Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 29. Senat | Entscheidungsdatum | 16.04.2018 | |
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Aktenzeichen | L 29 AS 320/18 B ER | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2018:0416.L29AS320.18B.ER.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86b SGG |
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2018 geändert.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in vollem Umfang abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1966 geborene Antragsteller lebt seit Januar 2011 mit Frau H S (im Folgenden: Partnerin) gemeinsam in einer Wohnung mit einer monatlichen Miete von insgesamt 659 €. Die Partnerin ist Mitinhaberin eines Wohn- und Geschäftshauses in F, aus dem nach dem Vortrag des Antragstellers in dem Jahr 2017 Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt 4.500 € erzielt worden sind, und eines Hausgrundstücks in Spanien (A), welches zum Verkauf stand. Der Wert des Hausgrundstücks in Spanien wurde im Verwaltungsverfahren mit 49.550,97 € (Stand: September 2005) angegeben und am 15. Januar 2018 wurde hierfür ein Kaufvertrag mit einem tatsächlichen Kaufpreis von 270.000 € geschlossen, von denen 10 % (27.000 €) als Anzahlung geleistet wurden. Nach einem in Kopie vorgelegten Darlehensvertrag vom 13. Juni 2016 erhält die Partnerin von ihren Eltern außerdem monatlich 2000 € sowie „außergewöhnliche eingeforderte Zahlungen“ als unverzinsliches Darlehen mit dem Verwendungszweck „dass sie und ihr Lebensgefährte ihren Lebensunterhalt bestreiten können“ bis „entweder bei dem Jobcenter die Unterhaltsfragen der Darlehensnehmerin geklärt oder die Mittel der Darlehensgeber erschöpft sind“. Als Tilgung wurde vereinbart, dass eine Rückzahlung des Darlehens nach dem Verkauf des Hauses in Spanien erfolgen soll. Als Darlehenssumme ergeben sich aus der vorgelegten Anlage zu dem Darlehensvertrag im Zeitraum von Juni 2016 bis Januar 2018 Zahlungen i.H.v. insgesamt 37.700 €.
Am 23. Mai 2017 beantragte der Antragsteller erneut Arbeitslosengeld II, welches der Antragsgegner mit der Begründung ablehnte, der Antragsteller sei nicht hilfebedürftig.
Mit Antrag vom 21. Dezember 2017 hat der anwaltlich vertretene Antragsteller daraufhin bei dem Sozialgericht Berlin im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungserbringung beantragt.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 19. Februar 2018 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 21. Dezember 2017 bis zum 30. Juni 2018, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 703,50 € monatlich als Darlehen zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er sei insbesondere hilfebedürftig. Er selbst verfüge nur über nicht verwertbares Vermögen (beispielsweise eine Lebensversicherung). Auch Einkommen und Vermögen der Partnerin des Antragstellers, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebe und deren Einkommen und Vermögen grundsätzlich zu berücksichtigen sei, schließe seine Hilfebedürftigkeit nicht aus. Die Mieteinnahmen der Partnerin seien unregelmäßig und daher im einstweiligen Rechtsschutz nicht zu berücksichtigen. Die Darlehenszahlungen der Eltern seien ebenfalls nicht als Einkommen anrechenbar, da sie keinen dauerhaften Vermögenszuwachs darstellen würden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17. Juni 2010, B 14 AS 46/09 R, zitiert nach juris) seien Darlehenszahlungen zwar „bereite Mittel“, die zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnten, aber kein Einkommen. Das Hausgrundstück in F sei nicht sofort verwertbar und deshalb ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Schließlich sei auch das Haus in Spanien nicht zu berücksichtigen. Der Kaufpreis sei noch nicht zugeflossen und die bereits geleistete Anzahlung von 27.000 € sei aus Rechtsgründen nicht zu berücksichtigen; es sei nachvollziehbar, dass die Partnerin darauf noch keinen Zugriff habe.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 22. Februar 2018 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Der Senat hat mit Schreiben vom 22. März 2018 den aktuellen Sachstand zur Kaufpreiszahlung für das Haus in Spanien bei dem Antragsteller nachgefragt und zudem darauf hingewiesen, dass die Darlehenszahlungen der Eltern als „bereite Mittel“ einer Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes entgegenstünden.
