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Individualbudget - Bemessung des Individualbudgets einer Jungpraxis - Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt - Regelleistungsvolumen - Honorarverteilungsmaßstab Berlin - Bewertungsausschuss


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 30.11.2011
Aktenzeichen L 7 KA 81/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 85 Abs 4 SGB 5

Leitsatz

Sofern ein Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab ab dem 1. April 2005 noch die Bildung eines Individualbudgets vorsieht, verstößt dies gegen § 85 Abs. 4 SGB V und die Vorgaben des Bewertungsausschusses; Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist.

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. August 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 werden geändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Honorar der Klägerin für die Quartale II/2005 bis II/2008 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Klägerin zu 1/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Festsetzung eines höheren Individualbudgets für die Quartale III/03 bis I/05sowie die Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für die Quartale II/05 bis II/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Klägerin nimmt seit dem 1. April 2003 als Ärztin für Allgemeinmedizin im Verwaltungsbezirk R an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie war zunächst in einer Praxisgemeinschaft mit mehreren Ärzten tätig. Seit 1. Juli 2008 besteht eine Berufsausübungsgemeinschaft mit unterschiedlichen Ärzten.

Mit dem Quartal II/03 als Bemessungszeitraum ermittelte die Beklagte entsprechend den Regelungen im seinerzeit geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) für die Klägerin folgendes Individualbudget:

        

Primärkassen

Ersatzkassen

Quartalsumsatz

13.434,98 Euro

10.575,78 Euro

IB-Punkte je Quartal

262.765

206.844

IB-Punkte je Quartal,
Fachgruppengrenzwert


324.004


243.005

Mit Schreiben vom 27. November 2003 beantragte die Klägerin eine Neufestsetzung ihres Individualbudgets auf der Grundlage von § 9 Abs. 9 HVM. Im ersten Quartal ihrer Tätigkeit habe sie den Fachgruppendurchschnitt schon knapp erreicht, im zweiten Quartal habe sie schon erheblich darüber gelegen. Bei Eröffnung ihrer Praxis sei der Bezirk R unterversorgt gewesen, so dass ein erheblicher Patientenzustrom zu verzeichnen gewesen sei. Gleichzeitig hätten zwei Ärzte – A P (Pulmologe) und P S (Allgemeinmedizinerin) – ihre Praxen ohne Nachfolgeregelung geschlossen. Sie habe insbesondere viele Patienten der Ärztin S weiter behandelt. Alle übrigen Partner der Praxisgemeinschaft – sämtlich Hausärzte – verfügten über ein weit überdurchschnittliches Individualbudget. Angesichts des von ihr geleisteten gleichen Versorgungsbeitrages dürfe sie nicht schlechter stehen als ihre Kollegen. Bei ihrer Investitionsentscheidung habe sie sich zudem an den Durchschnittswerten der Praxisgemeinschaft orientiert.

Mit Bescheid vom 16. Juni 2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets ab. Für das Individualbudget der Klägerin gälten die im HVM vorgesehenen Regelungen – § 9 Abs. 4c – für eine Jungpraxis. Diese dürfe 20 Quartale lang ohne Begrenzung der Steigerungsrate bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen. Das festgesetzte Individualbudget begrenze das Vergütungsvolumen damit nicht; der Antrag auf Erhöhung des Individualbudgets seitens einer unter dem Fachgruppendurchschnitt liegenden Praxis sei unnötig.

Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin an: Sie habe Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets gemäß § 9 Abs. 9 HVM. Den Fachgruppendurchschnitt habe sie aufgrund der besonderen Situation im Planungsbereich – hohe Bevölkerungsdichte, Unterversorgung, Praxisschließungen – schon im zweiten Quartal ihrer Tätigkeit überschritten. Die Schlechterstellung gegenüber ihren Praxiskollegen sei nicht gerechtfertigt, sie müsse als Härtefall angesehen werden.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juni 2005 zurück. Die Klägerin sei als Jungpraxis zu behandeln und könne keine Festsetzung ihres Individualbudgets jenseits der Fachgruppengrenzwerte beanspruchen. Die gegebene Steigerung der Fallzahlen sei insoweit kein anerkennungsfähiger Grund:

Quartal

Fallzahlen

Angefordertes
Punktzahlvolumen

II-2003

798     

743.401

III-2003

1.266 

1.232.156

IV-2003

1.048 

1.062.384

I-2004

749     

741.753

II-2004

830     

887.245

III-2004

1.052 

1.028.607

IV-2004

1.231 

1.273.547

Die Grenze für das zulässige Wachstum einer Praxis werde durch die Fachgruppengrenzwerte gezogen. Dem Begehren der Klägerin nachzukommen, liefe dem Sinn und Zweck der HVM-Regelungen, die abrechnungsfähige Leistungsmenge zu begrenzen, zuwider. Zwar könnten Praxisschließungen im Umfeld einer Praxis durchaus einen Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets begründen, doch habe die Klägerin keinen Nachweis für die Übernahme von Patienten aus den Praxen P und S erbracht. Zudem habe der Arzt P seine Praxis schon zum 31. März 2003 geschlossen und damit vor Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin.

