Gericht | SG Frankfurt (Oder) 27. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.12.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | S 27 KR 377/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 KSVG, § 2 KSVG |
1. Sowohl die Darbietung als auch die Lehre des "Bollywood-Tanzes" und "Kathak-Tanzes" lassen sich dem Bereich der darstellenden Kunst im Sinne des § 2 S. 1 KSVG zuordnen.
2. Die Tänze müssen dabei nicht auf einer "klassischen" Bühne zur Aufführung gebracht werden. Ausreichend ist bereits die öffentliche Aufführung vor Publikum.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 31.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2008 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 02.10.2007 nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) in der Renten-, gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.
Am 02.10.2007 beantragte die 1982 geborene Klägerin bei der Beklagten die Aufnahme in die Künstlersozialkasse ab 01.10.2007. Im Antrag gab sie an, sie sei Tänzerin. Aus den beigefügten Unterlagen ergab sich zudem, dass sie an verschiedenen Tanzdarbietungen insbesondere aus dem Bereich des so genannten „Bollywood-Tanzes“ und der klassischen indischen Tänze mitwirkt sowie daneben als Tanzlehrerin für die vorgenannten Tänze tätig ist.
Mit Bescheid vom 31.01.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie unterliege nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG. Es handele sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Tänzerin nicht um eine künstlerische Tätigkeit. Die Tanzdarbietungen ließen sich nicht dem künstlerischen Wirkbereich zuordnen. Vielmehr trete die Klägerin im Rahmen von Banketten und Tanzshow-Veranstaltungen etc. auf. Notwendig sei hingegen die Aufführung von Tänzen im klassischen Wirkbereich der darstellenden Kunst, d. h. im Ballett, dem modernen Tanztheater, der Oper oder dem Varieté.
Hiergegen erhob die Klägerin am 27.02.2008 Widerspruch. Zur Begründung verwies sie darauf, es sei unerheblich, ob die Tänze auf einer klassischen Bühne aufgeführt würden. Bei den Tanzstücken selbst handele es sich um eigene Choreographien, in denen der indische Tanz die Grundlage bilde und eine Verbindung zum klassischen europäischen Tanz hergestellt werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch nunmehr mit der Begründung zurück, die Lehrtätigkeit der Klägerin im Bereich des klassischen indischen Tanzes sei als Vermittlung praktischer Fähigkeiten im Bereich des Breiten- bzw. Freizeitsports einzustufen. Demnach handele es sich nicht um eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG. Im Übrigen seien auch Tänze, die der Folklore zuzuordnen seien, nicht als künstlerische Tänze einzustufen. Es fehle insoweit an einem ausreichenden künstlerisch geprägten Gestaltungsspielraum.
Mit der am 28.08.2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wird u. a. darauf abgehoben, die Klägerin sei lediglich nebenberuflich als Tanzlehrerin tätig. Im Mittelpunkt ihrer Arbeitszeit stünde inklusive der Auftrittsvorbereitung, d. h. dem Training, dem Entwerfen von Kostümen und der Entwicklung der Choreographie, die darstellende Tätigkeit als Bühnentänzerin. Hierauf verwende sie ca. 70 Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit. Die Tanzvorführungen selbst ließen sich im Übrigen zumindest dem Bereich des Varietés zuordnen.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2008 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin seit dem 02.10.2007 nach § 1 KSVG in der Rentenversicherung der Angestellten, der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Begründung entspricht im Wesentlichen dem Inhalt der streitgegenständlichen Bescheide.