Der Antragsteller hat daraufhin mit Schreiben vom 28. März 2018 erklärt, der Partnerin sei „ihr Anteil des Kaufpreises“ (eine genauer Betrag wurde nicht genannt) für das Haus in Spanien am 21. März 2018 auf dem Konto gutgeschrieben worden und insoweit sei eine „Erledigung durch Zeitablauf eingetreten“. Auf Nachfrage durch das Gericht, ob danach der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgenommen werde, hat der Antragsteller mit Schreiben vom 10. April 2018 mitgeteilt, er sehe einer Erledigungserklärung des Antragsgegners entgegen und beantrage Kostenentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners () Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht Berlin hat in dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner zu Unrecht vorläufig zur Leistung für den Antragsteller verpflichtet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).
Es ist weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Für den Zeitraum bis zur Entscheidung des erkennenden Senates ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Hierzu sind Tatsachen jedoch weder glaubhaft gemacht worden, noch sonst für das Gericht ersichtlich.
Insbesondere für den von dem Sozialgericht zugesprochenen Zeitraum vor Zufluss des Kaufpreises für das verkaufte Haus in Spanien, also vom 21. Dezember 2017 bis 20. März 2018, bestand im Übrigen auch deshalb kein Anordnungsgrund, weil für diesen Zeitraum nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers „bereite Mittel“ in Form des Darlehens der Eltern der Partnerin zur Verfügung standen. Das Sozialgericht Berlin hat in seiner Entscheidung selbst zutreffend darauf hingewiesen, dass solche „bereiten Mittel“ nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwendet werden können. In dem vorgelegten Darlehensvertrag ist dies als Verwendungszweck sogar ausdrücklich geregelt. Aus diesem Grund stehen die gewährten Darlehenszahlungen in einem gerichtlichen Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes entgegen, weil der Antragsteller durch die Zahlungen zumindest vorübergehend anderweitig seinen Lebensunterhalt sicherstellen konnte. Ob sie darüber hinaus als verwertbares Einkommen im Sinne des SGB II auch der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches entgegenstehen, ist insoweit unerheblich; beides- sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund- müssen gleichzeitig vorliegen, damit eine einstweilige Anordnung im Sinne des Antragstellers gerechtfertigt ist. Lediglich ergänzend weist der Senat insoweit zudem darauf hin, dass selbstverständlich auch im Wege einer einstweiligen Verfügung vom Antragsgegner gewährte vorläufige Zahlungen vom Antragsteller zu erstatten sind, wenn sich später herausstellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden hat.
Darüber hinaus ist zudem zumindest seit der Kaufpreiszahlung ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dieser fehlende Anordnungsanspruch steht der begehrten einstweiligen Anordnung auch für die Zukunft entgegen.
Nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren ist seiner Partnerin am 21. März 2018 „Ihr Anteil des Kaufpreises“ auf Ihrem Konto gutgeschrieben worden, so dass seit diesem Zeitpunkt verwertbares Vermögen der Partnerin, welches nach § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II auch beim Antragsteller zu berücksichtigen ist, einer Bedürftigkeit entgegensteht. Nach den Angaben des Antragstellers war als Kaufpreis die Summe von 270.000 € vereinbart worden, von der der Partnerin des Antragstellers als hälftiger Miteigentümerin die Hälfte, mithin 135.000 €, zugeflossen sein dürften. Dieser Betrag stellt selbst unter Abzug von Freibeträgen und der erhaltenen Darlehenszahlungen der Eltern noch ausreichend verwertbares Vermögen dar, welches einer derzeitigen Bedürftigkeit entgegensteht.
Danach kann dahinstehen, ob zudem die Mieteinnahmen i.H.v. 4500 €/jährlich mit monatlich (4500€ : 12 Monate=) 375 € (der Antragsteller behauptet im Schriftsatz vom 16. Januar 2018 sogar 416 €/monatlich) verwertbar sind. Ebenso kann dahinstehen, ob der Verwertung des gezahlten Vorschusses für den Hauserlös Rechtsgründe entgegengestanden haben.
Durch diesen Beschluss hat sich der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Sozialgerichts (§ 199 Abs. 2 SGG) erledigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).