als rechtswidrig, weil er nicht hinreichend bestimmt ist.

Ein Verwaltungsakt muss hinreichend bestimmt sein, § 33 Abs. 1 SGB X. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Verwaltungsakt im Sinne von § 31 S. 1 SGB X als solchen, mithin auf den Verfügungssatz und nicht auf die Begründung. Aus dem Verfügungssatz selbst muss für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Die Beteiligten müssen ihr Verhalten danach ausrichten können (Klarstellungsfunktion des Verwaltungsakts). Zur Auslegung des Verfügungssatzes kann auf die Begründung zurückgegriffen werden. Abzustellen ist auf die Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers (vgl. etwa Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2012 – L 22 R 471/11 -, zitiert nach juris Rn. 41 unter Verweis auf Bundessozialgericht <BSG>, BSGE 89, 90, 100). Da nach § 52 SGB I zur Verrechnung gestellte Forderungen nur insoweit erlöschen, als sie sich decken, müssen, damit das Erlöschen/ Tilgen der jeweiligen Forderungen – auch im Hinblick auf die Rechtskraft (vgl. auch § 141 Abs. 2 SGG) – festgestellt werden kann, Art und Umfang der Forderungen in der Erklärung eindeutig bezeichnet werden. Der zur Herbeiführung der Rechtswirkung der Aufrechnung bzw. der Verrechnung gerichtete Wille muss für einen objektiven Dritten klar erkennbar sein. Dies bringt es mit sich, dass die Verrechnung zumindest Angaben über die Höhe, den Rechtsgrund, ggf. die Bezugszeiten und die Fälligkeit der Forderungen sowie zu deren bestands- oder rechtskräftiger Feststellung enthalten muss (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R -, zitiert nach juris Rn. 29 f.). Erforderlich sind zudem auch Angaben zum Beendigungszeitpunkt der. Bei Forderungsmehrheit muss angegeben werden, in welcher Reihenfolge die Forderungen verrechnet werden sollen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 46). Auch aus §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche lückenfüllend heranzuziehen sind, soweit §§ 51 ff. SGB I nichts anders vorgeben und sie mit dem öffentlichen Sozialverwaltungsrecht vereinbar sind (BSG, a.a.O., Rn. 17), ergibt sich nichts anderes. Zwar enthält § 396 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 366 Abs. 2 BGB Bestimmungen über die Rangfolge mehrerer aufzurechnender Forderungen, jedoch ist zu beachten, dass die prozessrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit des Aufrechnungseinwands schärfer sind; die zur Aufrechnung gestellte Aktivforderung muss vielmehr nach Gegenstand und Grund so genau bezeichnet werden, dass eine rechtskräftige Entscheidung über sie ergehen kann (so für die zivilrechtliche Aufrechnung etwa Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, Neubearbeitung 2011, § 388 Rn. 19). Dementsprechend ist im Zivilrecht umstritten, ob die Aufrechnung notwendigerweise unzulässig ist, wenn weder die Reihenfolge noch das Verhältnis, in dem die Forderungen des Beklagten zur Aufrechnung gestellt werden sollen, angegeben wird (Gursky, a.a.O., m.w.N.). Im Hinblick auf die Bestands- bzw. Rechtskrafterstreckung eines Verrechnungsbescheids bzw. eines sozialgerichtlichen Urteils, welches die gegen den Verrechnungsbescheid gerichtete Anfechtungsklage abweist, und eingedenk der dem öffentlichen Sozialverwaltungsrecht immanenten besonders schützenswerten Stellung des Leistungsberechtigten, welche ein besonders hohes Bedürfnis an Rechtsklarheit mit sich bringt, ist ein Verrechnungsbescheid in der Tat nur dann im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt, wenn sich aus ihm insbesondere auch die Reihenfolge ergibt, in welcher mehrere Forderungen verrechnet werden sollen Verrechnung (so im Ergebnis auch LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 49; vgl. BSG, a.a.O., Rn. 30, unter Bezugnahme auf Bundesgerichtshof <BGH>, in: NJW 2000, 958, 959 f., der im Fall mehrerer ohne vollständige Angaben zur Rangfolge aufgerechneter Aktiv- und Passivforderungen die Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung verneint hat).

Hieran gemessen ist der Bescheid auch in der Fassung der – auf die Aufschlüsselung der BauBG vom 09. November 2010 verweisenden - Abänderungserklärung der Beklagten vom 25. Juli 2013 nicht hinreichend bestimmt. Es lässt sich bei der Vielzahl der von der BauBG geltend gemachten Forderungen nicht erkennen, welche zuerst mit der Rentenzahlung verrechnet und so als erste einer Erfüllung zugeführt werden soll. Die Höhe der verrechneten Gesamtforderung ist nicht konkret bestimmt, indem eine Einbeziehung „gegebenenfalls… weiterer Säumniszuschläge“ vorgenommen wird. Es kann hiernach dahinstehen, ob auch Angaben zu den genauen Zeiträumen, für welche noch Beiträge gefordert werden, zu machen gewesen wären. Nach alldem ändert an der fehlenden Bestimmtheit letztlich auch der Umstand nichts, dass Angaben zur bestands- bzw. rechtskräftigen Feststellung der von der BauBG geltend gemachten Forderungen im Schreiben vom 09. November 2010 enthalten sind. Hiernach kann dahinstehen, ob mit der bloßen Bezugnahme auf das Schreiben der BauBG vom 09. November 2010 dieses überhaupt Eingang in den Verfügungssatz des verfahrensgegenständlichen Bescheids fand und eine nachträgliche Änderung überhaupt zulässig ist (ablehnend etwa LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 47).

Die Rechtswidrigkeit und darauf beruhende Aufhebung der Verrechnung hat zwar zur Folge, dass die jeweiligen Forderungen der BauBG nicht erloschen bzw. nicht getilgt wurden. Die Beklagte kann grundsätzlich jedoch die Verrechnung – unter Berücksichtigung der dargestellten Bestimmtheitsanforderungen - wiederholen oder auf Grund einer anderen Ermächtigung erneut eine Verrechnung vornehmen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.