Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Revisionsverfahren § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO- Fehlen des notwendigen Verteidigers...

Revisionsverfahren § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO- Fehlen des notwendigen Verteidigers §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO bei drohendem Widerruf von Strafaussetzungen zur Bewährung


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 24.01.2011
Aktenzeichen (1) 53 Ss 187/10 (4/11) ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts ... vom 22. Juni 2010 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht ... hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil ohne Hinzuziehung eines Verteidigers wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, begangen am 13. März 2009 in Löwenberg, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weist insgesamt sechs Eintragungen aus, wobei vier Verurteilungen auf Geldstrafen lauteten und zwei auf Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt worden waren. Das Amtsgericht … verurteilte am 1. Dezember 2008, rechtskräftig seit demselben Tag (25 Ds 352/08, 459 Js 11376/08), den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, deren Vollstreckung für die Dauer von 2 Jahren, mithin bis zum 1. Dezember 2010 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Des Weiteren erkannte das Amtsgericht … am 24. Juni 2009, rechtkräftig seit dem 14. August 2009 (1 Ds 194/09/748 Js 24051/08), gegen den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen auf eine weitere Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung ebenfalls für die Dauer von 2 Jahren, mithin bis zum 14. August 2011 zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts ... wendet sich der Angeklagte mit seinem am 29. Juni 2009 eingelegten Rechtsmittel, das er nach Zustellung der Urteilsgründe am 11. November 2010 (nach fehlgeschlagener Zustellung vom 29. Juli 2010) mit bei Gericht am 12. August 2010 angebrachten Anwaltschriftsatz als Sprungrevision konkretisiert hat und mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht stützt sich die Revision auf eine Verletzung von § 140 Abs. 2 StPO, also auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, und bemängelt, dass das Amtsgericht ohne Mitwirkung eines Verteidigers verhandelt und entschieden habe, obwohl eine solche wegen der zu erwartenden Rechtsfolgen geboten gewesen wäre.

II.

1. Die Sprungrevision ist nach § 335 StPO statthaft und entsprechend den §§ 341, 344 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht eingelegt und begründet worden.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg; es ist begründet.

a) Die Verfahrensrüge des Angeklagten, ihm sei entgegen §§ 140 Abs. 2 StPO kein notwendiger Verteidiger für das Verfahren beigeordnet worden (§ 338 Nr. 5 StPO), ist zulässig. Die Revisionsbegründung gibt die den behaupteten Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an.

b) Bereits die Verfahrensrüge führt zum Erfolg der Revision. Der Tatrichter hat die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ohne den Beistand eines Verteidigers und somit in Abwesenheit einer Person durchgeführt, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§ 338 Nr. 5 StPO). Die Mitwirkung eines Verteidigers war gemäß § 140 Abs. 2 StPO zwingend erforderlich. Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist dem Angeklagten ein Verteidiger unter anderem dann zu bestellen, wenn dies wegen der Schwere der Tat erforderlich ist. So lag der Fall hier.

Eine Tat ist schwer im Sinne der angeführten Vorschrift, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist (BGHSt 6, 199; OLG Düsseldorf, AnwBl. 1978, 355; OLG Celle wistra 1960, 233; Senatsbeschluss vom 9. April 2004, 1 Ss 65/04), mithin dann, wenn eine längere Freiheitsstrafe, eine gravierende Maßregel der Besserung und Sicherung oder sonst eine erhebliche Rechtsfolge droht. Bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe ist das in der Regel jedenfalls dann der Fall, wenn eine Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung nicht in Erwägung zu ziehen ist (ständige Rechtsprechung der Strafsenate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 2004, 1 Ss 65/04; Beschluss des 2. Senats vom 20. Juni 2000 - 2 Ss 41/00 – jeweils m.w.N.). Die Schwere der Tat im hier erörterten Sinne wird jedoch nicht nur durch die im Verfahren selbst zu erwartende Rechtsfolge, sondern auch durch schwerwiegende mittelbare Nachteile bestimmt, die aus der zu erwartenden Verurteilung folgen können, etwa durch den drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache (OLG Celle StV 1988, 290; OLG Hamburg StV 1989, 521; OLG Karlsruhe NStZ 1991, 505; OLG Düsseldorf StraFo 1998, 341 f.).

