Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Familienleistungsausgleich ab Mai 2004 für das Kind

Familienleistungsausgleich ab Mai 2004 für das Kind


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 28.11.2013
Aktenzeichen 5 K 5141/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 12.03.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.03.2011 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin  abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte das Kindergeld für den am 30.3.1989 geborenen Sohn B… der Klägerin anteilig zurückfordern durfte.

Die in Polen gebürtige Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie zog im Jahre 1981 nach C…. Seit dem Jahr 1984 wohnte sie zur Untermiete bei Frau D…, einer Freundin ihres Vaters. Nach der Geburt ihres Sohnes B… beantragte sie am 30.6.1989 Kindergeld für diesen. Mit Kassenanordnung vom 17.7.1989 gewährte die Kindergeldkasse  bei dem Arbeitsamt C… fortlaufend Kindergeld. Die Ehe der Klägerin mit dem Kindesvater, Herrn E…, einem polnischen Staatsangehörigen, wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts F… (Österreich) vom 15.1.1989 geschieden.

Im Jahr 1994 nahm die Klägerin das Angebot an, bei einer Filmproduktion in G… mitzuwirken und hielt sich in den folgenden Jahren wiederholt für mehrere Monate in Polen auf. Ihren Sohn, der sich seinerzeit im Vorschulalter befand, meldete die Klägerin bei der Deutschen Schule in G… an. B… wohnte seit dem Jahr 1995 bei der Mutter der Klägerin in G….

In den jährlich auszufüllenden Fragebögen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld gab die Klägerin weiterhin an, dass sich ihr Sohn B… in C… aufhalte. Nachdem die Klägerin im Jahr 2007 eine Schulbescheinigung einer allgemeinbildenden Schule in G… eingereicht hatte, forderte die Beklagte die Klägerin mehrfach erfolglos auf, einen Fragebogen zur Überprüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderfeld sowie die Vordrucke E 401 und 402 ausgefüllt einzureichen sowie die vollständige Anschrift des Kindesvaters mitzuteilen. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 2.7.2007 erklärte die Klägerin, dass ihr Sohn bei der Großmutter in Polen lebe. Die Anschrift des Kindesvaters kenne sie nicht, da ein Kontakt zu diesem nicht bestehe. Ihr Sohn habe durchgängig die Schule in Polen besucht. Schriftsätzlich teilte die Klägerin weiter mit, dass sie der Beklagten die Anmeldungen und Schulbescheinigungen stets vorgelegt habe. Ihr Sohn habe sich in den Ferien regelmäßig in C… aufgehalten. Ausweislich einer Bescheinigung der für den Wohnort des Kindes örtlich zuständigen Stelle (…) vom 12.2.2008 stellte die Mutter der Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Familienleistungen für den hier streitigen Zeitraum nicht (Bl. 96 der Kindergeldakte).

Mit Bescheid vom 12.3.2008 (Bl. 102 der Kindergeldakte) hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld mit Wirkung zum 1.5.2004 auf, da nicht nachgeprüft werden könne, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe. Zugleich forderte sie das in der Zeit vom Mai 2004 bis Februar 2007 gezahlte Kindergeld von der Klägerin zurück.

Mit ihrem Einspruch vom 10.4.2008 machte die Klägerin geltend, dass sie die Fragebögen E 401 und E 402 fristgemäß vorgelegt habe. Lediglich den Fragebogen zur Überprüfung des Anspruchs auf Kindergeld habe sie mit dem ausdrücklichen Hinweis nicht ausgefüllt, dass sie ab Februar 2007 einen Anspruch auf Kindergeld nicht mehr habe geltend machen wollen. Seit Anfang 2007 stehe fest, dass ihr Sohn weiterhin in Polen leben, dort jedoch nicht mehr die Schule besuchen werde. Die Klägerin erklärte weiter, dass sie seit dem Jahre 2000 arbeitslos gemeldet sei und Geldleistungen des Arbeitsamtes wegen Arbeitslosigkeit beziehe.

