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Entscheidung 3 S 52.19


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 22.08.2019
Aktenzeichen 3 S 52.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0822.3S52.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 53 Abs 3 SchulG BB, Art 29 Abs 1 Verf BB, § 5 SekIV BB, § 53 Abs 4 SchulG BB, Art 30 Abs 4 Verf BB, § 6 SekIV BB

Leitsatz

Ein besonderer Härtefall, der die vorrangige Aufnahme an der gewünschten Oberschule nach § 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1, Abs. 4 BbgSchulG rechtfertigt, muss aus Gründen der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 5. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht keinen besonderen Härtefall im Sinne von § 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 und Abs. 4 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz – BbgSchulG –) angenommen, überzeugt nicht. Ob ein Bewerber an der von ihm gewünschten Schule aufgenommen wird, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung, die als Abschluss des bei einer Übernachfrage durchzuführenden Auswahlverfahrens ergeht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2018 - OVG 3 S 86.18 - juris Rn. 3; zur Rechtslage in Berlin vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2017 – OVG 3 S 68.17 – juris Rn. 3). Tatsächliche Umstände, die ein Bewerber nach der Aufnahmeentscheidung erstmalig geltend macht, sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. Nur dies wird dem Sinn und Zweck des in § 53 Abs. 3 und Abs. 4 BbgSchulG normierten Aufnahmeverfahrens gerecht, durch das die Schulplatzvergabe bei einer Übernachfrage verbindlich und abschließend geregelt werden soll. Könnte sich ein Bewerber hingegen nach der Aufnahmeentscheidung erstmalig auf für die Vergabe relevante Umstände berufen, müsste das bereits abgeschlossene Aufnahmeverfahren unter Umständen wieder aufgenommen und erneut durchgeführt werden; dies gilt insbesondere dann, wenn es um vorrangig aufzunehmende Härtefälle (§ 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 und Abs. 4 BbgSchulG) oder um ebenfalls vorrangig aufzunehmende Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (§ 50 Abs. 2 BbgSchulG) geht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2017 - OVG 3 S 68.17 - juris Rn. 3 m.w.N.).

Demgegenüber folgt aus dem materiellen Recht nicht, dass Tatsachen, die erst nach der Anmeldung, aber vor der Auswahlentscheidung vorgebracht werden, bei dieser nicht zu berücksichtigen sind. Weder das Brandenburgische Schulgesetz noch die - auf der Grundlage des § 56 Satz 1 BbgSchulG erlassene - Verordnung über die Bildungsgänge in der Sekundarstufe I (Sek I-V) enthält eine derartige materielle Ausschlussregelung. Soweit den Eltern in § 5 Satz 1 und 2 Sek I-V, § 6 Abs. 2 Satz 2 Sek I-V bei der Anmeldung Mitwirkungspflichten auferlegt werden, sieht die Verordnung bei einem Verstoß hiergegen keine ausschließende Wirkung zu Lasten der Eltern vor. Vielmehr weist nach § 5 Satz 3 Sek I-V die Schulleiterin oder der Schulleiter darauf hin, dass sich die fehlende Mitwirkung zum Nachteil der Bewerberin oder des Bewerbers auswirken kann. Diese Hinweispflicht ginge ins Leere, wenn daraufhin nachgereichte Erklärungen und Belege im weiteren Auswahlverfahren nicht mehr zu berücksichtigen wären. Im Übrigen hat nach § 5 Satz 4 Sek I-V die Schule die ihr bekannten oder vorliegenden Tatsachen zu beachten. Auch das spricht dafür, dass besondere Härtefälle oder Gründe nicht zwingend schon bei der Anmeldung geltend gemacht werden müssen.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller zu 1. habe keinen vorrangigen Aufnahmeanspruch aufgrund eines besonderen Härtefalls im Sinne von § 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 und Abs. 4 BbgSchulG, ist jedenfalls in der Sache nicht zu beanstanden. Ein besonderer Härtefall setzt nach § 53 Abs. 4 Satz 1 BbgSchulG voraus, dass Umstände vorliegen, die den Besuch einer anderen als der gewünschten Schule unzumutbar erscheinen lassen. Solche Umstände haben die Antragsteller bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahlentscheidung, die die Antragsgegnerin zu 1. spätestens am 20. März 2019 (dem Datum des versagenden Bescheides der C...Oberschule) getroffen hat, gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. nicht hinreichend dargetan.

