Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.02.2013 | |
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Aktenzeichen | 6 K 2512/12.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 16 Abs 1a EGV 343/2003, Art 16 Abs 1e EGV 343/2003, Art 17 Abs 1 EGV 343/2003, Art 20 EGV 343/2003, Art 4 Abs 5 EGV 343/2003 |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger begehrt die Durchführung des Asylverfahrens im nationalen Verfahren.
Der Kläger, der angibt, kenianischer Staatsangehöriger zu sein, reiste mit Visum nach seinen Angaben auf dem Luftweg am 5. Juni 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der vorbereitenden Befragung vor dem Bundesamt erklärte der Kläger am 12. Juni 2012, er sei bereits Mai 2010 mittels eines Schleusers mit einem Flugzeug von Nairobi aus nach Deutschland gekommen, sei aber ein paar Tage später mit einem PKW weiter nach Schweden gebracht worden. Nachdem sein dort am 17. Mai 2010 gestellter Asylantrag abgelehnt worden sei, habe er Schweden am 4. Juni 2012 verlassen und sei wieder nach Deutschland gekommen.
Die Beklagte ersuchte mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 das schwedische Migrationsboard, den Kläger wieder aufzunehmen. Das schwedische Migrationsboard erklärte mit Schreiben vom 5. November 2012 diesbezüglich seine Bereitschaft.
Mit Bescheid vom 6. November 2012 lehnte der Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Schweden an. Die Zuständigkeit Schwedens für die Behandlung des gestellten Asylantrages ergebe sich aus Art. 16 e) der Verordnung Nr. 343/2003 EG vom 18. Februar 2003 (i.F. Dublin-II-VO). Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Schweden beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Der Kläger hat am 20. November 2012 Klage erhoben.
Zur Begründung führt er aus, eine Überstellung nach Schweden sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Überstellung widerspreche der Zielsetzung der Dublin-II-VO, wonach das Zuständigkeitsverfahren gestrafft werden und somit eine Zuteilung in den zuständigen Mitgliedsstaat schnellstmöglich geschehen solle. Vorliegend sei das Wiederaufnahmegesuch seitens der Bundesrepublik Deutschland erst am 26. Oktober 2012, also über vier Monate nach Stellung des Asylantrags gestellt worden.
Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ist er der Ansicht, dass Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO und die dort niedergelegte 3-Monats-Frist für die Antragstellung eines Mitgliedsstaats zur Aufnahme von Asylbewerbern auch auf das Wiederaufnahmeverfahren anwendbar sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. November 2012 zu verpflichten, über den Asylantrag des Klägers im Nationalen Verfahren zu entscheiden.
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person zuzuerkennen;
hierzu hilfsweise,
festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzung zur zwingenden Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin-VO seien nicht gegeben. Es lägen keine humanitären Gründe vor, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen müssten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 3 Abs. 2 auszuüben. Eine Zuständigkeit sei auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-VO-II gegeben, da dort nur die Frist zur Aufnahme eines Asylbewerbers geregelt werde. Die Wiederaufnahme erfolge aber allein nach Maßgabe des Art. 20 Dublin-VO-II. Für die Einreichung eines Wiederaufnahmegesuchs bestünden keine Fristen. Schließlich seien die Fristregelungen nach der Dublin-VO-II nicht in dem Sinne ausgestaltet, dass sich der einzelne Asylbewerber hierauf berufen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie den Inhalt der Gerichtsakte und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2013 Bezug genommen.
Der Berichterstatter ist als Einzelrichter zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem ihm die Sache mit Beschluss vom 14. Januar 2013 gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG zur Entscheidung übertragen worden ist. Der Rechtsstreit kann auch in Abwesenheit der Beklagten nach § 102 Abs. 2 VwGO entschieden werden, da sie zuvor in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die Klage ist unbegründet, denn der Asylantrag des Klägers ist zu Recht als unzulässig abgelehnt und seine Rückführung nach Schweden angeordnet worden. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 6. November 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn er hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung des Bundesamtes, ein Asylverfahren im nationalen Verfahren durchzuführen noch auf die hilfsweise beantragte Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Bundesrepublik Deutschland ist für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig.
1. Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vorliegend wurde gegenüber dem Kläger im angefochtenen Bescheid vom 6. November 2012 die Abschiebung nach Schweden angeordnet. Schweden ist Mitgliedsstaat der Europäischen Union und daher sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, sowie § 26 a Abs. 2 AsylVfG. Zugleich ergibt sich die Zuständigkeit Schwedens für das Asylverfahren des Klägers nach § 27a AsylVfG auf Grund Art. 4 Abs. 5, Art. 16 Abs. 1 e) Dublin-II-VO.
2. Der Zuständigkeit Schwedens für die Behandlung des Asylantrags des Klägers steht nicht entgegen, dass das Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes erst am 26. Oktober 2012 und damit vier Monate nach der Stellung des Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland an die in Schweden zuständige Behörde gerichtet worden ist. Entgegen der Rechtsauffassung der Bevollmächtigten des Klägers ist für die Frage der Zuständigkeit im Asylverfahren nicht die Drei-Monats-Frist nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO unmittelbar oder analog anwendbar. Nach jener Vorschrift kann ein Mitgliedsstaat in den Fällen, in dem ein Asylantrag gestellt worden ist, er aber einen anderen Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrages für zuständig erachtet, spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrags den anderen Mitgliedsstaat ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Die Vorschrift ist zum einen nicht auf das Wiederaufnahmeverfahren anwendbar (hierzu a), noch kann der Kläger hieraus eigene Rechte ableiten (hierzu b).
a) Nach zutreffender Ansicht betrifft die Fristregelung des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO allein die erstmalige Aufnahme eines Asylbewerbers, nicht aber seine Wiederaufnahme, nachdem er schon andernorts einen Asylantrag gestellt hat und sich hieraus die anderweitige Zuständigkeit bereits ergibt. Soweit das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 7. August 2012 (Az. 22 L 1158/12.A -; zit. nach juris) vertritt, Art. 17 Abs. 1 Satz 2 könne nach seinem Wortlaut auch auf Art. 16 Abs. 1 a) Dublin-II-VO Anwendung finden (VG Düsseldorf, a. a. O. Rn. 24), stehen dem systematische Überlegungen entgegen. Im Aufbau der Artikel 16 bis 20 ist das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 deutlich von dem (Erst-) Aufnahmeverfahren nach Art. 16 bis 19 Dublin-II-VO abgesetzt: Das Aufnahmeverfahren der Art. 16 bis 19 Dublin II-Verordnung ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Mitgliedsstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wird, einen anderen Mitgliedsstaat für zuständig erachtet. In diesem Fall kann der Mitgliedsstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, den anderen für zuständig erachteten Mitgliedsstaat ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO). Dies hat sobald wie möglich, jedenfalls innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages zu erfolgen. Nach Art. 4 Abs. 2 Dublin II-Verordnung gilt dieser Antrag als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedsstaates ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Die Frist beginnt danach in der Bundesrepublik Deutschland spätestens mit der Asylantragstellung nach § 23 AsylVfG. Wird das Gesuch um Aufnahme nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedsstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrages zuständig geworden. Diese Zuständigkeitsfiktion im Aufnahmeverfahren tritt jedoch nur ein, wenn der Asylsuchende nicht bereits - wie hier - in einem anderen Mitgliedsstaat ein Asylgesuch gestellt hat. Dieser Fall wird nämlich gesondert im Wiederaufnahmeverfahren geregelt. Es wird u. a. eingeleitet, wenn sich der Antragsteller während der Prüfung seines Antrages im zuständigen Mitgliedsstaat unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates aufhält (Art. 16 Abs. 1 c) Dublin-II-VO). Das Wiederaufnahmeersuchen ist daher nicht an eine Frist seitens des ersuchenden Mitgliedsstaates gebunden. Vielmehr geht Art. 20 Abs. 1 c) gerade umgekehrt davon aus, dass der ersuchte Mitgliedsstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert, wenn er nicht innerhalb der Frist von einem Monat bzw. der verkürzten Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt. Anders als nach Art. 17 Abs. 1 (im Aufnahmeverfahren) wird dadurch automatisch die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedsstaats fingiert (vgl. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011 - Au 3 K 10.30468 -; zit. nach juris, Rn. 23). Artikel 20 enthält erkennbar eine Vollregelung für das Wiederaufnahmeverfahren, indem es im wesentlichen eigene Regelungen vorhält und nur punktuell auf einige, nicht aber alle Regelungen des Art. 4, Art. 16 und Art. 27 Dublin-II-VO verweist. Es spricht daher viel dafür, von einem vollständigen und nicht ergänzungsbedürftigen Regelungskomplex auszugehen (vgl. ebenso i. E. VG Oldenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 3 B 150/11 -; VG Stade, Urteil vom 16. Oktober 2012 - 6 A 2049/12 -; beides zit. nach juris; Funcke-Kaiser, GK AsylVfG, Stand: Juni 2010; § 27 a Rn. 271).
Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der EuGH in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 (C-411/10 u. a. - zit. nach juris) ausgeführt hat, dass ein Mitgliedsstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, eine Situation zu vermeiden hat, in welcher seine Grundrechte verletzt werden, nicht noch durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates verschlimmert wird. Gegebenenfalls müsse er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO selbst prüfen (vgl. EuGH a. a. O., Rn. 98 und 108). Hieraus kann allerdings nicht, wie dies gefolgert worden ist, ein Anspruch abgeleitet werden, der zur Begründung einer Zuständigkeit nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO geeignet ist. Tatsächlich nimmt der EuGH in diesem Zusammenhang nicht auf Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bezug, sondern auf die spezielle Situation des Asylsuchenden bei seiner Erstaufnahme nach einer geglückten Flucht. Im vorliegenden Falle, wie auch in anderen Fällen der Wiederaufnahme, ist eine solche Findungsphase aber bereits abgeschlossen, da der Asylantragssteller bereits in einem Land Aufnahme gefunden hat oder hatte.
b) Aber selbst wenn die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO analog Anwendung fände, spricht überwiegendes dafür, dass sie keinen subjektiven Anspruch auf die Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedsstaates für die Durchführung des Asylverfahrens gewährt. Die überwiegend verfahrenstechnischen Regelungen der Dublin-II-VO sollen nach der dritten Erwägung entsprechend den Schlussfolgerungen von Tampere eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaats umfassen. Nach der vierten Erwägung soll diese Formel auf objektiven und für die Mitgliedsstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie soll insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Von dieser Zweckbestimmung ausgehend ist nicht erkennbar, dass die Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO unmittelbar subjektive Rechte begründet. Vielmehr dient die 3-Monats-Frist nach Art. 17 Abs. 1 in erster Linie dem Zweck, zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten zeitnah Klarheit darüber zu schaffen, welcher von ihnen für die Bearbeitung des gestellten Asylantrags zuständig ist (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - RN 9 E 12.30323 - zit. nach Juris, Randziffer 27). Es ist daher lediglich eine faktische Folge oder ein Reflex, dass der Asylantragsteller von einer raschen Abklärung des für ihn zuständigen Mitgliedsstaats ausgehen kann.
Im Übrigen sprechen auch keine humanitären Gründe dafür, dass die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ausüben müsste. Hierfür gibt die Situation in Schweden nicht ansatzweise Anlass.
Einer Überstellung des Klägers nach Schweden steht schließlich auch nicht die in Artikel 20 Abs. 2 Dublin-II-VO geregelte Frist entgegen. Da das Königreich Schweden mit Schreiben vom 5. November 2012 seine Zuständigkeit erklärt und die Übernahme akzeptiert hat, läuft die Übernahmefrist für die Überstellung erst am 5. Mai 2013 ab.
Die Abschiebungsanordnung beruht auf § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.