Unter dem 10.3.2011 änderte die Beklagte den Aufhebungsbescheid dahin gehend, dass er für den Zeitraum Mai 2004 bis Februar 2007 Kindergeld i. H. v. 77 € monatlich festsetzte. Mit Entscheidung vom 23.3.2011 wies die Beklagte den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 Einkommensteuergesetz – EStG – für einen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch in Deutschland erfülle. Für das Kind bestehe jedoch zugleich in einem anderen Staat der Europäischen Union, nämlich in Polen, ein Anspruch auf Kindergeld. Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-Staaten nach den Regelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern [VO (EWG) Nr. 1408/71 – im Folgenden: VO] und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 (im Folgenden: DVO).

Die Konkurrenz zwischen Kindergeldansprüchen in Deutschland und in den Mitgliedstaaten der EU werde durch Art. 6 und Art. 70 bis 79 VO und Art. 10 DVO aufgelöst. Der Zweck dieser Vorschriften bestehe darin, funktionsgleiche Doppelleistungen in verschiedenen Staaten zu vermeiden. Während Art. 76 VO anzuwenden sei, wenn der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig sei, regele Art. 10 DVO die Fälle des im Wohnland des Kindes nicht von einer Erwerbstätigkeit abhängigen Anspruchs.  Aus den Artikeln 76 bis 79 VO und Art. 10 DVO lasse sich folgende Rangfolge für Kindergeldansprüche herleiten:

1. Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes, wenn dort von einer anspruchsberechtigten Person eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde,

2. Kindergeldanspruch in dem Staat, in dem eine anspruchsberechtigte Person eine Erwerbstätigkeit ausübe,

3. Kindergeldanspruch von Rentnern und Waisen,

4. Sonstige Ansprüche.

Sei nach den Ziffern 1. und 2. der Anspruch in einem anderen Staat vorrangig, werde der deutsche Kindergeldanspruch in Höhe der ausländischen Familienleistung ausgesetzt. Es könnten dann allenfalls Differenzbeträge zwischen einem eventuell niedrigeren ausländischen Kindergeld und dem deutschen Kindergeld ausgezahlt werden.

Die Konkurrenzregelungen der Art. 76 bis 79 VO und des Art. 10 DVO seien nicht anwendbar, weil keine anspruchsberechtigte Person in Deutschland eine Erwerbstätigkeit ausübe und keine anspruchsberechtigte Person in einem anderen EU-/EWR-Staat oder der I… eine Erwerbstätigkeit im Sinne des Beschlusses Nr. 207 der EG-Verwaltungskommission ausübe und auch ein Kindergeldanspruch für Rentner oder Waisen nicht streitig sei. Die Klägerin halte sich in Deutschland auf und gehe weder einer selbständigen noch einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Sie beziehe Arbeitslosengeld II und sei daher nicht aufgrund einer Arbeitnehmertätigkeit sozialversicherungspflichtig. Sie falle nicht unter den Arbeitnehmerbegriff im Sinne der VO. Da der Kindesvater sich nach Angaben der Klägerin in Polen aufhalte und die Mutter der Klägerin nach den Angaben der polnischen Verbindungsstelle einen Antrag auf polnische Familienleistung nicht gestellt habe, könne nicht festgestellt werden, ob der Kindesvater oder die Großmutter eine Erwerbstätigkeit in Polen nachgingen. Dabei handele es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache, die von der Einspruchsführerin darzulegen und zu beweisen sei. Mangels entsprechender Angaben sei davon auszugehen, dass der Kindesvater und die Großmutter eine Erwerbstätigkeit nicht ausübten.

