Die beklagte Trägerin der Rentenversicherung und Berufungsklägerin wendet sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts, durch welches sie verpflichtet wurde, die Zeit vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit des Klägers in der DDR vorzumerken.
Der im Jahr 1948 geborene Kläger und Berufungsbeklagte lebte bis zu seiner Übersiedlung im Juli 1989 in der DDR. Er absolvierte von September 1962 bis August 1966 eine Ausbildung als Werkzeugmacher, von September 1968 bis September 1970 eine Ausbildung als Gebrauchswerber (Schauwerbegestalter). Von September 1966 bis Mai 1968 studierte er an der TH M „Ausrüstungen der Metallurgie“ und brach das Studium ohne Abschluss ab. Er hat zwei 1969 und 1970 geborene Kinder mit seiner geschiedenen Ehefrau M J. Im September 1986 hat er seine jetzige Ehefrau B G (geb. B) geheiratet.
Der Kläger beantragte am 27. April 1998 eine Kontenklärung bei der Beklagten. Dabei gab er unter anderem an, dass er vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 nach Stellung eines Ausreiseantrags arbeitslos gewesen sei. Mit Bescheid vom 22. Oktober 1999 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die im beigefügten Versicherungsverlauf festgestellten Zeiten fest. Als letzte in der DDR zurückgelegte Beschäftigungszeit findet sich in der Anlage 2 der Zeitraum vom 11. bis 30. Januar 1986 als Arbeitsausfalltage, die Zeit danach wurde nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 28. Oktober 1999 Widerspruch ein. Er sei arbeitslos geworden, nachdem er seinen Ausreiseantrag gestellt habe. Trotz intensiver Bemühungen habe er keine neue Beschäftigung gefunden. Daher müssten diese Zeit als Anrechnungszeit berücksichtigt werden. Außerdem habe die Beklagte für die Zeit von Juni 1973 bis März 1974, während derer er als Werbeleiter im Zentralen Klub der Jugend Magdeburg gearbeitet habe, zu geringe Verdienste berücksichtigt.
Die Beklagte zog daraufhin unter anderem den Verwaltungsvorgang des Landesamtes für Gesundheit und Soziales betreffend das Verwaltungsverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz bei. Daraus ergab sich, dass der Kläger im Rahmen des Notaufnahmeverfahrens als Übersiedler im Jahr 1989 angegeben hatte, erstmals am 25. Januar 1986 bei DDR-Behörden einen Antrag auf Übersiedlung gestellt zu haben. Ferner hatte er angegeben, dass er vor der Übersiedlung von Januar bis Mai 1984 ein „Nettomonatsgehalt“ in Höhe von 1.300,- M als selbständiger Grafiker, von Juni 1984 bis Januar 1986 in Höhe von 900,- M als Grafiker beim Maxim-Gorki-Theater und von Februar 1986 bis Juli 1989 in Höhe von 850,- M als selbständiger Grafiker und Siebdrucker erzielt habe. Zur Begründung seiner Übersiedlung führte er damals an, dass er und seine Ehefrau B G jede Form der Diktatur und des Missbrauchs staatlicher Gewalt zur Durchsetzung von Ideologien, wirtschaftlichen und politischen Zielen ablehnten. Aufgrund der Rechtslage in der DDR hätten sie keine Möglichkeit zur effektiven Opposition gehabt. Bereits die Nichtanpassung an die geforderte „sozialistische“ Norm habe sie in ihrer beruflichen und persönlichen Existenz benachteiligt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Soweit der Kläger geltend mache, dass er während seiner Tätigkeit als Werbeleiter im Zentralen Klub der Jugend in Magdeburg mehr verdient habe, als im Sozialversicherungsausweis eingetragen sei, hätten sich hierfür trotz intensiver Recherchen keine Nachweise gefunden. Die Zeit von Februar 1986 bis Juli 1989 könne nicht als Zeit der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Der Kläger habe selbst im Notaufnahmeantrag im Rahmen der Übersiedlung angegeben, monatlich 850,- M als selbständiger Grafiker verdient zu haben. Als Selbständiger sei er während dieser Zeit jedoch nicht subjektiv und objektiv im Sinne der Arbeitslosenversicherung (West) arbeitslos gewesen.
Durch Bescheid vom 17. Dezember 2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Februar 2008 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit in Höhe von 329,41 EUR (Zahlbetrag: 298,62 EUR) monatlich auf der Grundlage von 12,5393 persönlichen Entgeltpunkten als Vorschuss gemäß § 42 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Rentenfestsetzung erfolgte ausdrücklich zunächst ohne Berücksichtigung des im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Zeitraums vom 31. Januar1986 bis 25. Juli 1989.
