Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 13.12.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 12 B 19.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 GG, § 11 Abs 1 AufenthG, Art 2 Abs 2b EGRL 115/2008, Art 11 Abs 2 S 2 EGRL 115/2008 |
Nach der am 26. November 2011 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist auch in den Fällen, in denen es um eine auf strafrechtlicher Verurteilung beruhende Ausweisung oder eine von dem Ausländer ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geht, von der Höchstdauer der Frist von fünf Jahren auszugehen, die jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls überschritten werden darf. Diese substanzielle Gesetzesänderung erfordert eine umfassende Überarbeitung der bisherigen Ermessensleitlinien des Bundes und des Landes. Das Kindeswohl von drei noch kleinen Kindern - darunter eines Säuglings - hat trotz bei dem Vater fortbestehender Gefahr erneuter Straffälligkeit nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls eine Ermessensverdichtung dahingehend zur Folge, dass der Trennungszeitraum höchstens ein Jahr betragen darf. Welcher Trennungszeitraum konkret zumutbar ist, hat die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Neubescheidung des Befristungsantrags aufzuklären
Die Berufungen des Klägers und des Beklagten werden zurückgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Verfahrensbeteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung.
Der am 28. Dezember 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge erstmals im Jahr 1975 zu seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern. Ihm wurde am 28. April 1987 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 1992 ([419] 80 Js 216/91 Ls [79/91]) wurde der Kläger wegen Raubes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Dies führte zu einer ausländerrechtlichen Verwarnung des Klägers. Nach weiteren strafrechtlichen Verurteilungen (siehe dazu Zentralregisterauszug vom 24. März 2011) wurde der Kläger mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Februar 1999 ([506] 69 Js 115/98 KLs [9/99]) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
Mit Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2000 wurde der Kläger ausgewiesen. Hiergegen eingelegte Rechtsmittel blieben erfolglos.
Der Kläger ist seit dem 11. Juli 2001 mit der deutschen Staatsangehörigen Türkan Baser verheiratet. Aus der Ehe sind die am 27. September 2003 und am 9. April 2005 geborenen Töchter hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Kläger und seine Ehefrau erwarten im Dezember 2011 ihr drittes Kind.
In der Zeit von Dezember 2004 bis Januar 2007 wurde der Kläger geduldet, da er sich seit Juli 2004 unter Gewährung von Vollzugslockerungen in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee befand, aus der er im Juni 2006 entlassen wurde. In der Zeit von Ende November 2006 bis April 2007 befand er sich wegen einer im Oktober/November 2006 begangenen Tat in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Mit Urteil vom 25. April 2007 ([525] 69 Js 214/06 KLs [1/07]) verurteilte ihn das Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Wegen erhöhter Flucht- und Missbrauchsgefahr wurden ihm keine Vollzugslockerungen gewährt (Mitteilung der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg vom 12. Juli 2010).
Der am 12. November 2008 gestellte Antrag auf Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisungsentscheidung vom 10. Februar 2000 wurde mit Blick auf ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren zunächst ausgesetzt. Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. März 2010 (Az. [564] 2 Wi Js 186/08 Ns [121/09]) wurde der Kläger im Berufungsverfahren wegen einer in der Haft begangenen Bestechung eines JVA-Bediensteten zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (vgl. Urteil des AG Tiergarten v. 21. Oktober 2009).