Die Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Anspruch und dem Anspruch in Polen sei nach Art. 12 VO i. V. m. Art. 7 Abs. 1 DVO zu lösen. Nach Art. 7 Abs. 1 DVO seien Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden könnten, durch die Zahl der zu kürzenden Leistungen zu teilen. Hier stehe neben dem deutschen Kindergeld auch noch Kindergeld in einem weiteren EU-Staat zu. Bei zwei Familienleistungen, die sich nach nationalen Rechtsvorschriften gegenseitig ausschlössen – wie hier nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG –, sei nach Art. 7 Abs. 1 DVO deutsches Kindergeld nur zur Hälfte zu zahlen.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 70 Abs. 2 EStG. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung – AO –. Danach sei eine Steuervergütung zu erstatten, soweit sie ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. Die sei hier der Fall, weil ein Anspruch nicht bestanden habe und die Kindergeldfestsetzung deshalb insoweit aufgehoben worden sei.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass ihr Sohn seit dem Jahr 1995 in Polen zur Schule gegangen sei, da sie, die Klägerin, aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit immer wieder im Ausland beschäftigt gewesen sei. In G… sei ihr Sohn von ihrer Mutter betreut worden. Sie, die Klägerin, habe nicht die Absicht gehabt, ihren Sohn dauerhaft bei ihrer Mutter unterzubringen. Vielmehr habe sie ihren Wohnsitz gemeinsam mit ihrem Sohn in C… beibehalten. Nachdem ihr Sohn im Februar 2007 volljährig geworden sei, habe sie Kindergeld nicht mehr beansprucht, da ihr Sohn einen ständigen Wohnsitz in Polen begründet habe. Sie habe gegenüber der Beklagten jederzeit offen gelegt, wo ihr Sohn gelebt habe. In ihren Steuererklärungen habe sie alle Umstände dargelegt. Im Zuge der Veranlagung zur Einkommensteuer sei der Kinderfreibetrag stets angerechnet worden. Sie die Klägerin, müsse deshalb Vertrauensschutz genießen. Es gehe nicht an, dass der Staat seine Leistungen rückwirkend zurückfordere, obwohl die Leistungen unter Angabe sämtlicher tatsächlicher Umstände rechtmäßig erbracht worden seien.

Entgegen der Annahme der Beklagten habe sie, die Klägerin, seit 31 Jahren in C… gelebt. Sie habe während des gesamten Zeitraums, in dem sie Kindergeld bezogen habe, in Deutschland gelebt und Einkommensteuer gezahlt.

Die Klägerin beantragt,

ihr unter Aufhebung des Rückforderungsbescheides Kindergeld für den Sohn B… für den Zeitraum Mai 2004 bis einschließlich Februar 2007 in voller Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

      die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Einspruchsentscheidung und macht ergänzend geltend, sie sei zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen, dass sie in dem hier streitigen Zeitraum noch einen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe. Da die Klägerin jedoch bereits seit dem Jahr 2000 einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgegangen sei, falle sie nicht unter den Geltungsbereich der VO. Die überstaatlichen Konkurrenzvorschriften sähen eine Zahlung von hälftigem Kindergeld nur dann vor, wenn die Klägerin selbst nach § 62 Abs. 1 EStG anspruchsberechtigt gewesen wäre. Es sei fraglich, ob die Klägerin noch einen Wohnsitz in Deutschland habe und wann sie diesen aufgegeben habe. Da sie seit dem Jahr 2000 nicht mehr erwerbstätig gewesen sei, sei fraglich, aus welchem Grund die Klägerin ohne ihre Familie allein in C… gelebt haben wolle.

Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte die Kindergeldakte der Familienkasse vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Familienkasse Sachsen der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff, Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Familienkasse C… eingetreten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 3.3.2011, V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Rückforderung des Kindergelds für den Zeitraum Mai 2004 bis Februar 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).

Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine Steuervergütung zu erstatten, soweit sie ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das streitige Kindergeld der Klägerin nicht rechtsgrundlos gewährt worden, da ihr ein Anspruch auf deutsches Kindergeld für ihr Kind B… zusteht.

Die Klägerin ist nach deutschem Recht Kindergeldberechtigte, weil sie nach ihren Ausführungen im Erörterungstermin vom 19.7.2013, denen die Beklagte nicht entgegen getreten ist, ihren Wohnsitz im Inland hat und demgemäß unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-). Die Klägerin hat Anspruch auf deutsches Kindergeld für ihren Sohn B…, weil dieser im hier streitigen Zeitraum von Mai 2004 bis einschließlich Februar 2007 noch minderjährig war und in Polen als einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft seinen Wohnsitz hatte (§ 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 und 3 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG).

Der Kindergeldanspruch der Klägerin wird nicht nach § 65 Abs. 1 EStG ausgeschlossen, da Anhaltspunkte dafür, dass der Kindesvater oder die Mutter der Klägerin, die das Kind betreut hat, in Polen Familienleistungen für das Kind bezogen haben, nicht ersichtlich sind.

Auch bei entsprechender Antragstellung hätte der Kindesvater einen Anspruch auf polnisches Kindergeld nicht gehabt. Die Anspruchsvoraussetzungen in Polen sind nicht erfüllt.

