Gericht | SG Neuruppin | Entscheidungsdatum | 21.01.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | S 19 U 86/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 und Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1965 geborene Kläger war als Monteur, Schlosser und Schweißer vom 24.06.1991 bis zum 15.05.1999 bei der Firma G in Sch beschäftigt. Ab 19.07.1999 bis zum 31.06.2001 war er als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer bei der T GmbH in B beschäftigt. Zuletzt war der Kläger vom 01.07.2001 bis zum 31.03.2002 bei der Firma R GmbH in B ebenfalls als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer tätig. Vor dem Jahr 1991 war der Kläger bereits 6 Jahre im ehemaligen Jugoslawien berufstätig und übte dort die vorgenannten Tätigkeiten aus. Seit dem 01.11.2002 ist der Kläger wegen einer Wirbelsäulenerkrankung und der Notwendigkeit dauernder Behandlung arbeitsunfähig.
Am 08.04.2003 erstattete die AOK Brandenburg eine Anzeige wegen des Verdachts einer BK, da der Kläger seit dem 01.11.2002 wegen lumbaler und sonstiger Bandscheibenschäden arbeitsunfähig erkrankt und wegen der Erkrankung bereits vom 30.06.1999 bis zum 02.07.1999 krankgeschrieben gewesen war. Die Beklagte befragte den Kläger zu den im Einzelnen ausgeübten Tätigkeiten mittels eines Fragebogens. Die Beklagte holte Befundberichte und bildgebende Unterlagen von Dr. J, Facharzt für Orthopädie, dem Klinikum U in Sch – hier wurde der Kläger vom 01.11.2002 bis 20.11.2002 stationär behandelt – sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der K Klinik in B – hier wurde der Kläger vom 03.12.2002 bis 24.12.2002 im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme stationär behandelt – ein.
Nach den arbeitstechnischen Ermittlungen ging der Technische Sachverständige vom Präventionsbezirk der Beklagten, Dipl.-Ing. M, am 07.08.2003 und am 10.10.2003 davon aus, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer hinreichend gefährdenden Belastung im Sinne der BK Nr. 2108 nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 18.12.2003 wurde das Vorliegen einer BK Nr. 2108 abgelehnt, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen wurden. Der hiergegen eingereichte Widerspruch wurde am 27.07.2004 als unbegründet zurückgewiesen, nachdem der Technische Sachverständige nochmals zur Überprüfung der Beurteilung der arbeitstechnischen Bedingungen eingeschaltet worden war, am 12.05.2004 erneut eine Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung vorgenommen hatte und es jedoch bei der vorherigen Beurteilung verblieb. Die hiergegen erhobene Klage wurde beim Sozialgericht Neuruppin unter dem Aktenzeichen S XX U 81/04 geführt und ist inzwischen durch übereinstimmende Erledigungserklärung abgeschlossen. Der mit Schreiben der Beklagten vom 21.02.2005 gestellte Antrag, die Erledigungserklärung für das Klageverfahren aufzuheben, wurde als neue Klage unter dem Aktenzeichen S XX U 43/05 erfasst und nach richterlichem Hinweis mit Schreiben vom 27.05.2005 zurückgenommen.
Im Rahmen des Klageverfahrens unter dem Aktenzeichen S XX U 81/04 wurde die zusätzliche Prüfung des Vorliegens einer BK nach Nr. 2110 beantragt. Diese Prüfung ergab, dass im Einzelnen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 und Nr. 2110 nicht erfüllt sind, jedoch unter Zusammenrechnung der anteiligen Gefährdungswerte beider BK’en insgesamt von einer Gefährdung auszugehen ist. Eine Zusammenfassung beider BK’en im Klageverfahren wurde unter Hinweis auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.07.2003 – L 7 U 12/02 – durch das Sozialgericht abgelehnt.
Im Anschluss daran ergingen am 23.06.2005 zum einen der Bescheid über die Ablehnung der Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der BK Nr. 2108 und zum anderen der Bescheid über die Ablehnung der Anerkennung der BK Nr. 2110.