Nachdem der Kläger am 15. April 2010 Untätigkeitsklage erhoben hatte, befristete der Beklagte mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 die Sperrwirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre ab Verlassen der Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung führte er aus, dass er sich bei der Ermessensausübung an den vom Bundesministerium des Inneren entwickelten Leitlinien orientiert habe. Im klägerischen Fall gelte eine Frist von zehn Jahren. Diese könne bei Vorliegen besonderer Umstände in Einzelfällen um bis zu drei Jahre verkürzt oder verlängert werden. Zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass er sorgeberechtigter Vater zweier deutscher Kinder sei und ihm insoweit nicht grundsätzlich auf unabsehbare Zeit die Möglichkeit genommen werden solle, im Visumsverfahren ein Begehren auf Familiennachzug erneut prüfen zu lassen. Die Befristung der Einreisesperre auf sieben Jahre sei gerechtfertigt, weil sich der Kläger weder die Strafvollstreckung noch die ausländerbehördlichen Maßnahmen zur Warnung habe dienen lassen, sondern sein deliktisches Handeln fortgesetzt habe. Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass der Handel mit Betäubungsmitteln besonders verwerflich sei. Es sei zumutbar, den Kontakt zu den Kindern und der Ehefrau mittels moderner Kommunikationsmittel sowie Besuchsreisen in das Heimatland aufrechtzuerhalten. Die Prüfung einer weitergehenden Verkürzung könne nach den Verwaltungsvorschriften erst nach der Ausreise und frühestens drei Jahre vor Ablauf der Regelfrist bzw. der im Einzelfall bereits um bis zu drei Jahre verkürzten oder verlängerten Frist erfolgen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 15. Oktober 2010 hat der Beklagte nach Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 22. Februar 2011 (s.u.) als erledigt betrachtet.
Mit Urteil vom 22. Februar 2011 hat das Verwaltungsgericht Berlin der als Verpflichtungsklage fortgeführten Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides vom 4. Oktober 2010 zur Neubescheidung des klägerischen Befristungsantrags verpflichtet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Die Dauer der Befristung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Eine nach Fallgruppen typisierende Bemessung der Fristdauer sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, soweit den Besonderheiten des Einzelfalls durch eine abweichende Fristgestaltung Rechnung getragen werde. Es seien insbesondere die Schwere des Ausweisungsgrundes sowie die persönliche Situation des Klägers in die mit der Befristung verbundene Prognose, dass der Ausweisungszweck zum Ende der Sperrfrist erreicht sein werde, einzubeziehen. Auch seien die familiären Bindungen und das Kindeswohl zu berücksichtigen. Die angegriffene Befristungsentscheidung sei ermessenfehlerhaft, da sie sich schematisch an den ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften orientiere und damit den grundrechtlichen Schutzwirkungen für den Kläger und seine Familie nicht hinreichend Rechnung trage. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz und die Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin seien für die Gerichte nicht bindend. Zwar sei der Beklagte zutreffend von einer zwingenden Ausweisung ausgegangen, weil der Kläger wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden sei. Soweit er die anfängliche Verkürzung der Frist jedoch schematisch auf maximal drei Jahre beschränke, orientiere er sich zu eng am Wortlaut der Verwaltungsvorschriften. Die zeitliche Beschränkung auf drei Jahre schließe eine weitergehende Verkürzung der Frist unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls von vornherein aus und führe damit zu einer Ermessensunterschreitung. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK bestehe, schließe dies eine weitergehende Verkürzung aufgrund einer einzelfallbezogenen Bewertung aus. Auch könne der Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Befristung nicht dergestalt ausgesetzt werden, dass frühestens drei Jahre vor Ablauf der Regelfrist bzw. der im Einzelfall anfänglich verkürzten Frist in eine erneute Prüfung eingetreten werde. Es müsse vielmehr zeitnah auf der Grundlage der aktuellen Situation des Ausländers entschieden werden. Ein Bedürfnis für den Aufschub der Ermessensentscheidung bestehe nicht, zumal die Ausländerbehörde bei nachträglich eintretenden Umständen die ursprüngliche Befristungsentscheidung widerrufen könne. Der Beklagte habe es versäumt, auf die Sicht des Kindes abzustellen und insoweit Ermittlungen durchzuführen. Im Hinblick auf das Alter der Kinder von fünf und sieben Jahren sei grundsätzlich eine nur vorübergehende Trennung möglich. Die angegriffene Befristungsentscheidung lasse nicht mit der gebotenen hinreichenden Verlässlichkeit erkennen, dass die Trennung eine zumutbare Dauer nicht überschreite, zumal dem Kläger eine weitere Verkürzung des Befristungszeitraum frühestens drei Jahre vor Ablauf der festgesetzten sieben Jahre in Aussicht gestellt worden sei. Ein konkret überschaubarer und berechenbarer Trennungszeitraum sei nicht festgelegt worden. Der Beklagte habe daher zu prüfen, welche Trennungsdauer im vorliegenden Fall noch vertretbar sei. Dabei sei es sachgerecht, Bedienstete des Jugendamtes oder andere sachverständige Personen heranzuziehen. Der deutschen Ehefrau und den beiden minderjährigen deutschen Töchtern, die - soweit ersichtlich - gut in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert seien, sei es nicht zuzumuten, die familiäre Lebensgemeinschaft in der Türkei fortzuführen. Kinder in dem hier in Rede stehenden Alter seien auf die persönliche Anwesenheit des Elternteils angewiesen und könnten nur schlecht den Kontakt über Fernkommunikationsmittel führen. Soweit der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf den Tag der Ausreise bzw. auf sechs Monate nach erfolgter Ausreise begehre, sei die Sache nicht spruchreif, da eine entsprechende Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich nicht vorgelegen habe. Die Kammer gehe vor dem Hintergrund der Nichtgewährung von Vollzugslockerungen und des während der Strafhaft begangenen Bestechungsdelikts davon aus, dass von dem Kläger derzeit noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe.
