Gericht | AG Frankfurt (Oder) | Entscheidungsdatum | 03.01.2013 | |
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Aktenzeichen | 3 IK 825/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auf Antrag des Schuldners ein gegen den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 807 der Zivilprozessordnung) erlassener Haftbefehl (auch) außerhalb eines Beschwerde- oder Erinnerungsverfahrens aufzuheben, ohne dass es einer Mitwirkung des Vollstreckungsgläubigers bedarf.
2. Zuständig für die Entscheidung ist nach § 89 Abs. 3 der Insolvenzordnung das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Strausberg vom … 2012, 8 M …/12, wird aufgehoben, nachdem das Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 29. August 2012 unzulässig geworden ist.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Der Antrag der Schuldnerin vom 28. August 2012, den oben genannten Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 807 der Zivilprozessordnung – im Folgenden: ZPO) außerhalb eines Beschwerde- oder Erinnerungsverfahrens aufzuheben, hat nach Anhörung des Treuhänders und des Vollstreckungsgläubigers, auf dessen Antrag der Haftbefehl ergangen ist, Erfolg.
Das Insolvenzgericht ist zur Entscheidung über den Antrag berufen. Das angerufene Gericht entscheidet nach § 89 Abs. 3 der Insolvenzordnung (im Folgenden: InsO) über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 der Vorschrift gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden. Die damit begründete Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als besonderes Vollstreckungsgericht ist für die Entscheidung über alle insolvenzspezifischen Einwendungen gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung gegeben, sofern ohne die Regelung des § 89 Abs. 3 InsO das allgemeine Vollstreckungsgericht zuständig wäre (vgl. Amtsgericht Duisburg, Beschluss vom 11. Oktober 2011 – 62 IK 374/10, NZI 2011, S. 944). Die Zuständigkeitsveränderung greift deshalb auch im vorliegenden Fall, dass der Schuldner nach erfolgter Eröffnung des (Verbraucher-)Insolvenzverfahrens die Aufhebung eines Haftbefehls zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung begehrt (so im Ergebnis auch das Amtsgericht Strausberg als Vollstreckungsgericht in einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2012 zum vorliegenden Verfahren). Ungeachtet der exakten Qualifikation der Entscheidung betreffend den Erlass eines Haftbefehls (§ 901 ZPO) im System des Vollstreckungsrechts als „Vollstreckungsmaßnahme“ oder sonstige Maßnahme ist zur Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung eines Haftbefehls außerhalb eines Insolvenzverfahrens das allgemeine Vollstreckungsgericht in Wahrnehmung einer Annexkompetenz zur Anordnungszuständigkeit als die Stelle zuständig, die den Haftbefehl erlassen hat (vgl. dazu Münzberg in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Auflage, § 901, S. 727 f.), und an dessen Stelle in Fällen der vorliegenden Art das Insolvenzgericht tritt.
Der Antrag ist ferner zulässig, obwohl durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht der Schuldnerin, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Treuhänder übergegangen ist. Die Zulässigkeit des Antrages folgt im vorliegenden Verfahren insoweit bereits daraus, dass sich der Treuhänder mit Schriftsatz vom 4. September 2012 dem Antrag der Schuldnerin angeschlossen hat, indem er ausführt, dass der Haftbefehl aufzuheben ist, weil Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig sind. Ungeachtet dessen ist die Schuldnerin für den gestellten Antrag aus eigenem Recht und damit unhängig von einer Unterstützung durch den Treuhänder antragsbefugt. Letzteres ergibt sich daraus, dass mit der Ermächtigung zur Verhaftung der Schuldnerin deren Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes nachteilig betroffenen ist, was bereits die Berechtigung, eine derartige Maßnahme gerichtlich überprüfen lassen zu dürfen, nach sich zieht.
Als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist ein Rechtsschutzbedürfnis in dem Sinne zu bejahen, dass im Falle der beantragten Aufhebung die Rechtsstellung der Schuldnerin verbessert wird. Der Erlass eines Haftbefehls hat als eine die Rechte des Schuldners beeinträchtigende Maßnahme nicht nur Bedeutung als Voraussetzung für die tatsächliche Inhaftnahme, sondern vielmehr mehr auch darüber hinaus, indem die rechtliche Verpflichtung zur Leistung der eidesstattlichen Versicherung nach Maßgabe der Vorschriften der Einzelzwangsvollstreckung verbindlich festgestellt wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Februar 1999 – 4 W 151/98, DGVZ 199, S. 116). Hiervon ausgehend ist der Antrag zulässig, obwohl die Vollstreckung des Haftbefehls derzeit, soweit ersichtlich, nicht betrieben wird. Die eigenständige Belastung, die bereits durch den Haftbefehl als solchen bewirkt wird, besteht im vorliegenden Fall fort, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen ist.
