Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 01.11.2011 | |
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Aktenzeichen | 26 Ta 1762/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 2 Abs 1 Nr 3b ArbGG, § 5 Abs 1 S 3 ArbGG, § 48 ArbGG |
Betrifft die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Mitglied des Vertretungsorgans und der juristischen Person nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung, greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Vertreter Rechte aus einem schon vor Abschluß des Anstellungsvertrags begründeten und angeblich weiter bestehenden Arbeitsverhältnis herleitet oder wenn er Rechte mit der Begründung geltend macht, nach Abberufung habe sich das nicht gekündigte und fortgesetzte Anstellungsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt. Für einen solchen Rechtsstreit können deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen zur Rechtswegbestimmung - etwa im sic-non-Fall - die Arbeitsgerichte zuständig sein (BAG 25.5.1999 - 5 AZB 30/98, zu II 3 c der Gründe).
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 – 43 Ca 5972/10 – abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten anlässlich eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer vorsorglichen Kündigung vom 24. März 2010.
Der Kläger und die Insolvenzschuldnerin schlossen am 26. März 2007 einen Arbeitsvertrag. Gegenstand war eine Büroleitertätigkeit mit einer Bruttovergütung in Höhe von 6.000 Euro monatlich. Am 7. September 2007 schlossen dieselben Parteien außerdem einen Vorstandsanstellungsvertrag. Bei Abschluss des Vertrages gingen die Parteien davon aus, dass beide Verträge nebeneinander Gültigkeit haben sollten, so der Kläger - durch den Beklagten unwidersprochen - in der Beschwerdeinstanz. Als Vergütung vereinbarten der Kläger und die Insolvenzschuldnerin 6.500 Euro jährlich. Die Präambel des Vorstandsvertrages enthält den Hinweis, dass sich diese Vergütung in den nächsten 24 Monaten nicht ändern werde. Der Kläger wurde mit Wirkung vom 14. September 2007 als Vorstand in das Handelsregister eingetragen. Am 31. Juli 2008 vereinbarten die Parteien in einem „Zusatz zum Arbeitsvertrag“ Folgendes:
„Der Arbeitnehmer erhält ab dem 1. August 2008 ein monatliches Bruttogehalt von 12.000 EUR und zahlbar bis zum 10. des Folgemonats.“
Am 26. August 2008 wurde der Kläger als Vorstand aus dem Register ausgetragen, um am 22. September 2008 erneut eingetragen zu werden. Am 15. Oktober 2008 trat der Kläger als Vorstand zurück. Am 24. Oktober 2008 kündigte die Insolvenzschuldnerin den Büroleitervertrag fristlos. Außerdem kündigte sie den das Vorstandsamt betreffenden Dienstvertrag mit gesondertem Schreiben vom selben Tag, in dem sie auch die Niederlegung des Vorstandsamts durch den Kläger bestätigte. Der Kläger übte seine Büroleitertätigkeit während der gesamten Zeit uneingeschränkt aus, insbesondere auch in der Zeit bis zum 22. September 2009, in der er nicht zum Vorstand berufen war. Er erhielt im September 2008 auch die für die Büroleitertätigkeit vereinbarte Vergütung in Höhe von 12.000 Euro. Den beim Arbeitsgericht anhängig gemachten Rechtsstreit verwies das Arbeitsgericht an das Landgericht Berlin. Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung mit Beschluss vom 11. Juni 2009. Beim Landgericht wird das Verfahren nicht betrieben, da es angesichts der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen ist. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Wesentlichen damit begründet worden, dass für sog. Hausstreitigkeiten im Arbeitgeberbereich nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig seien, unabhängig davon, ob diese in einem Arbeitsverhältnis oder in einem freien Dienstverhältnis beschäftigt würden.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin kündigte der Beklagte dem Kläger erneut mit Schreiben vom 24. März 2010, diesmal ordentlich zum 30. April 2010. In dem Kündigungsschreiben heißt es:
„Ich gehe davon aus, dass sowohl Ihr Dienstverhältnis als Vorstand als auch Ihr Arbeitsverhältnis als Büroleiter bereits rechtswirksam gekündigt wurde und damit beendet ist. Höchst vorsorglich für den Fall, dass entgegen meiner Annahme noch ein Dienstverhältnis bzw. ein Arbeitsverhältnis bestehen sollte, kündige ich den Dienstvertrag und den Arbeitsvertrag gem. § 113 InsO mit Wirkung zum 30. April 2010, hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt. Ferner werden Sie höchst vorsorglich von Ihrer Pflicht zur Dienst- bzw. Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt, und zwar unter Verrechnung von Resturlaubsansprüchen. Auch anderweitiger Verdienst wird im Freistellungszeitraum angerechnet.“
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, das Arbeitsgericht sei zuständig. Die Kündigung sei gerade für den Fall ausgesprochen worden, dass noch ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Seine Vorstandstätigkeit sei zu diesem Zeitpunkt lange beendet gewesen, was unstreitig ist. Der Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht gerügt.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf die Entscheidung der 18. Kammer vom 11. Juni 2009 ausgeführt, dass der Kläger nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG gelte, da er als Vorstandsmitglied zur Vertretung der Insolvenzschuldnerin berufen gewesen sei. Es sei nicht erkennbar, dass das Rechtsverhältnis seit der ersten Kündigung eine Veränderung erfahren habe, die eine andere rechtliche Bewertung rechtfertige. Der Beklagte sei ersichtlich davon ausgegangen, dass sowohl das Dienstverhältnis (Vorstandstätigkeit) als auch das Arbeitsverhältnis (Büroleiter) bereits rechtswirksam gekündigt worden und beendet seien.