Hiergegen richten sich die von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen des Klägers und des Beklagten.
Der Kläger trägt unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum grundrechtlichen Schutz der familiären Lebensgemeinschaft im Wesentlichen vor, dass zwischen ihm, seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern auch während der Zeit seiner Inhaftierung regelmäßiger Besuchskontakt bestanden habe. Dies habe seine Ehefrau in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2011 im Einzelnen ausgeführt und werde durch die Aufzeichnungen der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt bestätigt. Auch der Kindergarten der 2005 geborenen Tochter habe bestätigt, dass eine emotionale Bindung des Kindes an den Vater bestehe. Aus kinderärztlicher Sicht sei attestiert worden, wie wichtig der Kontakt zu dem Vater sei. Von ihm gehe keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass er zuletzt 2006 und 2008 straffällig geworden sei. Auch sei ihm am 25. April 2007 Haftverschonung gewährt worden. Er sei am 11. Dezember 2007 als sogenannter Selbststeller zum Haftantritt erschienen. Ihm liege ein Praktikums- und Arbeitsplatzangebot vor. Seiner Ehefrau sei wegen einer inzwischen bestehenden Risikoschwangerschaft ein Beschäftigungsverbot erteilt worden.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Februar 2011 den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Oktober 2010 zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung vom 10. Februar 2000 auf sechs Monate nach seiner erfolgten Ausreise zu befristen, und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt zur Verteidigung seiner Befristungsentscheidung vor, dass diese den grundrechtlichen Schutzwirkungen für den Kläger und seine Familie hinreichend Rechnung trage. Der durch die Verwaltungsvorschriften vorgegebene Rahmen, der eine Verkürzung der Frist um drei Jahre auf sieben Jahre ermögliche, sei zugunsten des Klägers voll ausgeschöpft und damit den besonderen Umständen des Einzelfalls angepasst worden. Eine Unterschreitung des durch die Verwaltungsvorschriften festgelegten Rahmens komme nur im Einzelfall in Betracht. Im Falle des Klägers bestehe wegen der erheblichen Wiederholungsgefahr ein gravierendes öffentliches Interesse an einem mehrjährigen Fernbleiben aus dem Bundesgebiet. Die mehrjährige Straffreiheit nach der ersten Verurteilung wegen eines BTM-Delikts sei allein dem Umstand geschuldet, dass sich der Kläger in Strafhaft befunden habe. Zu Ungunsten des Klägers wirke sich die besondere Gefährlichkeit von BTM-Delikten aus. Zudem habe der Kläger, bei dem es sich um einen Bewährungsversager handele, nach der Ausweisung weitere erhebliche Straftaten begangen. Vollzugslockerungen seien ihm nicht eingeräumt worden. Die Geburten seiner 1990 und 1992 geborenen älteren Kindern sowie seiner 2003 und 2005 geborenen Töchter hätten ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Es sei nicht zu erwarten, dass die Geburt eines weiteren Kindes eine Zäsur in seiner Lebensführung darstellen werde. Neben den spezialpräventiven Zwecken seien auch die generalpräventiven Ausweisungszwecke bislang nicht erreicht. Zwar sei davon auszugehen, dass zwischen ihm und seiner Familie seit der Haftentlassung am 28. März 2011 eine häusliche Gemeinschaft und eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft bestehe. In der Zeit der Inhaftierung habe regelmäßiger Kontakt jedoch lediglich in Form von Besuchskontakten bestanden, so dass der Kläger keine alltäglichen Erziehung- und Betreuungsleistungen habe erbringen können. Die Auswirkungen einer Trennung seien für die Kinder daher weniger gravierend, als wenn eine familiäre Lebensgemeinschaft über lange Zeit täglich gelebt worden sei. Die Kinder seien zudem keine Kleinkinder mehr, die einer besonders intensiven Pflege und Betreuung bedürften. Sie seien in der Lage, den Kontakt zu ihrem Vater telefonisch oder schriftlich, auch über das Internet, sowie besuchsweise aufrechtzuerhalten. Soweit das Verwaltungsgericht eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes verlange, sei der Kläger zu einer entsprechenden Mitwirkung verpflichtet. Da der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau sorgeberechtigt sei und die Töchter nach Ablauf der siebenjährigen Sperrfrist noch nicht volljährig seien, bestehe für ihn eine gute Rückkehrperspektive. Eine Rückkehr in die Türkei sei ihm auch im Übrigen nicht unzumutbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die Ausländerakten des Klägers verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Die Berufungen des Klägers und des Beklagten sind unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung hat.
