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Entscheidung 9 L 226/20.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 29.05.2020
Aktenzeichen 9 L 226/20.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0529.9L226.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 30 Abs 1 AsylVfG 1992, § 60 Abs 5 AufenthG, Art 31 Abs 8a EURL 32/2013, § 60 Abs 7 AufenthG

Leitsatz

Die Covid-19-Pandemie begründet nach aktuellem Stand kein Abschiebungsverbot nach Nigeria.

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin L... aus P... wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin L... aus P... ist bereits deshalb abzulehnen, weil nicht geprüft werden konnte, ob die Antragstellerinnen nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen konnten (§§ 114 ff. der Zivilprozessordnung). Denn die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerinnen sowie die erforderlichen Nachweise wurden nicht vorgelegt. Darüber hinaus ist der Antrag auch abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. §§ 114, 121 der Zivilprozessordnung (ZPO). Hierzu wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.

2. Der zugleich mit Klageerhebung sinngemäß gestellte Antrag der nach eigener Behauptung am 24. April 1982 in Edo/Nigeria geborenen Antragstellerin zu 1) und ihrer Tochter, der am 30. Dezember 2013 in Spanien (wohl: in Ceuta) geborenen Antragstellerin zu 2), nach Angaben der Antragstellerin zu 1) beide nigerianische Staatsangehörige und christlichen Glaubens vom Volk der Edo,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19. Mai 2020 (VG 9 K 991/20.A) hinsichtlich der in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. April 2020 enthaltenen Abschiebungsandrohung anzuordnen,

über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) die Einzelrichterin entscheidet, hat keinen Erfolg.

Im – hier vorliegenden – Fall der durch das Bundesamt verfügten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ordnet das Gericht gemäß § 30 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG, § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß §§ 36 Abs. 3, 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Bei offenen Erfolgsaussichten der Klage und Gleichgewichtigkeit von Aussetzungs- und Vollzugsinteresse spricht dies im Fall des grundsätzlichen Eintritts der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO für eine Aussetzung des Verwaltungsaktes. Aber durch Sonderregelungen wie Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz i. V. m. § 36 Abs. 4 AsylG ist der durch das Verwaltungsgericht zu beachtende Prüfungsmaßstab weiter eingeschränkt (Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 152 a). Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß §§ 30 Abs. 1, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist der Fall, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme, hier die der sofortigen Aufenthaltsbeendigung zugrunde liegende Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. zum Prüfungsmaßstab Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99).

Hier bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 30 Abs. 1 AsylG gestützten und mit der Richtlinie 2013/13/EU konformen Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in den Ziffern 1. und 3. des Bescheids vom 3. April 2020, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abzulehnen.

Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

Eine offensichtliche Unbegründetheit im Sinne des nationalen Rechts, hier nach § 30 Abs. 1 AsylG, kommt nach Art. 31 Abs. 8 a) der Richtlinie 2013/32/EU in Betracht, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind.

Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin zu 1) erklärte in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 2. März 2020, sie habe Nigeria im Jahr 2003 ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Sie gab als Grund für ihre Ausreise wörtlich an: „Weil ich aus einer armen Familie stamme.“ Für ihre Tochter machte die Antragstellerin zu 1) keine eigenen Gründe geltend. Wirtschaftliche Not bzw. Armut sind offensichtlich weder für eine drohende Verfolgung gemäß § 3 ff AsylG noch für einen drohenden ernsthaften Schaden im Sinne des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG von Belang.

Auch ein Anspruch der Antragstellerinnen auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheidet offensichtlich aus. Weil sich die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG lediglich dadurch unterscheiden, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist, liegen die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes auch unabhängig vom Reiseweg offensichtlich nicht vor.

Es ist nichts ersichtlich, was für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG sprechen könnte. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen, und zwar auch dann, wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, d.h. im Falle „nichtstaatlicher Gefahren“ auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt. Hierbei sind eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen sowie die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. Erforderlich ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts ein sehr hohes Schädigungsniveau, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK als zwingend bezeichnet werden können. Zudem ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen oder Hypothesen beruhende Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Es bedarf einerseits einer Gruppe von Personen, bei denen sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bereits feststellen lässt, sowie andererseits der Überzeugung, dass der betroffene Einzelne mit diesen Personen die Merkmale teilt, die für den Eintritt der Umstände, die zu einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung führen, ursächlich sind (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 164-199 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Für eine derart außergewöhnlich schwere humanitäre Situation ist hier nichts ersichtlich. Weiterhin lebt ca. 70 Prozent der Bevölkerung in Nigeria am Existenzminimum. Subsistenzmöglichkeiten für den größten Teil der Bevölkerung bieten der (informelle) Handel und die Landwirtschaft. Das BIP pro Einwohner betrug im Jahr 2017 laut Weltbank 1.994 $, ist aber ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite und der Masse der Bevölkerung verteilt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, Seite 8 und Seite 21). Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent. Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. Hungerperioden oder Ernährungsprobleme bei Kindern werden lediglich aus den nördlichen Grenzregionen Nigerias berichtet. Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed“ suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an. Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Bedürfnisse aus selbständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 49-50).

