Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 22.03.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 2.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 42 Abs 2 VwGO, § 44a VwGO, § 123 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, §§ 78b ff SGB 8, Art 12 GG, Art 14 GG |
Einem Einrichtungsträger ist es grundsätzlich verwehrt, unmittelbar um Rechtsschutz gegen eine verwaltungsinterne Aufforderung zum Abbruch von Jugendhilfemaßnahmen im Ausland und Rückführung der betroffenen Jugendlichen nach Deutschland nachzusuchen. Er ist grundsätzlich gehalten, sich - ggf. als sog. Drittbetroffener - gegen die unmittelbare Außenwirkung entfaltenden Maßnahmen des Jugendamtes zu wenden.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Antragsteller betreibt eine Jugendhilfeeinrichtung in K_____. Der Aufenthalt und die Betreuung der insgesamt 17 dort untergebrachten Jugendlichen werden von deutschen Jugendhilfeträgern finanziert. Mit an die obersten Landesjugend- und -familienbehörden gerichtetem Schreiben vom 3. November 2010 führte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - BMFSFJ - aus, das Auswärtige Amt habe mitgeteilt, über Informationen zu verfügen, die für eine vorläufige Einstellung der Jugendhilfemaßnahmen in K_____ sprächen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben:
„Mitte Juni 2010 kam es im Süden K_____ zu Unruhen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Lage hat sich zwar wieder beruhigt. Da das Auswärtige Amt eine erneute Verschlechterung der Sicherheitslage aber nicht ausschließen kann, sieht es in der derzeitigen Situation eine Gefahr für die Jugendlichen, die sich im Rahmen erlebnispädagogischer Maßnahmen in K_____befinden. Diese Gefahr wird verschärft durch unzureichende Evakuierungsmöglichkeiten und eine schlechte medizinische Versorgung. Zudem bergen die Geltung harter Strafen für Bagatelldelikte für Minderjährige und die Geltung der Todesstrafe fortwährend ein erhebliches Risiko für die Sicherheit der Jugendlichen in sich.
Auf Grund dieser bestehenden Gefahren bittet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Obersten Landesjugend- und -familienbehörden, die kommunalen Gebietskörperschaften als Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die geschilderte Situation in K_____ in Kenntnis zu setzen und ggf. im Rahmen rechtsaufsichtlicher Maßnahmen der dafür zuständigen Landesbehörden dafür Sorge zu tragen, dass die Jugendämter die erlebnispädagogischen Maßnahmen in K_____ einstellen und die dort untergebrachten Jugendlichen wieder zurück nach Deutschland holen.“
Mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wendet sich der Antragsteller gegen dieses Schreiben und begehrt letztlich, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zum Widerruf der darin enthaltenen Aussagen zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil der Antragsteller nicht in eigenen Rechten betroffen sei und es ihm daher an der Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO fehle.
Die gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Das den alleinigen Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren bildende Beschwerdevorbringen des Antragstellers (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt im Ergebnis keine andere Entscheidung. Dabei kann dahinstehen, ob der Antrag bereits aus den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen unzulässig ist. Denn jedenfalls kann er auch aus den nachfolgenden Gründen keinen Erfolg haben.
Dem Antragsteller ist es verwehrt, unmittelbar gegen die Äußerung des BMFSFJ vorzugehen. Bei dieser Äußerung handelt es sich um eine verwaltungsinterne Maßnahme, der es an der zur Gewährung unmittelbaren Rechtsschutzes notwendigen Außenwirkung mangelt. Adressaten des Schreibens des BMFSFJ sind ausschließlich die genannten Landesbehörden. Die Entscheidung zum Abbruch der Hilfemaßnahmen und die Rückführung der Jugendlichen nach Deutschland wird von den einzelnen Jugendämtern in jeweils eigener Verantwortung getroffen. Erst die Maßnahmen der Jugendämter erlangen Außenwirkung. Insofern liegt der Fall hier auch anders als in dem vom Antragsteller angeführten Fall der Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine unter Nennung der betroffenen Abfüllbetriebe, die erkennbar darauf gerichtet war, direkten Einfluss auf das Verhalten der Marktteilnehmer zu nehmen und damit Außenwirkung zu entfalten (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 -, BVerfGE 105, 252 ff. - Glykolwein -). Demgegenüber zielt das Schreiben des BMFSFJ nicht darauf ab, unmittelbaren Einfluss auf die Erbringung der Hilfemaßnahmen durch die Einrichtungsträger in K_____ zu nehmen. Das Schreiben bezweckt allein, die obersten Landesjugend- und -familienbehörden zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Einen unmittelbaren Einfluss auf die Rechtsverhältnisse des Antragstellers oder andere Einrichtungsträger hat es dagegen nicht.
