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Entscheidung 10 Ds 365 Js 31701/12 (537/13)


Metadaten

Gericht AG Zossen Entscheidungsdatum 10.07.2014
Aktenzeichen 10 Ds 365 Js 31701/12 (537/13) ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Die Angeklagte wird freigesprochen.

II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit Anklageschrift vom 14. Oktober 2013 hat die Staatsanwaltschaft der Angeklagten vorgeworfen, sie habe am 07. November 2012 in X die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitgeteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden seien oder das Verfahren abgeschlossen worden sei.

Die Angeklagte ist Bürgermeisterin der Stadt X. Sie war Beschuldigte eines zwischen 2010 und 2013 wegen des Verdachts der Vorteilsannahme geführten Ermittlungsverfahrens der Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Korruptionskriminalität, in dessen Verlauf sich die dortigen Vorwürfe nicht bestätigt fanden. Im Anschluß an die im dortigen Verfahren durchgeführte Durchsuchung der Wohnräume und des Dienstzimmers der Angeklagten sowie der Geschäftsräume der Stadtverwaltung X am 11. September 2012 wurde dem Verteidiger der Angeklagten Akteneinsicht in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte (Zweitakte) zum Zwecke der Verteidigung gewährt.

Nachdem am 07. November 2012 gegen 22.30 Uhr am Ende des nicht-öffentlichen Teils oder unmittelbar nachdem der nicht-öffentliche Teil der Stadtverordnetensitzung beendet gewesen und die Protokollführerin nach Hause geschickt worden war, kündigte die Angeklagte den noch anwesenden Stadtverordneten eine Mitteilung an und stellte den 25 anwesenden Stadtverordneten frei, sich diese Ausführungen anzuhören und dazu im Sitzungssaal des Bürgerhauses ... zu verbleiben.

Sodann habe sie begonnen gegenüber den verbliebenen 24 Mitgliedern über einen Zeitraum von etwa 45 Minuten zuvor detailliert vorbereitete, teilweise farblich markierte Passagen aus Ablichtungen der Ermittlungsakte, die ihr durch ihren Verteidiger zur Verfügung gestellt worden waren, insbesondere polizeiliche Vermerke, Vernehmungsprotokolle sowie Schriftverkehr verfahrensbeteiligter Personen zu verlesen und zu kommentieren. Bei den Personen deren Aussagen verlesen worden seien, handelte es sich auch um anwesende Stadtverordnete, die als solche durch das Landeskriminalamt in dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren x vernommen worden waren.

Unter Voranstellung des Namens des jeweiligen Zeugen sowie Ort und Zeit der Vernehmung habe die Angeklagte im Einzelnen – teils sinngemäß, teils wortwörtlich -– die Vernehmungsprotokolle zur polizeilichen Vernehmung der folgenden Zeugen verlesen:

- A. (Mitglied der Stadtverordnetenversammlung),
- B. (Mitglied der Stadtverordnetenversammlung),
- C. n,
- D., sowie
- E.

Die Angeklagte habe dabei jeder Zeugenaussagen etwa vier bis fünf Minuten gewidmet und pro Person mindestens Abschnitte im Umfang von fünf bis sechs Sätzen eins-zu-eins verlesen.

Weiterhin habe die Angeklagte verfahrensgegenständlichen Schriftverkehr wie Anzeigen oder Mitteilungen gegenüber dem Landeskriminalamt, zudem anonyme Anzeigen, E-Mail-Verkehr zwischen dem Zeugen E. und dem ermittelnden Polizeibeamten sowie eine seitens des Zeugen verfaßte und an das Ministerium des Inneren gerichtete E-Mail vom 28. Oktober 2010 verlesen.

Wortwörtlich habe sie jedenfalls aus nachfolgende Aktenbestandteilen zitiert:

- Polizeiliche Vernehmung des Zeugen B. vom 08.09.2011:

„Mir ist bekannt, daß diese Personen zum Teil auch Eigentum an den drei genannten Flächen besitzen. Gerade im Hinblick auf die Ei- Pläne „..." und „...straße" kann ich mich erinnern, daß eben diese mehr oder weniger in der SVV „durchgeprügelt" worden sind.

Beide Anträge sind nach ein bis mehrfacher Ablehnung in der SVV jeweils zu einer der nächstfolgenden Sitzungen wieder eingereicht worden, um mit den wechselnden persönlichen Anwesenheiten der Stadtverordneten zu einer dann mehrheitlichen Abstimmung des Antrags zu kommen."