Speziell hinsichtlich Frauen verfügt Nigeria über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen kümmern und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration, ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe. Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003359 Verurteilungen von Schleppern erreicht sowie bis heute mehr als 13.000 Opfern von Menschenhandel geholfen. NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an.Es gibt viele Frauengruppen, welche die Interessen von Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten. Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex-Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Die NGO WRAPA Women's Rights Advancement and Protection Alternative in Abuja ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 40-42).

Die nach eigenen Angaben 38-jährige Antragstellerin zu 1) ist darauf zu verweisen, im Fall der Rückkehr nach Nigeria einfache, ggf. selbständige Tätigkeiten im informellen Sektor z.B. in Lagos oder in anderen Großstädten im Süden Nigerias auszuführen und dadurch für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt zu sichern. Dafür, dass ihr dies möglich ist, spricht die Tatsache, dass sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter auch während ihrer jeweils mehrjährigen Aufenthalte in Marokko und Spanien sichern konnte. Die Antragstellerin zu 1) lebte zuletzt vor der Ausreise in Benin City. Sie wurde nach ihren Angaben von einer Tante unterstützt. Sie hat in der Heimat noch ihre Eltern, zu denen sie auch noch Kontakt hat, sowie zwei Schwestern, sechs Brüder und die Großfamilie. Es ist daher davon auszugehen, dass sie auch Unterstützung durch ihre engeren Verwandten in der Heimat z.B. bei der Kinderbetreuung erhalten wird, jedenfalls zu Beginn. Darüber hinaus kann sie auf Unterstützung bei der Reintegration durch die genannten und ähnliche Hilfsorganisationen für Frauen verwiesen werden.

Die in der Antragsbegründung angesprochene UN-Kinderrechtskonvention bildet als solche keinen rechtlichen Maßstab im Sinne des internationalen Flüchtlingsschutzes oder bei der Prüfung von Abschiebungsverboten, sondern der Prüfungsmaßstab richtet sich nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Demnach darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt werden. Erforderlich ist nach Art. 3 EMRK für ein Abschiebungsverbot wie oben bereits dargestellt eine ganz außergewöhnlich schwere humanitäre Situation im Herkunftsstaat, die einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung gleichzusetzen ist und die auch konkret absehbar drohen muss. Dass diese Bedingungen hier im Hinblick auf die Antragstellerin zu 2) erfüllt wären, dafür ist nichts glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 2) kann darauf verwiesen werden, in Nigeria einen der auch dort vorhandenen Kindergärten bzw. eine Grundschule zu besuchen. Angesichts ihres Alters von sechs Jahren erscheint eine bereits abgeschlossene, irreversible Identitätsprägung in Europa durch den Besuch derartiger Einrichtungen in Spanien fernliegend.

Dies gilt auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie. Diese Gefahr droht nicht nur den Antragstellerinnen, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Nigerias. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige Anordnung gibt es für Nigeria nicht.