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Beauftragte für den Orientalischen Tanz im Deutschen Tanzsportverband e. V. (DTV) S. schriftlich befragt. Neben einer eingehenden Beschreibung des von der Klägerin praktizierten auf aufgeführten „Bollywood-“ und indischen „Kathak-Tanzes“ führte diese in ihrem Schreiben an das Gericht vom 08.06.2011 aus: Beide Tanzarten würden weder als Breitensportdisziplin im DTV betrieben noch als Tanzsportdisziplin in Deutschland erfasst. Sie würden keinem tanzsportverbandlichen Regelwerk unterliegen. Beim „Bollywood-Tanz“ würde es sich im Übrigen um einen zeitgenössischen modernen indischen Tanz handeln, der verschiedene klassische indische, volkstümliche aber auch moderne Tanzelemente vereint. Der „Kathak-Tanz“ sei demgegenüber ein klassischer indischer Tanz, der sich von einer Art Tempeltanz zu einem Hoftanz Indiens entwickelte.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin zudem Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, im Rahmen welcher Veranstaltungen sie die vorgenannten Tänze zur Aufführung brachte und welche Einnahmen sie im Bereich der Tanzdarbietungen und des Tanzunterrichts erzielte. In den Jahren 2008 bis 2010 waren dies für Tanzdarbietungen zwischen 3.000,- € (2009) und mehr als 6.000,- € (2008) jährlich. Im Bereich des Tanzunterrichts bewegten sich die Einnahmen zwischen 5.000,- und 6.000,- €.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden, und begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG verneint. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er war daher aufzuheben. Darüber hinaus war gem. §§ 1, 2 S. 1 KSVG i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1 KSVG die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Renten-, der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung nach dem KSVG ab dem Tag der Meldung bei der Beklagten im Sinne des § 11 Abs. 1 KSVG (02.10.2007) festzustellen. Soweit im ursprünglichen Klageschriftsatz noch die Feststellung einer Versicherungspflicht erst für die Zeit ab 01.10.2008 beantragt worden war, handelt es sich ausgehend von der weiteren Begründung im Klageschriftsatz um einen offensichtlichen Schreibfehler, dem keine streitgegenstandsbegrenzende Wirkung zukommt.
a) Nach § 1 Nr. 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 S. 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer erfüllt. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im Bereich der Tanzlehre oder der Tanzauftritte liegt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 07.12.2006 – B 3 KR 11/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, Rz. 15). Denn sowohl die (tanz-)darbietende auch die (tanz-)lehrende Tätigkeit der Klägerin lässt sich dem Bereich der darstellenden Kunst im Sinne des § 2 S. 1 KSVG zuordnen:
b) § 2 S. 1 KSVG umschreibt drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens, nämlich die Musik, die bildende sowie die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von „Künstlern“ und „künstlerischen Tätigkeiten“, auf eine materielle Definition des Kunstbegriffes wurde bewusst verzichtet (vgl. BT-Drs. 8/3172 S. 21). Der Kunstbegriff ist deshalb aus dem Regelungswerk des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (BSG. Urteil vom 07.12.2006 – B 3 KR 11/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Trotz seiner Unschärfe soll der Begriff der Kunst, welches sich aus den Materialien zum KSVG ergibt, auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)“ aus dem Jahre 1975 (BT-Drs. 7/3071) beschäftigt (BSG, a. a. O.). Der vom Gesetzgeber anhand einer Typologie von Ausführungsformen vorgegebene Kunstbegriff ist in aller Regel dann erfüllt, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps (z.B. Theater, Gemälde, Musik) entspricht. Bei diesen Kunstfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird.
