Gericht | OLG Brandenburg 3. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 29.05.2013 | |
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Aktenzeichen | 15 WF 129/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Potsdam vom 18. April 2013 – 46 F 26/13 – dahin abgeändert, dass keine Raten zu zahlen sind.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Entgegen der Ansicht des Familiengerichts verbleibt ihr nach Abzug aller gem. § 115 ZPO anrechenbaren Abzüge kein einzusetzendes Einkommen, das eine Ratenzahlungsverpflichtung gem. § 115 Abs. 3 ZPO rechtfertigen könnte. Soweit das Familiengericht nach der im Übrigen nicht zu beanstandenden Berechnung zu einem einzusetzenden Einkommen von 46,06 € gelangt ist, beruht dies auf der Annahme, dass gem. § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO von den Kosten, die die Antragstellerin für Unterkunft und Heizung aufwendet, lediglich 90,90 € absetzbar sind.
Tatsächlich belaufen sich jedoch die gem. § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO zu berücksichtigenden monatlichen Wohn- und Heizkosten auf mindestens 137,75 €, nämlich
a) | Kosten für Wasserver- und Abwasserentsorgung (599,33 €: 12) | 49,94 €, |
b) | Kosten für Grundsteuer (93,39 € : 12) | 7,83 €, |
c) | Kosten für Wohngebäudeversicherung: (239,81 € : 12) | 19,98 €, |
d) | Kosten für Heizung (Gas) | 60,00 €, |
mithin insgesamt | 137,75 €, |
so dass unter Berücksichtigung Freibeträge und der weiteren Einkünfte und Ausgaben kein einzusetzendes Einkommen verbleibt. Soweit das Familiengericht insbesondere die Kosten für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung nicht als abzugsfähige Aufwendungen i.S.v. § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO berücksichtigt hat, entspricht diese Ansicht zwar der Rechtsauffassung des BGH (FamRZ 2008, 781) und der langjährigen Spruchpraxis des Senats. Der Senat hält daran jedoch nicht mehr fest.
Zu den nach § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO zu berücksichtigenden Abzügen für Unterkunft und Heizung gehören auch die als Mietnebenkosten berechenbaren Beträge für die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung des Abwassers, und zwar unabhängig davon, ob diese Kosten tatsächlich vom Vermieter der Wohnung als Betriebskosten auf den um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten umgelegt werden oder letzterer diese Kosten - wie hier - als Eigentümer aufzubringen hat. Die Regelung in § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO knüpft, wie sich bereits aus § 115 Abs. 1 Ziff. 1. a) ergibt, hinsichtlich der Berücksichtigung von Wohnkosten an das Sozialhilferecht an. Mithin ist es gerechtfertigt, diese Norm dahin auszulegen, dass nur solche Wohnkosten vom Regelungsbereich erfasst sein sollen, die nicht bereits bei der Bemessung des Regelbedarfs nach §§ 27a, 28 SGB XII, an deren Stelle im Verfahrenskostenhilfeverfahren die Freibeträge gem. § 115 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO treten, berücksichtigt worden sind. Zu diesen nicht bei der Ermittlung des Regelbetrages erfassten Wohnkosten zählen zunächst alle von § 35 SGB XII erfassten Kosten für Wohnung und Heizung, denn diese Kosten werden kraft Gesetzes über den Regelbedarf hinaus als besonderer Bedarf in Höhe der tatsächlichen und angemessenen Aufwendungen anerkannt. Nach ganz herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung gehören zu den tatsächlichen Aufwendungen i. S. des § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII alle Nebenkosten der Unterkunft, soweit es sich um die ihrer Art nach in § 2 Betriebskostenverordnung vom 25.11.2003 (BGBl I, 2346 - BetrKV) aufgeführten Betriebskosten handelt, weil der Vermieter berechtigt ist, sie gem. § 556 BGB auf die Mieter umzulegen, ohne dass Letzterer diese Kosten senken oder gar vermeiden kann (vgl. nur BSG, NZS 2010, 110; BSGE 102, 247; BSG Urteil v. 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R – Zit. n. juris; Bieritz-Harder/Conradis/Thiel, SGB XII, 9. Aufl., § 35, Rn. 22; Kreikelbohm/Spellbrink/ Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl., § 35 SGB XII, Rn. 2). Zu diesen Betriebskosten gehören nach § 2 Nr. 2 u. 3 BetrKV auch die Kosten der Wasserversorgung, die Kosten des Wasserverbrauchs, die Grundgebühren, die Kosten der Anmietung oder anderer Arten der Gebrauchsüberlassung von Wasserzählern, die Gebühren für die Haus- und Grundstücksentwässerung, die Kosten des Betriebs einer entsprechenden nicht öffentlichen Anlage und die Kosten des Betriebs einer Entwässerungspumpe.