Auf den aus den erläuterten Gründen im Verfahren beim Insolvenzgericht zulässigen Antrag ist der Haftbefehl aufzuheben, ohne dass es einer Mitwirkung des Vollstreckungsgläubigers bedarf (anderer Ansicht: Amtsgericht Oranienburg, Beschluss vom 16. Februar 2006 – 8 M 2266/05, zitiert nach juris). Rechtsgrundlage ist § 776 Satz 1 in Verbindung mit § 775 Nr. 1 ZPO, wonach unter bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln aufzuheben sind, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt ist. Eine derartige Entscheidung ist mit dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mit dessen Wirkung nach § 89 Abs. 1 InsO ergangen (vgl. die bereits zitierte Kommentierung von Münzberg, § 775, S. 713, 718).
Gemäß § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelnen Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Nicht nur um eine vorbereitende Maßnahme, sondern bereits um eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme im Sinne der Vorschrift handelt es sich bei der Abgabe der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung nach § 807 der Zivilprozessordnung. In Sonderheit besteht kein Bedürfnis, Insolvenzgläubigern zu ermöglichen, die Abgabe der Versicherung zu ermöglichen, diese können vergleichbare Informationen regelmäßig aus den im Insolvenzverfahren zu erstellenden Unterlagen beziehen, insbesondere aus der Übersicht der Gegenstände der Insolvenzmasse nach § 153 InsO, deren Vollständigkeit der Schuldner auf entsprechenden Antrag eidesstattlich zu versichern hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – IX ZB 275/10, NZI 2012, S. 560). In Verbraucherinsolvenzverfahren der vorliegenden Art, die auf Eigenantrag eröffnet werden, stehen zusätzlich zu den genannten Verzeichnissen die vom Schuldner nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO einzureichenden Verzeichnisse des vorhandenen Vermögens und des Einkommens als Informationsquelle zur Verfügung, deren Richtigkeit und Vollständigkeit zu versichern ist. Jeder Insolvenzgläubiger ist gehalten, die vorhandenen Informationen durch Beteiligung am Insolvenzverfahren zu nutzen, so dass es für die hier zu treffende Entscheidung keine Bedeutung hat, ob ein Gläubiger die bestehenden Möglichkeiten nutzt oder nicht am Insolvenzverfahren teilnimmt.
Es besteht keine Rechtsposition des Vollstreckungsgläubigers, die die Aufrechterhaltung des Haftbefehls rechtfertigt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. März 2011, IX ZB 217/08, NZI 2011, 365), obwohl die erläuterten Gründe betreffend die Möglichkeiten der Informationserlangung für die Aufhebung sprechen. Das Insolvenzverfahren beschränkt den Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubigers und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition nur, soweit und solange überwiegende Gründe dies erfordern. Materielle Rechte gehen mit der Aufhebung nicht verloren, wie das etwa bei der Aufhebung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses für das durch die Pfändung erlangte Pfändungspfandrecht der Fall wäre. Zum allseitigen Interessenausgleich genügt es, dass die oben genannten Unterlagen zur Information der Insolvenzgläubiger vorhanden sind.
Durchgreifende Interessen des Rechtsverkehrs am Fortbestand der Wirkungen des Haftbefehls bestehen nicht. Es dürfte sich allerdings so verhalten, dass die Aufhebung des Haftbefehls im Fall der Unanfechtbarkeit der vorliegenden Entscheidung bei Annahme des Wegfalls des Eintragungsgrundes die Löschung der Eintragung im Schuldnerverzeichnis nach sich zieht (vgl. § 915 a Abs. 2 Nr. 2 ZPO a. F., § 882 c ZPO n. F.; ferner die bereits zitierte Kommentierung von Münzberg, § 901, S. 727), wobei allerdings insoweit die Entscheidung dem zuständigen (allgemeinen) Vollstreckungsgericht vorbehalten bleibt. Die Löschung der Eintragung entspricht indessen in Fällen der vorliegenden Art sowohl der Zweckbestimmung des Schuldnerverzeichnisses als auch der Zielstellung der Insolvenzordnung, überschuldete Verbraucher zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu veranlassen. Das Schuldnerverzeichnis soll den Geschäftsverkehr vor besonders unzuverlässigen Schuldnern warnen und vor künftigen Schäden bewahren (vgl. Amtsgericht Köln, Beschluss vom 15. August 2003 – 71 IK 45/00, NZI 2003, S. 611). Besonders unzuverlässig in diesem Sinne sind Schuldner, deren Vermögensverhältnisse in einem Insolvenzverfahren geordnet werden indessen nicht, was sich insbesondere daran zeigt, dass die Eintragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Schuldnerverzeichnis gerade nicht vorgesehen ist.
Gerichtsgebühren fallen nicht an, Auslagen entstehen nicht.