Der Kläger erhob gegen beide Bescheide Widerspruch und ging unter Verweis auf die Stellungnahme des Prof. Dr. D, J Universität M, vom 14.06.2005 davon aus, dass eine Kumulation der jeweiligen Belastungen der BK’en nach Nr. 2108 und 2110 zu erfolgen hat. Die Beklagte hat dazu weitere interne Stellungnahmen eingeholt, u. a. von Herrn W, Hauptverwaltung in Hannover. Dieser hatte am 30.08.2005 in Auswertung unterschiedlicher Quellen empfohlen, der Auffassung des Prof. D zu folgen. Vor diesem Hintergrund nahm der Technische Sachverständige der Beklagten am 16.09.2005 erneut zu den arbeitstechnischen Bedingungen Stellung und stellte fest, dass bei Addition der Belastungen zu den BK’en Nr. 2108 und 2110 eine hinreichende Gefährdung (mehr als 25 MNh) vorliegt.
Daraufhin hob die Beklagte beide Bescheide vom 23.06.2005 auf. Die Beklagte stellte weitere, im Wesentlichen medizinische Ermittlungen an und veranlasste die Begutachtung des Klägers. Sie holte ein radiologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. M und Dr. R vom 02.08.2006, ein neurochirurgisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. M und Dr. G vom 26.10.2006 sowie ein unfallchirurgisches Gutachten von Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M vom 13.09.2006 ein. Danach stelle sich das bestehende Lendenwirbelsäulenleiden letztlich in Art und Ausmaß so dar, wie es mit Wahrscheinlichkeit auch ohne die spezielle berufliche Situation festzustellen gewesen wäre; unter medizinischen Gesichtspunkten könne keine Anerkennung der BK Nr. 2108 oder 2110 erfolgen.
Mit Bescheid vom 04.04.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK nach Nr. 2108 und 2110 und die Gewährung von Leistungen ab. Zwar geht die Beklagte nunmehr in Kumulation der gefährdenden Einwirkungen von der Erfüllung der haftungsbegründenden Kausalität aus, stellt aber fest, dass die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der in Frage stehenden BK’en nicht vorliegen, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten und den geklagten Beschwerden nicht nachgewiesen werden konnte und ein zwingender Grund zur Tätigkeitsaufgabe wegen der Wirbelsäulenerkrankung nicht vorlag.
Mit Schreiben vom 19.04.2007 erhob der Kläger dagegen Widerspruch und führte mit weiterem Schreiben vom 18.05.2007 begründend aus, dass der Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit durchaus bestanden habe und der Zusammenhang zwischen den beruflichen Tätigkeiten und der Krankheit hinreichend wahrscheinlich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da die medizinischen Voraussetzungen einer BK nach Nr. 2108 und 2110 nicht erfüllt seien und zusammenfassend mehr Tatsachen für ein anlagebedingtes Leiden der gesamten Wirbelsäule sprechen, sodass die berufliche Belastung nicht als wesentliche Ursache für die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule angesehen werden könne.
Dagegen richtet sich die am 02.08.2007 erhobene Klage zum Sozialgericht Neuruppin. Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid der Beklagten vom 04.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2007 aufzuheben und dem Kläger Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.
Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat ärztliche Unterlagen aus den zu den Aktenzeichen S XX RJ 240/04 und L XX R 1461/06 geführten Verfahren entnommen, insbesondere das fachorthopädische Gutachten des Dr. Z, Facharzt für Orthopädie, vom 29.08.2005 und das psychiatrische Gutachten der Dres. A und D, Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 31.07.2007. Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines chirurgischen und sozialmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen Herrn Dr. B vom 13.11.2008 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.02.2009.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das in der Gerichtsakte befindliche Gutachten sowie auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. B Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) damit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 04.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass entgegen dem formulierten Klageantrag „dem Kläger Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung zu gewähren“ das Klagebegehren auf die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit, einen daraus folgenden Entschädigungsanspruch sowie die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV gerichtet ist. Die Beklagte lehnte mit dem angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007 einen Entschädigungsanspruch sowie die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV ab, weil die bei dem Kläger bestehende Wirbelsäulenerkrankung keine BK nach Nr. 2108 und Nr. 2110 der Anlage zur BKV ist. Ausweislich der Klagebegründung vom 01.08.2007 wandte sich der Kläger gerade gegen die Ablehnung der Anerkennung als BK. § 3 BKV konkretisiert hingegen den aus § 14 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) allgemein abzuleitenden Anspruch auf Maßnahmen zur Verhütung von BK’en. Diese Vorschrift hat grundsätzlich eine präventive Zielrichtung, nämlich die Vermeidung von Gesundheitsschäden vor Eintritt des Versicherungsfalls. Daneben eröffnet die Vorschrift zusätzlichen präventiven Handlungsspielraum bei bereits anerkannten BK’en (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Loseblatt-Kommentar, G § 3, Anmerkung 1).
Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Durch Nr. 2110 der Anlage zur BKV werden "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können", erfasst.
Die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als einer solchen nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV setzt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule voraus, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) bzw. durch langjährige Einwirkung von Ganzkörperschwingungen entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben. Als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein.
Der Kläger erfüllt die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK’en nach Nr. 2108 und 2110. Der Technische Sachverständige der Beklagten stellte in seiner Stellungnahme vom 16.09.2005 zutreffend fest, dass bei Addition der Belastungen zu den BK’en Nr. 2108 und 2110 eine hinreichende Gefährdung (mehr als 25 MNh) vorliegt. Er ging bei der Berechnung der erlittenen Dosis zur BK Nr. 2108 von einer Verhältniszahl von 0,5 (was 50 %, also 12,5 MNh entspricht) und bei der Berechnung zur BK Nr. 2110 von einer Belastung von 77 % (was 19341000 Nh entspricht) aus.
Die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, eine Kombination der arbeitstechnischen Voraussetzungen als Ursache bandscheibenbedingter Erkrankungen zu werten, stellte sich bereits im zum Aktenzeichen S XX U 81/04 geführten Klageverfahren. Unter Hinweis auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.07.2003 – L 7 U 12/02 – wurde eine Zusammenfassung beider BK’en im Klageverfahren abgelehnt. Das Landessozialgericht hatte in seinem Urteil am 28.07.2003 noch festgestellt, dass für das kumulative Zusammenwirken von Belastungen im Rahmen der BK’en nach Nr. 2108 und 2110 zur Zeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Im entschiedenen Fall war diese Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich, denn das Gericht sah – das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen unterstellt – jedenfalls keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und bandscheibenbedingter Erkrankung.
Hier hat der Kläger eine Stellungnahme des Prof. Dr. D vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der J Universität M vom 14.06.2005 vorgelegt. Prof. Dr. D konstatiert darin, „dass sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch entsprechende Erfahrungen im Bereich der Arbeitsmedizin und weiterer fachärztlicher Bereiche vorliegen, die eine kumulative Behandlung der jeweiligen Belastungen nicht nur gestatten, sondern aus Gründen der Gleichbehandlung auch geradezu erfordern.“. Er erwartet, „dass nach Veröffentlichung der Empfehlungen der interdisziplinären „Konsensgruppe“ nunmehr auch alle Berufsgenossenschaften diese Vorgehensweise übernehmen werden“.
Inzwischen hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 27.06.2006 – B 2 U 9/05 R – ausgeführt:
„Den Umstand, dass bei der BK Nr. 2110 die im Merkblatt des BMA für die ärztliche Untersuchung festgelegten Richtwerte für Ganzkörperschwingungen beim Kläger möglicherweise nicht ganz erreicht worden sind, hat es zu Recht nicht als Hindernis angesehen, weil bei einem Zusammenwirken von Tätigkeiten mit schwerem Heben und Tragen auf der einen und Tätigkeiten mit Belastung durch vertikale Ganzkörperschwingungen dürfen. Der Senat hat bereits in früheren Entscheidungen (Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 14/90 - HV-Info 1990, 1906; Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 16/01 R - SGb 2002, 496) und zuletzt erneut in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - darauf hingewiesen, dass bei der Festlegung von Belastungsgrenzwerten auf der anderen Seite die Letzteren nicht isoliert betrachtet werden, die im Verlauf der versicherten Berufstätigkeit mindestens erreicht worden sein müssen, damit ein rechtlich relevanter Ursachenzusammenhang mit der späteren Erkrankung angenommen werden kann, synergetische und additive Wirkungen zu berücksichtigen sind, die sich beim Zusammentreffen mehrerer schädlicher Einwirkungen ergeben.
