Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 24.01.2013 | |
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Aktenzeichen | L 2 U 82/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7, § 56 SGB 7 |
Eine Anpassungsstörung aufgrund Arbeitslosigkeit kann nur dann als Unfallfolge anerkannt werden, wenn die Arbeitslosigkeit die wesentliche Ursache in den unfallbedingten körperlichen Funktionseinschränkungen hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2012 insoweit aufgehoben, als die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 2008 verurteilt wurde, dem Kläger ab 01. Februar 2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen ihre Verurteilung zur Höherbewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter Anerkennung einer Anpassungsstörung als (mittelbare) Unfallfolge.
Der 1958 geborene Kläger stürzte am 5. April 2005 während seiner Tätigkeit als Betonbauer ca. vier Meter tief von einem Gerüst (Unfallanzeige vom 27. April 2004). Hierbei zog er sich eine mehrfragmentäre Pilon-Tibial-Fraktur rechts zu (Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. St vom 6. April 2005).
Nach Einholung eines ersten Rentengutachtens des Dr. D vom 18. Januar 2006, der für die noch verbliebenen Beschwerden des rechten Beines eine MdE von 30 v.H. einschätzte, erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2006 den Unfall vom 5. April 2005 als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger vom 2. Januar 2006 an bis auf weiteres eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v.H. Als Folgen des Versicherungsfalls erkannte sie eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen und unteren Sprunggelenks mit fixierter Spitzfußstellung und Fußabrollstörung sowie eingeschränktem Zehenspiel rechts, eine Muskelminderung des rechten Oberschenkels und Verplumpung der rechten Sprunggelenkskonturen und Entkalkung des rechten Fußskeletts nach unter beginnender Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose und bei noch liegenden Metallimplantaten knöchern noch nicht vollständig durchbautem Unterschenkelbruch (Pilon tibiale-Fraktur) und Wadenbeinbruch rechts an. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie eine Hörminderung beidseits, ein Tinnitusleiden links und Verschleißveränderungen der Wirbelsäule sowie einen Zustand nach Abrissbruch des Tuberculum majus und Schädigung des nervus medianus der rechten Schulter, die auf einen Arbeitsunfall vom 2. Juli 2002, der eine MdE von 20 v.H. bedinge, zurückzuführen seien, an.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger unter anderem geltend, er beantrage die Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen sowie eines HNO-ärztlichen Gutachtens. Die Beklagte habe die bei ihm vorliegende Tinnitus-Problematik sowie die vorliegende posttraumatische Belastungsstörung nicht zutreffend bewertet.
Die Diplom-Psychologin P führte in einer Stellungnahme vom 2. Mai 2006 unter anderem aus, diagnostisch lasse sich die Problematik des Klägers am ehesten im Sinne einer Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.2) interpretieren.
Die mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Fachärztin für Psychotherapie Dr. P führte in ihrem Gutachten vom 18. Februar 2007 unter anderem aus, wie die Diplompsychologin P bereits ausgeführt habe, liege eine posttraumatische Belastungsstörung bei dem Kläger nicht vor. Die psychische Krankheitsverarbeitung sei rational gesteuert und überlagert von realen Existenzängsten. Die jetzt vorliegende Anpassungsstörung werde überlagert von den unzureichenden Sprachkenntnissen sowie der sozialen Inkompetenz des Klägers, so dass er sich das Erlernen einer anderen Tätigkeit nicht zutraue. Diese Probleme seien unabhängig von dem Unfallereignis. Er traue sich aber zu als Berufskraftfahrer tätig zu sein. Die Aufnahme einer solchen Tätigkeit scheitere aber daran, dass die Berufsgenossenschaft den Erwerb eines P-Scheines nicht finanziere. Allein schon diese Motivation seitens des Klägers spreche gegen eine posttraumatische Belastungsstörung, da stabiles, gesteuertes Verhalten im Publikums- und Autoverkehr notwendig wäre, welches sich der Kläger selber auch zutraue. Als Unfallfolge liege somit eine Anpassungsstörung vor (F 43.2). Die MdE für die motorische Einschränkung infolge der Arthrosebildung nach traumatischer Tibial- und Fibulafraktur im rechten oberen Sprunggelenk, welche die Wegefähigkeit des Klägers begrenze, bewerte sie mit einer MdE von 20 v. H. Die psychische Anpassungsstörung entspreche einer MdE von 10 v. H., so dass es insgesamt zu einer MdE von 30 v. H komme.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2007 zurück.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Februar 2008 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. Als Unfallfolgen erkannte sie eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten oberen und unteren Sprunggelenks und des Zehenspiels des rechten Fußes, Muskelminderung des Oberschenkels und Schwellneigung der Sprunggelenksregion rechts nach unter Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose im rechten oberen Sprunggelenk verheiltem Unterschenkelbruch (Pilon tibiale-Fraktur) und Wadenbeinbruch rechts an. Gleichzeitig lehnte sie es ab, eine vorbestehende Hörminderung beidseits, ein Tinnitusleiden links, Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule sowie die Entwicklung einer Konversionsneurose als Unfallfolgen anzuerkennen.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin begehrte der Kläger die Anerkennung einer höheren MdE unter Anerkennung einer Anpassungsstörung (F 43.28) sowie eines Tinnitusleidens rechts als Unfallfolgen.
