Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 19.06.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 N 38.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 124a Abs 3 S 4 VwGO, § 166 VwGO, § 114 S 1 ZPO, § 1 FreizügG/EU, § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU, § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU, § 2 Abs 2 Nr 5 FreizügG/EU, § 4 FreizügG/EU, § 4a FreizügG/EU, § 5 Abs 1 FreizügG/EU, § 5 Abs 5 FreizügG/EU, Art 45 Abs 3a AEUV, Art 45 Abs 3b AEUV |
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungszulassungsantrag wird abgelehnt.
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, da der Zulassungsantrag nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO).
Mit dem Zulassungsantrag wendet sich die Klägerin sowohl gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU sei schon nicht eröffnet, weil der Ehemann der Klägerin nicht mehr polnischer Staatsangehöriger sei, als auch gegen die weitere Begründung des angefochtenen Urteils.
1. Soweit sich der Zulassungsantrag gegen die Annahme richtet, der Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU sei nicht eröffnet, weil der Ehemann der Klägerin die polnische Staatsangehörigkeit verloren habe und deshalb kein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union (§ 1 FreizügG/EU) mehr sei, muss über das Zulassungsvorbringen nicht entschieden werden.
Die Klägerin macht insoweit unter I.1 und III. der Begründung ihres Zulassungsantrages vom 8. Mai 2012 sowohl ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) als auch einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Ob diese Zulassungsgründe vorliegen, kann jedoch offen bleiben, denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung daneben selbständig tragend darauf gestützt, selbst wenn man unterstelle, der Ehemann sei auch noch polnischer Staatsangehöriger, könne hieraus keine Freizügigkeit abgeleitet werden. Gegenüber dieser Begründung hat die Klägerin, wie im Folgenden (unter 2.) auszuführen sein wird, keine durchgreifenden Zulassungsgründe dargelegt. Der auf den vermeintlichen Verlust der polnischen Staatsangehörigkeit des Ehemannes abstellende Teil der Begründung kann somit hinweg gedacht werden, ohne dass sich am fehlenden Erfolg des Zulassungsantrags etwas ändert.
2. Die gegen die weitere Begründung des angefochtenen Urteils geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch.
a) Ohne Erfolg leitet die Klägerin (unter I.2 der Begründung des Zulassungsantrags) ernstliche Richtigkeitszweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) daraus ab, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, der Sachverhalt weise keinen ausreichenden unionsrechtlichen Bezug auf, und macht geltend, ihr Ehemann habe selbstverständlich auch vor seiner Einbürgerung von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, denn er habe sich als polnischer Staatsangehöriger auch zum Zweck der Arbeitssuche im Bundesgebiet aufgehalten. Er sei deshalb gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt.
Die Klägerin hat damit nicht entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO dargelegt, dass ihr Ehemann die Voraussetzungen für ein Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alternative FreizügG/EU i.V.m. Art. 45 Abs. 3 Buchst. a) und b) AEUV) erfüllt oder über einen für den Erwerb eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts (§ 4a AufenthG) ausreichenden Zeitraums erfüllt hat.
Die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit umfasst nach Art. 45 Abs. 3 Buchst. a) und b) AEUV das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen. Das den Unionsbürgern danach zur Arbeitssuche im Bundesgebiet zustehende Aufenthaltsrecht unterliegt zwar unionsrechtlich keiner starren zeitlichen Beschränkung. Ebenso wenig hat die Bundesrepublik bisher im Freizügigkeitsgesetz/EU von dem grundsätzlichen Recht der Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht, hierfür einen angemessenen Zeitraum festzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. März 2004 – C-138/02 –, Collins, juris Rn. 37). Gleichwohl ist die Annahme eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche über den in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 26. Februar 1991 – C-292/89 –, Antonissen, juris Rn. 21) als grundsätzlich ausreichend anzusehenden Zeitraum von sechs Monaten hinaus nur dann gerechtfertigt, wenn der Unionsbürger nachweisen kann, dass er – was objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muss – weiterhin ernsthaft und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 10 C 13.2241 –, juris Rn. 5; Sächs. OVG, Beschluss vom 20. August 2012 – 3 B 202/12 –, juris Rn. 10; zu Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2012 – OVG 11 S 75.11 –, juris Rn. 9 f.; Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU Rn. 50).