In dem inzwischen mehr als 30 Jahre alten Künstlerbericht werden jedoch weder der Beruf der Tänzerin für „Bollywood-“ und „Kathak-Tanz“ noch der des Tanzlehrers für die vorgenannten Tänze erwähnt. Die Nichterwähnung im Künstlerbericht spricht zwar dafür, dass es jedenfalls zur Zeit seiner Erstellung keine allgemeine Verkehrsauffassung in Deutschland gab, diese Tätigkeit als künstlerisch einzuordnen. Jedoch hat das BSG bereits entschieden, dass der Künstlerbericht einer solchen Einordnung dann nicht entgegensteht, wenn es die Tätigkeit zur Zeit seiner Erstellung noch gar nicht gegeben hat (BSG, Urteil vom 01.10.2009 - B 3 KS 4/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Entsprechendes gilt, wenn sich nach der Erstellung des Künstlerberichts aus dem Jahre 1975 die Verkehrsauffassung hinsichtlich einer früher bereits bekannten Tätigkeit grundlegend gewandelt hat oder wenn der betreffende Kunsttyp von einer so kleinen Gruppe von Kunstschaffenden ausgeübt wird, dass er bei der Einordnung in die Kunstgattungen des Künstlerberichts außer Betracht bleiben konnte. Würde der Künstlerbericht hingegen solche, früher noch unbekannte oder nur in einem marginalen Umfang ausgeübte Gattungen ausschließen, so würde dies dem angesichts der Vielfalt und Dynamik in der Entwicklung künstlerischer Betätigungen bewusst offen gehaltenen Kunstbegriff des § 2 KSVG widersprechen (vgl. die Gesetzesmaterialien zum KSVG, BT-Drucks 8/3172 S. 21 und 9/26 S. 18). In solchen Fällen ist ausgehend vom Künstlerbericht mit seinen Katalogberufen als Einordnungshilfe vielmehr selbstständig nachzuvollziehen, ob die zu beurteilende Tätigkeit nach den für die Aufstellung des Künstlerberichts maßgebenden Kriterien einem der drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit zuzuordnen ist und ob sie weder als Traditions- und Brauchtumspflege (Folklore, vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2007 – L 11 KR 523/07, veröffentlicht in JURIS-Datenbank) noch als (kunst)handwerkliche Tätigkeit (vgl. BSG, a. a. O., m. zahlr. Nw.) oder als Teil des Massen- und Freizeitsports (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2006 – B 3 KR 11/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank) aus dem Schutzbereich des KSVG auszugrenzen ist. Der Begriff der Unterhaltungskunst unterliegt demnach einem beständigen Wandel und die Rechtsprechung ist immer wieder zu dessen Weiterentwicklung aufgerufen ist, zumal wenn es um die Bewertung neuer Zeitströmungen und damit verbundener neuer künstlerischer Stilrichtungen geht (BSG, Urteil vom 01.10.2009 - B 3 KS 4/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Rasante Entwicklungen in Wissenschaft und Technik verändern das gesellschaftliche Leben und somit auch das Freizeitverhalten grundlegend. Der Gestaltung der Freizeit wird hohe Priorität eingeräumt; Sport und vor allem die Möglichkeiten zur Unterhaltung besitzen eine gesteigerte Bedeutung (so schon BSG SozR 3-5425 § 24 Nr. 12 S. 76 f. - Damenunterwäschevorführung). Die Medien, insbesondere Rundfunk und Fernsehen, spielen in diesem Segment eine große Rolle. Schon der Künstlerbericht hatte mit der Aufnahme des Moderators, Quizmasters und Entertainers in den Bereich der darstellenden Kunst berücksichtigt, dass Rundfunk und Fernsehen neue Unterhaltungsformen geschaffen haben; deshalb wurden diese bis dahin wenig bekannten Tätigkeiten neben dem „klassischen“ Conferencier und dem Unterhaltungskünstler als Katalogberufe im Bereich der darstellenden Kunst gesondert aufgeführt. Gerade das Fernsehen hat in jüngerer Vergangenheit verschiedene neue Unterhaltungsformate hervorgebracht, die als Teil eines einheitlichen Unterhaltungskonzepts bekannte Formen der Kleinkunst (z. B. Kabarett) mit anderen Elementen (z. B. Moderation, Talk-Show) verbinden, zum Teil aber auch völlig neue Wege gehen und nicht lediglich als Weiterentwicklung eines hergebrachten Genres anzusehen sind (BSG, Urteil vom 01.10.2009 - B 3 KS 4/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.).