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Erhöhung des Individualbudgets ergebe sich schon aus der besonderen Versorgungssituation im M V. Von der Regelung für Jung-Praxen in § 9 Abs. 4c) HVM müsse abgewichen werden. Das Gebiet sei bei vier offenen Hausarztsitzen unterversorgt gewesen, weshalb viele neue Patienten in die Praxis geströmt seien und die übrigen Ärzte der Praxisgemeinschaft ein weit überdurchschnittliches Individualbudget aufwiesen. Diese erzielten einen Punktwert von über 4 Cent, sie selbst dagegen nur etwa 2,5 Cent. Zudem habe die Anzahl der aus den geschlossenen Praxen P und S übernommenen Patienten etwa 150 betragen. In Zusammenhang mit dem Patientenzustrom seien auch beide genannten Praxen zu berücksichtigen. Eine dokumentierte Patientenübernahme könne insoweit nicht verlangt werden. Schließlich sei der Individualbudget-HVM auch nur für eine kurze Zeit und als Übergangsregelung geplant gewesen. Die Klägerin dürfe an ihm nicht dauerhaft festgehalten werden.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 13. August 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Neufestsetzung bzw. Erweiterung des Individualbudgets bestehe nicht. Als Jungpraxis könne sie nach § 9 Abs. 4 c) HVM nicht beanspruchen, über den Fachgruppendurchschnitt hinaus zu wachsen. Nichts anderes folge aus der Schließung der Praxen P und S. Ersterer müsse außer Betracht bleiben, weil die Praxisschließung zum 31. März 2003 und somit noch vor Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin erfolgt sei. Die Praxis S sei zwar erst zum 31. Dezember 2003 geschlossen worden, doch sei eine signifikante Steigerung der Fallzahlen der Klägerin danach nicht zu verzeichnen. Unerheblich sei schließlich auch die Versorgungssituation im Bezirk R, denn am 1. April 2003 hätten vier offenen Hausarztsitzen 171 niedergelassene Hausärzte gegenüber gestanden. Nach Angaben der Beklagten habe der Versorgungsgrad bei 105 Prozent gelegen, so dass von einer Unterversorgung nicht die Rede sein könne. Dass die Praxis der Klägerin sehr schnell eine überdurchschnittliche Fallzahl aufgewiesen habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie Patienten aus der bereits bestehenden und gut etablierten Praxisgemeinschaft übernommen habe. Ein Anspruch auf Erhöhung des Individualbudgets ergebe sich hieraus aber nicht.

Gegen das ihr am 22. August 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. September 2008 Berufung eingelegt. Ergänzend bringt sie vor: Es sei sachwidrig, die aus der Praxis des Pulmologen P übernommenen Patienten außer Betracht zu lassen. Die Beklagte und auch das Sozialgericht stellten ungerechtfertigte Anforderungen an den Nachweis einer Übernahme von Patienten aus geschlossenen Praxen. Insgesamt habe sie bei ihrer Zulassung nicht die typische Situation eines neu zugelassenen Hausarztes vorgefunden; vielmehr habe es aufgrund einer Bedarfslücke erhebliche Patientenzuströme gegeben. Aufgrund der gravierenden Unterschiede zu anderen Neupraxen sei eine Erhöhung des Individualbudgets geboten. Auch das Bundessozialgericht habe in seiner Rechtsprechung das Wachstum einer Neupraxis über den Fachgruppendurchschnitt hinaus nicht generell ausgeschlossen. Die unterschiedliche Honorierung im Vergleich zu Altpraxen sei nicht hinnehmbar.

Die Klägerin beantragt,

1)das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. August 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über ihren Antrag vom 1. Dezember 2003 auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets für die Quartale III/03 bis I/05 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
2)das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. August 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar in den Quartalen II/05 bis II/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Auf Nachfrage hat die Beklagte mitgeteilt, dass sämtliche der Klägerin im streitigen Zeitraum erteilten Honorarbescheide nicht bestandkräftig seien.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nur mit dem Antrag zu 2) – Feststellung dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar in den Quartalen II/05 bis II/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen – begründet.

