Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen PKH-Beschwerde; hinreichende Erfolgsaussicht; Statthaftigkeit; Nichterreichen...

PKH-Beschwerde; hinreichende Erfolgsaussicht; Statthaftigkeit; Nichterreichen des Beschwerdewerts von 750 EUR; einseitige Erledigungserklärung; Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung; Rücknahme der Leistungsbewilligung; Alg II; Verletzung von Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Leistungsträgern


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 19. Senat Entscheidungsdatum 31.03.2010
Aktenzeichen L 19 AS 829/09 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 172 Abs 3 Nr 1 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG, § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, § 73a Abs 1 SGG, § 114 S 1 ZPO, § 121 Abs 2 ZPO, § 127 Abs 4 ZPO, § 5 SGB 2, § 31 SGB 2, § 39 Nr 1 SGB 2, § 37 SGB 2, § 44a SGB 2

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. April 2009 geändert.

Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozess-kostenhilfe ohne Bestimmung einer Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt C A, Rstraße, B, beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsgegner fordert den Antragsteller unter dem 23. September 2008 auf, bis spätestens 10. Oktober 2008 einen Antrag auf „Erwerbsunfähigkeitsrente“ zu stellen und die Antragstellung bis dahin nachzuweisen. Sollte der Antragsteller bis zu diesem Termin nicht antworten bzw. die angeforderten Unterlagen einreichen, werde er (der Antragsgegner) die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagen. In der Folgezeit verlängerte der Antragsgegner die Frist mehrfach (zuletzt bis 15. Dezember 2008) und bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 12. Dezember 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 in Höhe von monatlich 607,43 EUR.

Mit als „Versagungs-/Entziehungsbescheid nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)“ bezeichneten Bescheid vom 19. Februar 2009 entzog der Antragsgegner die Leistungen ab 1. März 2009 ganz mit der Begründung, dass jetzt ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV-Bund) vorliege, wonach der Antrag nicht bearbeitet werden könne, weil maßgebliche Angaben fehlten und der Antragsteller nicht reagiere. Dadurch sei der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

Gegen den Aufhebungsbescheid legte der Antragsteller am 10. März 2009 Widerspruch ein und beantragte zugleich am 10. März 2009 bei dem Sozialgericht (SG) Berlin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19. Februar 2009 sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Das SG Berlin wies mit Beschluss vom 17. April 2009 „den Antrag“ und den Antrag auf Gewährung von PKH zurück mit der Begründung, dass es an einem besonderen Eilbedürfnis fehle. Für die Zeit ab 1. April 2009 sei die Leistungsgewährung wieder aufgenommen worden. Trotz gerichtlicher Nachfrage seien für die Zeit davor keine schweren unzumutbaren Nachteile vorgetragen worden. Der Beschluss wurde von der Geschäftsstelle am 20. April 2009 versandt und dem Antragsteller am 25. April 2009 zugestellt. Bereits am 20. April 2009 (Eingang beim SG) erklärte der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt.

Am 11. Mai 2009 hat der Antragsteller gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass aus dem Schreiben des SG vom 6. April 2009 keine Aufforderung zur Stellungnahme entnommen werden könne. Zudem habe der Antragsgegner seinem Begehren entsprochen, indem er mit Bescheid vom 24. April 2009 den Aufhebungsbescheid aufgehoben habe.

II.

Die fristgerecht erhobene Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Die Beschwerde richtet sich allein gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH im Beschluss des SG vom 17. April 2009. Dies hat der Antragsteller ausdrücklich im Schriftsatz vom 1. September 2009 klargestellt. Zudem ist der Beschluss des SG vom 17. April 2009 hinsichtlich der Zurückweisung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs durch die als Rücknahme zu wertende einseitige Erledigungserklärung des Antragstellers (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2005, B 7a AL 192/05 B, juris) - die noch vor Zustellung des Beschlusses bei dem SG eingegangen ist - gegenstandslos geworden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 102 Rn. 6).

Die Beschwerde ist auch statthaft, obgleich der Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von 607,43 EUR (Leistungen nach dem SGB II für den Monat März 2009) den Betrag von 750 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erreicht. Denn der Ausschluss der Beschwerde nach §§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG betrifft nur Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Beschwerden gegen die Ablehnung von PKH sind nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG nur ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. Dies in dem angefochtenen Beschluss gerade nicht der Fall. Das SG hat die Bewilligung von PKH vielmehr unter dem Gesichtpunkt mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt.

Im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des § 172 Abs. 3 SGG und das Gebot der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfGE 48, 148) schließt sich der Senat nicht der Auffassung des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 17. September 2009 (L 20 B 2247/08 AS PKH, juris, mit umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen) an, dass gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Beschwerde bei Nichterreichen des Beschwerdewertes nicht statthaft sei. Vielmehr waren die Regelungen der ZPO zu den Beschwerdemöglichkeiten bei der Bewilligung von PKH (insb. § 127 Abs. 2 ZPO) im Sozialgerichtsprozess bereits unter Geltung des § 172 SGG alter Fassung nicht anwendbar und sind aufgrund der durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) eingeführten besonderen Regelungen des § 172 Abs. 3 SGG neuer Fassung erst Recht nicht anwendbar (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. März 2010, L 25 B 1612/08 AS; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Mai 2008, L 6 B 48/08 AS; beide juris).

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung des Antrags auf PKH für das erstinstanzliche Verfahren ist begründet. Ihm ist für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem SG PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu gewähren, denn die Rechtsverfolgung hatte hinreichende Aussicht auf Erfolg und war auch nicht mutwillig (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO).

Ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, beurteilt das Gericht ohne abschließende tatsächliche oder rechtliche Würdigung des Streitstoffs. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der Kläger eine reale Chance zum Obsiegen hat. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2003, 1 BvR 1152/02 = SozR 4-1500 § 73a Nr. 1). Die PKH darf allerdings bei einer „nur entfernten Erfolgschance“ verweigert werden.

Gemessen an diesen Maßstäben bot das einstweilige Rechtsschutzbegehren hinreichende Aussicht auf Erfolg. Statthafte Antragsart hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 1. März 2009 war ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, denn gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Die im einstweiligen Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen sind auch in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges - wie hier nach § 39 Nr. 1 SGB II - stets das Ergebnis einer Folgenabwägung. Dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers war gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 19. Februar 2009 Vorrang zu geben; denn bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. Februar 2009. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Vollziehung für die Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (Rechtsgedanke des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG).

Bei der im PKH-Beschwerdeverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung dürfte der Antragsgegner nicht befugt gewesen sein, die Leistungsbewilligung bis 31. März 2009 (Bescheid vom 12. Dezember 2008) mit Wirkung ab 1. März 2009 ganz aufzuheben bzw. zu entziehen (§ 66 SGB I).

So erscheint zweifelhaft, ob die vollständige Rücknahme der Bewilligung von Leistungen überhaupt auf mangelnde Mitwirkung gestützt werden kann. Denn die behauptete Verletzung von Mitwirkungspflichten (§§ 56 ff SGB II, 60 ff SGB I) betrifft vordergründig das Sozialrechtsverhältnis zwischen Antragsteller und DRV-Bund. Die allgemeinen Mitwirkungsvorschriften des SGB I dürften im Leistungsverhältnis zwischen Antragsteller und Antragsgegner über § 37 Satz 1 SGB II Anwendung finden (dazu LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Januar 2009, L 5 B 284/08 AS ER, juris). Auch dürfte der Antragsgegner von Amts wegen zu prüfen haben, ob der Antragsteller die erforderliche Hilfe zum Lebensunterhalt nicht von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 aE SGB II). Im Hinblick auf die gesetzgeberische Konzeption erscheint jedoch zweifelhaft, ob der Antragsgegner überhaupt eine mangelnde Mitwirkung gegenüber anderen Leistungsträgern (hier: DRV-Bund) durch Versagung bzw. Entziehung der Leistung sanktionieren kann. Denn § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II ordnet ausdrücklich an, dass auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, durch dieses Buch nicht berührt werden. Falls Hilfebedürftige trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, können die Leistungsträger (hier: der Antragsgegner) nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen. Hiermit korrespondiert die Regelung des § 44a SGB II, wonach die Agentur für Arbeit feststellt, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig und hilfebedürftig ist.

Zudem bestehen auch deshalb ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. Februar 2009, weil die vollständige Rücknahme der Bewilligung der SGB II-Leistungen in Form der Entziehung aufgrund der Bedarfsdeckungsfunktion der SGB II-Leistungen, des Vor-Nachrangverhältnisses von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch sowie der Garantie des soziokulturellen Existenzminimums ausgeschlossen sein könnte. Zumindest dürfte ein Unterschreiten der Grenzen des § 31 SGB II ausgeschlossen sein (vgl. Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage § 5 Rn. 39). Dies dürfte jedenfalls eine Teilrechtswidrigkeit des Bescheides vom 19. Februar 2009 begründen.

Daher bedarf es keiner Beurteilung, ob die besonderen Voraussetzungen des § 66 SGB I für eine Entziehung der Leistungen erfüllt sind und tatsächlich eine mangelnde Mitwirkung des Antragstellers vorgelegen hat. Allerdings fällt bei einer Durchsicht der Akten auf, dass der Antragsteller trotz der ärztlich attestierten Notwendigkeit einer Fristverlängerung (Atteste des Arztes für Allgemeinmedizin H vom 24. Oktober 2008 und 20. Februar 2009) durchaus in der Lage war, unter dem 4. Dezember 2008 bei dem Antragsgegner einen Überprüfungsantrag zu stellen.

Zudem hat der Antragsgegner seinen Aufhebungsbescheid offenbar selbst als rechtswidrig erachtet und diesen auf den Widerspruch des Antragstellers mit Abhilfebescheid vom 24. September 2009 aufgehoben.

Das SG hat PKH zu Unrecht unter dem Gesichtpunkt des Fehlens eines besonderen Eilbedürfnisses verweigert. Anders als in den vom SG im angefochtenen Beschluss zitierten Verfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg (L 10 B 191/09 AS ER, Beschluss vom 12. Mai 2006, juris) war dem Antragsteller das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache gerade nicht zumutbar. Denn der Antragsgegner hatte die Zahlung von Leistungen ab 1. März 2009 vollständig eingestellt. Der hilfebedürftige Antragsteller war somit in seiner Existenz gefährdet.

Der bedürftige Antragsteller bezieht bis laufend Leistungen nach dem SGB II und verfügt über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen.

Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers war auch erforderlich iS von § 121 Abs. 2 ZPO, weil sich auch ein bemittelter Antragsteller vernünftigerweise eines Rechtsanwaltes bedient hätte (vgl. BVerfG NJW 1997, 2103).

Die Kostenentscheidung für das PKH-Beschwerdeverfahren beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).