Der Kläger hat gegen den ihm am 18. Juli 2011 zugestellten Beschluss am 1. August 2011 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus, es handele sich um nicht vergleichbare Streitgegenstände. Hätte erst die Kündigung vom 24. März 2010 das Rechtsverhältnis der Parteien aufgelöst, könne es sich dabei nur um ein Arbeitsverhältnis gehandelt haben, da die Vorstandstätigkeit bereits im Oktober 2008 eingestellt gewesen sei.
Der Beklagte beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Der Beklagte habe gerade in dem Kündigungsschreiben gezeigt, dass auch er den engen Zusammenhang zwischen dem Dienstverhältnis als Vorstand und dem (vormaligen) Arbeitsverhältnis gesehen habe.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen. Da über die Wirksamkeit der Kündigungen vom 24. Oktober 2008 noch nicht entschieden sei, sei ungeklärt, ob Dienst- bzw. Arbeitsverhältnis beendet seien. Aufgrund der Berufung in den Vorstand gelte er nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer.
II. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Im Ergebnis kann es dabei im Rahmen des Beschwerdeverfahrens offen bleiben, ob das Arbeitsverhältnis fortbestand bzw. wieder aufgelebt ist. Für die vom Kläger angekündigten Anträge sind die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG sachlich zuständig. Hiernach sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich schon aus der Rechtsbehauptung des Klägers, es bestehe ein Arbeitsverhältnis, da hinsichtlich beider Anträge eine sog. „sic-non-Konstellation“ vorliegt.
a) Ein sic-non-Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegeben, wenn der Klageerfolg von Tatsachen abhängt, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung über diese Anträge ergibt sich aus der Doppelrelevanz. Ist die klagende Partei in einem solchen Fall kein Arbeitnehmer, so wird die Klage ohne weitere Prüfung als unbegründet abgewiesen. In diesen Fällen genügt zur Bejahung des Rechtsweges zu den Gerichten für Arbeitssachen die Rechtsbehauptung durch den Kläger, Arbeitnehmer zu sein (vgl. dazu und zur Abgrenzung zu anderen Konstellationen ausführlich LAG Berlin-Brandenburg 5. Juli 2006 - 12 Ta 850/06, zu II 1 der Gründe, mwN.).
b) Danach ist hier der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten schon wegen der Rechtsbehauptung des Klägers eröffnet, er sei Arbeitnehmer. Denn die Klageforderung hängt von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs maßgebend sind. Die beantragte Feststellung setzt voraus, dass insbesondere im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich bestanden hat.
Für den Erfolg der Klage gegen die Kündigung vom 24. März 2010, die der Kläger mit dem Kündigungsschutzantrag angreift, kommt es darauf an, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand. Der Kläger beruft sich hier auf ein fortbestehendes bzw. wieder aufgelebtes Arbeitsverhältnis und darauf, dass dieses durch die Kündigung des Beklagten nicht aufgelöst worden sei. Das spricht zunächst bereits für eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts aufgrund einer sic-non-Fallgestaltung. Der Kläger wehrt sich insoweit nicht gegen die Kündigung des Anstellungsverhältnisses, sondern gegen die eines hiervon unabhängigen – nach seiner Darstellung fortbestehenden oder wieder aufgelebten - Arbeitsverhältnisses. Insoweit unterscheidet sich das Verfahren auch von der durch die 18. Kammer am 11. Juni 2009 entschiedenen Konstellation.
Hier greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht. Für die vorliegende Konstellation können deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen zur Rechtswegbestimmung - etwa im sic-non-Fall - die Arbeitsgerichte zuständig sein. Das gilt immer dann, wenn die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Mitglied des Vertretungsorgans und der juristischen Person nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung betrifft. Dies ist zum Beispiel auch der Fall, wenn der Vertreter Rechte aus einem schon vor Abschluss des Anstellungsvertrags begründeten und angeblich weiter bestehenden Arbeitsverhältnis herleitet oder wenn er Rechte mit der Begründung geltend macht, nach Abberufung habe sich das nicht gekündigte und fortgesetzte Anstellungsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt (vgl. dazu BAG 25.5.1999 - 5 AZB 30/98, zu II 3 c der Gründe). Insoweit bietet der vorliegende Sachverhalt keine Besonderheit. Insbesondere betrifft das Verfahren auch nur die Kündigung vom 24. März 2010, soweit mit ihr ein Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Im Übrigen greift der Kläger die Kündigung mit der vorliegenden Klage nicht an.
Hier ist auch nicht auszuschließen, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis durch den Abschluss des Anstellungsvertrages ausnahmsweise (zur Regel siehe zB. BAG 15.03.2011 - 10 AZB 32/10 - NZA 2011, 874) nicht beendet worden ist. Der Anstellungsvertrag ist nach den bisher vorliegenden Unterlagen auf den Büroleitervertrag „aufgesattelt“ worden. Der Kläger hat zudem unwidersprochen vorgetragen, dass beide Verträge nach dem Willen der Parteien nebeneinander Gültigkeit haben sollten. Die spätere Vergütungserhöhung betraf zudem ausdrücklich nur den Büroleitervertrag, der außerdem weiter als Arbeitsvertrag bezeichnet worden ist. Offenbar änderte sich auch der Inhalt der Tätigkeit des Klägers nicht grundlegend. Wie durch die Vergütungserhöhung für die Gruppenleitertätigkeit im Jahr 2008 zum Ausdruck kommt, stand diese weiterhin im Vordergrund. Die für die Vorstandstätigkeit daneben gezahlte Vergütung war demgegenüber verschwindend gering. Es kommt hinzu, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien während des Zeitraums, in dem der Kläger im August und September 2008 nicht dem Vorstand angehörte, die Gruppenleitertätigkeit fortgeführt und vergütet wurde.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.