Der Senat hat für die Prüfung des Anspruchs auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, BVerwGE 129, 243). Das Klagebegehren ist daher am Maßstab der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) geänderten und am 26. November 2011 in Kraft getretenen Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG zu beurteilen. Eine Übergangsvorschrift für noch nicht abgeschlossene Verfahren sieht das Gesetz vom 22. November 2011 nicht vor.
Rechtsgrundlage der Befristungsentscheidung ist § 11 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 und Satz 2 AufenthG. Danach wird die Sperrwirkung der Ausweisung (Einreiseverbot, Verbot der erneuten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) befristet, wobei die Bemessung der Frist nunmehr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Satz 4). Bei der Bemessung der Länge der Frist wird zudem berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5).
Die Dauer der mit einer Ausweisung verfügten Sperrwirkung richtet sich im Hinblick auf deren Akzessorietät nach dem mit der Ausweisung verfolgten zulässigen konkreten Zweck (vgl. dazu auch VGH München, Beschluss vom 26. März 2009 – 19 ZB 09.498 -, juris, Rn. 2; VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003, InfAuslR 2003, 333). Die Sperrwirkung darf grundsätzlich nur so lange fortbestehen, wie es der Ausweisungszweck erfordert (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 1984, BVerwGE 69, 137, 141; Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage, § 11 Rn. 23; Hail-bronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 11 AufenthG Rn. 25 ff., 30). Ist der Zweck erreicht, so ist das der Ausländerbehörde eingeräumte Befristungsermessen in der Regel auf Null reduziert, und eine zeitliche Befristung kommt selbst dann nicht mehr in Betracht, wenn der Ausländer noch nicht ausgereist ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 11. August 2000, BVerwGE 111, 369; Urteil des Senats vom 15. März 2011 – OVG 12 B 12.10 –, UA S. 8).
Bei der Beantwortung der Frage, ob der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive oder generalpräventive Ausweisungszweck erfüllt ist, muss die Ausländerbehörde eine Gefahrenprognose treffen, bei der sie alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und sachgerecht abwägt. Hierzu zählen auch das Verhalten des Ausländers nach der Ausweisung und der Ausweisungsgrund (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, BVerwGE 129, 243). Auch die familiären Belange des Ausländers sind angemessen zu würdigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, 682, 683).
Die von dem Beklagten getroffene Befristungsentscheidung genügt nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 1 AufenthG in der hier maßgeblichen Neufassung. Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, er habe der geänderten Rechtslage in seinen überarbeiteten Anwendungshinweisen vom 8. Dezember 2011 hinreichend Rechnung getragen, kann dem nicht gefolgt werden.
Nach dem neu eingeführten § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist bei der im behördlichen Ermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist zu beachten, dass die Dauer des Einreiseverbots grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten darf. Diese auf Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Abl. L 348 S. 98; im Folgenden: Rückführungsrichtlinie) zurückgehende Höchstdauer darf nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nur überschritten werden, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie) oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie).