In dem Anmeldeformular zum Besuch einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule zum Schuljahr 2019/2020 hat die Antragstellerin zu 2. in der dort vorgesehenen Rubrik keine Angaben zum Vorliegen eines besonderen Härtefalls gemacht. Darüber hinaus hat sie in dem Anmeldeformular die Grund- und Gesamtschule L... als Zweitwunsch angegeben, was ein verständiger Dritter nur so auffassen kann, dass dem Besuch dieser ausdrücklich gewünschten Schule keine besondere Härte oder andere besondere Gründe entgegenstehen. Auch dem Schreiben der Antragstellerin zu 2. vom 7. Februar 2018, mit dem sie sich bei dem Antragsgegner zu 2. über eine Lehrerin an der Grundschule des Antragstellers zu 1. beschwerte, lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte entnehmen, dass diesem der Besuch der Grund- und Gesamtschule L... unzumutbar wäre. Gleiches gilt für das Gutachten der Grundschule zum Übergang in die Jahrgangsstufe 7 einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule über den Antragsteller zu 1., das sich nicht zu dem Besuch der genannten Grund- und Gesamtschule verhält.

Ein besonderer Härtefall ergibt sich ferner auch nicht aus dem Telefongespräch vom 13. Februar 2019 zwischen dem Lebenspartner der Antragstellerin zu 2. und der Antragsgegnerin zu 1. Da ein Härtefall einen vorrangigen Aufnahmeanspruch begründet und sich bei einer Übernachfrage nachteilig für andere Bewerberinnen und Bewerber auswirken kann, müssen die geltend gemachten Gründe schriftlich niedergelegt werden. Nur so ist verlässlich und hinreichend transparent nachvollziehbar, welche konkreten Umstände ein Bewerber angegeben hat, ob diese hinreichend belegt sind und ob deren Gewicht die Annahme eines besonderen Härtefalls rechtfertigt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Bewerber – wie hier – im Aufnahmeformular einen besonderen Härtefall nicht angegeben haben, obwohl die zu dessen Begründung später angeführten Umstände bereits im Zeitpunkt der Anmeldung vorlagen. Eine schriftliche Ergänzung oder Korrektur ihrer im Anmeldeformular gemachten Angaben haben die Antragsteller bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahlentscheidung nicht eingereicht.

Unabhängig davon bleibt der gegenüber nicht näher bezeichneten ehemaligen Mitschülern des Antragstellers zu 1. erhobene Mobbing-Vorwurf auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren weiterhin zu wenig konkret, um die Annahme eines besonderen Härtefalles zu begründen, der den gemeinsamen Schulbesuch des Antragstellers zu 1. mit diesen Schülern unzumutbar erscheinen ließe.

Auch der weitere mit der Beschwerde vorgebrachte Einwand, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Festlegung der Klassenfrequenz auf 25 Schüler an der C...Oberschule als zutreffend angesehen und damit gegen höherrangiges Recht verstoßen, greift nicht durch. Die Ansicht der Beschwerde, gemäß Art. 30 Abs. 4 der Verfassung des Landes Brandenburg (LVBbg) genieße der Schülerwunsch gegenüber allen sonstigen Auswahlkriterien absoluten Vorrang, kann nicht überzeugen. Ein absoluter Vorrang des Schülerwunsches besteht nicht, weil nach Art. 30 Abs. 4 LVBbg für die Aufnahme in weiterführende Schulen neben dem Wunsch der Erziehungsberechtigten auch Fähigkeiten, Leistungen und Neigungen des Schülers maßgebend sind. Es besteht kein Zwang zur Umsetzung aller Wünsche der Eltern, was faktisch auch unmöglich wäre (vgl. Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, 2012, Anm. 6 zu Art. 30). Das in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 3 in Verbindung mit Art. 30 Abs. 4 LVBbg normierte Recht auf Bildung gewährleistet zwar gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen, unabhängig von der wirtschaftlichen und sozialen Lage und der politischen Überzeugung, und garantiert ein einklagbares Teilhaberecht an den vorhandenen schulischen Kapazitäten im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften. Aus diesen verfassungsrechtlichen Regelungen folgt jedoch grundsätzlich kein subjektives Recht auf Aufnahme in eine bestimmte Schule oder auf Erweiterung bestehender Kapazitäten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. September 2018 – OVG 3 S 45.18 – juris Rn. 3; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 25. Februar 1999 – 41/98 – juris Rn. 28 f.).

