Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 31.05.2011 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws (Reha) 20/11 (OP) | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde des Betroffenen werden der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Juli 2009 und der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. Februar 2011 aufgehoben.
Kosten für das Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen im gerichtlichen Verfahren trägt die Landeskasse.
I.
Der Betroffene wurde durch Urteil des Kreisgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Oktober 1969 (Az: 2 S 249/69) u.a. wegen Rowdytums gemäß §§ 215 Abs. 1, 217 Abs. 1 StGB-DDR zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Gleichzeitig hat das Gericht gemäß § 48 Abs. 2 StGB-DDR auf Kontrollmaßnahmen durch die Volkspolizei erkannt. Auf die Berufung des Betroffenen hat das Bezirksgericht Frankfurt (Oder) am 12. November 1969 (Az: II BSB 233/69) das Urteil des Kreisgerichts im Schuldspruch teilweise abgeändert und den Betroffenen wegen versuchten Rowdytums nach § 215 Abs. 1 und Abs. 3 StGB-DDR zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Anordnung der Maßnahme nach § 48 Abs. 2 StGB-DDR aufrechterhalten.
Durch Beschluss der Kammer für Rehabilitierungssachen des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. Juli 1993 (Az.: 1 BHR 319/91) wurden diese Urteile für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Es wurde festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom 7. Oktober 1969 bis zum 6. April 1970 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.
Auf seinen Antrag wurde ihm mit Bescheid des Präsidenten des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Februar 1994 (Az: 4220aE-1032) eine Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG in Höhe von 3.850,00 DM (1.968,47 €) gewährt.
Unter dem 14. August 2007 beantragte der Betroffene beim Landgericht Frankfurt (Oder) die Zahlung einer monatlichen besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a StrRehaG. In dem von dem Betroffenen am 6. Juni 2008 unterzeichneten Antragsformular erklärte er u. a., dass er sich weder mündlich noch schriftlich gegenüber dem Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei zur Mitarbeit verpflichtet habe und zu keiner Zeit für diese Organisation tätig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2008 gewährte der Präsident des Landgerichts Frankfurt (Oder) (Az: 4220E-204 (OP)) dem Betroffenen beginnend mit dem 1. September 2007 eine monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a StrRehaG in Höhe von 250,00 €.
Auf die am 16. Juni 2008 veranlasste Anfrage des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt (Oder) teilte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) unter dem 1. April 2009 mit, dass der Betroffene in der Zeit vom 30. Januar 1974 bis zum 20. März 1980 und vom 30. Januar 1985 bis zum 9. Juni 1986 als inoffizieller Mitarbeiter für das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei tätig gewesen sei. Der Betroffene habe eine handschriftliche Schweigeverpflichtung mit Bereitschaftserklärung zur Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei bei der Vorbeugung und Bekämpfung der Kriminalität und anderer Rechtsverletzungen verfasst und unterzeichnet und habe den Decknamen „P…“ gewählt. Die Zusammenarbeit mit der Volkspolizei habe bis August 1985 bestanden.
Nach Anhörung des Betroffenen nahm der Präsident des Landgerichts Frankfurt (Oder) mit Bescheid vom 17. Juli 2009 (Az: 4220E-204 (OP); 4220aE-1032) die Gewährung der Kapitalentschädigung gemäß § 17 StrRehaG sowie der monatlichen besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a StrRehaG mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Zudem wurde der Betroffene aufgefordert, die bislang gewährten Zuwendungen nebst Zinsen zurückzuerstatten.
Der Betroffene stellte mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 11. August 2009 Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
Durch Beschluss vom 11. Februar 2011 hat die Rehabilitierungskammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) diesen Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen, seinem Verfahrensbevollmächtigten am 4. April 2011 zugestellten, Beschluss hat der Betroffene unter dem 20. April 2011, eingegangen bei Gericht am 26. April 2011, Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen für die Rücknahme der den Betroffenen begünstigenden Bescheide liegen nicht vor, weil die in § 16 Abs. 2 StrRehaG normierten Ausschlussgründe für die Gewährung der Kapitalentschädigung sowie der Opferpension im Ergebnis der Überprüfung der durch die BStU übersandten Unterlagen nicht zweifelsfrei bewiesen sind.
Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz spricht dem Opfer einer rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung nicht in jedem Falle eine Kapitalentschädigung zu. Nach § 16 Abs. 2 StrRehaG wird die Kapitalentschädigung nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Diese Ausschlussregel soll bewirken, dass Täter innerhalb eines Unrechtsregimes nicht auch noch in den Genuss von Leistungen gelangen, die Opfern grundsätzlich höchstpersönlich wenigstens zu einer gewissen Entschädigung des Unrechts und der damit verbundenen Erschwernis und Qualen zugedacht ist.Danach sollen Personen von wiedergutmachenden Leistungen ausgeschlossen werden, die gegen die Menschlichkeit in einer demokratischen Grundordnung verstoßen haben, so dass die Gewährung von Entschädigungen nach § 16 Abs. 1 StrRehaG getrennt von dem Akt der Rehabilitierung zu betrachten ist, welche eine Genugtuung für politisch motiviertes strafrechtliches Unrecht darstellt (vgl. BVerwG, ZOV 2006, 178 m.w.N.). Dabei ist ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit im Sinne von § 16 Abs. 2 StrRehaG dann anzunehmen, wenn die Achtung der Menschenwürde erheblich beeinträchtigt worden ist. Die staatlich gewollte Bespitzelung von Menschen, die nur der Aufrechterhaltung eines Unrechtsregimes dient, ist mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit grundsätzlich unvereinbar (vgl. BVerwG a.a.O.; Thüringer OLG NJ 2002, 324).
Der Senat teilt zunächst den Ausgangspunkt des Präsidenten des Landgerichts und der Kammer für Rehabilitierungssachen, dass eine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter für ein Sicherheitsorgan der ehemaligen DDR Grund für die Versagung sozialer Ausgleichsleistungen sein kann, weil darin ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit liegen kann. Allerdings ist nicht jede Tätigkeit für das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei oder das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR geeignet, die Grundsätze der Menschlichkeit im Sinne des § 16 Abs. 2 StrRehaG zu verletzen. Notwendig sind vielmehr erhebliche gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Dies ist dann der Fall, wenn jemand freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt und an den in der DDR für seine repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat (vgl. BVerwG a.a.O.; KG NJ 1997, 435). Zwar setzt die Annahme einer Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit nicht den Nachweis voraus, dass die IM-Berichte konkrete Repressionen oder Sanktionen gegenüber Dritten etwa durch Schäden an Leib oder Leben zur Folge hatten. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist der Nachweis, dass die gelieferten Informationen geeignet waren, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr staatlicher Verfolgung zu bringen (vgl. BVerwG a.a.O.). Eine staatliche Verfolgung ist nicht erst gegeben, wenn die bespitzelte Person verhaftet oder strafrechtlich verfolgt wird. Auch eine intensive Überwachung oder Überprüfung durch die Organe der Staatssicherheit bzw. sonstige Nachteile, namentlich die Unterdrückung ihrer Menschen- und Freiheitsrechte ist als schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit anzusehen (vgl. Thüringer OLG a.a.O.; OVG Berlin, Urteil vom 1. 12. 2004 – 6 B 1.04-; OLG Rostock, Beschluss vom 10. 2. 2004 -1 WsRH 3/03 m.w.N.). Hingegen kann ein Ausschlussgrund nicht angenommen werden, wenn die vom inoffiziellen Mitarbeiter an die Organe der Staatssicherheit oder der Volkspolizeiämter abgelieferten Berichte "verhältnismäßig farblose", "nichts sagende" oder "bedeutungsarme" Schilderungen enthielten, die nicht oder jedenfalls kaum wahrscheinlich zu Personenschäden geführt haben (vgl. OLG Dresden OLG NJ 1996, 47; OLG Jena NJ 2002, 324, 325). Entscheidend für das Gewicht des Handelns des Betroffenen ist insbesondere der Gesichtspunkt, inwieweit dessen Mitarbeit geeignet war, rechtsstaatswidrige Maßnahmen gegen Dritte auszulösen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. April 2011 -1 Ws (Reha) 8/11 m.w.N.).
In subjektiver Hinsicht setzt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Menschlichkeit ein zurechenbares, vorwerfbares Verhalten voraus (vgl. BVerwG a.a.O.).
Die tatsächlichen Grundlagen der Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes müssen nachgewiesen sein. Bloße Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen reichen nicht aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. März 2011 -1 Ws (Reha) 9/11 (OP) und vom 18. April 2011 -1 Ws (Reha) 8/11 m.w.N.; Mütze in Pfister/Mütze Rehabilitierungsrecht, § 16 StrRehaG Rn. 68).
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen steht hier nicht sicher fest.