I. Die Klägerin ist ohne Einschränkung rechtsschutzbedürftig. Die Höhe des maximal abrechenbaren individuellen Punktzahlvolumens (Individualbudget) ist einer eigenständigen Klärung auch losgelöst von der Anfechtung eines konkreten Honorarbescheids zugänglich. Weil sämtliche der Klägerin erteilten Honorarbescheide für den Zeitraum der Quartale III/2003 bis II/2008 noch nicht bestandskräftig geworden sind, ist für einen Rechtsstreit über das Individualbudget der Klägerin grundsätzlich noch Raum, denn dieser kann einen höheren Honoraranspruch nach sich ziehen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12 und 14).

II. Unbegründet ist die Berufung im Hinblick auf das Begehren, eine neue Entscheidung der Beklagten über das Individualbudget der Klägerin für die Quartale III/03 bis I/05 zu erreichen (Antrag zu 1). Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; die erstinstanzliche Entscheidung ist insoweit zu Recht ergangen.

Der seit dem 1. Juli 2003 geltende HVM der Beklagten sah als zentrales Steuerungs- und Vergütungsinstrument ein maximal abrechenbares individuelles Punktzahlvolumen (Individualbudget) vor, welches alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten für punktzahlbewertete Leistungen erhielten. Als Bemessungszeitraum waren die Quartale I/2002 bis IV/2002 vorgesehen. Mit den gesetzlichen Regelungen zur Honorarverteilung (insbesondere § 85 Abs. 4 Satz 1 bis 3 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch [SGB V]) und dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit ist dies grundsätzlich vereinbar (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Dezember 2003, B 6 KA 54/02 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13 ff.).

Die Zuordnung des Individualbudgets orientiert sich im Falle der Klägerin an § 9 Abs. 4 Buchst. c) HVM, denn sie war am 1. Juli 2003 noch nicht länger als 20 Quartale im Bereich der Beklagten als Vertragsärztin zugelassen („Jungpraxis“).

Die Vorschrift lautet:

„Einem Vertragsarzt und Psychotherapeuten, der am 01.07.2003 im Bereich der KV Berlin, jedoch nicht länger als 20 Quartale zugelassen war (sog. Jungpraxis) und mit seinem Individualbudget unterhalb des jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes seiner Fach-/Untergruppe liegt, wird bis zum Erreichen der Niederlassungsdauer einschließlich des 20. Quartals ein Zuwachs bis zum jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe gestattet. Für psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jungendlichenpsychotherapeuten ist dabei die Zeit der Tätigkeit im Delegationsverfahren anzurechnen. Erreicht ein Vertragsarzt und Psychotherapeut in diesem Zeitraum den durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe nicht, wird ihm das maximal erreichte Punktzahlvolumen als Individualbudget zugeordnet mit der Folge, dass ihm danach ein erlaubter Zuwachs von jährlich 3 % bezogen auf dieses Individualbudget vorbehaltlich der Regelung des § 10, jedoch höchstens bis zum jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe gestattet wird. Erreicht oder überschreitet der Vertragsarzt und Psychotherapeut bis zum Erreichen der Niederlassungsdauer einschließlich des 20. Quartals mit seinem maximal abrechenbaren individuellen Punktzahlvolumen den jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe, wird ihm der jeweilige durchschnittliche Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe zugeordnet, sofern er nicht bereits vor dem 01.07.2003 den jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert seiner Fach-/Untergruppe überschritten hat und ihm deshalb ein höheres Individualbudget zugeordnet worden ist.“

Weil die Klägerin im Quartal II/2003 den durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert ihrer Fachgruppe noch nicht erreicht hatte, hat sie dementsprechend Zuwachsmöglichkeiten bis zum Punktzahlengrenzwert. Dass sie diesen Zuwachs schon im zweiten Quartal ihrer Tätigkeit erreicht hat und nicht erst nach 20 Quartalen, wirkt sich für sie nur positiv aus und muss rechtlich außer Betracht bleiben. Die Klägerin kann aus ihrer guten Ausgangslage nicht noch weiter gehende Rechte ableiten.