Am 21. Juni 2004 hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Er hat sich gegen die Nichtberücksichtigung der Zeit von Februar 1986 bis Juli 1989 als Zeit der Arbeitslosigkeit gewendet und die Berücksichtigung eines höheren Einkommens während seiner Tätigkeit beim Zentralen Klub der Jugend gefordert. Im Notaufnahmeantrag sei er lediglich nach Selbständigkeit gefragt worden, nicht aber ob er haupt- oder nebenberuflich selbständig war. Er habe zum damaligen Zeitpunkt keine Kenntnisse der einschlägigen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland gehabt. So habe er etwa nicht gewusst, dass man auch bei einer Beschäftigung von weniger als achtzehn Stunden in der Woche noch arbeitslos sei, wenn man gleichzeitig eine Beschäftigung als Angestellter suche. Ferner habe er irrtümlich als Einkommen für seine selbständige Tätigkeit nicht den Gewinn, sondern seinen Umsatz angegeben. Der Kläger hat eine Erklärung seiner Ehefrau B G eingereicht, in der diese bekundet, dass er sich von Februar 1986 bis Juli 1989 intensiv um eine Arbeit bemüht, aber keine gefunden habe. Durch Gelegenheitsarbeiten mit einem Umfang von etwa 10 Stunden und einem Einkommen von circa 100,- M pro Woche habe er zum Haushaltseinkommen beigetragen.
In einem Erörterungstermin am 24. Juni 2005 vor dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger angegeben, dass er nach Stellen seines Ausreiseantrags zum Intendanten des Maxim-Gorki-Theaters gerufen worden sei und auf dessen Veranlassung den Aufhebungsvertrag unterschrieben habe. Während seiner Arbeitslosigkeit sei er insgesamt drei Mal beim Arbeitsamt gewesen und habe sich jeweils beworben. Er habe dort Arbeitsangebote erhalten und die Stasi habe ihm ebenfalls offene Arbeitsstellen benannt. Jedoch habe wegen seines Ausreiseantrags kein Arbeitgeber ihn anstellen wollen, weil er ja womöglich bald ausgereist wäre. Er habe anschließend von seinen Ersparnissen und zunächst noch vom Einkommen seiner Ehefrau gelebt. Aus seiner Tätigkeit als Grafiker habe er monatlich etwa 400,- M erzielt, anfangs mehr, später weniger. Er habe vor allem T-Shirts bedruckt, welche auf Märkten verkauft worden seien.
Durch Urteil vom 10. Februar 2006 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide verpflichtet, die Zeit vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit vorzumerken, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Nach § 252 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI seien Anrechnungszeiten im Beitrittsgebiet auch Zeiten zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 1. März 1990, während derer Versicherte arbeitslos gewesen seien. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei dem Zeitraum vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 um Zeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers, welche nach § 149 Abs. 5 SGB VI festzustellen seien. Der Kläger sei während dieser Zeit unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und –fähig gewesen. Er sei auch subjektiv bereit gewesen, jede zumutbare Tätigkeit zum nächstmöglichen Termin aufzunehmen. Sofern die Beklagte sich darauf stütze, dass er während dieser Zeit selbständig tätig gewesen sei, treffe dies nicht zu. Er habe nur als ungenehmigte Tätigkeit Grafiken und Druckarbeiten angefertigt und glaubhaft versichert, dass dies keinen Umfang von mehr als 18 Stunden eingenommen habe. Er habe ebenso nachvollziehbar dargelegt, dass er sich in dem Zeitraum um Arbeit bemüht, jedoch wegen seines Ausreiseantrags keine gefunden habe. Zu berücksichtigen sei dabei, dass die Regelung des § 252 a SGB VI gerade die Fälle von Arbeitslosigkeit habe erfassen sollen, die es offiziell wegen des in der DDR garantierten „Rechts auf Arbeit“ nicht gegeben habe, die jedoch gleichwohl bei der Stellung eines Ausreiseantrags hätten entstehen können. Zwischen dem Ausreiseantrag und der Arbeitslosigkeit habe ein enger zeitlicher Zusammenhang bestanden. Die Angaben im Protokoll des Rates des Stadtbezirks Friedrichshain vom 5. März 1986, der Kläger habe seine Arbeit durch Aufhebungsvertrag selbst aufgegeben, stünden der Annahme einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit nicht entgegen. Daraus könne insbesondere nicht gefolgert werden, dass der Kläger sich freiwillig aus dem Arbeitsleben zurückgezogen und sich nicht mehr um eine neue Beschäftigung bemüht habe. Die Kammer sei vielmehr überzeugt, dass der Kläger seine Arbeitsstelle im Zusammenhang mit dem Ausreiseantrag verloren und deshalb auch keine neue Arbeit gefunden habe. Soweit der Kläger die Vormerkung höherer Arbeitsentgelte für den Zeitraum vom 6. Juni 1973 bis zum 14. März 1974 begehre, sei die Klage abzuweisen gewesen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger während dieser Zeit mehr verdient habe als in seinem Sozialversicherungsausweis eingetragen sei.
