Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 25.02.2016 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 8.16 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 31 Abs 4 S 2 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die 1952 geborene vietnamesische Antragstellerin reiste 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein, durchlief hier erfolglos ein Asylverfahren, wurde in der Folgezeit geduldet und erhielt, nachdem sie im August 1999 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet hatte, noch im selben Monat eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, die mehrfach, zuletzt bis zum 13. Juni 2014 verlängert wurde. Nachdem der Ehemann der Antragstellerin im Januar 2013 verstorben war, erteilte ihr der Antragsgegner am 17. Juli 2014 eine ein Jahr gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG und klärte die eine Witwenrente i.H.v. seinerzeit 141,73 € sowie ergänzende Leistungen nach dem SGB II beziehende Antragstellerin darüber auf, dass sie bis dahin ihren Lebensunterhalt selbständig sichern müsse. Durch Bescheid vom 24. Oktober 2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis ab, drohte ihr die Abschiebung an und befristete die Wirkung einer eventuellen Abschiebung. Mit Beschluss vom 12. Januar 2016 hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2015 erhobenen Klage (VG 10 K 498.15) anzuordnen, hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung anzuweisen, den Aufenthalt der Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu dulden. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil ihre gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu berücksichtigende Begründung eine Änderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigt.
Die Antragstellerin macht geltend, das Verwaltungsgericht gehe unzutreffend davon aus, dass ihr Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Sie sei seit dem 9. Oktober 2015 als Vollzeitkraft als Küchenhilfe mit einem Verdienst von 950 € brutto angestellt und zusätzlich seit dem 1. November 2015 als Küchenaushilfe mit einem Verdienst von 350 € teilzeitbeschäftigt. Daneben beziehe sie Witwenrente i.H.v. 144 € monatlich. In Anbetracht dessen, dass sie keinerlei Unterhaltspflichten treffen würden und die Wohnungsmiete i.H.v. 450 € mit einem Untermieter geteilt werde, was von der Hausverwaltung genehmigt worden sei, sei ihr Lebensunterhalt seit dem 1. November 2015 gesichert und könne ausgeschlossen werden, dass sie während ihres weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet öffentliche Leistungen beziehen werde. Es sei nicht sachgerecht, dass das Verwaltungsgericht auf ihre zurückliegende Erwerbsbiografie und den über 15 Jahre dauernden Bezug von Sozialleistungen ohne eigene (nachgewiesene) Erwerbstätigkeit abgestellt habe, denn sie sei von 1992 bis 1999 nicht im Besitz einer Arbeitserlaubnis gewesen und habe in dem anschließenden Zeitraum bis 2013 ihren Ehemann gepflegt, weil dieser betreuungsbedürftig und deswegen an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert gewesen sei.
Diese Einwände greifen nicht durch. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Hauptantrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, mit der sie u.a. die Verpflichtung des Antragsgegners zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis erstrebt. Die insoweit allein in Rede stehende Anspruchsgrundlage des § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG setzt unter anderem voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht bleiben. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 10/12 –, juris, Rn. 13). Dass dies hier der Fall wäre, kann auch in Ansehung der Beschwerdebegründung nicht angenommen werden. Zwar mag die Antragstellerin aufgrund ihrer derzeit erzielten Erwerbseinkünfte in Höhe von insgesamt 1105,48 € netto (1300 € brutto) zuzüglich der von ihr bezogenen Witwenrente gegenwärtig in der Lage sein, ohne Bezug schädlicher öffentlicher Mittel ihren Lebensunterhaltsbedarf zu bestreiten. Jedoch handelt es sich bei dem von ihr erzielten Erwerbseinkommen anders als bei der von ihr bezogenen, zur alleinigen Deckung des Unterhaltsbedarfs viel zu geringen Witwenrente nicht um nachhaltige Einkommensquellen. Dagegen spricht, wie das Verwaltungsgericht zurecht angenommen hat, schon ihre bisherige Erwerbsbiografie. Ihre langjährige Erwerbslosigkeit wäre für die anzustellende Prognose auch dann nicht ohne Belang, wenn sie der Antragstellerin nicht anzulasten wäre. Hiervon abgesehen hat die Antragstellerin ihre Behauptung, sie sei von 1999-2013 durch die Pflege ihres Ehemannes, der betreuungsbedürftig gewesen sei, an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert gewesen, nicht glaubhaft gemacht. Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Krankenhausberichte betreffen überhaupt nur die Jahre 2009 und 2012 und belegen weder eine Pflegebedürftigkeit ihres verstorbenen Ehemannes noch die Erbringung einer solchen Pflege durch die Antragstellerin. Überdies blieb die Antragstellerin auch nach dem Versterben ihres Ehemannes im Januar 2013 weiterhin erwerbslos und nahm die von ihr geltend gemachten Erwerbstätigkeiten in dem einen Fall erst auf, nachdem der Antragsgegner sie bereits im August 2015 zur beabsichtigten Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis angehört hatte, in dem anderen Fall sogar erst nach Erlass des Versagungsbescheides vom 24. Oktober 2015. Dies legt es nahe, dass die Antragstellerin sich hierbei verfahrensangepasst verhalten hat und auch deshalb eine belastbare Prognose, sie werde auf Dauer in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu decken, nicht gerechtfertigt ist. Darüber hinaus ist hier wesentlich zu berücksichtigen, dass die mittlerweile 64-jährige Antragstellerin in überschaubarer Zeit das regelmäßige Renteneintrittsalter erreichen wird und dass ihr Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach dem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 3. Juli 2012 bei bestehender Belastungseinschränkung des Bewegungsapparates eingeschränkt ist. Insoweit erscheint schon fraglich, ob die von der Antragstellerin gegenwärtig ausgeübten Tätigkeiten als Küchenhilfe bzw. Küchenaushilfe ständig leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten darstellen, die sie nach dem genannten Gutachten noch verrichten kann. Jedenfalls sprechen sowohl das Lebensalter der Antragstellerin als auch ihre gesundheitlichen Einschränkungen dafür, dass ihre Belastbarkeit und ihre Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt künftig noch weiter abnehmen werden. Da die Witwenrente der Antragstellerin zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht annähernd ausreicht und sie zu weiteren eigenen Rentenansprüche selbst nichts vorträgt, ist die erforderliche Prognose einer nachhaltigen Unterhaltssicherung nicht gerechtfertigt.
Die Beschwerdebegründung rechtfertigt auch nicht die Annahme eines Ausnahmefalls von der Regelerteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, insbesondere allein der langjährige und seit 1999 rechtmäßige Aufenthalt der Antragstellerin in Deutschland reiche nicht aus, um einen Ausnahmefall aufgrund eines unverhältnismäßigen Eingriffs in das von Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf Privatleben zu begründen. Mit Blick darauf, dass die verwitwete und kinderlose Antragstellerin erst im Alter von 40 Jahren nach Deutschland eingereist sei, seien keine rechtlich relevanten Bindungen zu Deutschland erkennbar, die eine Ausreisepflicht unverhältnismäßig erscheinen ließen. Vielmehr habe die Antragstellerin den Großteil ihres Lebens in Vietnam verbracht, so dass es ihr auch zumutbar sei, dorthin wieder auszureisen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Antragstellerin rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die unsubstantiierte Behauptung der Antragstellerin, sie würde durch eine auferzwungene Ausreise „sämtliche sozialen Bindungen verlieren, die sie überhaupt hat“, ist nicht geeignet, eine hinreichende Verwurzelung im Bundesgebiet glaubhaft zu machen. Gleiches gilt für das ebenfalls erforderliche Merkmal einer entsprechenden Entwurzelung der Antragstellerin in ihrem Heimatland. Denn selbst wenn die Antragstellerin, wie sie behauptet, seit über 23 Jahren nicht mehr in Vietnam gewesen ist und dort keinerlei Kontakte mehr haben sollte, bleibt doch der Umstand, dass sie den ganz überwiegenden Teil ihres Lebens in Vietnam verbracht hat und mit der Sprache sowie den Verhältnissen ihres Heimatlandes vertraut sein dürfte. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin kann auch nicht von einer nicht nachvollziehbaren „plötzliche(n) Versagung des weiteren Aufenthaltes“ ausgegangen werden. Denn die ehebedingt erteilte Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin ist gemäß § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zunächst ohne Rücksicht auf die Unterhaltssicherung für ein Jahr verlängert worden. Dass für die Zeit danach Sicherung des Lebensunterhalts verlangt wird, entspricht dem aus § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ersichtlichen Willen des Gesetzgebers und ist daher keinesfalls geeignet, eine die Annahme eines Ausnahmefalls von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigende Atypik anzunehmen. Überdies ist die Antragstellerin anlässlich der letztmaligen Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis auf das danach geltende Erfordernis der Unterhaltssicherung ausdrücklich durch den Antragsgegner hingewiesen worden. Ebenso wenig kann es eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzungen rechtfertigen, dass der Antragstellerin soziale Leistungen, die sie in der Bundesrepublik Deutschland bezogen hat, in Vietnam nicht zuteilwerden.
Soweit die Antragstellerin schließlich ausführt, es sei „noch nicht einmal geklärt“, ob aufgrund ihrer Erkrankung „vielleicht auch ein Abschiebungshindernis vorliegen könnte“, genügt dies nicht, um eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung oder den mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Duldungsanspruch glaubhaft zu machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).