- Polizeiliche Vernehmung des Zeugen A. vom 07.09.2011:

„Dieser Umstand war für mich Grund, gegenüber Herrn K. zu hinterfragen, weshalb dann nur ein deutscher Fahrzeugfabrikant auf dieser Bieterliste geführt wird. Ich bekam lediglich zur Antwort, daß „...wir alle Dienstwagen von diesem Autohaus bezogen haben. Es wäre völlig ausreichend, mit dem Autohaus zusammenzuarbeiten..."

- E-Mail des E. an S. vom 28.04.2010 :

„Das Autohaus ... beschäftigt u.a. den Ortsbürgermeister der Stadt X, eine nahe Angehörige eines Abgeordneten der Wählergruppe Plan B. Ein Gesellschafter des Autohauses ist selber Abgeordneter der Wählergruppe Plan B."

Der Angeklagten sei dabei bewußt gewesen, daß das Verfahren weder abgeschlossen gewesen ist, noch die Inhalte der Aussagen Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gewesen waren.

II.

Die Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die ihr vorgeworfenen Handlungen erfüllen nicht den Tatbestand der verbotenen Mitteilung aus Gerichtsverfahren. Es kann daher dahinstehen, ob die Angeklagte wörtlich durch Verlesen aus der Ermittlungsakte zitierte oder wie sie sich einließ, bei geschlossen vor ihr liegender Zweitakte aus dem Gedächtnis zitierte.

Eine Mitteilung ist öffentlich, wenn sie von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann, gleichgültig, ob sie auch tatsächlich wahrgenommen wird. Vom Tatbestand nicht erfaßt, ist daher die Weitergabe der Anklageschrift an einen zahlenmäßig kleinen, dem Täter namentlich bekannten oder mit ihm persönlich verbundenen Kreis von zwölf beziehungsweise fünf bis sechs Personen, wenn sie nicht auf eine Weiterverbreitung (Kettenverbreitung) angelegt ist (Schönke/Schröder/Perron, Strafgesetzbuch, 28. Aufl., § 353d Rn. 46). Nach LG Mannheim (NStZ-RR 96, 360 m. w. N.) ist eine Mitteilung sogar nur dann öffentlich, wenn unbekannt viele und unbestimmt welche Personen Kenntnis nehmen können und der Personenkreis für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist.

„Öffentlich“ bedeutet nach dem Wortverständnis „für jeden hörbar und sichtbar; nicht geheim, für die Allgemeinheit zugänglich“ (www.duden.de). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (BVerfG 13, 366; Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 1 Rn.37). Die Mitteilung gegenüber einem klar umgrenzten, gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis ist jedoch das Gegenteil von öffentlich, nämlich der Allgemeinheit gerade nicht zugänglich, kraft Gesetzes geheim und nicht für jeden hörbar und sichtbar. Schließlich war außer den zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Personen war niemand anwesend und hätte auch niemand Zugang gehabt.

Der Personenkreis an den sich die Mitteilung richtete, bestand ausnahmslos aus Stadtverordneten der Stadt X. Hierbei handelt es sich um einen klar umgrenzten Personenkreis, der sich über die Amtsträgereigenschaft definiert. Eine Weitergabe der Mitteilung aus diesem Personenkreis ist gesetzlich verboten, so daß die Angeklagte nicht mit einer Weiterverbreitung aus dem umgrenzten Personenkreis hinaus zu rechnen brauchte. Dies sah offensichtlich auch die Stadtverordnetenversammlung selbst so, hat sie doch durch Beschluß die Stadtverordneten von der bestehenden Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden, um die Aussagen vor den Ermittlungsbehörden zu ermöglichen.