b) Im Bereich der darstellenden Kunst - die Bereiche Musik und bildende Kunst sind im vorliegenden Fall ersichtlich nicht betroffen - findet sich ausgehend davon als Einordnungshilfe nur der Katalogberuf des „Ballett-Tänzers“ (BT-Drucks. 7/3071, S. 7). Diesem ist die Klägerin im Hinblick auf ihre berufliche Tätigkeit durchaus vergleichbar:
aa) Der Beruf des Balletttänzers ist ein teilweise landesrechtlich geregelter schulischer Ausbildungsberuf, der insbesondere an Ballettschulen und -akademien, an Schulen für Bühnentanz und an solchen für darstellende Künste angeboten wird; entsprechende Studiengänge existieren an Kunst- und Musikhochschulen. Traditionelle Aufgabe des Balletttänzers ist es, Tanzrollen in Ballettinszenierungen zu gestalten, zu reproduzieren, zu interpretieren und auszuführen. Heute steht Ballett für eine bestimmte Form des Bühnentanzes neben anderen Richtungen wie z. B. dem Modern Dance (vgl. BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). An den meisten Bühnen treten (Ballett-)Tänzer nicht nur im (klassischen) Ballett auf, sondern auch in Opern, Operetten und Musicals (vgl. http://infobub.arbeitsagentur.de/berufe - Stichwort „Bühnentänzer“). Daneben gibt es professionellen Tanz auch in Film und Fernsehen. Ballettmeister nennt man die Ausbilder der Balletttänzer; Choreographen schaffen die Entwürfe (das „Design“) für Ballettstücke und getanzte Szenen.
bb) Neben diesem Bereich der „Tanzkunst“, die Teil der sehr weit gefächerten „Unterhaltungskunst“ ist und zur „darstellenden Kunst“ im Sinne des § 2 S. 1 KSVG gehört, gibt es den Tanz aber auch als Teil des Sports. Ist eine bestimmte Form des Tanzes Bestandteil des (professionellen) Spitzen- bzw. Leistungssports oder des (nicht-professionellen) Breiten- bzw. Freizeitsports, ist eine Einordnung als Kunst ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 07.10.2006 – B 3 KR 11/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank).
Ausgehend von den aus Sicht der Kammer überzeugenden Ausführungen der Beauftragten des DTV für Orientalische Tänze kann dies jedenfalls für den von der Klägerin dargebotenen „Bollywood-“ und „Kathak-Tanz“ nicht angenommen werden. Denn beide Tanzstile sind weder verbandlich als Tanzform noch als Tanzsportdisziplin erfasst oder organisiert. Sie werden nicht als Breitensportdisziplin im DTV betrieben und unterliegen keinem tanzsportverbandlichen Regelwerk bzw. Wettbewerbscharakter. Soweit beide Tänze auf der Homepage des DTV gelistet sind, beinhaltet dies keinen Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zum Breiten-, Freizeit- oder Profitanzsport. Vielmehr hat diese Aufzählung, wie die Beauftragte des DTV für Orientalische Tänze schlüssig dargelegt hat, einen ausschließlich informativen Charakter über die Existenz sämtlicher Tanzarten, Tanzformen und Tänzen der Welt überhaupt. So wird in dieser Liste etwa auch das Ballett aufgeführt, welches zweifelsohne der Tanzkunst zuzurechnen ist.