Das Ausweisungsrecht hat mit der Einführung der Fünfjahresfrist in die Vorschrift des § 11 Abs. 1 AufenthG eine substanzielle Änderung erfahren. Das Aufenthaltsgesetz, das – wie bereits das Ausländergesetz (AuslG) – bislang keine Aussage über die Dauer der Frist enthielt, sondern lediglich regelte, dass die Frist mit der Ausreise in Lauf gesetzt wird (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG a.F.; § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG), bestimmt nunmehr erstmals, in welchem Zeitrahmen Einreiseverbote in der Regel festgesetzt werden dürfen. Der Gesetzgeber hat damit festgelegt, ab wann dem ausgewiesenen Ausländer im Regelfall einwanderungspolitische Belange nicht mehr entgegen gehalten werden dürfen. Die behördliche Ermessensentscheidung über die Dauer der Frist wird nunmehr nicht mehr allein durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die sich unter anderem aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergebenden schutzwürdigen Belange des Ausländers, sondern darüber hinausgehend in zeitlicher Hinsicht konkret begrenzt.
Entgegen der Auffassung des Beklagten greift diese substantielle Änderung der Befristungsregelung auch in den in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorgesehenen Ausnahmefällen, in denen das Gesetz es zulässt, dass die Frist von fünf Jahren überschritten wird. Die Regelung ist dahingehend zu verstehen, dass auch in den Fällen, in denen es um eine auf strafrechtlicher Verurteilung beruhende Ausweisung oder eine von dem Ausländer ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung geht, von der Höchstdauer der Frist von fünf Jahren auszugehen ist, die jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls überschritten werden darf. Dies ergibt sich bereits aus der von dem Gesetzgeber gewählten Formulierung „überschreiten“. Auch aus der Begründung des Gesetzes vom 22. November 2011 geht hervor, dass der Gesetzgeber – gestützt auf Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie – mit der Neufassung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG den Anwendungsbereich der Richtlinie nur insoweit einschränken wollte, als er für verurteilte Straftäter Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von fünf Jahren zugelassen hat (vgl. BT-Drs. 17/5470 S. 21). Den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber von der in Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen wollte, Drittstaatsangehörige, die aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, vollständig von dem Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie auszunehmen. Soweit es um den weiteren Ausnahmefall geht, dass der Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit darstellt, räumt Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber ohnehin nur die Möglichkeit ein, ein Überschreiten der Frist von fünf Jahren vorzusehen, nicht jedoch die Anwendung der Richtlinie vollständig auszuschließen.
Hiervon abweichend hat der Beklagte in seinen überarbeiteten Verfahrenshinweisen zum Ausdruck gebracht, dass seiner Auffassung nach die Frist von fünf Jahren in den genannten Ausnahmefällen keine Rolle mehr spielt. Zwar hat er in Ziffer 11.1.3.5 der Verfahrenshinweise zunächst zutreffend ausgeführt, dass der Gesetzgeber die Rückführungsrichtlinie dahingehend umgesetzt habe, dass in den Ausnahmefällen ein Überschreiten der Grenze von fünf Jahren in Betracht kommt. Er geht jedoch in seinen Leitlinien für die Ermessensausübung (Ziffer 11.1.3.7 der Verfahrenshinweise) unverändert von einer Frist von zehn Jahren bei Ausweisungsgründen nach § 53 AufenthG, von sieben Jahren bei Ausweisungsgründen nach § 54 AufenthG und von drei Jahren bei Ausweisungsgründen nach § 55 AufenthG aus, wobei die Frist anfänglich um bis zu drei Jahre verkürzt oder verlängert werden kann, um den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen (vgl. Ziffer 11.1.3.7 der Verfahrenshinweise). Die Anwendung dieser Regelfristen, die weit über der gesetzlich vorgegebenen Höchstdauer liegen, wird den Anforderungen, die die geänderte Gesetzeslage an die Befristungsentscheidung stellt, nicht gerecht. Die dargestellte Gesetzesänderung erfordert vielmehr eine umfassende Überarbeitung der bisherigen Ermessensleitlinien, die ausgehend von der Höchstfrist von fünf Jahren regeln, wie in den in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorgesehenen Ausnahmen zu verfahren ist. Dies gilt auch mit Blick auf die weitere Ergänzung der Befristungsregelung in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, wonach die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzten ist. Bei der Überarbeitung seiner Verfahrenshinweise wird der Beklagte zur Wahrung bundeseinheitlicher Maßstäbe bei der Anwendung der Befristungsregelung auch im Blick haben müssen, wie der Bund in seinen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG-VwV) der geänderten Rechtslage Rechnung tragen wird.
