Gericht | VG Potsdam 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.10.2011 | |
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Aktenzeichen | 2 K 1432/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 31 Abs 1 SG |
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2008 verpflichtet, dem Kläger die für die Monate September, Oktober, November und Dezember 2007 beantragten Reisebeihilfen zu Familienheimfahrten zu gewähren und den Zahlbetrag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger nahm im Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve in der Zeit vom 10. September 2007 bis 21. Dezember 2007 an einer Einzelwehrübung in Regensburg teil. An den dienstfreien Wochenenden fuhr er zu seinem Familienwohnsitz nach ..., wofür er beim Beklagten die Gewährung entsprechender Reisebeihilfen für insgesamt 13 Familienheimfahrten beantragte. Der Antrag ging am 6. März 2008 beim Beklagten ein.
Mit Bescheid vom 18. März 2008 (zugegangen am 31. März 2008) lehnte das Bundeswehrdienstleistungszentrum Regensburg die Erstattung der Reisebeihilfen ab, weil die Zahlung infolge Verfristung ausgeschlossen sei. Dagegen legte der Kläger unter dem 3. April 2008 (zugegangen am 7. April 2008) Widerspruch ein und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er sei von der allgemeinen sechs-monatigen Antragsfrist ausgegangen. Eine kürzere Frist sei ihm weder bekannt gewesen noch sei er auf eine solche hingewiesen worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 10.1.1 der „Vorläufigen Regelung der Familienheimfahrten für Wehrsoldempfänger“ vom 6. Juni 1990 mit Stand vom 22. Mai 2002, seien Reisebeihilfen für
- alle mindestens in einem Monat durchgeführten Heimfahrten zusammengefasst,
- binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten zu stellen,
- für Wehrübende jedoch stets vor Ende der Übung.
Nach diesen Bestimmungen sei die Kostenerstattung für sämtliche Familienheimfahrten des Klägers erst nach Ablauf der Ausschlussfrist beantragt worden.
Der Kläger hat am 6. August 2008 Klage erhoben, zu deren Begründung er darauf hinweist, dass er zu Beginn der Wehrübung nicht über etwaige Antragsfristen aufgeklärt worden sei. Obwohl er schon anfangs die Erstattung der Kosten der Dienstantrittsreise beantragt habe, sei er weder auf die Möglichkeit überhaupt Familienheimfahrten durchführen zu können noch auf die kurze Antragsfrist hingewiesen worden. Erst im späteren Wehrübungsverlauf habe ihm der Abteilungsfeldwebel mitgeteilt, dass bei einer Übungsdauer ab 12 Tagen Familienheimfahrten möglich seien und ihm, dem Kläger, ein entsprechendes Formular ausgehändigt. Der Abteilungsfeldwebel habe selber nichts von der kurzen Frist gewusst. Zudem enthalte weder das Antragsformular noch die Informationsbroschüre für wehrübende Reservisten einen solchen Hinweis.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 3008 zu verpflichten, dem Kläger die für die Monate September, Oktober, November und Dezember 2007 beantragten Reisebeihilfen zu Familienheimfahrten zu gewähren und den Zahlbetrag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, eine Wiedereinsetzung könne der Kläger nicht beanspruchen. Die Reservisten würden üblicherweise von der Truppe darauf hingewiesen, dass sie zu Beginn der Wehrübung den Rechnungsführer aufsuchen müssten. Dieser kläre sie mündlich über die Ansprüche auf Reisebeihilfen auf. Merkblätter und Erlasse würden nicht ausgehändigt. Soweit sich die einberufenen Reservisten nicht beim Rechnungsführer meldeten, hätten sie die sich daraus ergebenden Nachteile selbst zu tragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Versagung der begehrten Reisebeihilfen für Familienheimfahrten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da er einen Anspruch auf deren Gewährung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Grundlage des Anspruchs ist die Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn aus § 31 Absatz 1 Satz 2 und 1 Soldatengesetz (SG) in Verbindung mit Ziffer 1.1. und 6 des Erlasses des Bundesministeriums der Verteidigung vom 6. Juni 1990 in der Fassung vom 22. Mai 2002 (Erlass Nr. III A 20). Danach stehen dem Kläger, was zwischen den Beteiligten - ebenso wie die Höhe - unstreitig ist, dem Grunde nach die von ihm für die Monate September bis Dezember 2007 beantragten Reisebeihilfen zu.
Die Gewährung der Reisebeihilfen ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht durch Ziffer 10.1.1 und 10.1.3 des Erlasses Nr. III A 20 ausgeschlossen. Zwar hat der Kläger die dort bestimmte Frist nicht eingehalten, denn der Antrag ist - beginnend mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Familienheimfahrten durchgeführt wurden und für alle in einem Monat durchgeführten Fahrten zusammengefasst -grundsätzlich binnen drei Monaten, von Wehrübenden sogar stets rechtzeitig vor Beendigung der Wehrübung zu beantragen. Danach hätte der Kläger seinen Antrag spätestens am 21. Dezember 2007 stellen müssen.
Der Kläger hat jedoch zunächst einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog § 32 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens sind die Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Blick auf den Wesenskern der bestehenden Fürsorgeverpflichtung jedenfalls hier sinngemäß-analog auf die Ausschlussfrist des Erlasses anwendbar.
Denn die Anwendung dieser Ausschlussfrist würde anderenfalls hier zu einer Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht führen.