Die zitierte Regelung für Jungpraxen im HVM der Beklagten ist auch mit den Regelungen in § 85 SGB V, dem dort verfolgten Ziel der Punktwertstabilisierung sowie dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit vereinbar. In seinen Urteilen vom 10. Dezember 2003 (B 6 KA 54/02 R [Rdnr. 25 ff.] und B 6 KA 76/03 R [Rdnr. 26]) hat das Bundessozialgericht unmissverständlich ausgeführt, dass für Praxen in der Aufbauphase ein Wachstum über den Fachgruppendurchschnitt hinaus ausgeschlossen werden kann. Genau dieser Beschränkung unterliegt die Klägerin.

Der konkrete Sachverhalt gibt keinen Anlass, etwa über § 9 Abs. 9 HVM ein Wachstum der Praxis der Klägerin über den Fachgruppengrenzwert hinaus zuzulassen. Dies haben Beklagte und Sozialgericht zutreffend entschieden. Hohe Nachfrage nach ärztlicher Versorgung allein kann kein „begründeter Fall“ sein, um mit dem Grundsatz einer Begrenzung durch den Fachgruppengrenzwert zu brechen. Diese Herangehensweise unterliefe die Hauptintention der HVM-Regelungen, nämlich Wachstumsbegrenzung und Punktwertstabilität. Aus der Schließung der Praxen der Ärzte P und S folgt nichts anderes. Ersteren haben Beklagte und Sozialgericht zu Recht ganz außer Betracht gelassen, weil die Praxisschließung sich nicht während der Tätigkeit der Klägerin ereignete und die Patienten dieses Arztes ein Teil der „Startmasse“ bei Aufnahme der Praxistätigkeit am 1. April 2003 waren. Die Patienten der Ärztin S, die ihre Praxis ohne Nachfolge am 31. Dezember 2003 aufgab, fielen bei den Fallzahlen der Klägerin nicht merklich ins Gewicht. So lagen die Fallzahlen in den Quartalen I/2004 und II/2004 jeweils sogar deutlich unter denen der Quartale III/2003 und IV/2003. Ein messbarer, relevanter Patientenzustrom, der Anlass für eine Sonderregelung nach § 9 Abs. 9 HVM böte, ist damit nicht zu verzeichnen.

III. In der Sache erfolgreich ist hingegen der Antrag zu 2). Insoweit waren die erstinstanzliche Entscheidung sowie der entgegen stehende Bescheid der Beklagten aufzuheben, verbunden mit der Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Honorar der Klägerin für den Zeitraum der Quartale II/05 bis II/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

1. Zulässig ist die Klage insoweit zum einen als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides, der den Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets ablehnte und auf der Annahme beruhte, dass auch für die Zeit ab dem Quartal II/05 noch ein Individualbudget festgesetzt werden dürfe. Effektivem Rechtsschutz entspricht es aus Sicht der Klägerin, diesen Bescheid nicht bestandskräftig werden zu lassen. Sachgerecht kombiniert ist diese Anfechtungsklage mit einer Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG); das streitige Rechtsverhältnis besteht insoweit in der Frage, ob die Beklagte überhaupt noch berechtigt war, das Honorar der Klägerin ab dem Quartal II/05 durch ein Individualbudget zu begrenzen. An einer derartigen Feststellung hat die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 55 Abs. 1, letzter Halbs. SGG. Die so verstandene Feststellungsklage ist auch nicht unter dem Aspekt der Subsidiarität unzulässig (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 19 ff. zu § 55); die mit der Anfechtungsklage kombinierte Verpflichtungsklage, gerichtet auf Neufestsetzung eines Individualbudgets für den streitigen Zeitraum, wäre – was weiter unten (III. 2.) zu zeigen sein wird – offensichtlich unbegründet, denn ab dem Quartal II/2005 war die Beklagte kraft bundesgesetzlicher Regelungen grundsätzlich gehindert, überhaupt vertragsärztliches Honorar durch ein Individualbudget zu begrenzen. Es kann der Klägerin nicht zugemutet werden, mit einer statthaften Anfechtungs-/Verpflichtungsklage kostenpflichtig zu unterliegen, während sie mit einer Anfechtungs-/Feststellungsklage – wie hier – obsiegen würde. Die im Berufungsverfahren auf Anraten des Senats (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGG) vorgenommene Änderung des Klageantrags wäre damit auch sachdienlich im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG.