Die als Sachverständige bestellte Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. H hat in ihrem Gutachten vom 18. März 2010 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege auf HNO-fachärztlichem Gebiet eine kombinierte Schwerhörigkeit beidseits sowie subjektiv ein Ohrgeräusch beidseits vor. Beide Gesundheitsstörungen seien weder im Sinne der erstmaligen Entstehung noch im Sinne der wesentlichen Verschlimmerung auf den Unfall zurückzuführen. Es handle sich um ein unfallunabhängiges Leiden, da aufgrund der Hörtests keine Veränderungen seit 2001 im Rahmen der Unfälle stattgefunden hätten. Lediglich in den letzten Jahren sei es zu einer geringfügigen Verschlechterung des Hörvermögens gekommen. Eine unfallbedingte MdE bestehe auf HNO-fachärztlichem Gebiet nicht.
Der ebenfalls als Sachverständiger bestellte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des H-Krankenhauses Dr. A hat in seinem Gutachten vom 16. Februar 2011 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege eine chronische Anpassungsstörung mit resignativ-depressiver Entwicklung (IC D-10: F 43.28) vor. Bei dem Arbeitsunfall im Jahre 2005 habe der Kläger eine schwere Unterschenkelfraktur im rechten Bein erlitten, so dass er bleibende Defizite in Gestalt von Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und eine deutliche Reduktion der Mobilität zurückbehalten habe. Bis heute könne er nur mit einer Unterarmgehstütze gehen. Er sei seit 1982 mit kurzen Unterbrechungen in handwerklichen Berufen tätig gewesen. In der Biografie des Klägers hätten Arbeit und wirtschaftlicher Wohlstand einen hohen Stellenwert gehabt, insbesondere eine körperliche Tätigkeit habe bislang stets zum Selbstbild des Klägers gehört. Nach dem Arbeitsunfall vom 5. April 2005 sei er nun nicht mehr in der Lage, eine handwerkliche Tätigkeit auszuführen, was ihn zutiefst verunsichert und verbittert habe. Nach einem unzweifelhaften Erstschaden in Gestalt einer schweren Unterschenkelfraktur rechts sei es bei dem Kläger zu einer verzögerten psychogenen Reaktion ab Januar 2006 auf den komplizierten Heilungsverlauf und die Information, dass bleibende Defekte mit deutlicher Einschränkung der Mobilität fortbestehen würden und er keine handwerkliche Tätigkeit mehr würde ausüben können, gekommen. Eine unzureichende Flexibilität, unter anderem aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse, habe dazu beigetragen, dass sich der Kläger an die neue Lebenssituation nicht habe adaptieren können. Aufgrund dieser anhaltenden Belastungen sei es zu einer chronifizierten resignativ-depressiven Entwicklung gekommen, die diagnostisch als chronische Anpassungsstörung einzustufen sei. Zwar dauere eine Anpassungsstörung normalerweise lediglich sechs Monate bis max. zwei Jahre an, bei anhaltenden Belastungen bzw. Stressoren, wie im vorliegenden Fall die körperliche Behinderung und die Unmöglichkeit der Wiederaufnahme seines oder eines anderen handwerklichen Berufes, gebe es jedoch auch Fälle, in denen die Symptomatik persistieren und chronifizieren könne. Der Unfall vom 5. April 2005 sei als wesentliche Teilursache für die psychischen Beschwerden einzuschätzen. Außerberufliche oder anlagebedingte Faktoren würden die Anpassungsstörung in leichtem Maße mit bedingen. Deren alleinige Ursachen seien sie nicht. Als außerberufliche Faktoren seien überwiegend soziale Faktoren zu nennen, wie Arbeitslosigkeit, Partnerkonflikte, Rückzug von Freundschaften sowie finanzielle Probleme. Zudem gebe es Hinweise für anlagebedingte Faktoren. Diese seien eine mangelnde Adaptionsfähigkeit an die neue Lebenssituation sowie ein vor dem Unfall bereits bestehender Tinnitus mit Neigung zu psychosomatischen Reaktionen, die auf eine erhöhte Vulnerabilität in Gestalt einer Persönlichkeitsakzentuierung hindeuten würden. Es handele sich dabei um eine neurotische Reaktionsbereitschaft als ein disponierender Faktor. Ein Vorschaden in Gestalt einer psychischen Vorerkrankung sei allerdings nicht festzustellen. Der Arbeitsunfall sei als wesentliche Teilursache für die psychiatrische Gesundheitsstörung anzusehen. Dabei komme den genannten außerberuflichen Faktoren ein Verursachungsanteil von lediglich 30 % zu. Somit sei die psychische Gesundheitsstörung als mittelbare Unfallfolge einzustufen, die mit einer MdE von 10 v.H. fortlaufend zu bemessen sei.