Hierzu hat das Berufungsgericht auf der Grundlage des vom Sozialgericht eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass es nach dem derzeitigen Stand der arbeitsmedizinischen Erkenntnisse nicht möglich ist, bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule die unterschiedlichen Einwirkungen im Sinne der BK’en Nr. 2108 und Nr. 2110 hinsichtlich ihres Beitrags zur Entstehung der Krankheit sowie den Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voneinander zu trennen. Dass diese Einschätzung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zutreffend wiedergibt, ist im Verfahren von keiner Seite bezweifelt worden und wird durch die einschlägige Fachliteratur belegt (vgl. Brandenburg, BG 1993, 791, 794; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, 8.3.5.5.3.1, S 570; Dupuis/Hartung, BG 1994, 346, 348; Schäfer/Hartung, ASUmed 34 <1999>, 143; Dupuis, ASUmed 36 <2001>, 422, 427; Konsensempfehlungen "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten BKen der LWS", Trauma und Berufskrankheit 3/2005, 211 ff, 1.1.2; Konietzko/Dupuis/Letzel, Handbuch der Arbeitsmedizin, Abschn IV, 3.5.2, S 5). In dem vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung neu gefassten Merkblatt zur BK Nr. 2110 Anl. BKV (Bekanntmachung vom 1. Juni 2005, BArbBl 7/2005, 43, 44) werden die für die BKen Nr. 2108 und Nr. 2110 kennzeichnenden Belastungen als synergetisch wirkend bezeichnet. Die Arbeitshinweise zu der in § 2 der Verwaltungsvereinbarung der Unfallversicherungsträger über die Zuständigkeit bei Berufskrankheiten vom 1. April 1994 i. d. F. vom 1. Januar 1997 (VbgBK) sehen …, unter den Ziffern 5.1.3 zu der BK Nr. 2108 bis 2110 vor, dass … die Expositionstage der BK 2108 und der BK 2110 "zu addieren sind" (HVBG-Rdschr VB 065/2004 vom 26. Juli 2004).“
Der Kläger leidet jedenfalls auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Eine solche haben sowohl im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M als auch im gerichtlichen Verfahren Dr. B festgestellt. Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M haben in ihrem Gutachten angegeben, dass bei dem Kläger eine rechtsmediodorsale Bandscheibenprotusion in Höhe L4/L5 sowie eine Spondylosteochondrose in Höhe LWK 5/SWK 1 mit breitbasiger Bandscheibenprotusion besteht. Ausweislich des Gutachtens des Dr. B stellt sich der Zustand nach lumbaler Bandscheibenoperation L5/S1 mit verbleibenden Restbeschwerden als Gesundheitsschaden dar.
Unter Berücksichtigung aller zur Akte gelangten medizinischen Gutachten kann jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Kausalzusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit und der Erkrankung festgestellt werden, weil den für den Zusammenhang sprechenden Umständen kein deutliches Übergewicht zukommt.
Das Bestehen einer bandscheibenbedingten Erkrankung und das Vorliegen der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen indiziert keineswegs den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und aufgetretener Erkrankung. Für den Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und der Erkrankung genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit einer Verursachung. Hinreichend wahrscheinlich ist ein Zusammenhang dann, wenn die beruflichen Belastungen die wesentliche Ursache der aufgetretenen Erkrankung im Sinne der im Sozialrecht herrschenden Theorie von der wesentlichen Bedingung darstellen und mehr für als gegen einen solchen Ursachenzusammenhang spricht (ständige Rechtssprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 16/00R, SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.).
Dabei ist nach dem Merkblatt zu der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV zu berücksichtigen, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule eine multifaktorielle Ätiologie haben, weit verbreitet sind und in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Bei der Kausalitätsbetrachtung sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule von konkurrierenden vertebralen und extravertebralen Ursachen abzugrenzen. Im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung ist eine Gesamtschau aller möglichen Faktoren anzustellen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2009 – L 31 U 454/08).