2. Grundsätzlich steht einem Anspruch auf Erhöhung des Individualbudgets für die Zeit ab dem Quartal II/05 entgegen, dass das Regelungskonzept der Individualbudgets in dem HVV der Beklagten rechtswidrig ist. Die für die streitigen Quartale maßgeblichen Honorarverteilungsregelungen entsprechen weder den gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs. 4 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) (unten a) noch der am 29. Oktober 2004 beschlossenen Übergangsregelung des Bewertungsausschusses (unten b). Dementsprechend gibt es (ab dem Quartal II/2005) keine gesetzliche Grundlage mehr, aufgrund derer eine Erhöhung des Individualbudgets beansprucht werden kann.

a) Gemäß § 85 Abs. 4 SGB V in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. November 2003 (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG, BGBl. I S. 2190) verteilt die Beklagte die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte, und zwar getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (Satz 1). Sie wendet dabei ab dem 1. Juli 2004 den mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen erstmalig bis zum 30. April 2004 gemeinsam und einheitlich zu vereinbarenden Verteilungsmaßstab an. Bei der Verteilung der Gesamtvergütungen sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragsärzte zugrunde zu legen; dabei ist jeweils für die von den Krankenkassen einer Kassenart gezahlten Vergütungsbeträge ein Punktwert in gleicher Höhe zugrunde zu legen (Satz 3, 1. Halbsatz). Der Verteilungsmaßstab hat Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes entsprechend seinem Versorgungsauftrag nach § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorzusehen (Satz 6). Insbesondere sind arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina [RLV], Satz 7). Im Fall der Überschreitung der Grenzwerte ist die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten zu vergüten (Satz 8). Nach § 85 Abs. 4 a Satz 1 SGB V bestimmt der Bewertungsausschuss Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütungen nach § 85 Abs. 4 SGB V, unter anderem erstmalig bis zum 29. Februar 2004 auch den Inhalt der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen. Die nach § 85 Abs. 4 a SGB V zu beschließenden bundeseinheitlichen Vorgaben für die regionalen Honorarverteilungsmaßstäbe sind nach § 85 Abs. 4 Satz 10 SGB V Bestandteil der an die Stelle der bisherigen Beschlussfassung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen tretenden HVM-Vereinbarungen nach § 85 Abs. 4 Satz 2 SGB V, was in seiner rechtlichen Bindungswirkung der Vereinbarung des Bundesmanteltarifvertrages als „allgemeiner Inhalt der Gesamtverträge“ nach § 82 Abs. 1 SGB V entspricht.

Der Bewertungsausschuss ist seinen Regelungsverpflichtungen nach § 85 Abs. 4 a SGB V u. a. durch den Beschluss vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 46 vom 12. November 2004, Seite A-3129) nachgekommen (im Folgenden: BRLV). Darin bestimmt er, dass Regelleistungsvolumen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V arztgruppenspezifische Grenzwerte sind, bis zu denen die von einer Arztpraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum (Arzt-Abrechnungsnummer) im jeweiligen Kalendervierteljahr (Quartal) erbrachten ärztlichen Leistungen mit einem von den Vertragspartnern des Honorarverteilungsvertrages (ggf. jeweils) vereinbarten, festen Punktwert (Regelleistungspunktwert) zu vergüten sind. Für den Fall der Überschreitung der Regelleistungsvolumen ist vorzusehen, dass die das Regelleistungsvolumen überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten (Restpunktwerten) zu vergüten ist (III. 2.1 BRLV). Für die Arztpraxis oder das medizinische Versorgungszentrum, die bzw. das mit mindestens einer der in Anlage 1 genannten Arztgruppen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, sind im Honorarverteilungsvertrag nachfolgende Regelleistungsvolumen zu vereinbaren, für die dieser Beschluss die Inhalte der Regelungen vorgibt (III. 3.1 Abs. 1 BRLV). Die in 4. aufgeführten Leistungen, Leistungsarten und Kostenerstattungen unterliegen nicht den Regelleistungsvolumen (III. 3.1 Abs. 4 BRLV).

Diesen Vorgaben wird der im streitigen Zeitraum geltende HVV der Beklagten nicht gerecht, weil er das Honorar der Vertragsärzte wie die schon seit dem 1. Juli 2003 geltenden Honorarverteilungsmaßstäbe durch ein Individualbudget begrenzt; hierin liegt ein Verstoß gegen das nach § 85 Abs. 4 SGB V verbindlich vorgegebenen System der Regelleistungsvolumen.