Gegen das ihr am 7. März 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. April 2006 Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil insoweit aufzuheben, als sie verpflichtet worden ist, die Zeit vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit vorzumerken. Bei der Frage, ob jemand im Sinne von § 252 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI arbeitslos gewesen sei, komme es auf die Verhältnisse des Einzelfalles an. Nach § 252 a Abs. 1 S. 3 SGB VI seien in den Fällen der Arbeitslosigkeit auch die Voraussetzungen von § 252 Abs. 7 SGB VI zu prüfen. Demgemäß sei nur derjenige im Sinne von § 252 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI arbeitslos gewesen, der in entsprechender Anwendung der jeweiligen in der Bundesrepublik geltenden Regelungen über die Arbeitslosenversicherung nicht abhängig beschäftigt oder selbständig tätig gewesen sei sowie eine Arbeit gesucht habe und objektiv zur Ausübung einer Beschäftigung imstande gewesen sei. Nach seinen ersten Angaben vom 18. Juni 2004 habe sich der Kläger während seiner 42 Monate andauernden Arbeitslosigkeit bei acht Arbeitgebern um Arbeit bemüht. Später habe er behauptet, sich bei etwa 30 Arbeitgebern vorgestellt zu haben. Diese erhebliche Differenz sei vom Gericht nicht aufgeklärt worden. Nachweise über seine Arbeitsbemühungen seien nicht vorgelegt worden, aus der „Stasi-Akte“ ergebe sich ebenfalls nichts. Im Notaufnahmeverfahren habe er angegeben, ab Februar 1986 bis zur Übersiedlung als Grafiker und Siebdrucker selbständig gewesen zu sein und hieraus ein monatliches Einkommen von 850,- M erzielt zu haben. Diese Angaben habe er im Erörterungstermin dann auf 400,- M verringert, am Anfang habe er mehr, später weniger verdient. Zum zeitlichen Umfang habe der Kläger keine Angaben gemacht. Gemäß § 101 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) habe bei Selbständigen Arbeitslosigkeit vorgelegen, wenn eine Tätigkeit ausgeübt worden sei, welche die Grenze des § 8 Abs. 1 SGB IV nicht überschritten habe. Nach der von 1983 bis 1991 gültigen Fassung von § 8 Abs. 1 SGB IV habe eine geringfügige Beschäftigung vorgelegen, wenn die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden die Woche ausgeübt worden sei und das Arbeitsentgelt regelmäßig ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nicht überstiegen habe. Eine Bezugsgröße sei zwar in der DDR nicht festgesetzt worden. Hilfsweise könne aber etwa § 248 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI i. V. m. der Anlage 11 zum SGB VI herangezogen werden. Danach seien freiwillige Beiträge ab einem Monatsgehalt von rund 75,- M zu berücksichtigen, was einem Sozialversicherungsbeitrag von monatlich 15,- M entsprochen habe. Ebenso könne eine fiktive Bezugsgröße gebildet werden. Die Bezugsgröße sei 1986 und 1989 jeweils auf etwa 50 v. H. der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt worden. Die Beitragsbemessungsgrenze habe in der DDR bei 600,- M gelegen, die Hälfte seien 300,- M, ein Siebtel hiervon sei 42,86 M. Ab dem 1. Januar 1991 habe die Geringfügigkeitsgrenze im Beitrittsgebiet bei 225,- DM gelegen. Ein monatliches Einkommen von 400,- M stehe so der Annahme einer geringfügigen Beschäftigung entgegen. Da der Kläger seine selbständige Tätigkeit nicht angemeldet und keine Steuern bezahlt habe, lasse sich nicht nachvollziehen, welche Höhe seine Einkünfte gehabt hätten. Sofern der Kläger infolge seines Ausreiseantrags seine Arbeit verloren habe, liege im Übrigen ein Fall nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) vor. Dieses Verfahren sei vorrangig zu betreiben, der Kläger sei hierzu bereits mit Schreiben vom 18. März 2003 aufgefordert worden.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 2006 hinsichtlich der Verurteilung, die Zeit vom 31. Januar 1986 bis zum 25. Juli 1989 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit vorzumerken, aufzuheben und die Klage vollständig abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er habe bereits in seiner Klagebegründung angegeben, dass er sich „u. a.“ bei acht namentlich genannten Arbeitgebern vorgestellt habe, insoweit bestehe kein Widerspruch zu der später genannten Zahl von 30 Arbeitgebern. Die von ihm benannten Arbeitgeber seien diejenigen gewesen, bei denen er sich die höchste Erfolgsaussicht ausgerechnet habe. Wenn schon diese Arbeitgeber ihn aus Angst vor Repressionen nicht anstellen wollten, hätte eine Bewerbung bei anderen Arbeitgebern erst Recht keinen Sinn gehabt. Soweit er im Notaufnahmeverfahren nach seiner Übersiedlung zunächst einen höheren Verdienst aus seiner selbständigen Tätigkeit angegeben habe, sei dies darauf zurückzuführen, dass ihm der Unterschied zwischen „Umsatz“ und „Gewinn aus Einnahme-Überschuss-Abrechnung“ (noch) nicht geläufig gewesen sei. Er habe aufgrund seines Ausreiseantrages seine Arbeit verloren. Eine neue zu finden, sei ihm unmöglich gewesen, da potentielle Arbeitgeber mit Repressionen zu rechnen hatten.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie derjenige des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin betreffend das Verwaltungsverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.