Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 08.09.2011 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 256/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 90 SGB 7 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt nach einem von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall zuletzt noch die Gewährung einer höheren Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren Jahresarbeitsverdiensts (JAV).
Der 1979 geborene Kläger erlitt am 22. Oktober 1997 als Auszubildender zum Industriemechaniker der Fachrichtung Produktionstechnik in der Ausbildungswerkstatt der D AG einen Arbeitsunfall, indem ihm beim Umsetzen einer Fräsmaschine der Gabelstapler, an welchem sie hing, über bzw. auf den rechten Fuß fuhr (vgl. Unfallanzeige vom 03. November 1997). Er zog sich hierbei eine Lisfranc-Luxationsfraktur zu (vgl. Durchgangsarztbericht vom 23. Oktober 1997), welche mit einer offenen Reposition und Transfixation mittels Kirschnerdrähte am 22. Oktober 1997 und Spalthauttransplantation am 03. November 1997 behandelt wurde (vgl. Bericht des St. M-Krankenhauses vom 17. November 1997).
Die Beklagte gewährte dem Kläger nach Durchführung medizinischer Ermittlungen (insbesondere Rentengutachten des Erstbehandlers und Chefarztes der Abteilung Unfallchirurgie des St. M-Krankenhauses Dr. K vom 27. Mai 1998) mit Bescheid vom 15. Juli 1998 ab 06. April 1998 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v.H.). Nach weiteren medizinischen Ermittlungen (Dr. Ks Zweites Rentengutachten vom 24. Januar 1999) entzog die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. März 1999 ab dem 01. April 1999 die Rente.
Der Kläger schloss seine ursprünglich bis zum 28. Februar 2000 angelegte Ausbildung (vgl. Auskunft der D AG vom 18. März 1998) am 17. Februar 2000 ab.
Die Beklagte erhielt von einer Verschlimmerung der Unfallfolgen Kenntnis (vgl. Durchgangsarztbericht der Chirurgen und Unfallchirurgen K und S vom 25. Oktober 2004, Zwischenbericht der Unfallbehandlungsstelle der Berufsgenossenschaften B e.V. <UBS> vom 11. November 2004, fachchirurgische Stellungnahme der UBS vom 05. November 2004, neurologisch-psychiatrischer Befundbericht der UBS vom 19. Januar 2005). Die Beklagte führte weitere medizinische Ermittlungen durch (etwa Fachgutachten auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet der leitenden Oberärztin am Klinikum H Dr. F vom 15. August 2005, wonach beim Kläger eine unfallbedingte und mit einer MdE von 10 v.H. zu bewertende depressive Anpassungsstörung bestehe, und fachchirurgische Stellungnahme der UBS <Dr. T> vom 12. Dezember 2005, wonach mit den Unfallfolgen am rechten Fuß eine MdE von 20 v.H. einhergehe). Fern stellte sie durch Beiziehung von Tarifvertragsunterlagen Ermittlungen zum JAV an (vgl. Auszug aus dem Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet I vom 25. Februar 1999 und Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet I vom 07. Januar 1997). Sie gewährte mit Bescheid vom 06. April 2006 ab dem 19. Dezember 2005 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. Sie legte hierbei einen JAV von 20.276,91 € (zwölf mal 1.615,69 € + 888,63 € Weihnachtsgeld <i.H.v. 55 % des Monatsverdiensts>) zugrunde, welcher in den letzten zwölf Monaten vor dem 17. Februar 2000 erzielt worden sei. Der Kläger erhob am 24. April 2006 Widerspruch, mit welchem er sich gegen den Rentenbeginn, den zugrunde gelegten JAV und die von der Beklagten angenommene MdE wandte. Er legte einen Musterarbeitsvertrag von D vor, aus welchem sich für eine am 18. Februar 2000 beginnende Tätigkeit eines Facharbeiters ein Monatsgrundlohn von 3.920,00 DM ergab. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 unter anderem mit der Begründung zurück, dass nach § 90 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) der JAV von dem Zeitpunkt an neu zu berechnen sei, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Der Neufestsetzung werde das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen sei. Bestehe keine tarifliche Regelung, sei das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gelte. Hiernach sei angesichts des Ausbildungsendes am 17. Februar 2000 der am 18. Februar 2000 gültige Tarifvertrag anzuwenden. Dies sei nach Angaben der IG Metall der für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I, anzuwendende Tarifvertrag vom 25. Februar 1999. Für einen 20-Jährigen (Alter zum Zeitpunkt der Ausbildung) betrage der Ecklohn nach dem Tarifvertrag monatlich 1.615,69 €. Hinzu komme gemäß dem Abkommen über betriebliche Sonderzahlungen eine jährliche Sonderzahlung nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit von 55 % eines Monatsverdienstes (Höchstbetrag), demzufolge 888,63 €. Insgesamt ergebe sich ein JAV von 20.276,91 €. Dieser JAV sei auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Rentenanpassungen günstiger als der bisher nach §§ 82 und 85 SGB VII festgesetzten JAV in Höhe von 30.744,00 DM.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 02. August 2006 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Seiner Meinung nach erkläre sich eine höhere für den JAV zugrunde zu legende Entlohnung gegenüber dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie für Berlin und Brandenburg durch eine Betriebsvereinbarung, welche bei D bestehe. Das SG hat die Klage nach weiteren medizinischen Ermittlungen (unter anderem Psychiatrisches Gutachten des Leitenden Oberarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 21. März 2007 und orthopädisches Gutachten des Arztes für Orthopädie und Chirotherapie Dr. E vom 26. Oktober 2007) mit Urteil vom 29. Februar 2008 abgewiesen. Es hat unter anderem zur Begründung ausgeführt, dass nach dem klaren Wortlaut des § 90 Abs. 1 SGB VII für die Ermittlung des JAV auf den Tarifvertrag abzustellen sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 25. März 2008 zugestellte Urteil am 16. April 2008 Berufung mit dem Begehren eingelegt, dem Kläger eine Verletztenrente unter Zugrundelegung eines JAV nach der bei der D AG zum Stichtag am 18. Februar 2000 bestehenden Betriebsvereinbarung über das Arbeitsentgelt zu zahlen. Zwar bemesse sich die Neufestsetzung des JAV vorrangig nach den tariflichen Regelungen. Allerdings sei auch ein Haustarifvertrag zugrunde zu legen. Nach diesen Grundsätzen sei bereits fraglich, ob die im Rahmen betrieblicher Mitbestimmung durch den Betriebsrat verhandelte und als Vertragspartner mit der Geschäftsführung abgeschlossene Betriebsvereinbarung nicht bereits - neben dem Tarifvertrag - kollektivrechtlichen Charakter entfalte und insofern als tarifliche bzw. ergänzende tarifliche Regelung i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB VII anzusehen sei. Vorliegend lasse der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 3 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ausdrücklich zu. Es sei hierbei neben dem vorliegenden Musterarbeitsvertrag auf eine beigefügte Information der IG Metall Betriebsräte zum neuen Vergütungssystem „era“ zu verweisen. Der Kläger legt ferner einen Auszug aus den Monatslohntabellen von D vor. Da zudem die Ausbildung vorliegend planmäßig und erfolgreich beendet worden sei, habe die Berechnung des Schadens anhand des konkret durch die Ausbildung erzielbaren Verdiensts zu erfolgen, sofern dies für den Verletzten günstiger sei.