Der Kernbereich der Fürsorgepflicht ist berührt, wenn der Soldat einer dienstlich veranlassten Belastung ausgesetzt ist oder einen Nachteil erleidet, dem kein ausgleichender Vorteil gegenüber steht und dies seine Ursache ausschließlich in der Sphäre des Dienstherrn hat,
vgl. Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, 8.Aufl. 2008, § 31, Rn. 3 m. w. N.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SG besteht die Fürsorgepflicht dabei in gleichem Maße auch für wehrpflichtige Soldaten. Die Fürsorgepflicht gilt für sämtliche Statusgruppen, d. h. Berufs- und Zeitsoldaten, wie auch Wehrpflichtige gleichermaßen und damit ebenso für den Kläger als dienendem Reservisten.
Vgl. Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 11; Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, 8. Aufl. 2008, § 31, Rn. 17.
Zum ausnahmsweise gegebenen Anspruch direkt aus § 31 SG: BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1990 - 6 A 3/88 -, Rn. 14, juris.
Der grundsätzliche Ausgleich der Aufwendungen für Familienheimfahrten gehört demzufolge zum Kernbereich der Fürsorgepflicht. Denn die länger währende Trennung des Klägers von seiner Familie und die damit gegebene Notwendigkeit Aufwendungen für Familienheimfahrten tätigen zu müssen entsteht erst durch die länger währende Einziehung des Klägers zur Wehrübung an entferntem Orte. Die damit verbundenen Belastungen entstammen ausschließlich der Sphäre des Dienstherrn.
Dabei ist zu beachten, dass die speziell für Wehrübende vorgesehene Frist für den Erstattungsantrag unangemessen kurz bestimmt ist, da sie sich zum Ende der Wehrübung auf eine sofortige Antragstellung verdichtet bzw. sich gar auf nur einen einzig möglichen Zeitpunkt beschränkt. Letzteres ist insbesondere im letzten Monat einer Wehrübung der Fall, oder, dann wenn eine Wehrübung ohnehin nur einen Monat andauert. Denn der Erstattungsantrag ist einerseits nur monatsweise zusammengefasst, jedoch andererseits spätestens zum Ende der Wehrübung zu stellen.
Die starke Verkürzung und anschließend präkludierende Wirkung rechtfertigen sich dabei nicht aus einem erkennbar hinreichend schwergewichtigen Grund. Einen solchen konnte der Vertreter der Beklagten weder in der mündlichen Verhandlung nennen noch ist er evident. Der offenbar hinter der Regelung stehende abrechnungsorganisatorische Zweck erwächst zwar aus einem berechtigten Interesse des Dienstherrn, in Relation zu seiner folgenschweren präkludierenden Wirkung ist er aber unverhältnismäßig.
Der fürsorgerechtlichen Verpflichtung, dienstlich bedingte Belastungen auszugleichen korrespondiert zugleich, in dem Fall, in dem eine Ausschlussfrist für den Ausgleich bestimmt wird, eine fürsorgerechtliche Hinweis- und Aufklärungspflicht. An diese sind umso strengere Maßstäbe anzulegen, je kürzer die Frist und je einschneidender die Wirkungen des Fristablaufs sind.
So bestimmt auch Nr. 13.1. des Erlasses Nr. III A 20, dass die anspruchsberechtigten Soldaten über den Inhalt des Erlasses zu Beginn des Wehrdienstes und nach Bedarf durch den nächsten Dienstvorgesetzten oder einen von ihm beauftragten Offizier zu unterrichten sind.
Dem ist der Beklagte nicht in hinreichender Form nachgekommen. Es kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich - wie üblich - von „der Truppe“ darauf hingewiesen wurde, dass er sich beim Rechnungsführer melden solle, um von diesem dann nähere Aufklärung zu den Modalitäten von Familienheimfahrten zu erhalten. Jedenfalls hätte dies ohnehin weder den bereits im Erlass selbst gesetzten Anforderungen genügt, noch den sich aus der allgemeinen Fürsorgepflicht ergebenden Hinweispflichten. Angesichts der einschneidenden, präkludierenden Wirkung und der extremen Verkürzung der Frist wäre der Beklagte vielmehr verpflichtet gewesen, sicher zu stellen, dass der Kläger tatsächlich zu Beginn der Wehrübung umfassend belehrt wird und er, der Beklagte, hätte diese Belehrung dokumentieren müssen. Unterlässt der Beklagte dies, geht diese Fürsorgepflichtverletzung zu seinen Lasten.
Der Kläger war aus diesem Grunde unverschuldet daran gehindert, die Antragsfrist für die Reisebeihilfen einzuhalten. Er hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt, § 32 Abs. 2 VwVfG analog. Der ablehnende Bescheid, der den Kläger von der Ausschlussfrist und ihrer Versäumung erstmals in Kenntnis setzte, ging ihm am 31. März 2008 zu. Der am 7. April 2008 beim Beklagten eingegangene Wiedereinsetzungsantrag nebst Widerspruch erfolgte mithin binnen der Zwei-Wochen-Frist.
Nachdem dem Kläger die Wiedereinsetzung zu gewähren war, stand ihm auch der Anspruch auf die begehrten Reisebeihilfen zu, worüber sich die Beteiligten der Höhe und dem Grunde nach einig waren. Der Klage war mithin stattzugeben.
Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB analog.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Gründe, die Berufung gemäß §§ 124 Abs. 2, 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.
B e s c h l u s s
Der Streitwert wird auf 1.500 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes).