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Entscheidung 4 Sa 1941/13


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 4. Kammer Entscheidungsdatum 06.12.2013
Aktenzeichen 4 Sa 1941/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 233 ZPO, § 85 Abs 2 ZPO

Leitsatz

Wird einem neu mandatierten Prozessbevollmächtigten seitens des Gerichts mitgeteilt, dass bereits ein Urteil verkündet ist, so entspricht es der zu fordernden üblichen Sorgfalt eines Rechtsanwalts, dass unverzüglich eruiert wird, ob und wann dieses Urteil zugestellt worden ist.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.9.2013 – 1 Ca 1433/13 und 1 Ca 3773/13 – wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.9.2013 und begehrt im Rahmen dessen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

Das am 12.9.2013 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des EB (Bl. 45 d. A.) am 26.9.2013 in vollständiger Fassung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen zugestellt. Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte diesem unter Übersendung des Urteils mit Schreiben vom 30.9.2013, hinsichtlich dessen genauen Wortlauts auf Bl. 100 d. A. verwiesen wird, mit, dass der Kläger gegen dieses Urteil innerhalb einer Notfrist von einem Monat Berufung einlegen müsse.

Mit Schreiben vom 2.10.2013 bestellte sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Arbeitsgericht. Mit Schreiben vom 14.10.2013 teilte die Kammervorsitzende des Arbeitsgerichts dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass das Verfahren erstinstanzlich durch Verkündung des Schlussurteils am 12.9.2013 abgeschlossen sei. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 60 d. A. verwiesen.

Mit am 14.11.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gestellt.

Mit Schreiben vom 2.12.2013 (Bl. 122 d. A.) teilte das Berufungsgericht dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ua. mit, dass zumindest ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden vorliegen dürfte, da aufgrund des gerichtlichen Schreibens vom 14.10.2013 bereits vor Ablauf der Berufungsfrist am 28.10.2012 bekannt, dass ein Schlussurteil ergangen war. Insoweit hätte unverzüglich überprüft bzw. erfragt werden müssen, ob und wann dieses zugestellt worden ist.

Der Kläger behauptet, er habe das Schreiben seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten vom 30.09.2013 nicht erhalten. Hinsichtlich der zur Glaubhaftmachung eingereichten eidesstattlichen Versicherungen wird auf Bl. 129 und 130 d. A. verwiesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers verweist darauf, dass ihm lediglich die Verkündung des Urteils vom 12.9.2013 seitens der Kammervorsitzenden mitgeteilt worden sei und er deswegen davon ausgehen durfte, dass die vollständige Ausfertigung des Urteils und Zustellung des begründeten Urteils erst noch erfolgen werde und dass ihn die Beteiligten hiervon unterrichten würden. Dies gelte zumal bekannt sei, dass zwischen Verkündung des Urteils und seiner Ausfertigung und Übersendung an die Parteien häufig längere Zeiträume liegen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ein grob prozessbetrügerisches Verhalten der Berufungsbeklagten sanktioniert werde.

II.

A. Die Berufung war ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 66 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, da die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden ist. Die Entscheidung hatte außerhalb der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden allein zu ergehen. Die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zur Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung umfasst auch die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung (BAG 05.10.2010 - 5 AZB 10/10 - AP Nr. 38 zu § 66 ArbGG 1979 = EzA § 66 ArbGG 1979 Nr. 44).

I. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Nach § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG beginnt die Berufungsfrist mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils, wenn dieses noch nicht in vollständig abgefasster Form zugestellt worden ist.

Das Urteil des ArbG Berlin wurde dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des EB (Bl. 45 d. A.) am 26.9.2013 in vollständiger Fassung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen zugestellt. Die Berufungsbegründung hätte damit spätestens am Montag, den 28.10.2013 beim Landesarbeitsgericht eingehen müssen. Dies ist nicht geschehen.

II. Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO zu gewähren.

1. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ua. zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden bzw. ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die Berufungsfrist und/oder die Frist für die Begründung der Berufung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuhalten.

2. Vorliegend liegt – zumindest - ein der Partei zuzurechnendes Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO vor.

a. Die Frage, ob einen Prozessbevollmächtigten ein entsprechendes Verschulden trifft, ist nach einem objektiv-typisierten Maßstab zu beantworten. Verschuldensmaßstab ist dabei nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts dürfen dabei nicht überspannt werden; ihre Beachtung muss im Einzelfall auch zumutbar sein, da andernfalls das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und zumutbaren Zugang zu den Gerichten verletzt wird (BGH 17. 8. 2011I ZB 21/11 - NJW-RR 2012, 122 (123)).

b. Unter Anlegung diese Maßstäbe liegt eine nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden vor.

Wird einem neu mandatierten Prozessbevollmächtigten seitens des Gerichts mitgeteilt, dass bereits ein Urteil verkündet ist, so entspricht es der zu fordernden üblichen Sorgfalt eines Rechtsanwalts, dass unverzüglich eruiert wird, ob und wann dieses Urteil zugestellt worden ist. Ein Rechtsanwalt kann sich auch nicht darauf verlassen, dass ihm die notwendigen Informationen durch die übrigen Beteiligten gegeben werden. Vielmehr ist es originäre Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, diejenigen Feststellungen zu treffen, die zur Wahrung von Rechtsmittelfristen erforderlich sind. Dabei kann sich der Prozessbevollmächtigte auch nicht darauf verlassen, dass zwischen Verkündung und Zustellung des vollständig abgefassten Urteils des Arbeitsgerichts ein längerer Zeitraum liegt. Unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben zur Absetzung des Urteils nach § 60 Abs. 4 ArbGG und zu seiner Zustellung nach § 50 ArbGG ist jederzeit damit zu rechnen, dass der oder die Kammervorsitzende das Urteil im Interesse der Parteien sehr zügig absetzt und zustellen lässt. Mit einer zügigen Absetzung und Zustellung binnen zwei Wochen nach Verkündung wie vorliegend muss auf jeden Fall gerechnet werden.

c. Soweit der Kläger behauptet, durch das arbeitsgerichtliche Urteil werde ein grob prozessbetrügerisches Verhalten der Berufungsbeklagten sanktioniert, ist dies nicht rechtserheblich. Ob und inwieweit das arbeitsgerichtliche Urteil durch einen Prozessbetrug des Beklagten zustande gekommen ist, bleibt eine Frage der Begründetheit der Berufung. Die entsprechende Prüfung ist dem Berufungsgericht aufgrund der Versäumung der Berufungsfrist verwehrt.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

C. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegt.