Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 13. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.08.2011 | |
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Aktenzeichen | 13 SaGa 1015/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 29 Abs 1 Nr 4 BPersVG, § 29 Abs 1 Nr 5 BPersVG, § 47 Abs 2 BPersVG, § 44g Abs 1 SGB 2 |
Durch die Zuweisung nach § 44 g Abs. 1 SGB II verliert ein Arbeitnehmer sein Wahlrecht und seine Wählbarkeit zum Personalrat der Stammdienststelle
I. Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 33 Ga 4387/11 – wird auf seine Kosten bei unverändertem Streitwert zurückgewiesen.
II. Gegen dieses Urteil ist gem. § 72 Abs. 4 ArbGG ein Rechtmittel nicht gegeben.
Die Parteien streiten um die Berechtigung des Verfügungsklägers, während seiner Arbeitstätigkeit beim Jobcenter (gemeinsame Einrichtung) Aufgaben des Personalrates der Arbeitsagentur wahrzunehmen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat nach mündlicher Verhandlung den Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung auf Duldung abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die zulässige Verfügungsklage habe keinen Erfolg, weil die Mitgliedschaft des Verfügungsklägers im Personalrat der Agentur für A. Berlin-M. nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 BPersVG erloschen sei. Die in § 44 g Abs. 1 SGB II zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Jobcenter im Sinne von § 6 d SGB II mit Wirkung vom 1. Januar 2011 für die Dauer von fünf Jahren gesetzlich geregelte Zuweisung von Tätigkeiten bei der gemeinsamen Einrichtung, die die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft weiterführe, an die Beschäftigten, die – wie der Verfügungskläger in der ARGE – bis zum 31. Dezember 2010 in einer Arbeitsgemeinschaft nach § 44 b SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung Aufgaben nach diesem Buch durchgeführt hätten, habe bei ihm nicht nur zum Verlust seines Wahlrechts und seiner Wählbarkeit zum Personalrat seiner Stammdienststelle, sondern darüber hinaus auch gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 BPersVG zur Beendigung seiner Mitgliedschaft in diesem Gremium geführt. Auch wenn durch die gesetzliche Zuweisung seine Rechtstellung als Arbeitnehmer unberührt geblieben sei und ein Arbeitgeberwechsel nicht stattgefunden habe (§ 44 g Abs. 3 S. 1 SGB II), sei er – soweit die Zuweisung nicht vorzeitig gemäß § 44 g Abs. 5 SGB II beendet werde – längstens für die Dauer von fünf Jahren aus seiner bisherigen Stammdienststelle Agentur für Arbeit ausgeschieden. Auch deswegen sei seine Mitgliedschaft im Personalrat seiner Stammdienststelle erloschen (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG). Dass er als Beschäftigter dort nicht mehr eingegliedert sei, folge zum einen daraus, dass er seit dem 1. Januar 2011 Aufgaben beim Jobcenter wahrzunehmen habe und dabei gemäß § 44 g Abs. 4 SGB II den Weisungen des Geschäftsführers seiner jetzigen Beschäftigungsdienststelle unterliege, der die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Träger der gemeinsamen Einrichtung und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion im Sinne eines Behördenleiters mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamten und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse ausübe. Zum anderen besitze der Verfügungskläger dort gemäß § 44 h Abs. 2 SGB II für den Zeitraum, für den ihm Tätigkeiten in der gemeinsamen Einrichtung zugewiesen seien, ein aktives und passives Wahlrecht zu der beim Jobcenter nach § 44 h Abs. 1 S. 1 SGB II zu bildenden Personalvertretung. Da nach § 44 h Abs. 1 S. 2 SGB II die Regelungen des BPersVG bei der Bildung einer Personalvertretung in den gemeinsamen Einrichtungen entsprechend gelten würden, sei auch § 13 Abs. 2 BPersVG entsprechend anzuwenden, wonach Beschäftigte, die einer Dienststelle zugewiesen seien, in ihr wahlberechtigt würden, sobald die Zuweisung länger als drei Monate gedauert habe; gleichzeitig verliere er das Wahlrecht in der alten Dienststelle. Bei entsprechender Anwendung dieser Regelung auf den dem Jobcenter zugewiesenen Verfügungskläger, dem dort bereits vom 1. Tag der Zuweisung an das aktive und passive Wahlrecht zustehe, könne dies nur bedeuten, dass er bereits mit Wirkung vom 1. Januar 2011 sein aktives und passives Wahlrecht bei seiner bisherigen Stammdienststelle verloren habe. Denn anders als im so genannten Kooperationsgesetz der Bundeswehr habe der Gesetzgeber in dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 bei der Reform der Jobcenter auf ein so genanntes Doppelwahlrecht zu den Personalvertretungen verzichtet.