Nach den vorstehenden Darlegungen kommt es nicht mehr entscheidungserheblich auf die von dem Verwaltungsgericht behandelte Frage an, ob für den in Ziffer 11.1.3.7 der Verfahrenshinweise und in Ziffer 11.1.4.6.2 der VwV-AufenthG vorgesehenen Ausschluss einer erneuten Überprüfung der Befristungsentscheidung bis zu einem Zeitpunkt von drei Jahren vor Ablauf der Regelfrist bzw. der im Einzelfall bereits um bis zu drei Jahre verkürzten Frist ein sachlicher Grund gegeben ist. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Begründung dieser Verwaltungsvorschrift, wonach „der Prüfung die dann aktuellen Umstände zugrunde gelegt werden müssen“, nicht zu überzeugen vermag, da sie lediglich den dann maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorgibt. In diesem Zusammenhang erschließt sich auch nicht, weshalb die Verwaltungsvorschriften – nicht jedoch die Verfahrenshinweise des Beklagten – eine solche Aussetzung der erneuten Prüfung ausdrücklich nur für die Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes vorsehen (vgl. Ziffer 11.1.4.6.2), während für die übrigen Fälle geregelt wird, dass die einmal gesetzte Frist nachträglich aufgrund Änderung der für die ursprüngliche Bemessung erheblichen Umstände verlängert oder verkürzt werden kann (vgl. Ziffer 11.1.4.6.1 am Ende).
Ferner weist der Senat darauf hin, dass es der Klärung bedürfte, weshalb der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG im Rahmen der Befristung keine erneute Berücksichtigung finden soll. Liegen – wie hier – die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes mit der Folge der Zurückstufung der Ausweisung – im vorliegenden Fall zu einer Regel-Ausweisung – vor, wäre zu erwägen, ob der Betroffene nicht auch im Rahmen der Befristungsentscheidung von dieser Begünstigung profitieren müsste. Hierfür spräche, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Umstände, die besonderen Ausweisungsschutz begründen, sowohl im Rahmen der Zurückstufung der Ausweisung als auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu würdigen sind (BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2007 – 2 BvR 304/07 –, NVwZ 2007, 946: zur Verhältnismäßigkeit einer unbefristeten Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK). Mit der Befristung soll verhindert werden, dass sich die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen als unverhältnismäßiger Dauereingriff in die geschützten Rechte des Betroffenen erweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, BVerwGE 129, 243).
Unabhängig von dem zuvor darstellten Ermessensfehler hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen von Art. 6 GG zu Recht festgestellt, dass die von dem Beklagten vorgenommene Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf sieben Jahre mit Blick auf die familiäre Situation des Klägers ermessensfehlerhaft ist.
Auch der Senat geht davon aus, dass zwischen dem Kläger, seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Töchtern eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft besteht. Diese Einschätzung hat sich durch den Vortrag des Klägers und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2011 sowie die Stellungnahme der Klassenlehrerin der älteren Tochter des Klägers vom 8. Dezember 2011 bestätigt und wird auch von dem Beklagten nicht in Frage gestellt.
Soweit das Verwaltungsgericht den Beklagten zur Neubescheidung über den Befristungsantrag verpflichtet hat, ist dies jedoch ohne Kenntnis von der bevorstehenden Geburt des dritten Kindes des Klägers geschehen. Die geänderte Sachlage legt eine Ermessenverdichtung dahingehend nahe, dass die von dem Kläger beantragte Befristung einen Zeitraum von höchstens einem Jahr nicht überschreiten darf, wobei die Dauer des Visumsverfahrens zur Wiedereinreise des Klägers mit einzurechnen ist.