Nachdem die Beklagte sich unter Berufung auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. St vom 29. März 2011 gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. A gewandt hatte, führte dieser in einer ergänzenden Stellungnahme vom 26. Juli 2011 unter anderem aus, zwar sei für die Diagnose einer Anpassungsstörung gefordert, dass sich Symptome in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung des Stressors oder seiner Folgen zurück bilden müssten. Im Falle längerfristiger Stressoren oder nachhaltiger Folgen auf einen Stressor werde aber ausdrücklich konstatiert, dass die Symptome in solchen Fällen - wie eben auch im vorliegenden Fall - auch persistieren könnten. Im Übrigen habe er nicht eine Anpassungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. April 2005 selbst, sondern als Folge der körperlichen und sozialen Folgen für den Kläger konstatiert. Nicht sofort, sondern etwa ab Januar 2006, hätten Beschwerden/Symptome als Reaktion auf den komplizierten Heilungsverlauf und die ärztliche Information, dass bleibende Defekte im rechten Bein mit deutlicher Einschränkung der Mobilität fortbestehen würden und der Kläger damit keine handwerkliche Tätigkeit mehr würde ausüben können, eingesetzt. Diese Problematik habe - zusammen mit anderen Einflussfaktoren - die Anpassungsstörung mittelbar ausgelöst.
Dem ist die Beklagte erneut entgegengetreten und hat hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. St vom 16. August 2011 übersandt. Dieser hat unter anderem ausgeführt, soweit der Sachverständige Dr. A ausführe, dass er die Anpassungsstörung nicht als Folge des Arbeitsunfalls, sondern als Folge der damit verbundenen körperlichen und psychosozialen Folgen gesehen habe, zeige gerade dies, dass die Anpassungsstörung in der Tat nicht Folge des Arbeitsunfalls sei. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. A, dass in der Folge einer unfallbedingt bleibenden Behinderung gegebenenfalls eine Anpassungsstörung zu diagnostizierten sei, weil sich gewisse Lebensbedingungen und die Befindlichkeit dadurch verändern würden, sei nicht nachzuvollziehen. Ausdrücklich sei die Anpassungsstörung auf ein Ereignis bezogen. Darüber hinaus würde die Auffassung des Sachverständigen Dr. A dazu führen, dass bei jedem chronisch Kranken oder bei jeder Verletzung, die bleibende Beeinträchtigungen hinterlasse, eine Anpassungsstörung zu diagnostizieren sei. Dies sei jedoch, wie epidemiologische Studien zeigen würden, sicher nicht der Fall und stelle seines Erachtens eine unerlaubte Erweiterung der Diagnose der Anpassungsstörung dar. Die nachvollziehbaren, subjektiven Beeinträchtigungen hinsichtlich Teilhabe und Befindlichkeit seien in den organischen Unfallfolgen und deren MdE-Bewertung bereits enthalten und bedürften nicht einer zusätzlichen Bewertung im Sinne einer Anpassungsstörung, nur weil jede unfallbedingte körperliche Veränderung auch zu einer Veränderung des Befindens führe.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27. März 2012 festgestellt, dass bei dem Kläger eine durch den Arbeitsunfall vom 5. April 2005 bedingte chronische Anpassungsstörung (F 43.28) vorliege und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 2. Januar 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. und ab dem 1. Februar 2008 nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, unter Berücksichtigung der im Unfallversicherungsrecht geltenden Grundsätze sei zur Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen, dass die gesundheitlichen Störungen des Klägers auf HNO-fachärztlichem Gebiet im Sinne einer wesentlichen Bedingung durch das Unfallereignis verursacht worden seien. Dies gelte sowohl für die erstmalige Entstehung dieser Beeinträchtigungen als auch für den Eintritt der wesentlichen Verschlimmerung einer vor dem Unfall bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigung. Insoweit folge die Kammer dem Gutachten der HNO-fachärztlichen Sachverständigen Dr. H. Dagegen habe die Beklagte zu Unrecht die beim Kläger bestehenden psychischen Beeinträchtigungen nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. April 2005 anerkannt. Nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten des Dr. A bestehe beim Kläger eine chronische Anpassungsstörung, die seit dem Januar 2006 feststellbar sei und sich in einer Affektstarre des Klägers und einer reduzierten Psychomotorik ausdrücke. Die Anpassungsstörung beruhe mittelbar auf dem Unfall. Der Kläger habe in seinem Lebensentwurf der handwerklichen Tätigkeit einen hohen Stellenwert beigemessen. Infolge des Unfalls habe er aber von seiner vormaligen Tätigkeit als Vorarbeiter/Einschaler endgültig Abstand nehmen müssen. Dies habe zu einem tiefen Einschnitt geführt, den er bis heute nicht verwunden habe, zumal die Verletzungsfolgen am Bein bis heute fortbestünden und seine Wegefähigkeit erheblich einschränken würden. Eine unzureichende Flexibilität, unter anderem aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse, trage dazu bei, dass sich der Kläger an die neue Lebenssituation nicht habe anpassen können. Die sonstigen Verursachungsbeiträge seien im Vergleich zum Unfall jedoch nur mit einem Anteil von ca. 30 % anzusetzen. Zwar könne nach dem ICD-10 eine Anpassungsstörung nur bis zu einer Zeit von zwei Jahren ab Auslösung diagnostiziert werden. Bei anhaltenden Belastungen bzw. Stressoren, wie vorliegend durch die körperliche Behinderung oder die Unmöglichkeit der Wiederaufnahme eines anderen handwerklichen Berufes, gebe es jedoch auch Fälle, in denen die Symptomatik durchaus persistieren könne. Der Unfall sei dabei als wesentliche Teilursache einzuschätzen. Auf psychiatrischem Gebiet sei eine MdE von 10 v. H. fortlaufend ab Januar 2006 zu bemessen. Dagegen lägen die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung eindeutig nicht vor, zumal der Kläger nicht unter Erinnerungen (Flashbacks) leide. Die Kammer halte das vorliegende Gutachten auch in Anbetracht der von der Beklagten vorgebrachten Kritik für logisch stringent, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Voraussetzungen einer Anpassungsstörung nach dem ICD-10 lägen vor. Dabei spreche nicht das Einsetzen der psychischen Auffälligkeiten erst ab Januar 2006 gegen die Diagnose Anpassungsstörung, denn nach Auffassung der Kammer reiche auch ein mittelbares Beruhen einer Unfallfolge auf dem Unfall aus, sofern diese noch eine wesentliche Bedingung darstelle. Eine wesentliche Bedingung liege wiederum dann vor, wenn der Unfall mit eigenständigem, nicht außer acht zu lassendem Gewicht an der Verursachung der eingetretenen Verletzung beteiligt gewesen sei, also nicht jede beliebige gleichartige Einwirkung (Gelegenheitsursache) in etwa zur gleichen Zeit zu im Wesentlichen vergleichbaren Folgen geführt hätte. Nach diesem Maßstab gehe die Kammer hier von einer wesentlichen Einwirkung aus, da ohne den Unfall der Verlust der körperlichen Arbeitsfähigkeit nicht eingetreten wäre. Die Mittelbarkeit der Schadensfolge werde vom Sachverständigen zutreffend so begründet, dass als maßgebliche Einwirkung hier auf das Bewusstwerden des dauerhaften Verlustes des ausgeübten Berufes abzustellen sei. Dies sei - wegen der dem Kläger schon nach dem Unfall verabreichten Psychopharmaka - vorliegend nicht einfach festzustellen. Die Kammer halte es jedoch für glaubhaft, dass dieser Bewusstseinswandel anlässlich des mehrwöchigen stationären Aufenthaltes des Klägers im November/Dezember 2005 wegen des komplizierten Heilungsverlaufes (Lockerung von Fixierungsmaterial) eingetreten sei. Hierfür spreche auch die zeitnächste Einschätzung der Psychologin P in ihrem Kurzgutachten im Verwaltungsverfahren vom 2. Mai 2006. Hierin habe der Kläger seine existenziellen Ängste und die zuvor eingetretene Arbeitslosigkeit bekundet, er habe seit dem Unfall alles verloren. Eine Anpassungsstörung könne auch länger als zwei Jahre vorliegen, wenn - wie hier - der auslösende Stressor fortbestehe (Verlust der Tätigkeit im ausgeübten Beruf wegen andauernder Schmerzen im rechten Bein). Die MdE für die psychische Erkrankung sei mit 10 v.H. zu bemessen und führe zu den aus dem Tenor ersichtlichen Gesamt-MdE-Wert.