So verhält es sich hier. Wie die Urteilsgründe mitteilen, wurde der Angeklagte unter anderem durch das Amtsgericht … wegen Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten (25 Ds 352/08, 459 Js 11376/08) und durch das Amtsgericht … wegen Diebstahls in vier Fällen zu einer weiteren bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, die Bewährungszeit betrug in beiden Fällen 2 Jahre und war bei Begehung der hier angeklagten Straftat nicht abgelaufen.

Bei dieser Sachlage muss der Angeklagte, dem vorliegend eine am 13. März 2009 begangene Tat zur Last gelegt wird, befürchten, dass die Bewährungsstrafen widerrufen werden, was in der Addition der beiden Freiheitsstrafen zu einer Gesamtdauer von 11 Monaten führen würde. Vor dem Hintergrund dieser Haftdauer war die Bestellung eines Verteidigers unabdingbar, die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hätte also nicht ohne die Mitwirkung eines Verteidigers durchgeführt werden dürfen.

Die angefochtene Entscheidung unterlag danach der Aufhebung und Zurückverweisung, ohne dass es auf den Erfolg der vom Beschuldigten erhobenen Sachrügen noch ankäme.

2. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Rechtsfolgenausspruch erheblichen Bedenken unterliegt.

Im Rahmen der Strafzumessung hat der Tatrichter gemäß § 46 Abs. 2 StGB diejenigen Umstände gegeneinander abzuwägen, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die Beweggründe und Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie dessen Nachtatverhalten in Betracht. Aus den Urteilsgründen, die als Einheit und im Gesamtzusammenhang gesehen und beurteilt werden müssen, muss sich danach ergeben, dass der Tatrichter die im konkreten Fall in Betracht kommenden Zumessungstatsachen festgestellt, zutreffend abgewogen und umfassend gewürdigt hat und damit zu einer der Vorbewertung durch den Strafrahmen entsprechenden Strafe gekommen ist (vgl. BGHSt 8, 210; KG VRS 34, 433 m. w. N.). Allerdings brauchen nur die bestimmenden (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Zumessungserwägungen dargelegt zu werden (BGHSt 24, 268; NStZ 1990, 334), eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände ist weder erforderlich noch möglich (BGH NJW 1976, 2220; 1979, 2621; StV 1993, 72, ständige Rechtsprechung); deren Nichtberücksichtigung begründet die Revision nur, wenn die Nachprüfung nach dem Sachverhalt nahe lag (BGH MDR 1970, 899; OLG Hamburg NJW 1972, 265). Das Revisionsgericht hat demzufolge die instanzgerichtliche Rechtsfolgenentscheidung bis zur Grenze des noch Vertretbaren hinzunehmen, die sich indes als rechtsfehlerhaft und damit der Aufhebung unterliegend erweisen muss, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat, nach den Feststellungen erkennbar wesentliche be- bzw. entlastende Strafzumessungserwägungen nicht berücksichtigt hat oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 320; 34, 349; NJW 1990, 846; NJW 1995, 2234; NStZ RR 1996, 116, 133). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist demgegenüber ausgeschlossen (BGHSt 34, 349; NStZ 1998, 188).

Im vorliegenden Fall hat das Tatgericht bei der Strafzumessung unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte im Besitz einer kasachischen Fahrerlaubnis war, mithin die von ihm ausgehende abstrakte Gefährlichkeit nicht dieselbe ist wie von einem Täter ohne jegliche Fahrerlaubnis. Bei Einstellung der Vorstrafen in die Strafzumessung hat das Tatgericht unberücksichtigt gelassen, dass es sich nicht um einschlägige Straftaten handelt. Und schließlich hat das Tatgericht in die Abwägung nicht eingestellt, dass der Angeklagte den Widerruf von zwei Bewährungsstrafen befürchten muss, die zu einem Freiheitsentzug von 3 und 8 Monaten führen können.