Dr. B stellte nach dem Ergebnis der gutachterlichen Untersuchung des Klägers am 07.11.2008 und nach neuerlicher konventioneller radiologischer Diagnostik sämtlicher Wirbelsäulenabschnitte fest, dass eine Wirbelsäulenfehlhaltung und ein generalisierter Verschleißprozess in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten vorliegt. In der Halswirbelsäule waren degenerative Veränderungen im unteren Halswirbelsäulenabschnitt sowie eine Fehlhaltung nicht zu übersehen. Auch im Brustwirbelsäulenabschnitt waren im mittleren Bereich der Wirbelsäule osteochondrotische Veränderungen nachweisbar. Im Bereich der Lendenwirbelsäule waren ebenfalls eine Fehlhaltung und ein Zustand nach lumbaler Bandscheibenoperation mit Verkalkungsfiguren im Bereich des Bandscheibenfaches L5/S1 zu sichern. Bei dem Kläger liegt ein generalisierter Verschleißprozess an sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten vor, der sich nicht von cranial nach distal richtungsweisend zunehmend darstellt. Entsprechend der durchgeführten radiologischen Untersuchung trug der Kläger auch bei der Untersuchung subjektiv empfundene Beschwerden im Bereich der gesamten Wirbelsäule vor mit Dominanz des Lendenwirbelsäulenabschnittes. In diesem Zusammenhang weist Dr. B nachdrücklich darauf hin, dass psychische Verhaltensfaktoren bei der bei dem Kläger vorliegenden Symptomatik nicht zu übersehen waren und gegenüber den objektiv festzustellenden Gesundheitsstörungen dominant erscheinen. So war auch im Rahmen des beim Sozialgericht Neuruppin unter dem Aktenzeichen S XX RJ 240/04 geführten Rechtsstreites durch Dr. Z festgestellt worden, dass beim Kläger eine erhebliche psychogene Überlagerung im Sinne einer chronischen Schmerzkrankheit mit somatoformer Schmerzstörung und Anpassungsstörung vorliegt. In seinem im Rechtsstreit zum Aktenzeichen L XX R 1461/06 erstatteten Sachverständigengutachten beschrieb auch Dr. A eine ausgeprägte Anpassungsstörung mit resignativ-verbitterter Entwicklung und anhaltender somatoformer Schmerzstörung.
Dr. B weist weiter nachdrücklich darauf hin, dass die bei der Untersuchung vom Kläger vorgetragenen Lähmungserscheinungen in beiden Beinen weder nach dem Ergebnis der Untersuchung noch nach Kenntnis der bereits erstellten Sachverständigengutachten von Dr. A und Dr. Z festzustellen waren. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass der bei dem Kläger vorliegende allgemeine, durch degenerative Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule vorliegende Krankheitsprozess in der Wirbelsäule mit nachweisbaren Osteochondrosen, Spondylosen und Spondylarthrosen und den daraus resultierenden Funktionsausfällen trotz Nachweis arbeitstechnischer Voraussetzungen aus medizinischer Sicht nicht geeignet ist, die Annahme einer BK nach Nr. 2108 und 2110 zu begründen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09.02.2009 fasst Dr. B noch einmal zusammen, was maßgeblich gegen einen Kausalzusammenhang spricht, nämlich dass bei dem Kläger gleichmäßig über alle Wirbelsäulenabschnitte verteilt degenerative Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule nachweisbar waren.
Die Kammer folgt der Beurteilung durch den Sachverständigen Herrn Dr. B und schließt sich seinen Ausführungen an. Die Kammer hat keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit der Feststellungen von Dr. B zu zweifeln. Das Gutachten ist in sich schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar begründet. Es beruht auf einer eingehenden ambulanten Untersuchung des Klägers und einer Auswertung des Akteninhaltes. Auch stehen die Feststellungen in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M, deren für die Beklagte erstattetes Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird. Die Kammer ist nicht gehindert, ihre Überzeugung auch auf diese Ausführungen zu stützen.