cc) Hier führt die Klägerin mit dem Bollywood-Tanz und dem traditionellen indischen Kathak-Tanz zwar keinen klassischen Bühnentanz in der Form des (klassischen) Balletts auf. Zudem erfolgen nicht sämtliche Tanzauftritte auf einer der für das Ballett klassischen Bühne wie dem Theater, der Oper oder im Rahmen von Musicals (s. o.). Dies soll nach Auffassung der Beklagten schon für sich genommen zum Ausschluss der darstellenden Tanztätigkeit der Klägerin aus dem Anwendungsbereich des § 2 S. 1 KSVG führen. Denn Voraussetzung sei, um sich im „Wirkbereich“ der künstlerischen Tätigkeit zu bewegen, die (überwiegende) Aufführung auf einer „klassischen“ Bühne. Allerdings übersieht die Beklagte, dass die Tanzaufführungen lediglich dem im Künstlerbericht erwähnten Balletttanz vergleichbar sein müssen. Entscheidend ist lediglich, dass sich bereits eine Verkehrsanschauung im Geltungsbereich des KSVG herausgebildet hat, die die Darbietung des Bollywood-Tanzes und des traditionellen indischen Kathak-Tanz als eine mit dem Ballett vergleichbare Form des Bühnentanzes zur Unterhaltungskunst zählt. Dies ist unabhängig vom (öffentlichen) Auftrittsort zu bejahen:
Der Bollywood-Tanz ist entsprechend der überzeugenden Ausführungen der Beauftragten für Orientalischen Tanz des DTV eine Kombination verschiedener Tänze etwa aus dem Bereich der klassischen indischen Tempeltänze, der traditionellen indischen Volkstänze, aber auch dem modernen Hip-Hop bzw. „videoclip-dance“. Es handelt sich um eine ausgelassene, verspielte Tanzform, die ohne Regeln und Vorschriften Raum für viel Kreativität lässt. Der Kathak-Tanz ist demgegenüber ein klassischer indischer Tanzstil. Der Kathak-Tänzer war ursprünglich ein Geschichtenerzähler, der mythologische Geschichten in den Tempeln zur Verehrung der Götter vorgetragen hat. Später entwickelte sich der Kathak-Tanz zu einer Art Hoftanz Nordindiens. Neben der ausdrucksstarken körpersprachlichen Erzählform entwickelte sich auch der abstrakte, rhythmisch betonte Tanz. Typisch für den abstrakten Tanz sind extensive Fußpercussion, betonte Gestik und Mimik sowie weiche Körperbewegungen und Drehungen. Sowohl der „Bollywood-“ als auch der „Kathak-Tanz“ sind vom Ursprung und der Intention des Tanzes eher als darstellende, erzählende, gefühlsausdrückende und extrovertierte Tanzformen einzustufen, die auf Improvisation und Kreativität aufbauen. Im Ergebnis kann jede Tanzaufführung anders sein. Jede Tänzerin kann die zum Ausdruck gebrachte Tanzgeschichte neu und individuell choreographieren und zur Aufführung bringen.
Ausgehend davon zeigt sich, dass die Klägerin, die die Choreographien und Kostüme selbst entwirft, eine eigenschöpferisch kreative Tanzform – und nicht etwa Folklore (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2007 – L 11 KR 523/07, veröffentlicht in JURIS-Datenbank) –, die auf klassischen indischen Tänzen beruht und teilweise (Bollywood) auch als zeitgenössischer Tanz einzuordnen ist, zur Aufführung bringt. Diese Tänze sind zur Aufführung auf der Bühne, d. h. zur Aufführung vor Publikum gedacht. Dass bereits dieses eigenschöpferische Moment im Sinne eigener Choreographien bei der Vorbereitung und Darbietung des Tanzes, den Tanz als solchen zur Kunst werden lässt, meint offensichtlich auch das BSG, wenn es den Tanz per se als klassischen Werktyp der Kunst erwähnt (Urteil vom 25.10.1995 – 3 RK 24/94, Rz. 18; Urteil vom 20.04.1994 – 3/12 RK 14/92, Rz. 14; Urteil vom 07.07.2005 - B 3 KR 7/04 R, Rz. 16, beide veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Ausgehend von dieser Rechtsprechung lässt sich bereits jeder (öffentlich) zur Aufführung gebrachte Tanz, der nicht dem klassischen Gesellschaftstanz, der Sportaufführung oder der Folklore zuzuordnen ist, als künstlerische Tätigkeit im Sinne darstellender Kunst einordnen. Nicht erforderlich ist hierbei entgegen der Auffassung der Beklagten die Darbietung auf einer klassischen (Ballett-)Bühne im oben beschrieben Sinne. Entscheidend ist allein der „öffentliche“ Auftritt (in diesem Sinne wohl auch BSG, Urteil vom 14.12.1994 – 3/12 RK 62/93, Rz. 16, veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Hiervon geht ersichtlich auch das KSVG selbst aus, wenn es etwa im Bereich der Künstlersozialabgabe (§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSVG) lediglich eine öffentliche Darbietung oder Aufführung künstlerischer Werke fordert. Anders ausgedrückt: Die Klägerin, die eigene Choreographien eines zeitgenössischen Tanzes (Bollywood) und eines per se Kreativität voraussetzenden klassischen indischen Tanzes entwickelt und zur Aufführung bringt, unterfällt sogar dem engen Kunstbegriff des BVerfG (BVerfGE 30, 173 [179]; BSG, Urteil vom 20.04.1994 – 3/12 RK 14/92, beide veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Wirkbereich der Kunst meint dabei aber lediglich, der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk zu verschaffen, d. h. seine Darbietung und Verbreitung (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 03.11.1987 -1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, Rz. 31). Eine Vergleichbarkeit zum klassischen Ballett als Bühnentanz muss demnach lediglich insofern hergestellt werden, als es sich in Abgrenzung zu Folklore, Sport etc. überhaupt um „Tanzkunst“ handeln muss, die auf einer öffentlichen „Bühne“ zur Aufführung gebracht wird.