Grundsätzlich steht den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen bei der Vereinbarung der Honorarverteilungsverträge Gestaltungsfreiheit zu, dies jedoch nur, soweit und solange ein höherrangiger Normgeber – insbesondere der Gesetzgeber, aber auch der Bewertungsausschuss – innerhalb der ihm übertragenen Kompetenzen die Materie nicht selbst geregelt hat (vgl. Urteil des BSG vom 18. August 2010, B 6 KA 27/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Im vorliegenden Fall wird der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner bei den Honorarverteilungsregelungen durch die genannten gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V und ferner dadurch maßgeblich eingeschränkt, dass der Bewertungsausschuss durch Beschluss vom 29. Oktober 2004 nach § 85 Abs. 4 a Satz 1, 2. Halbs. SGB V in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung Vorgaben zum Inhalt der Regelungen nach § 85 Abs. 4 Satz 6 bis 8 SGB V getroffen hat. Mit dem GMG hat der Gesetzgeber die bisher als Soll-Vorschrift ausgestaltete Regelung zu den Regelleistungsvolumina (§ 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V a.F.) verbindlich vorgegeben (nunmehr: „… sind Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die Leistungen … mit festen Punktwerten zu vergüten sind…“). Dadurch soll erreicht werden, dass die von den Ärzten erbrachten Leistungen bis zu einem bestimmten Grenzwert mit festen Punktwerten vergütet werden und ihnen dadurch Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und Einkommen gewährt wird. Leistungen, die den Grenzwert überschreiten, sollen mit abgestaffelten Punktwerten vergütet werden; damit soll zum einen der Kostendegression bei steigender Leistungsmenge Rechnung getragen werden und zum anderen soll der ökonomische Anreiz zur übermäßigen Mengenausweitung begrenzt werden (vgl. BT-Drs. 15/1170, S. 79).

Die Honorarverteilungsregelungen, die die Beklagte und die Krankenkassen für den hier streitbefangenen Zeitraum vereinbart haben, berücksichtigen die zwingenden gesetzlichen Vorgaben in ihren „Kernpunkten“ (so Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 40) nicht, denn sie sehen weder die Festlegung von arztgruppenspezifischen Grenzwerten vor, bis zu denen die von einer Arztgruppe erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind, noch sehen sie vor, dass die darüber hinaus abgerechneten Punktmengen mit abgestaffelten Punktwerten zu vergüten sind. Die Regelungen des hier angewandten HVV sowie auch die Vorgängerregelungen des HVM sehen vielmehr für alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten die Bildung eines individuellen Punktzahlvolumens (Individualbudget) vor, innerhalb dessen die Leistungen mit einem im HVV festgelegten Punktwert vergütet werden sollen, vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 HVV vom 10. April 2006.

Das Individualbudget wird bei einer Praxis, die wie die der Klägerin als Jungpraxis einzustufen ist, nach Abzug bestimmter Leistungen aus den individuellen Umsätzen des Durchschnitts des Bemessungszeitraums (Quartale I/02 bis IV/02) und getrennt nach Primär- und Ersatzkassen gebildet. Die um diese Leistungen geminderten Umsätze werden mit dem Faktor 10/0,0511292 multipliziert. Daraus ergibt sich, nach Division durch die Anzahl der Quartale, ein Individualbudget je Arzt bzw. Praxis und Quartal. Dieses durchschnittliche Individualbudget je Quartal wird zum Ausgleich der Quartalsschwankungen der pauschalierten Gesamtvergütung mit einem Gewichtungsfaktor (Anlage 1 des HVV) versehen. Im Ergebnis erhält jeder Arzt bzw. jede Praxis ein quartalsbezogenes Individualbudget für all jene Leistungen, die – vorbehaltlich der Regelungen in § 9 Abs. 3 HVV – mit einem festen Punktwert zu vergüten sind, der im HVV als Individualbudgetpunktwert von 4,15 Cent genannt wird, vgl. § 9 Abs. 1 Satz 3 HVV. Nach § 9 Abs. 4 HVV wird ferner eine Fachgruppenquote ermittelt, die Auswirkungen auf die Vergütung der im Individualbudget erbrachten Leistungen hat. Zur Ermittlung der je Fachgruppe maximal zu einem festen Punktwert zu vergütenden Leistungen (Abs. 2) werden die nach Abs. 3 verringerten Honorarfonds der Fachgruppen durch den Faktor 0,0415 dividiert. Somit ergibt sich je Fachgruppe das maximal zu 4,15 Cent zu vergütende Punktvolumen. Dieses Punktvolumen je Fachgruppe wird durch die Summe der nach Abs. 2 gebildeten Individualbudgets je Fachgruppe dividiert. Der daraus resultierende Quotient ist die Fachgruppenquote. Die vom Arzt angeforderten Punkte – maximal bis zur Höhe des ermittelten Individualbudgets – werden mit der jeweiligen Fachgruppenquote multipliziert. Das so ermittelte Punktvolumen wird mit 4,15 Cent vergütet, vgl. § 9 Abs. 5 HVV. Die über dieses Punktvolumen hinaus abgerechneten Leistungen werden mit einem floatenden Punktwert vergütet.