Zwar hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übersandten Berichte eine inoffizielle Tätigkeit des Betroffenen für das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei dokumentieren. Jedoch ist der Senat der Auffassung, dass die vorliegenden Unterlagen nicht ausreichen, um nachzuweisen, dass die Tätigkeit des Betroffen geeignet war, Dritte einer politischen Verfolgung auszusetzen oder für sie eine beachtliche Gefahrenlage zu schaffen.
Die Tätigkeit des Betroffenen für das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei beschränkte sich zwar nicht nur auf die Zeit, in der er durch seine Verurteilung gemäß § 48 Abs. 2 StGB-DDR nach der Haftentlassung im April 1970 staatlichen Kontrollmaßnahmen durch die Volkspolizei unterworfen war, denn deren Dauer kann höchsten bis zum Jahre 1975 (Höchstdauer 5 Jahre) angedauert haben. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass seine inoffizielle Tätigkeit für die Volkspolizei ausschließlich auf die Verurteilung zu staatlichen Kontrollmaßnahmen durch die Volkspolizei gemäß § 48 Abs. 2 StGB-DDR zurückzuführen ist. In dem „Vorschlag zur Werbung IM“ vom 29. Januar 1974 heißt es, der Betroffene sei „nach Meinung des Unterzeichnenden … geeignet zur Kontakthaltung zu negativen und vorbestraften Jugendlichen und somit an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken.“
So berichtete der Betroffene in der Folgezeit über zwei namentlich benannte Personen, die einen Außenspiegel eines Polizeifahrzeuges abbrachen. Ferner benannte er namentlich mehrere Personen, die ihm gegenüber damit geprahlt hätten, einen S-Bahnwagen demoliert zu haben. Diese Vorgänge stehen ersichtlich nicht im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Unrechtssystems. Sie sind auch nicht geeignet gewesen, Dritte etwa der Gefahr politischer Verfolgung auszusetzen. Es ging dabei allein um Hinweise, die der Aufdeckung von Straftaten dienten. Diese können zwar Folgen für die jeweils Betroffenen in Form von Strafmaßnahmen gehabt haben, die aber jedenfalls nicht als rechtsstaatswidrig zu bewerten wären.
Soweit der Betroffene durch seine Angaben in den Berichten vom 28. Februar 1978 und vom 9. Oktober 1984 fluchtwillige Personen denunziert haben soll, handelt es sich um verhältnismäßig farblose Informationen, denen weder konkrete Fluchtabsichten noch irgendwelche konkreten Fluchtvorbereitungshandlungen zu entnehmen sind. Der Betroffene räumte in seinen Berichten selbst ein, dass er die Ernsthaftigkeit der Äußerungen der benannten Personen nicht einzuschätzen vermochte. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Betroffenen nach einem undatierten Bericht aus dem Jahre 1978 zwei von ihm namentlich benannte Personen nach deren Äußerungen als staatsfeindlich und aggressiv einschätzte und er unter dem 24. November 1978 berichtete, dass namentlich benannte Jugendliche sich Ausweise für einen „Assi-FAN-CLUB“ ausstellten. Diese Vorgänge reichen nach Auffassung des Senats auch in ihrer Gesamtschau und unter Hinzuziehung des sonstigen Inhalts der von der Bundesbeauftragten übermittelten Unterlagen nicht aus, um das Vorliegen von Ausschlussgründen zu belegen. Die obergerichtliche Rechtsprechung verlangt zu Recht den Nachweis konkreter Handlungen eines Betroffenen, die geeignet waren, Dritte bestimmten Verfolgungsmaßnahmen auszusetzen (vgl. BVerwG a.a.O.). Die Gefahr staatlicher Verfolgung kann aber bei völlig unkonkreten Informationen, deren Werthaltigkeit nicht ansatzweise zu erkennen ist, nicht mit ausreichender Gewissheit angenommen werden. Dass der Betroffene gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder er in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat, ist nach den vorliegenden Unterlagen mithin nicht bewiesen.
Es ergeben sich auch keine weiteren Hinweise darauf, dass der Betroffene während seiner Tätigkeit für das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei politisch verwertbare Informationen übermittelt hat, denn tatsächliche gravierende nachteilige Folgen für Dritte durch die vermeintlich vom Betroffenen stammenden Informationen sind nicht auszumachen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 14 Abs. 1 StrRehaG). Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen beruht auf §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 14, Abs. 2, 15 StrRehaG, 467 Abs. 1 StPO.