Das Schreiben des BMFSFJ ist damit eher der Teilhandlung eines gestuften Verwaltungsverfahrens vergleichbar. Solche Teilhandlungen können regelmäßig mangels unmittelbarer Außenwirkung nicht isoliert angefochten werden. Sie lassen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten entstehen. Es widerspräche dem verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzsystem, ein solches Vorgehen zu ermöglichen. Effektiver Rechtsschutz ist in solchen Fällen auf der Ebene zu gewährleisten, auf der die Rechtsbeziehungen entstehen. Das kommt etwa auch in § 44a VwGO zum Ausdruck, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Das gilt auch dann, wenn es sich um unzulässige, rechtswidrige oder vermeintliche Verfahrenshandlungen handelt. Die Zulässigkeit, Erforderlichkeit und Rechtmäßigkeit der Verfahrenshandlung wird dann im Rahmen der Überprüfung der unmittelbare Außenwirkung entfaltenden Sachentscheidung mitgeprüft. Ähnlich verhält es sich hier. Eine Rechtsbeziehung zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin ist durch das Schreiben vom 3. November 2010 nicht entstanden. Wirkung entfaltet es allenfalls zwischen der Antragsgegnerin und den Landesbehörden, an die es gerichtet ist bzw. den Gebietskörperschaften, denen diese angehören.
Rechtsbeziehungen des Antragstellers, die Gegenstand gerichtlicher Nachprüfung sein können, entstehen vorliegend allein zu den örtlichen Trägern der Jugendhilfe. Auf dieser Ebene muss der Antragsteller sich daher um Rechtsschutz bemühen. Sein Einwand, die Beendigung der Hilfemaßnahme gegenüber dem einzelnen Jugendlichen sei ein Verwaltungsakt, dessen Adressat allein die Eltern des betroffenen Jugendlichen seien, trifft zwar zu. Hieraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass der Antragsteller im Verhältnis zu den Trägern der Jugendhilfe rechtsschutzlos wäre. Soweit ein Verwaltungsakt Rechte Dritter beeinträchtigt, besteht die Möglichkeit, sich als Drittbetroffener dagegen zu wenden. Sollten der von einem Jugendamt verfügte Abbruch der Maßnahme und die Rückführung nach Deutschland sachlich nicht gerechtfertigt und der Antragsteller hierdurch in den Grundrechtsgewährleistungen aus Artikel 12 und Artikel 14 GG oder eines anderen Grundrechts verletzt sein, hätte er die Möglichkeit, gegen diese Maßnahmen vorzugehen. Die von ihm aufgeworfenen Fragen nach der Auslegung des Schreibens und dessen (vermeintlicher) Bindungswirkung für die Jugendämter wären im Rahmen dieses Verfahrens mit zu prüfen. Im Übrigen ist beim Abbruch einer Hilfemaßnahme auch eine unmittelbare Betroffenheit des Einrichtungsträgers, nämlich im Hinblick auf die Nichteinhaltung etwaiger Leistungsvereinbarungen nach §§ 78b ff. SGB VIII denkbar.
Dem könnte der Antragsteller nicht entgegenhalten, er müsse dann gegebenenfalls mehrere Rechtsschutzverfahren führen, weil die Entscheidung zum Abbruch der jeweiligen Maßnahme von verschiedenen Jugendhilfeträgern getroffen würde. Dass verschiedene Jugendhilfeträger jeweils autonome Entscheidungen über den Abbruch der jeweiligen Maßnahme treffen, verdeutlicht gerade, dass der Antragsteller durch das Schreiben des BMFSFJ vom 3. November 2010 nicht unmittelbar betroffen ist. Ob und inwieweit die Aufforderung im Schreiben des BMFSFJ Bindungswirkung entfaltet und welche Auswirkungen das auf die Rechtmäßigkeit des Maßnahmeabbruchs hat, kann im Einzelfall von den Jugendämtern durchaus unterschiedlich beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).