Gegen das ihr am 10. April 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Mai 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Sozialgericht Berlin gehe zu Unrecht vom Vorliegen einer chronischen Anpassungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. April 2005 aus. Dagegen spreche zum einen, dass die Symptome einer Anpassungsstörung nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Unfall diagnostiziert worden seien. Zum anderen könne eine Anpassungsstörung lediglich bis zu einer Zeitdauer von max. 2 Jahren diagnostiziert werden. Der Umstand, dass die Anpassungsstörung auch heute noch vorhanden sein solle, also mehrere Jahre nach dem Unfallereignis, spreche gegen das Vorliegen einer Anpassungsstörung. Die Existenzängste des Klägers seien nicht Folge des Arbeitsunfalls, sondern vorrangig dessen psychosozialen und wirtschaftlichen Folgen beizumessen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2012 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. ) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Deshalb hat das Sozialgericht die Bescheide zu Recht abgeändert und dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. in der Zeit vom 2. Januar 2006 bis zum 31. Januar 2008 zugesprochen. In diesem Zeitraum liegt auch eine Anpassungsstörung als Unfallfolge vor. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2008 ist dagegen rechtmäßig. Nach dem 31. Januar 2008 liegt keine Anpassungsstörung mehr vor. Der Kläger hat nur Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Unzutreffend hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte ab 1. Februar 2008 zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. unter Anerkennung einer Anpassungsstörung als weiterer Arbeitsunfallfolge verurteilt. In diesem Umfang hatte die Berufung Erfolg.
Unstreitig hat der Kläger am 05. April 2005 einen Arbeitsunfall erlitten, den die Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 anerkannt hat. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, jeweils RdNr 5; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr 5; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, zitiert nach Juris).
Zutreffend hat die Beklagte in dem Bescheid vom 16. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 als Arbeitsunfallfolgen eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten oberen und unteren Sprunggelenks und des Zehenspiels des rechten Fußes, Muskelminderung des Oberschenkels und Schwellneigung der Sprunggelenksregion rechts nach unter Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose im rechten oberen Sprunggelenk verheiltem Unterschenkelbruch (Pilon tibiale-Fraktur) und Wadenbeinbruch rechts angesehen und mit Bescheid vom 10. Januar 2008 als Arbeitsunfallfolgen eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten oberen und unteren Sprunggelenks und des Zehenspiels des rechten Fußes, Muskelminderung des Oberschenkels und Schwellneigung der Sprunggelenksregion rechts nach unter Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose im rechten oberen Sprunggelenk verheiltem Unterschenkelbruch (Pilon tibiale-Fraktur) und Wadenbeinbruch rechts anerkannt. Diese Feststellungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden.
Die darüber hinaus bei dem Kläger diagnostizierte Anpassungsstörung, die sich aus dem Gutachten der Dr. P und des Dr. A ergibt, lässt sich zur Überzeugung des Senates nur für den Zeitraum vom 2. Januar 2006 bis 31. Januar 2008 teilursächlich auf den Arbeitsunfall zurückführen. Ab 1. Februar 2008 liegt eine auch nur teilursächlich unfallbedingte Anpassungsstörung nicht mehr vor.
Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels des Gesundheitserstschadens, z. B. bei einem Sprunggelenksbruch, der zu einer Versteifung führt, oder direkt, z. B. bei einer Amputationsverletzung, ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO; vgl. Krasney in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, Kapitel 1.5, S 24 f.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen.
Diese vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 09. Mai 2006 (Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach Juris) ausführlich dargelegten Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen.
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 RErforderlich ist aber jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht (BSG Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R;BSG Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R, zitiert nach Juris). Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit vgl. bspw.BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 Rzitiert nach Juris)
Zur Überzeugung des Senates hat der Kläger durch den am 05. April 2005 erlebten Arbeitsunfall die von der Beklagten bereits anerkannten Unfallfolgen erlitten. Die ebenfalls bei dem Kläger diagnostizierte Anpassungsstörung lässt sich zwar nicht hinreichend wahrscheinlich unmittelbar auf den Arbeitsunfall zurückführen. Dass das Unfallgeschehen selbst – der Sturz von einem Gerüst aus vier Metern Höhe – zu einer Anpassungsstörung geführt hat, lässt sich weder dem Gutachten der im Verwaltungsverfahren tätigen Dr. P noch dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A entnehmen. Die Anpassungsstörung ist allerdings vorübergehend als mittelbare Unfallfolge festzustellen. Der Sachverständige Dr. A führt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. Juli 2011 explizit aus, dass er nicht eine Anpassungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. April 2005 selbst, sondern als Folge der körperlichen und psychosozialen Folgen des Arbeitsunfalls konstatiert habe.
Soweit der Sachverständige Dr. A und ihm folgend das Sozialgericht Berlin eine Anpassungsstörung als mittelbare Arbeitsunfallfolge festgestellt hat, kann der Senat dem im Grundsatz folgen. Der Sachverständige Dr. A führt dazu aus, der Arbeitsunfall sei als wesentliche Teilursache für die psychiatrische Gesundheitsstörung anzusehen. Er habe eine dauerhafte körperliche Behinderung nach sich gezogen, so dass der Kläger, zu dessen Selbstbild stets sein Beruf und körperliche Arbeit gehört hätten, seine letzte berufliche Tätigkeit und auch eine handwerkliche Tätigkeit allgemein nicht mehr habe ausüben können. Daraufhin habe sich eine resignativ-depressive Entwicklung als Folge auf den Unfall eingestellt. Somit sei die psychische Gesundheitsstörung als mittelbare Unfallfolge im Rechtssinne einzustufen. Diese überzeugenden Feststellungen teilt auch der Senat.
Allerdings wurde bisher verkannt, dass die Anpassungsstörung nicht auf Dauer als mittelbare Unfallfolge anerkannt werden kann. Denn zum einen lassen die Diagnosemanuale ICD 10 und DSM IV die Diagnose einer Anpassungsstörung auf Dauer nicht zu, weil diese per definitionem vorübergehend ist. Zum anderen kann die Arbeitslosigkeit, die die Anpassungsstörung nach dem Gutachten des Dr. A wesentlich unterhalten soll, spätestens ab 1. Februar 2008 nicht mehr als unfallbedingt angesehen werden, so dass auch die auf der Beschäftigungslosigkeit beruhende Anpassungsstörung ab diesem Zeitpunkt nicht unfallbedingt sein kann.
Vorauszuschicken ist zunächst, dass es entgegen der Annahme von Prof. Dr. S in seinen beratungsärztlichen Ausführungen für die Beklagte keines Gesundheitserstschadens auf psychiatrischem Gebiet bedarf, um eine Anpassungsstörung als Unfallfolge anerkennen zu können. Der Feststellung eines Gesundheitserstschadens im Vollbeweis bedarf es nur zur Bejahung eines Arbeitsunfalls als Versicherungsfall. Für die Anerkennung weiterer Gesundheitsschäden ist es ausreichend, aber auch notwendig, dass diese im Sinne der Theorie von der wesentlichen Bedingung auf dem Unfallereignis beruhen. Dieser Ursachenzusammenhang ist – wie sonst auch - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Vorliegend kann es nach dem Gutachten des Dr. A nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet die wesentliche Ursache der Heilbehandlung waren, die sich letztlich als nicht geeignet erwiesen hat, diese Gesundheitsstörungen folgenlos zur Ausheilung zu bringen, und dass die diesbezügliche Erkenntnis des Klägers die Anpassungsstörung verursacht hat. In diesem Zusammenhang hat Dr. A den Verursachungsanteil der Unfallfolgen auf etwa 70% geschätzt.