Aufgrund dieser HVV-Regelungen ist es grundsätzlich möglich, dass für die Vergütung der Leistungen mit einem Punktwert von 4,15 Cent nicht allein das nach § 9 Abs. 2 HVV ermittelte individuelle Punktzahlvolumen des Arztes maßgeblich war, sondern das Abrechnungsverhalten der übrigen Ärzte der Fachgruppe. Daraus ergibt sich, dass anders als bei den Regelungen über RLV, bei denen ein zuvor festgelegter Punktwert bis zu einer bestimmten oder bestimmbaren Obergrenze der vom Arzt erbrachten Leistungen gilt, bei den Honorarregelungen der Beklagten nicht im Vorfeld bestimmbar ist, welches Punktzahlvolumen mit einem festen Punktwert vergütet wird. Zudem sieht der HVV der Beklagen auch keine Abstaffelung des Punktwertes für die über das Budget hinaus erbrachten Leistungen vor, wie dies § 85 Abs. 4 Satz 8 SGB V vorgibt. Die Abstaffelung von Vergütungen, die ihr Vorbild in den Maßnahmen zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der Kassenpraxis hat, trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Arztpraxis wesentlich auf der fachlichen Qualifikation und Leistungsfähigkeit des freiberuflich tätigen Vertragsarztes beruht und daher in ihrer Kapazität ohne Qualitätseinbußen nicht erweiterungsfähig ist, wobei auch gleichzeitig der Einspareffekt berücksichtigt wird, der durch eine starke Auslastung der medizinisch-technischen Geräte genutzt wird (vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand II/10, § 85 RdNr. 262 b).

Schließlich fehlt es in dem HVV der Beklagten auch an arztgruppenspezifischen Festlegungen. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 17. März 2010 (B 6 KA 43/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17) ausgeführt hat, erfordert das Merkmal der arztgruppenspezifischen Grenzwerte (§ 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V n.F.), dass in die Regelung jedenfalls auch ein Element arztgruppeneinheitlicher Festlegung einfließt, wobei es nicht ausreicht, dass jeder Arztgruppe ein gemeinschaftliches Honorarkontingent („Honorartopf“) zugeordnet ist. Vielmehr müsse die Regelung z. B. jedenfalls auf arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen aufbauen. Der den in dem streitbefangenen Zeitraum gebildeten Individualbudgets zugrunde gelegte HVV der Beklagten enthält indessen keine Elemente arztgruppeneinheitlicher Festlegung, sondern legt der Honorarabrechnung Punktzahlgrenzen zugrunde, die für jede Arztpraxis individuell ausgehend von dem Umsätzen des Jahres 2002 gebildet wurden. Die mit arztgruppenspezifischen Grenzwerten beabsichtige Nivellierung vertragsärztlicher Honorare wird durch Individualbudgets, die in erster Linie an den praxisindividuellen Leistungsumfang in einem Referenzzeitraum anknüpfen, gerade nicht erreicht. Der HVV der Beklagten verstößt daher gegen § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V.

b) Die Bestimmungen des HVV über das Individualbudget widersprechen auch der Übergangsregelung in Teil III Nr. 2. 2. des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004. Dort ist folgendes geregelt:

„Sofern in einer Kassenärztlichen Vereinigung zum 31. März 2005 bereits Steuerungselemente vorhanden sind, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 3 SGB V vergleichbar sind, können diese bis zum 31. Dezember 2005 fortgeführt werden, wenn die Verbände der Krankenkassen auf Landesebene das Einvernehmen hierzu herstellen. Wird kein Einvernehmen durch die Verbände der Krankenkassen auf Landesebene hergestellt oder sind solche Steuerungselemente, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 4 SGB V vergleichbar sind, nicht vorhanden, finden Regelleistungsvolumen gemäß 3. mit Wirkung zum 1. April 2005 Anwendung“.