Hieran gemessen genügt das Zulassungsvorbringen nicht, um annehmen zu können, der Ehemann der Klägerin halte sich freizügigkeitsberechtigt zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf oder habe dies in der Vergangenheit getan. Die Klägerin hat eine Arbeitssuche nur unbestimmt und ohne zeitliche Konkretisierung behauptet, jedoch keinerlei konkrete Bemühungen ihres Ehemannes um einen Arbeitsplatz dargelegt und belegt. Wenn er trotz seines langjährigen Aufenthalts keine Stelle gefunden hat, spricht dies entweder gegen eine nachhaltige ernsthafte Arbeitssuche oder dagegen, dass er noch die begründete Aussicht darauf hat, einen Arbeitsplatz zu finden. Dass er sich über einen Zeitraum von fünf Jahren (vgl. § 4a Abs. 1 FreizügG/EU) erfolglos, aber gleichwohl mit begründeter Aussicht auf Erfolg um eine Stelle beworben hat, kann ohnehin nicht plausibel angenommen werden.
Der Annahme des Verwaltungsgerichts, ihr Ehemann habe sich weder als Arbeitnehmer, Selbständiger noch als wirtschaftlich unabhängige Person freizügigkeitsberechtigt in Deutschland aufgehalten (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, erste Alternative, Nr. 2 und Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU), ist die Klägerin von vornherein nicht entgegengetreten.
Soweit sie geltend macht, ein grenzüberschreitender Sachverhalt liege bereits im Hinblick darauf vor, dass ihrem Ehemann ein Aufenthaltsrecht als Asylbewerber gewährt worden sei, legt sie nicht dar, inwieweit allein hierdurch ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht begründet worden sein sollte.
Ebenso wenig greift ihr Einwand durch, der Bezug von Sozialleistungen stehe dem Freizügigkeitsrecht nicht entgegen. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf den Sozialleistungsbezug des Ehemannes bezieht sich in der Sache auf die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts nicht erwerbstätiger Unionsbürger nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU und trifft insoweit zu, denn die Freizügigkeitsberechtigung dieses Personenkreises hängt nach § 4 FreizügG/EU davon ab, dass sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG vom 30. April 2004, ABl. L 158/77, ber. L 229/35).
b) Ernstliche Zweifel am Ergebnis der angegriffenen Entscheidung hat die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand (unter I.3) dargelegt, das Verwaltungsgericht habe ihren Antrag in dem Urteil nicht richtig wiedergegeben.
Vielmehr hat sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen zunächst mit dem auf Bescheinigung eines Aufenthaltsrechts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU gerichtete Klagebegehren auseinandergesetzt, indem es einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU (in der angefochtenen Entscheidung versehentlich zitiert als § 5 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) geprüft hat. Daneben hat es den weiter geltend gemachten Anspruch auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte (§ 5 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU) abgehandelt, indem es die Voraussetzungen eines Daueraufenthaltsrechts (§ 4a AufenthG) des Ehemannes der Klägerin verneint hat. Damit setzt sich die Klägerin nicht auseinander.
c) Den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat die Klägerin ebenfalls nicht dargelegt.
Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, so ist hierfür erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Die Klägerin hält (unter II. der Zulassungsbegründung) die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob ein deutscher Staatsangehöriger wie ihr Ehegatte, von dem sie ihr Freizügigkeitsrecht ableite, dem Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU und der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG unterfällt, wenn er zwar ursprünglich als Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates nach Deutschland gekommen ist, inzwischen aber durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat.
Diese Frage ist jedoch bereits deshalb nicht entscheidungserheblich, weil der Ehemann der Klägerin nach den von ihr nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits mehrere Jahre vor dem Beitritt Polens in Deutschland als Asylbewerber Aufnahme gefunden hat und deshalb seinerzeit als Drittstaatsangehöriger nach Deutschland gekommen ist. Unabhängig davon ist die aufgeworfene Rechtsfrage für das erstinstanzliche Urteil nicht entscheidungserheblich gewesen, weil das Verwaltungsgericht nicht tragend darauf abgestellt hat, dass der Ehemann der Klägerin neben seiner unterstellten polnischen Staatsangehörigkeit nunmehr auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sondern eine Freizügigkeitsberechtigung des Ehemannes maßgeblich mit der Begründung verneint hat, er habe nicht von einem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht, da er sich nicht als Arbeitnehmer, Selbständiger oder wirtschaftlich unabhängige Person in Deutschland aufgehalten habe. Eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung kann aber nur auf Rechts- oder Tatsachenfragen gestützt werden, die vom Verwaltungsgericht entschieden worden sind (vgl. Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 152).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).