Wenn eine solche politische Leitentscheidung fehlt, kann der Asylsuchende Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil v. 21. April 2020 – B 8 K 17.32211, Urteilsabdruck, Seite 22). Dafür, dass die Antragstellerinnen in Nigeria so schwer an dem Virus erkranken könnten, dass sie auch angesichts mangelhafter medizinischer Versorgung in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnten, gibt es keine Anhaltspunkte, zumal sie aktuell in Deutschland der Ansteckungsgefahr im selben, wenn nicht in höherem Ausmaß wie im Herkunftsstaat ausgesetzt sein dürften. Entgegen den alarmierenden Voraussagen von Experten blieb Afrika bislang von einer großen Corona-Katastrophe verschont. Die meisten Infektionen traten bisher in Südafrika und in Ägypten auf (ca. 10.000 bzw. mehr als 9.000) (https://www.nzz.ch/international/corona-covid-19-hat-afrika-bis-jetzt-weitgehend-verschont-ld.1555647). Aktuell (Stand: 26. Mai 2020) sind in Nigeria 8.068 Infizierte registriert, davon 2.311 Genesene und 233 Todesfälle. Die Ansteckungsgefahr ist für die Antragstellerinnen angesichts der Einwohnerzahl von 200 Millionen verschwindend gering, auch unter Berücksichtigung einer möglicherweise hohen Dunkelziffer mangels ausreichender Testmöglichkeiten. Soweit anhand aktueller Presseberichte im Internet ersichtlich befindet sich der Covid-19-Hotspot derzeit im Norden Nigerias in Kano City/Kano State, während der Süden keine größeren Ausbrüche zu verzeichnen hat. Die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der Erkrankung wie hohes Lebensalter und/oder bestimmte Vorerkrankungen liegen bei den Antragstellerinnen ersichtlich nicht vor.

Es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern, dass die Antragstellerin zu 1) nicht mehr in der Lage wäre, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder in Nigeria sicherzustellen. Der Internationale Währungsfonds gewährte Nigeria bereits im April 2020 Nothilfe in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar, um Wirtschaft und Währung in der Corona-Krise auch angesichts des Verfalls der Ölpreise zu stabilisieren („IWF gewährt Nigeria wegen Corona-Krise Milliardenhilfe“, www.spiegel.de, 28. April 2020). Selbst wenn bei einer Rückkehr der Antragstellerinnen noch die aktuellen nächtlichen Ausgangssperren gelten sollten, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass diese Maßnahmen dauerhaft auf unbestimmte Zeit gelten würden. Die als „Lockdown“ bzw. „Ausgangssperre“ bezeichneten Maßnahmen wurden außerdem soweit ersichtlich bisher lediglich in Lagos, Abuja und Kano verhängt, jedoch ab Anfang Mai 2020 bereits wieder gelockert. Die Maßnahmen sollen in Lagos und Abuja bis Mitte Juni 2020 auslaufen (https://www.onvista.de/news/lagos-und-abuja-wachen-auf-nigeria-lockert-corona-einschraenkungen-355744945).Für andere Orte im Süden Nigerias fehlt es an Angaben darüber, dass überhaupt ein „Lockdown“, „Ausgangssperren“ oder vergleichbare Maßnahmen verhängt worden wären.

Bei den Antragstellerinnen greift die gesetzliche Vermutung gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigt, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).

Die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG umfasst nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28. September 2017 – 2 L 85/17 – juris, Leitsatz und Rn. 13).
Für die Antragstellerinnen wurden weder Erkrankungen oder sonstige gesundheitliche Belange vorgetragen noch durch entsprechende ärztliche Atteste glaubhaft gemacht.

Im Übrigen folgt das Gericht hinsichtlich mangelnder Abschiebungsverbote gemäß § 77 Abs. 2 AsylG den zutreffenden Feststellungen und Gründen in dem angefochtenen Bescheid.

Soweit die Antragstellerin zu 1) auf ihr weiteres am 9. März 2020 in Deutschland geborenes Kind und dessen Vater verweist, von dem sie behauptet, er sei deutscher Staatsbürger afrikanischer Herkunft bzw. er sei Inhaber deutscher Papiere, so ist dieses Vorbringen hier nicht von Belang. Die Frage der familiären Beziehung der Antragstellerinnen zu dem mutmaßlichen Vater des jüngsten Kindes bleibt einer etwaigen Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse vorbehalten. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht Streitgegenstand im Asylverfahren, wo nur herkunftsstaatsbezogene Abschiebungsverbote zu prüfen sind.

Sollte z.B. ein Verbleib der Antragstellerinnen in Deutschland zur Durchführung eines familiengerichtlichen Verfahrens oder aus anderen Gründen im Hinblick auf den Kindesvater notwendig sein, wäre dies als inlandsbezogene Frage auf der ausländerrechtlichen, nicht aber auf der asylrechtlichen Ebene zu berücksichtigen.

Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung gemäß § 11 AufenthG begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie liegt deutlich unter der vom Gesetz vorgegebenen Höchstdauer von fünf Jahren. Belange, die für eine kürzere Dauer sprechen könnten, wurden von den Antragstellerinnen nicht vorgetragen und sind auch sonst für das Gericht nicht ersichtlich. Insbesondere ist nichts im Hinblick auf den mutmaßlichen Vater des weiteren Kindes glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.