Die Rechtsauffassung der Beklagten hingegen, die meint, eine Vergleichbarkeit zu dem im Künstlerbericht erwähnten Ballett als Bühnentanz und damit darstellende (Unterhaltungs-)Kunst könne per definitionem nur angenommen werden, wenn die Tänze auf einer klassischen Bühne dargeboten würden, ist hingegen zu eng. Konsequent umgesetzt, hätte dies zur Folge, dass selbst Ballettaufführungen im Freien fernab der klassischen Bühne nicht mehr dem Kunstbegriff im Sinne des § 2 S. 1 KSVG unterfallen würden. Entscheidend für die Einordnung als Kunst, ist damit allein die Qualifizierung des öffentlich dargebotenen (Kunst-)Werks als künstlerische Tätigkeit und nicht etwa der selbst gewählte Wirkbereich. Andernfalls wären einer Weiter- und Neuentwicklung von Kunstformen und deren Anerkennung durch das KSVG erhebliche Grenzen gesetzt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftrittsort Teil des (Kunst-)Werks ist (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, Rz. 34 ff. - „Anachronistischer Zug“).
Dass diese (weite) Interpretation des zur Qualifizierung als Kunst ausreichenden „Wirkbereichs“ auch im Übrigen der allgemeinen Verkehrsanschauung entspricht, wird nicht zuletzt durch die Rechtsprechung aus anderen Bereichen des Rechts belegt (vgl. etwa zur weiten Auslegung des Begriffs „Theater“ in § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a UStG: BFH, Urteil vom 09.10.2003 – V R 86/01; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.08.2012 – 5 K 5202/10, beide veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Auch im (Umsatz-)Steuerrecht wird etwa der in § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a UStG verwendete Begriff „Theater“ weit verstanden. Dem Wortsinn nach werden zwar nur Veranstaltungen erfasst, die von oder in einem (klassischen) Theater dargeboten werden. Maßgebend ist jedoch auch dort allein der Inhalt und nicht etwa der Ort der (öffentlichen) Vorführung. Steuerbegünstigt sind daher z.B. auch Mischformen von Sprech-, Musik- und Tanzdarbietungen (BFH, a. a. O.).
Nicht zuletzt gehen auch die Veranstalter, für die die Klägerin auftritt, regelmäßig davon aus, dass die öffentliche Darbietung des Bollywood- und Kathaktanzes dem Bereich der Kunst zuzuordnen ist (vgl. etwa Blatt 13 der Gerichtsakte: Vertrag Hotel T.; Blatt 14 der Gerichtsakte: Vertrag mit M.; Blatt 16 der Gerichtsakte: Rechnung für G.; Blatt 20 der Gerichtsakte: Vertrag mit dem H. e. V.; Blatt 37 der Gerichtsakte: Vertrag mit B.; Blatt 39 der Gerichtsakte: Vertrag mit C.; Blatt 55 der Gerichtsakte: Ankündigung „S.“; Blatt 58 der Gerichtsakte: Ankündigung „C.“).