Es überzeugt, dass der Kläger auf die Erkenntnis, trotz aller ärztlichen Bemühungen wegen der Unfallfolgen nicht mehr in seinem Beruf arbeiten zu können, mit psychischen Störungen reagiert, zumal der Beruf sein Selbstbild als tüchtiger zupackender Handwerker geprägt hat. Dass solche Reaktionen jedenfalls in nahem zeitlichem Zusammenhang mit Unfall und Heilbehandlung in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne als dadurch verursacht angesehen werden müssen, überzeugt. Denn der Unfall lässt sich nicht hinweg denken, ohne dass die Anpassungstörung entfällt (conditio sine qua non). Aber auch im wertenden Sinne der Wesentlichkeit kann der Ursachenzusammenhang nicht in Frage gestellt werden, denn nahezu jeder Mensch wird auf psychischem Gebiet reagieren, wenn er erfährt, dass er den geliebten Beruf wegen eines Unfalls nicht mehr ausüben kann. Einer besonderen Veranlagung zu einer solchen Reaktion bedarf es dazu nach Auffassung des Gerichts nicht. Dem entspricht es, wenn Dr. A dem Unfall einen Verursachungsanteil von 70% zuweist.
Steht somit fest, dass die Anpassungsstörung als Unfallfolge anerkannt werden kann, ist damit noch nicht über die Frage entschieden, ob diese auch auf Dauer als unfallbedingt angesehen werden kann. Dem hier gegenüber dem ICD 10 wesentlich umfangreicheren Manual DSM IV ist zu entnehmen, dass die Anpassungsstörung definitionsgemäß 6 Monate nach Beendigung der Belastung oder deren Folgen vorbei sein muss. Dauert die Belastung an, kann auch die Anpassungsstörung bestehen bleiben. Darauf haben Dr. A und Prof. Dr. S jedenfalls im Ergebnis übereinstimmend zu Recht hingewiesen.
Handelt es sich demnach im Grundsatz um eine vorübergehende Störung, besteht aus der Sicht des Senats Anlass, die Ursache der Störung besonders intensiv zu untersuchen, wenn sie ausnahmsweise auf Dauer anerkannt und entschädigt werden soll.
Zunächst steht fest, dass die Anpassungsstörung nicht unmittelbare Unfallfolge war, weil sie erst mit der Erkenntnis, wegen der Unfallfolgen den Beruf nicht mehr ausüben zu können, mittelbar aus den Unfallfolgen entstanden war. Daraus ist die Frage abzuleiten, welche Bedeutung diesem mittelbaren Verursachungsbeitrag im Hinblick auf die dauerhafte Aufrechterhaltung der Störung zukommt. Hier hat Dr. A nachvollziehbar und überzeugend begründet, dass die anhaltende Arbeits- und Beschäftigungslosigkeit die Anpassungsstörung unterhalten und damit zu ihrer Chronifizierung beigetragen hat. Dies ist auf medizinisch-psychiatrischem Gebiet ohne weiteres auch für den Senat nachvollziehbar.
Nicht zu folgen vermochte der Senat dem Vorschlag des Sachverständigen, deshalb die Anpassungsstörung als unfallbedingt auf Dauer anzuerkennen. Auch wenn sie zweifelsfrei aus der unfallbedingten Erkenntnis, den letzten Beruf nicht mehr ausüben zu können, entstanden ist, wird sie auf Dauer von Bedingungen unterhalten, die nicht mehr wesentlich unfallbedingt sind.
Zunächst ist hervorzuheben, dass auch Dr. A nicht behauptet hat, ein sich wieder und wieder erneuernder Erkenntnisprozess, an der früheren Arbeit gehindert zu sein, unterhalte die Anpassungsstörung. Vielmehr hat er hervorgehoben, dass die dauerhafte Beschäftigungslosigkeit die Anpassungsstörung nun weiter bedinge. In Anwendung der Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung lässt sich aber nicht feststellen, dass diese Beschäftigungslosigkeit als nach dem Sachverständigen wesentliche Bedingung der Anpassungsstörung noch unfallbedingt ist.
Die dauerhafte Beschäftigungslosigkeit hat ihre wesentliche Ursache jedenfalls nicht in den Unfallfolgen, auch wenn der Unfall im Sinne der Äquivalenztheorie eine Ursache der Beschäftigungslosigkeit bleiben mag (conditio sine qua non). Weder die Unfallfolgen auf orthopädischem noch auf psychiatrischem Gebiet stehen einer Tätigkeitsaufnahme auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegen. Sie verhindern nur eine Tätigkeitsaufnahme im Bauberuf.