So wurde im Gutachten von Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M vom 13.09.2006 nach körperlicher und radiologischer Diagnostik festgestellt, dass nach medizinischen Gesichtspunkten keine morphopathologisch nachweisbaren Korrelate festzustellen sind, die für eine berufliche Belastung als wesentliche Ursache für die aufgetretenen Bandscheibenveränderungen und Beschwerden sprechen würden. Insbesondere wurde ausgeführt: „Abgrenzbare oder richtungsgebende degenerative Veränderungen, die auf eine berufliche Exposition und über die nicht-exponierte Bevölkerung hinaus zurückzuführen sind, können nicht objektiviert werden“. Insgesamt wird darauf hingewiesen, dass das bei dem Kläger vorliegende Lendenwirbelsäulenleiden sich in gleicher Art und in gleichem Ausmaß in der Weise darstellen würde, wie es auch ohne spezielle berufliche Situation in der Normalpopulation zustande kommen könnte.
Auch von der medizinischen Fachliteratur wird das Kriterium eines einwirkungskonformen Krankheitsbildes gefordert (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Loseblatt-Kommentar, M 2108, Anmerkung 5.2). Danach muss der nach dem anzuwendenden BK-Tatbestand mit einer bestimmten Einwirkung korrespondierende Wirbelsäulenabschnitt besonders betroffen sein. Die Bandscheibenschäden im beruflich belasteten Abschnitt müssen sich vom Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte deutlich abheben, wobei in der Regel ein von oben nach unten in der Ausprägung zunehmender Befund erforderlich ist. Diese Voraussetzung kann nach oben Gesagtem nicht festgestellt werden.
In der Zusammenschau überwiegen damit die gegen einen Kausalzusammenhang zwischen der Belastung und dem Schaden sprechenden Argumente, sodass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht angenommen werden kann.
Auch die weitere zum Tatbestand sowohl der BK Nr. 2108 als auch der BK Nr. 2110 gehörende Voraussetzung, dass der Versicherte jedwede belastende Tätigkeit dauerhaft aufgegeben haben muss, liegt nicht vor. Der Kläger war erstmals vom 30.06.1999 bis zum 02.07.1999 wegen eines Lumbagosyndroms krankgeschrieben. Es handelt sich hierbei um eine sehr kurze, offensichtlich nicht länger behandlungsbedürftige Arbeitsunfähigkeit. Bis zum Operationszeitpunkt im November 2002 wurde der Kläger nicht wegen eines lumbalen Krankheitsgeschehens behandlungsbedürftig krankgeschrieben. Der Kläger hat durchgehend von 1999 bis zum Jahre 2002 Tätigkeiten als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer verrichtet, ohne dass eine krankheitsbedingte Unterlassung seiner beruflichen Tätigkeit dokumentiert ist, abgesehen von dem kurzen Zeitraum vom 30.06.1999 bis zum 02.07.1999. Der Kläger trägt zwar vor, „wegen seiner Krankheit wegen der anhaltenden Rückenschmerzen“ von der R GmbH zum 31.03.2002 gekündigt worden zu sein, jedoch ist dem Kündigungsschreiben vom 28.02.2002 ein (solcher) Kündigungsgrund nicht zu entnehmen. Die Argumentation des Klägers verwundert übrigens deshalb, weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag jedenfalls noch innerhalb der einmonatigen Kündigungsfrist in der Lage war, die belastende Tätigkeit weiter auszuführen. Richtig ist zwar, dass sich der Kläger ab dem 25.03.2002 in Behandlung bei Dr. J befunden hat. Aber auch von Dr. J wurde zu diesem Zeitpunkt keine Arbeitsunfähigkeit wegen der Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule ausgestellt; dieses erfolgte erstmalig erst ab 21.11.2002. Ab 02.04.2002 bis zum 30.04.2002 bestand eine Arbeitsunfähigkeit allein wegen einer akuten Belastungsreaktion. Zur Überzeugung der Kammer lässt sich damit zum Zeitpunkt der Beendigung der belastenden Tätigkeit ein Zwang zur Aufgabe derselben nicht feststellen.
Die dem Ergebnis in der Hauptsache folgende Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.