ee) Soweit die Klägerin als Tanzlehrerin für die von ihr auch zur Darstellung gebrachten (künstlerischen) Tänze („Bollywood“ und Kathak“) tätig ist, unterfällt auch dies als „Lehre von Tanz als darstellende Kunst“ dem Anwendungsbereich des § 2 S. 1 KSVG (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, Rz. 18 ff., veröffentlicht in JURIS-Datenbank):
Der Bereich „Tanz“ im Sinne von „Tanzkunst“ (in Abgrenzung zum Tanzsport) umfasst Tänzer, Tanzlehrer und Choreografen für die Bereiche Ballett, Theater, Film und Fernsehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Soweit es um die Aus- und Weiterbildung in einem dieser Berufe geht, werden Pädagogen bzw. Ausbilder im Bereich der „Tanzkunst“ vom Regelungszweck des § 2 S. 1 KSVG erfasst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Lehrer über eine staatlich anerkannte musikalische Berufsausbildung als Tänzer oder eine Berufsqualifikation als Tanzlehrer verfügen (vgl. BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.) und ob angehende Berufstänzer oder Laien unterrichtet werden, die nur in ihrer Freizeit am Unterricht teilnehmen und das Gelernte auch nur für Freizeitzwecke verwenden wollen (vgl. BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Voraussetzung ist aber jeweils, dass die Teilnehmer durch den Unterricht befähigt werden sollen, selbst aktiv als Tänzer tätig zu werden, um einen Tanz als Kunstform (nicht als Sport) darzubieten.
Die Einordnung der Unterrichtstätigkeit der Klägerin als Lehre von Kunst, kann deshalb nicht bereits verneint werden, weil sie in der Regel nicht angehende Künstler für ihren Beruf ausbildet, sondern Laien unterrichtet, die in ihrer Freizeit am Unterricht teilnehmen und das Gelernte auch nur für Freizeitzwecke verwenden wollen (so bereits BSG, Urteil vom 20.04.1994 – 3/12 RK 14/92, veröffentlicht in JURIS-Datenbank).
Dass neben der Vermittlung praktischer oder theoretischer Kenntnisse, die sich auf die Fähigkeiten oder Fertigkeiten der Unterrichteten bei der Ausübung von Kunst auswirken, von der Klägerin auch andere (sozio-, psychotherapeutische oder pädagogische) Zwecke verfolgt werden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 01.10.2009 – B 3 KS 3/08 R, Rz. 19, veröffentlicht in JURIS-Datenbank), ist weder ersichtlich, noch wird dies von der Beklagten behauptet.
Soweit die Beklagte vorträgt, die Tänze „Bollywood“ und Kathak“ würden zum (Breiten-)Tanzsportprogramm des DTV zählen, sodass der Tanzunterricht der Klägerin der Ausübung von Breiten- bzw. Freizeitsport dienen würde (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.2006 – B 3 KR 11/06 R, Rz. 17 ff., veröffentlicht in JURIS-Datenbank), wird dies hinreichend und schlüssig durch die ausführliche Darstellung der vom Gericht befragten Beauftragten des DTV für Orientalischen Tanz widerlegt (s. o.). Es fehlt gerade an der Organisation in Sportverbänden und der wettkampfmäßigen Aufführung.
Angesichts des zeitgenössischen Charakters des „Bollywood-Tanzes lässt sich dieser auch nicht dem Bereich der Folklore zuordnen (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2007 – L 11 KR 523/07, veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Dies gilt in gleicher Weise für den „Kathak-Tanz“, der als darstellender, erzählender, gefühlsausdrückender und extrovertierter Tanz auf Improvisation und Kreativität aufbaut (s. o.). Es geht gerade nicht darum, das Brauchtum zu pflegen und damit etwas Traditionelles durch Verwendung vorgegebener Schrittfolgen zu überliefern.
Weitere Gründe, die einer Einordnung der Unterrichtstätigkeit als Lehre von darstellender Kunst entgegenstehen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.