Der Senat geht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon aus, dass bei sehr kleinen Kindern schon eine nur kurzzeitige Trennung von einem Elternteil unverhältnismäßige Folgen zeitigen kann, weil ein Kontakt über Telefonate, Briefe oder das Internet noch nicht möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 –, BVerfGK 7, 49; Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, 682; Beschluss vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, BVerfGK 14, 458; Beschluss vom 9. Januar 2009 – 2 BvR 1064/08 –, NVwZ 2009, 387). Mit Blick auf die unmittelbar bevorstehende Geburt des dritten leiblichen Kindes des Klägers, das ebenso wie die Kindesmutter und seine beiden Geschwister die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen wird, kommt daher nur eine vergleichsweise kurze Sperrfrist in Betracht, die den Zeitraum von einem Jahr nicht übersteigen darf. Das Kindeswohl dürfte in der Regel keinen nachhaltigen Schaden erleiden, wenn es – zumal in dem Alter von wenigen Monaten – für einen solchen Zeitraum von seinem Vater getrennt wird. Das gilt erst recht in Bezug auf das Elternrecht des Vaters, der weiß, dass die Trennung von seinem Kind nur vorübergehender Natur ist (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 14. September 2009 – 4 K 1283/09 –, juris Rn. 10).
Auch mit Blick auf die inzwischen sechs und acht Jahre alten Töchter ist die von dem Beklagten festgesetzte Befristung von sieben Jahren offensichtlich unverhältnismäßig. Aus dem Umstand, dass in den von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen das Alter der Kinder unter fünf Jahren gelegen hat, kann nicht geschlossen werden, dass bei älteren Kindern wesentlich längere Trennungszeiträume für zumutbar gehalten werden können. Die Auffassung des Beklagten, wonach den Töchtern des Klägers eine Trennungszeit von sieben Jahren unter anderem deshalb zumutbar sei, weil der Kläger während der Zeit seiner Inhaftierung keine alltäglichen Erziehungs- und Betreuungsleistungen habe erbringen können, ist unzutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es gerade nicht nur auf quantifizierbare Betreuungsbeiträge eines Elternteils an, da die Entwicklung des Kindes auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt ist (BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, BVerfGK 14, 458). Auch ist nicht entscheidend, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt bzw. über einen längeren Zeitraum vorgelegen hat. Maßgeblich ist vielmehr in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 –, BVerfGK 7, 49). Hiervon ausgehend konnte eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung auch während der Zeit der Inhaftierung des Klägers begründet bzw. aufrechterhalten werden, die im Übrigen nicht geringwertiger eingeschätzt werden darf als eine in häuslicher Gemeinschaft gelebte Beziehung. Im Übrigen belegen die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg vom 12. Juli 2010 sowie der mündliche Vortrag des Klägers und seiner Ehefrau, dass der Kläger auch während seines Strafvollzugs einen den Umständen entsprechenden, regelmäßigen Kontakt zu seinen Töchtern aufrechterhalten hat.
Welcher Trennungszeitraum mit Blick auf die dargestellten familiären Belange des Klägers konkret zumutbar ist, hat der Beklagte zu ermitteln. Dabei hat er neben der Situation der beiden schulpflichtigen Kinder und des Säuglings auch die familiäre Gesamtsituation, in der sich die Familie nach der Geburt des dritten Kindes befindet, aufzuklären. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Ehefrau des Klägers bislang den Lebensunterhalt der Familie sichergestellt hat. Der Beklagte hat auch zu prüfen, ob die Rückkehr des Klägers innerhalb der von ihm für angemessen erachteten Frist realisierbar ist und nicht etwa daran scheitert, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei zum Wehrdienst herangezogen wird.
Auch wenn – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – der mit der Ausweisung verfolgte spezialpräventive Zweck, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, bei dem Kläger noch nicht erfüllt ist, werden im vorliegenden Fall die einwanderungspolitischen Gesichtspunkte von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG weitgehend zurückgedrängt. Eine Ermessenreduzierung dahingehend, dass allein die von dem Kläger begehrte Befristung auf sechs Monate nach erfolgter Ausreise verhältnismäßig ist, ist jedoch nicht gegeben. Dies schließt es aber nicht aus, dass im Ergebnis der vorliegend gebotenen Sachverhaltsaufklärung auch eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt rechtmäßig sein kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.