Die Stadtverordneten unterliegen nach § 21 BbgKVerf und nach § 1 BbgVwVfG iVm. § 84 VwVfG der Amtsverschwiegenheit. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit scheitert nicht daran, wie das Landgericht im Beschluß vom 24. April 2014 meint, daß die Mitteilung im Anschluß an den nicht-öffentlichen Teil der Stadtverordnetenversammlung erfolgte. Die Verschwiegenheitsverpflichtung bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der (nicht-öffentlichen) Sitzung, sondern auf die ehrenamtliche Tätigkeit insgesamt. Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Auslegung der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf). Der Landesgesetzgeber hat die Verschwiegenheitsverpflichtung gerade nicht in den Vorschriften über die Gemeindevertretung und die Sitzung – etwa in § 27 BbgKVerf – geregelt, sondern in den allgemeinen Vorschriften über die ehrenamtlich Tätigen. Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Ehrenamtlichen (Stadtverordneten) bezieht sich daher nicht exklusiv auf Tatsachen, die ihnen im Rahmen der nicht-öffentlichen Sitzungen zur Kenntnis gelangen, sondern auf alle bei Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten. Das gleiche gilt für die Amtsverschwiegenheit nach § 1 BbgVwVfG iVm. § 84 VwVfG. Denn § 84 VwVfG läßt jeden Zusammenhang mit dem dienstlichen Bereich genügen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfGm, 8. Aufl., § 84 Rn. 4). Ein solcher Zusammenhang zum dienstlichen Bereich und die Kenntnisnahme bei Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit, sind vorliegend offensichtlich gegeben. Hierfür spricht schon die Tatsache, daß die Mitteilung während der oder im unmittelbaren Anschluß an die Stadtverordnetenversammlung und in den dortigen Räumlichkeiten erfolgte, sich ausschließlich an Stadtverordnete richtete und in unmittelbaren Bezug zur Amtsausübung stand. Wie die Angeklagte sich in der Hauptverhandlung einließ, wollte sie sich gegenüber den anwesenden Stadtverordneten darüber erklären, weshalb sich ihr Verhalten gegenüber einzelnen Stadtverordneten geändert habe und sie diesen nicht mehr die Hand gebe.

Irrelevant ist, ob die Angeklagte handelte, um im Korruptionsverfahren aussagewillige Zeugen befürchten zu lassen, sie würden ihren Einfluß bei ihr als Bürgermeisterin verlieren. Eine Motivlage einer Angeklagten kann nicht über den fehlenden objektiven Tatbestand hinweghelfen. Im Übrigen erscheint es abwegig, zu erwarten, daß die politische Opposition von ihrer Aussagewilligkeit abrücken würde, um der Bürgermeisterin aus dem gegnerischen politischen Lager gefällig zu sein; dies insbesondere angesichts der tatsächlichen verhärteten politischen Verhältnisse vor Ort. Letztendlich ist von den Inhabern politischer Wahlämter ohnehin zu erwarten, einem solchem Druck standzuhalten, sei es in ihrer amtlichen Tätigkeit oder gegebenenfalls als Zeugen.

Unabhängig von der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „öffentlich mitteilt“ erfüllt ist, erfolgte die Mitteilung über das Strafverfahren gegenüber einem Personenkreis, der ohnedies kraft Gesetz zu informieren war, wenngleich nicht durch die Angeklagte selbst. § 125c Abs. 1, Abs. 7 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG), wie auch Ziffer 15 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) sehen vor, daß der Dienstvorgesetzte eines Beamten über das Strafverfahren zu informieren ist. Dienstvorgesetzter des Hauptverwaltungsbeamten ist die sich aus den Gemeindevertretern und der Bürgermeisterin zusammensetzende (§ 27 BbgKVerf) Gemeindevertretung (§ 61 BbgKVerf). Hauptverwaltungsbeamte ist die Bürgermeisterin (§ 53 BbgKVerf). Mithin richtete sich die Mitteilung der Angeklagten an einen Personenkreis, dem als Dienstvorgesetzten Kraft Gesetzes das Strafverfahren ohnedies zur Kenntnis zu bringen war. Indem sich die Angeklagte mit ihrer Mitteilung an einen Personenkreis wandte, der ohnehin zu informieren war, hat sie demnach einen Erfolg herbei geführt, den das Gesetz ausdrücklich vorsieht. In Ermangelung eines eingetretenen Erfolgsunrechts könnte die Tat daher rechtskonstruktiv allenfalls einen Versuch darstellen. Dieser wäre aber vorliegend nicht strafbar (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2, 353d StGB). Mag die Angeklagte in ihrer Mitteilung auch mehr Inhalt übermittelt haben, als nach § 125c Abs. 1, 7 BRRG und Ziffer 15 MiStra vorgesehen ist, so vermag auch dies die Tatbestandsmäßigkeit nicht zu begründen. Es muß einer Angeklagten im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen möglich sein, sich gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten, der vom Strafverfahren von Amts wegen zu informieren ist, zu rechtfertigen und diesem hierfür auch ihm bislang nicht bekannte Akteninhalte bekannt zu machen. Daß der Dienstvorgesetzte vorliegend nicht aus einer Person, sondern einem Gremium besteht, ist ebenso wenig der Angeklagten vorzuwerfen, wie daß einzelne Angehörige dieses Gremiums eine bemerkenswert flexible Einstellung zur ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung an den Tag legten.

Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.