Dass die Aufwendung für die Wasserver- und Entsorgung nicht bereits bei der Bemessung des Regelbedarfs gem. § 28 SGB XII berücksichtigt sind, ergibt sich auch bei näherer Betrachtung der Grundlagen für die Regelbedarfsermittlung. Nach § 28 Abs. 3 SGB XII erfolgt die Ermittlung des Regelbedarfs im Sozialhilferecht auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt vorgenommenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die einer Sonderauswertung zu unterziehen ist. Gem. § 28 Abs. 4 SGB XII i.V.m. § 5 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG) werden nur bestimmte Verbrauchsausgaben der einzelnen Abteilungen der EVS bei dieser Sonderauswertung für die Regelbedarfsermittlung berücksichtigt. Hierzu zählen gem. § 5 RBEG u.a. die nicht näher aufgeschlüsselten Kostenpositionen in der EVS „Abteilung 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung)”. Dass der Gesetzgeber dabei keine Wasserkosten in die Kalkulation einbezogen hat, ergibt sich erst aus der Gesetzesbegründung zum RBEG. Darin stellt der Gesetzgeber klar, welche Einzelpositionen er aus der Abteilung 4 der EVS für Wohnung, Energie und Wasser in die Sonderauswertung einfließen lassen will, nämlich lediglich die Kosten des Materials und Arbeitsaufwandes für Instandhaltung und Schönheitsreparaturen der Wohnung sowie Stromkosten. Zur Begründung hat sich der Gesetzgeber darauf berufen, dass „der weit überwiegende Teil der in Abteilung 04 nachgewiesenen Verbrauchsausgaben .... auf Ausgaben für Miete und Heizung (entfällt). Diese Ausgaben werden für Leistungsberechtigte nach § 35 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch beziehungsweise nach § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch gesondert erbracht und sind deshalb beim Regelbedarf nicht zu berücksichtigen” (BT-Drs. 17/3404, S. 55). Dann aber besteht keine Veranlassung, davon auszugehen, dass die Kosten für die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung von Abwasser bereits bei der Regelbedarfsbemessung berücksichtigt sind. Sie sind vielmehr dem daneben bestehenden Wohnbedarf gem. § 35 SGB XII zuzurechnen. Mithin ist es auch nicht gerechtfertigt, im Verfahrenskostenhilfeverfahren davon auszugehen, dass diese Wohnkosten mit dem Abzug der Freibeträge gem. § 115 Abs. 1, Ziff. 1 und 2 vom Einkommen des um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten abgegolten sind. Vielmehr sind sie neben diesen Freibeträgen als Kosten der Unterkunft i.S.v. § 1 Abs. 1 Ziff 3 ZPO vom Einkommen abzusetzen.
Nimmt man diesen Abzug im vorliegenden Fall vor, so verbleibt der Antragstellerin kein anrechenbares Einkommen, so dass ihr ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.
Der Senat lässt gem. § 70 Abs. 1, 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zu, da dies angesichts der von dieser Entscheidung abweichenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Rechtssache hat auch grundsätzliche Bedeutung, weil von einer Vielzahl gleichartiger Fälle auszugehen ist.