Nach dem "Ustawa z dnia 28.11.2003 r. o świadczeniach rodzinnych", dem polnischen Gesetz vom 28.11.2003 über Familienleistungen (nachfolgend: FamLstgG-PL) wird Kindergeld an ein Elternteil gezahlt, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens 504,- PLN beträgt, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1, Art. 5 Abs. 1 FamLstgG-PL. Als Familieneinkommen gilt das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht, Art. 3 Abs. 2 FamLstgG-PL. Als Beihilfezeitraum gilt dabei der Zeitraum vom 1. September bis zum 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird, Art. 3 Abs. 10 FamLstgG-PL. Nach Art. 3 Abs. 16 FamLstgG-PL zählen zur Familie nicht nur Ehegatten, sondern auch Eltern der Kinder. Ausgehend von drei Personen stellt hier ein Betrag von (504 x 3 =) 1.512,- PLN die maßgebliche monatliche Einkommensgrenze dar. Diese ist im Streitfall überschritten, weil das durchschnittliche monatliche Einkommen der Klägerin von 713,80 € unter Zugrundelegung eines Umrechnungskurses in den letzten 12 Monaten von 1 € = 4,05 - 4,35 PLN bei mindestens 2.890 PLN lag. Auch wenn nur der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382 € berücksichtigt würde, beliefen sich die Einkünfte der Klägerin auf mindestens 1.547 PLN und lägen somit über der Einkommensgrenze.

Ein Anspruch der Großmutter, die B… im fraglichen Zeitraum betreut hat, auf polnische Familienleistungen scheitert schon daran, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass diese einen Antrag auf Adoption des Kindes beim Familiengericht gestellt hat. Polnische Familienleistungen werden an den tatsächlichen Betreuer des Kindes nur dann gezahlt, wenn er einen Antrag auf Adoption des Kindes beim Familiengericht gestellt hat (vgl. ZUS, Broschüre „Sozialversicherung in Polen – Informationen, Fakten“, Warschau, 2011, Seite 72).

Der Kindergeldanspruch der Klägerin ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Kindergeld nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGG vorrangig an die Mutter der Klägerin zu zahlen wäre, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat.

Anspruchsberechtigt i. S. d. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGG können nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG oder des § 1 Nr. 1 bis Nr. 4 BKGG erfüllen. Dies ist bei der in Polen lebenden Großmutter von B… nicht der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter der Klägerin einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätte, nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt würde oder nach § 1 Abs. 1 BKGG anspruchsberechtigt wäre.

Der nach nationalem Recht gegebene Anspruch auf Kindergeld ist auch nicht aufgrund der Regelungen in Art. 76 VO oder Art. 10 DVO auf 77 Euro zu kürzen.

Nach Art 76 Abs. 1 VO ruht ein Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gemäß Art. 73 VO geschuldeten Familienleistungen (Art. 1 Buchstabe u Ziffer ii, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO) bis zu dem in den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag, wenn für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit vorgesehen sind. Wird in diesem Mitgliedstaat kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Anspruch ganz oder teilweise ruht, Art. 76 Abs. 1 VO anwenden, als ob Leistungen in dem anderen Mitgliedstaat gewährt würden (Art. 76 Abs. 2 VO). Gleiches gilt nach Art. 10 Buchstabe a DVO für den Fall, dass der Anspruch auf die Familienleistung nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist.      Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht erfüllt, weil für das Kind der Klägerin  – wie dargelegt – in Polen ein Anspruch auf Familiengeld nicht besteht.

Die Festsetzung von Kindergeld lediglich in Höhe der Hälfte des gesetzlich vorgesehenen Betrags lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht auf Art. 12 Abs. 2 VO i. V. m. Art. 7 Abs. 1 DVO stützen.

Art. 7 Abs. 1 DVO sieht für den Fall, dass nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten geschuldete Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können, vor, dass Beträge, die bei strenger Anwendung der in den Rechtsvorschriften der betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehenen Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen nicht ausgezahlt werden können, durch die Zahl der zu kürzenden, zum Ruhen zu bringenden oder zu entziehenden Leistungen geteilt werden.

Auch diese Bestimmung ist nicht anwendbar, weil mangels Anspruchs der Klägerin auf Kindergeld für B… in Polen keine Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten eingreifen, nach denen die geschuldeten Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können. Vielmehr besteht ein Anspruch nur und ausschließlich nach deutschem Recht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortbildung des Rechts.