Die Zuweisung des Verfügungsklägers an die Verfügungsbeklagte sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 47 Abs. 2 S. 3 BPersVG unwirksam. Die Vorschrift finde unmittelbar keine Anwendung, da weder eine Versetzung noch eine Abordnung vorliege. Auch eine analoge Anwendung von § 47 Abs. 2 BPersVG komme nicht in Betracht, da es hierfür an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehle.
§ 47 Abs. 2 BPersVG sei in Bezug auf die Situation der gesetzlichen Zuweisung nach § 44 g Abs. 1 SGB II nicht unvollständig. Nach der vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsabsicht wolle § 47 Abs. 2 BPersVG nur vor Maßnahmen der Dienststelle schützen, die einzelne Personalratsmitglieder belaste. Ausgangspunkt der Zielrichtung dieser Vorschrift sei der natürliche Interessengegensatz zwischen Personalrat und Dienststellenleitung. Weil der Personalrat berechtigt sei, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen die Zustimmung zur beteiligungspflichtigen Maßnahme des Dienststellenleiters zu verweigern und damit deren Durchführung zu verhindern, bestehe immer die Gefahr, dass sich seine Mitglieder beim Dienststellenleiter unbeliebt machten. Aus diesem Grund werde der Dienststellenleiter durch das Regelwerk in § 47 BPersVG und § 15 KSchG im Interesse einer ungestörten Ausübung des Personalratsamts und zur Wahrung der Unabhängigkeit des Personalratsmitglieds gehindert, gegen dessen Person einseitig im Wege der Kündigung, Versetzung oder Abordnung vorzugehen. Eine derartige Situation sei im Fall der gesetzlichen Zuweisung nach § 44 g Abs. 1 SGB II nicht gegeben. Die Zuweisung hänge nicht vom Willen des Dienststellenleiters ab, sondern vollziehe sich qua Gesetz. Eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 2 BPersVG auf die vorliegende Konstellation wäre daher mit dem der Vorschrift zu Grunde liegenden Schutzzweck nicht vereinbar.
Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil vom 7. April 2011 (Bl. 137 ff d. A.) verwiesen.
Gegen dieses ihm am 11. April 2011 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 11. Mai 2011 eingegangene und am 14. Juni 2011, dem Dienstag nach Pfingsten, per Fax begründete Berufung des Verfügungsklägers.
Er meint, dass entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts § 47 Abs. 2 BPersVG auf die gegenüber dem Verfügungskläger erfolgte Zuweisung anzuwenden sei. Dem entsprechend hätte die Zuweisung der ausdrücklichen Zustimmung des Personalrats der Agentur für A. Berlin-M. bedurft. Da diese nicht vorliege, sei er auch weder aus der Dienststelle ausgeschieden noch habe er seine Wählbarkeit verloren. Dass § 47 Abs. 2 BPersVG anzuwenden sei, folge aus dem Sinne und Zweck des § 47 BPersVG, der die Stetigkeit des Gremiums Personalrat durch möglichst unveränderte personelle Zusammensetzung schützen solle. Die Zuweisung entspreche einer längeren Abordnung.
Der Verfügungskläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 07.04.2011 – 33 Ga 4387/11 – die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu dulden, dass er während seiner Arbeitszeit Aufgaben des Personalrats der Arbeitsagentur Berlin-Mitte wahrnehme.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, dass weder eine Versetzung noch eine Abordnung vorlägen und § 47 Abs. 2 BPersVG auch nicht analog angewandt werden müsse, da es an einer Regelungslücke fehle. Im Gegenteil habe der Gesetzgeber gerade den vorliegenden Fall bedacht und sich ausdrücklich dafür entschieden, wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der Jobcenter vor den Rechtsfolgen des § 47 Abs. 2 BPersVG für die Zuweisung abzusehen.
Wegen des weiteren konkreten zweitinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze des Verfügungsklägers vom 10. Juni 2011 (Bl. 174 ff. d. A.) und der Verfügungsbeklagten vom 14. Juli 2011 (Bl. 206 ff. d. A.) verwiesen.
I. Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; §§ 222 Abs. 2; 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II. In der Sache hat die Berufung des Verfügungsklägers jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin den Antrag auf Freistellung für Personalratstätigkeit bei der Agentur für A. Berlin-M. abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin sowohl im Ergebnis als auch in der ausführlichen und zutreffenden Begründung (ebenso wie dem in der Begründung zum Teil ähnlichen Beschluss des OVG Lüneburg vom 18.03.2011 – 17 MP 1/11 – PersR 2011, 208 ff. und auch Mayer, ZfPR 2011, 21, 22 f.) und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Nur im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag des Verfügungsklägers und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2011 wird insbesondere im Hinblick auf den den Schwerpunkt in der Berufung bildenden § 47 Abs. 2 BPersVG auf folgendes hingewiesen:
1.