Damit steht aber fest, dass die Beschäftigungslosigkeit an sich gerade nicht auf den Unfallfolgen beruht. Dies wäre im Sinne der Wesentlichkeit nur dann der Fall, wenn auch jede andere zumutbare Tätigkeit wegen der Unfallfolgen nicht aufgenommen werden könnte. Dafür besteht vorliegend nicht der geringste Anhalt. Zumindest leichte körperliche Arbeit im Sitzen oder im Wechsel der Haltungsarten ist dem Kläger angesichts der mit einer MdE von 20 v.H. bewerteten orthopädischen Gesundheitsstörungen zumutbar.
Der Kläger ist vielmehr deshalb weiter beschäftigungslos, weil er sich wegen seines Selbstbildes als leistungsfähiger Handwerker weigert, sein ohne Zweifel verbliebenes Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten. Das insoweit von Dr. festgestellte mangelnde Adaptionsvermögen und eine neurotische Reaktionsbereitschaft sind persönlichkeitsbedingt und keineswegs auf den Unfall zurückzuführen. Hinzu kommen trotz langjährigen Aufenthalts in Deutschland mangelnde Deutschkenntnisse, die einer Tätigkeitsaufnahme entgegenstehen und keineswegs in irgendeinem Zusammenhang mit dem Unfall stehen. Damit steht fest, dass nicht die Unfallfolgen Ursache der Arbeitslosigkeit und der fortbestehenden Anpassungsstörung sind.
Der Kläger kann sich auch nicht etwa aus Rechtsgründen darauf berufen, ihm sei es nicht zumutbar eine andere als die zuvor ausgeübte Tätigkeit aufzunehmen, so dass seine Arbeitslosigkeit – und damit die auf ihr beruhende Störung- aus Rechtsgründen unfallbedingt und damit zu entschädigen sei. Die Schadensbemessung in der gesetzlichen Unfallversicherung als Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist an abstrakte Grundsätze gebunden. § 56 Abs. 2 SGB VII schreibt für die MdE-Bewertung vor, dass die geminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu ermitteln sind. Es kommt also für die Höhe der Verletztenrente gerade nicht darauf an, ob der letzte Beruf vor dem Unfall noch ausgeübt werden kann. Dieser das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung prägende Grundsatz würde in Frage gestellt, wenn sich nun Gesundheitsstörungen auf die Höhe der Rente auswirkten, die nur deshalb als unfallbedingt anerkannt werden könnten, weil sie „nur“ die Ausübung des bisherigen Berufs unmöglich machten.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber nur in den Fällen eines besonderen beruflichen Betroffenseins anerkannt (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII). Hier handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle, wie z.B. den Klaviervirtuosen, der ein Fingerglied verliert. Nicht einmal Verletzungen von Berufsfußballspielern, die nach einer Verletzung nicht mehr spielen können, fallen unter diese Ausnahmekonstellation. Bei einem auf dem Bau tätig gewesenen Versicherten kommt diese Ausnahmevorschrift schon grundsätzlich nicht zur Anwendung. Die Verletztenrente im vorliegenden Fall kann nun nicht über den „Umweg“ einer berufsbezogenen Kausalitätsbetrachtung erhöht werden.
Ganz allgemein sind einer arbeitslosen Person in der Bundesrepublik Deutschland nach § 140 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch alle ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit nicht allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung entgegenstehen. Das Vorliegen einer Unfallverletzung schränkt die Zumutbarkeit nicht ein.
Damit stand für den Senat im Ergebnis fest, dass die Anpassungsstörung hier nur vorübergehend für eine Zeit von etwa 2 Jahren nach dem sie verursachenden Ereignis - die Erkenntnis, den alten Beruf nicht mehr ausüben zu können - anerkannt werden konnte (zur Dauer der Anerkennung von 2 Jahren vergleiche: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 2010. Seite 143).
Bei der Bildung der MdE war die Anpassungsstörung ausnahmsweise additiv zu den orthopädischen Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, da sie diese wegen der oben dargestellten Kausalzusammenhänge in ihren Funktionauswirkungen deutlich über ein normales Maß hinaus verstärkt hat.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.