Die darüber hinaus behaupteten Verstöße gegen Art. 29 Abs. 1 LVBbg sowie Art. 6, 12 und 80 des Grundgesetzes erläutert die Beschwerde nicht näher. Ferner setzt sie sich mit der ausführlich begründeten Auffassung des Verwaltungsgerichtes, es bestünden keine Bedenken gegen die Festlegung der Klassenfrequenz entsprechend dem Rundschreiben 3/17 des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 9. Februar 2017, wonach in Schulen, die - wie die Wunschschule der Antragsteller - als „Schule für Gemeinsames Lernen“ genehmigt worden seien, eine Klassenfrequenz von 25 Schülerinnen und Schülern nicht überschritten werden soll (Beschlussabdruck Seite 3-5), nicht hinreichend auseinander. Dies gilt sowohl für den Einwand, die hinter dem „Inklusionskonzept“ (Schule für gemeinsames Lernen) stehenden öffentlichen Zwecke und Ziele seien nicht ausreichend gewichtig, das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Antragsteller auf Wahl einer Schule zu verdrängen, als auch für die Behauptung, ein sachlicher Grund für Kapazitätsunterschiede bei „Schulen für gemeinsames Lernen“ einerseits und anderen Schulen der Sekundarstufe 1 andererseits sei nicht erkennbar. Im Übrigen liegt auf der Hand, dass das gemeinsame Unterrichten von Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf eine - hier ohnehin nur um einen Schulplatz - niedrigere Klassenfrequenz als das Unterrichten von Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf angezeigt erscheinen lässt. Da der Anspruch auf gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten besteht, trifft auch der weitere Vorhalt der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe „die Darlegungs- und Beweislast, wie sie für Grundrechtsbeschränkungen der vorliegenden Art gilt, in ihr Gegenteil“ verkehrt, nicht zu.

Soweit die Beschwerde unter Berufung auf das Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Werder (Havel) vom 29. Januar 2008, wonach die Aufnahmekapazität für das Schuljahr 2008/2009 an der C...Oberschule auf 26 Schüler pro Klasse festgelegt wurde, meint, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer Klassenfrequenz von 25 Schülern ausgegangen, kommt diesem Schreiben für das Schuljahr 2019/2020 keine entscheidende Bedeutung zu. Für dieses Schuljahr hat der Antragsgegner zu 2. mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 mitgeteilt, an dieser Oberschule als Schule für gemeinsames Lernen sei die Klassenfrequenz auf maximal 25 Schülerinnen und Schüler festgelegt.

Ferner macht die Beschwerde ohne Erfolg geltend, das Auswahlverfahren, wonach der größte Teil der Schulplätze unter Berücksichtigung der Wohnortnähe oder der Schulnoten vergeben werde, verstoße gegen das in Art. 29 Abs. 1 LVBbg verankerte sog. „Verbot einer positiven Auslese“. Insoweit wird schon nicht deutlich, inwiefern aus der Gewährleistung des Rechts auf Bildung in Art. 29 Abs. 1 LVBbg ein „Verbot einer positiven Auslese“ folgt; § 53 Abs. 5 BbgSchulG, auf den die in Bezug genommene Antragsschrift vom 10. Juni 2019 hinweist, betrifft die Eignung für den sechsjährigen Bildungsgang an Gymnasien, nicht hingegen die hier streitige Aufnahme an eine Oberschule. Unabhängig davon setzt die Beschwerde sich nicht substantiiert mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass die Schulplätze an der C...Oberschule nach vorrangiger Berücksichtigung von sechs Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und von 30 Schülern, die bereits die angegliederte Primarstufe besuchten, allein nach der Nähe der Wohnung zur Schule vergeben wurden, sondern bezeichnet eine Auswahl nach Schulortnähe angesichts der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Aufstellung aller fraglichen Schulplatzbewerber als „nachvollziehbar“. Soweit die Beschwerde rügt, dass „mindestens fünf Schüler“ an der C...Oberschule aufgenommen worden seien, die diese Schule lediglich als Zweitwunsch gewählt hätten, während er sie als Erstwunsch angegeben habe, ist auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Sek I-V hinzuweisen, wonach der Erstwunsch der Eltern gegenüber dem Zweitwunsch anderer Eltern nicht vorrangig zu berücksichtigen ist.

Die Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg vom 25. November 2014 (OVG 3 B 8.14) und 19. Dezember 2018 (OVG 3 M 79.18), auf die die Beschwerde verweist, beziehen sich auf Vorschriften des Berliner Schulrechts. Die Beschwerde legt nicht hinreichend dar, inwieweit diese Vorschriften mit den hier streitentscheidenden Normen vergleichbar sind und zur Klärung der hier streitigen Fragen beitragen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).