Die Fortgeltung dieser Regelung, deren Rechtmäßigkeit das Bundessozialgericht bestätigt hat (vgl. Urteil vom 17. März 2010, B 6 KA 43/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 21), bis zum 31. Dezember 2006 bzw. im Jahr 2007 ergibt sich aus Teil IV des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses vom 16. Dezember 2005, für das Jahr 2007 aus Teil II des Beschlusses des Bewertungsausschusses aus der 117. Sitzung und für das Jahr 2008 aus der 139. Sitzung, Teil A Nr. 2.1 des Beschlusses.

Mit der Bezugnahme auf „vorhandene Steuerungselemente“ erlaubt der Beschluss des Bewertungsausschusses von den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V (arztgruppenspezifische Grenzwerte, Vergütung mit festen Punktwerten, abgestaffelte Punktwerte bei Überschreitung der Grenzwerte) nur dann eine Ausnahme, wenn bereits Steuerungselemente vorhanden sind, deren Auswirkungen mit den Vorgaben der gesetzlichen Regelung vergleichbar sind, und diese Instrumente fortgeführt werden. Hieran fehlt es allerdings (anders noch Urteil des Senats vom 24. November 2010, L 7 KA 162/07); Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist. Eine andere Sichtweise hätte eine weitgehende Suspendierung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben zur Folge, zu der auch der Bewertungsausschuss nicht berechtigt war.

Den Regelungen über RLV liegt die Vorstellung zugrunde, dass für jeden Arzt ein Leistungsvolumen festgelegt werden soll, das den im Regelfall anfallenden Versorgungs- und Behandlungsbedarf abdecken soll. Dafür ist vorgesehen, dass aus dem Versorgungsumfang der Arztgruppe ein entsprechender Gesamtbehandlungsbedarf ermittelt wird, aus dem sich die arztgruppenbezogenen Regelleistungsvolumina für jede Arztgruppe (§ 85 a SGB V) und für jeden einzelnen Arzt ergeben. Im Rahmen dieser Volumina erfolgt eine Vergütung mit festen Punktwerten. Nur soweit ein spezieller weiterer Behandlungsbedarf besteht, soll der Arzt zusätzliches Honorar erhalten können. Das Honorar für Leistungen, die über das RLV hinaus erbracht werden, wird abgestaffelt. Ziel der Regelungen ist es zum einen, dem Vertragsarzt Kalkulationssicherheit bei der Vergütung seiner Leistungen bis zu einer bestimmten Obergrenze zu gewährleisten; zum anderen soll damit die Kostendegression bei steigender Leistungsmenge durch die Abstaffelung des Vergütungspunktwertes bei den das RLV übersteigenden Leistungen verringert werden (vgl. Engelhard a.a.O., § 85 RdNr. 258 a mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Zwar zielen auch die Regelungen über Individualbudgets darauf ab, den Ärzten Kalkulationssicherheit zu verschaffen und den Anreiz zur Leistungsausweitung zu vermindern. Allein die Zielsetzung einer Regelung ist jedoch nicht ausreichend, die in § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V genannten Vorgaben zu erfüllen. Maßgeblich kommt es auf die Auswirkungen des jeweiligen Steuerungsinstruments an; diese sind – wie gezeigt – beim Regelleistungsvolumen einerseits und beim Individualbudget andererseits verschieden (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. September 2010, L 11 KA 23/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 95).

c) Vor diesem Hintergrund kommt der Senat ebenso wie das Sozialgericht Berlin in seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011, S 79 KA 198/08) und ebenso wie das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das über ähnliche HVV-Regelungen zu entscheiden hatte (a.a.O., anhängig beim Bundessozialgericht zum Aktenzeichen B 6 KA 3/11 R, Revisionsentscheidung erwartet für den 14. Dezember 2011) zu dem Ergebnis, dass der HVV der Beklagten in dem hier streitbefangenen Zeitraum keine Steuerungselemente enthielt, deren Auswirkungen mit den Vorgaben der gesetzlichen Regelung vergleichbar sind. Die mit dem System der Vergütung nach Regelleistungsvolumina für die Vertragsärzte gegebenenfalls verbundenen Vorteile dürfen aber nicht ohne normative Grundlage im Bundesrecht durch die Partner der HVV so begrenzt werden, dass anstelle der Regelleistungsvolumina faktisch praxisindividuelle Budgets zur Anwendung kommen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. August 2010, B 6 KA 27/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 39). Da die Regelungen des HVV über die Bildung von Individualbudgets somit gegen höherrangiges Recht verstoßen, sind sie rechtswidrig.

Nach alldem hatte die Klägerin Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für den Zeitraum der Quartale II/05 bis II/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 VwGO und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).