a) Gemäß § 47 Abs. 2 BPersVG dürfen Mitglieder des Personalrates gegen ihren Willen nur versetzt oder abgeordnet werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der Mitgliedschaft im Personalrat aus wichtigen dienstlichen Gründen unvermeidbar ist. Als Versetzung im Sinne des Satz 1 gilt auch die mit einem Wechsel des Dienstortes verbundene Umsetzung in derselben Dienststelle; das Einzugsgebiet im Sinne des Umzugskostenrechts gehört zum Dienstort. Die Versetzung oder Abordnung von Mitgliedern des Personalrates bedarf der Zustimmung des Personalrates.
b) Vorliegend ist der Verfügungskläger von der ehemaligen Arbeitsgemeinschaft (ARGE) nach § 44 b SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung zur nunmehrigen gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) durch die gesetzliche Zuweisung nach § 44 g SGB II n. F. weder versetzt noch abgeordnet worden. Denn unter Versetzung oder Abordnung ist eine individuelle einseitige Personalmaßnahme des Dienstherrn zu verstehen, die aus dem Weisungsrecht des Arbeitsgebers nach § 106 GewO abgeleitet ist, wonach der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmt. Eine derartige einseitige Personalmaßnahme durch den Arbeitgeber liegt hier nicht vor, da die Zuweisung des Verfügungsklägers von der „alten“ ARGE zur „neuen“ gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) durch das Gesetz erfolgte.
2. § 47 Abs. 2 BPersVG ist auf die Zuweisung aber auch nicht analog anzuwenden.
a) Zum einen liegt schon kein vergleichbarer Sachverhalt vor. Der Verfügungskläger ist nicht etwas qua Gesetz von seiner alten Dienststelle zur Neuen versetzt oder abgeordnet worden, vielmehr ist durch das Gesetz in den §§ 44 ff. SGB II geregelt worden, dass die „alte“ ARGE in die „neue“ gemeinsame Einrichtung überführt wird; Der Verfügungskläger wird also weiter am selben Ort mit demselben Zweck wie vor dem 1. Januar 2001 beschäftigt, lediglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.2007 (BVerfGE 119, 331) durch die Neufassung des Grundgesetzes (Art. 91 e GG) und das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ vom 03.08.2010 (BGBl. I S. 1112) geändert.
b) Dadurch ist keine ungewollte Lücke im Regelungszweck des § 47 Abs. 2 BPersVG entstanden. Vielmehr entspricht die gesetzliche Neuregelung samt der Nichtbeteiligung des Personalrats dem planvollen Vorgehen des Gesetzgebers, wie die Verfügungsbeklagte zutreffend vorgetragen hat. Denn § 44 g SGB II verfolgt laut der Gesetzesbegründung des Zweck, die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) als Nachfolger der bisherigen ARGE zu erhalten oder, soweit keine ARGE eingerichtet war, herzustellen (vgl. die Bundestagsdrucksache 17/1555, 28). Dafür wurde gerade eine „gesonderte und von den geltenden Vorschriften abweichende Regelung einer Zuweisung auf gesetzlicher Basis und ohne Zustimmung des einzelnen Beschäftigten“ für „notwendig“ erachtet und als „besonderes öffentliches Interesse“ bezeichnet. Der gleichzeitig geschaffene § 44 h SGB II soll nach der Begründung einer „angemessenen Mitarbeiterbeteiligung“ und einen weitgehend einheitlichen Personalkörper schaffen.
c) Endlich wird dadurch dem Personalrat nicht ein Mitbestimmungsrecht nach § 47 Abs. 2 BPersVG entzogen, je nach dem, wann der einzelne Beschäftigte zur ARGE oder dem Jobcenter versetzt oder abgeordnet wurde bzw. wird: Auch der Verfügungskläger ist nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung am 12. August 2011 zur damaligen ARGE ab 2005 abgeordnet worden. Anlässlich dieser Abordnung hätte ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei der Agentur für A. Berlin-M. bestanden, wenn der Verfügungskläger 2005 bereits Mitglied des Personalrats war. Dieselbe Situation ergibt sich für einen anderen fiktiven Arbeitnehmer, der Mitglied des Personalrats der Agentur für A. ist und bis zum 31. Dezember 2010 zur ARGE abgeordnet worden ist. An dieser Situation hat sich aber auch ab 1. November 2011 nichts geändert. Für ein Mitglied des Personalrats der Agentur für A., welches zum Jobcenter abgeordnet werden soll, muss eine Zustimmung des Personalrats gemäß § 47 Abs. 2 BPersVG vorliegen. Für ein darüber hinausgehendes doppeltes Zustimmungsrecht des Personalrats für den Verfügungskläger anlässlich der Umorganisation der ARGE zum Jobcenter sind keine Anhaltspunkte erkennbar.
III. Die Berufung des Verfügungsklägers war daher auf seine Kosten bei unverändertem Streitwert von 4.000,00 Euro gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
IV. Gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG ist ein Rechtsmittel für die Parteien nicht gegeben.