Der Kläger könnte beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 06. April 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Februar 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdiensts nach der bei der DC AG zum Stichtag 18. Februar 2000 bestehenden Betriebsvereinbarung über das Arbeitsentgelt zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass § 90 SGB VII ausschließlich eine abstrakte Neuberechnung des JAV enthalte. Auf die konkreten Einkünfte nach Ausbildungsende komme es nicht an. Der konkrete Verdienst werde ausschließlich bei der Regelberechnung nach § 82 SGB VII und somit im Jahr vor dem Unfall berücksichtigt. Auch wenn der Kläger seine Ausbildung planmäßig beendet habe und danach im Ausbildungsberuf tätig gewesen sei, sei nach § 90 SGB VII eine abstrakte Neuberechnung durchzuführen. § 90 SGB VII enthalte keine Wahlmöglichkeiten. Wenn ein Tarifvertrag bestehe, sei dieser für die Berechnung heranzuziehen, und zwar selbst dann, wenn der Beschäftigungsbetrieb selbst nicht dem Tarif beigetreten sei. Da es sich um eine abstrakte Berechnung handele, sei auch nicht der berufsspezifische, sondern ausschließlich der branchenübliche Tarifvertrag maßgeblich. Daraus ergebe sich zwangsläufig, dass bei einem bestehenden Tarifvertrag bei der Neuberechnung zusätzlich bestehende Betriebsvereinbarungen keine Berücksichtigung fänden. Die bei der ehemaligen D AG bestehende Betriebsvereinbarung gelte ausschließlich für diese Firma und stelle somit für den Kläger die Basis für eine konkrete Berechnung dar, die gerade vom Gesetzgeber im Rahmen des § 90 SGB VII nicht gewollt gewesen sei. Die Betriebsvereinbarung stelle auch laut den Angaben des Bevollmächtigten keinen Haustarifvertrag dar, der zwischen der Gewerkschaft und der Firma geschlossen worden sei, sondern die Firma habe lediglich von der Öffnungsklausel im bestehenden Tarifvertrag Gebrauch gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage jedenfalls hinsichtlich des im Berufungsverfahren allein noch streitigen Punkts zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren JAVs.
Berechnungsgrundlage für die dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 22. Oktober 1997 zuerkannte Verletztenrente ist neben dem Grad der MdE der JAV des Verletzten. Hierfür ist im Regelfall der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs, SGB IV) des Verletzten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Arbeitsunfall eintrat, maßgebend (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Grundsätzlich bleiben diese Verdienstverhältnisse für die Zukunft Grundlage der Rentenberechnung; spätere Erwerbsaussichten sind in der Regel bei der Feststellung des JAV rechtlich unbeachtlich. Eine Ausnahme gilt unter anderem dann, wenn - wie hier - der Versicherungsfall während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt. In einem solchen Fall wird nach § 90 Abs. 1 S. 1 SGB VII, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der JAV von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Der Neufestsetzung wird das Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen ist; besteht keine tarifliche Regelung, ist das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Nach der Zweckbestimmung der genannten Vorschrift sollen Personen, die schon vor oder während der Zeit der Schul- oder Berufsausbildung einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch kein bzw. nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung erlitten. Der Neufestsetzung des JAV nach § 90 Abs. 1 SGB VII steht auch nicht entgegen, dass – wie beim Kläger - die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen wurde noch sich verzögerte. Hierzu ist zunächst von Bedeutung, dass die Verletztenrente eine Entschädigung besonderer Art ist. Sie setzt nicht voraus, dass durch einen Unfall ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Vielmehr gleicht sie einen möglichen Schaden aus. Nicht eine Minderung des Erwerbseinkommens, sondern die Minderung der Erwerbsfähigkeit soll entschädigt werden. Diese Beeinträchtigung wird nicht am Beruf des Versicherten, sondern an den Verhältnissen des allgemeinen Erwerbslebens gemessen (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Die andere Berechnungsgröße, der JAV, wird indessen grundsätzlich nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 SGB VII nach dem tatsächlich vor dem Unfall erzielten Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bestimmt. Die Rente richtet sich nach einem abstrakten Schaden, der allein vom Grad der MdE und vom JAV abhängt, und kann in den Fällen, in denen der Verletzte trotz der Unfallfolgen erwerbstätig ist, zu einer „Überversorgung" führen. Mit § 90 Abs. 1 und 2 SGB VII und seinen Vorgängervorschriften ist die grundsätzlich abstrakte Schadensberechnung nicht durch eine konkrete ersetzt worden. Vielmehr bestimmt diese Vorschrift allein die eine der beiden Schadensbemessungsgrößen abweichend vom zeitlichen Bezugsrahmen des § 82 Abs. 1 SGB VII als maßgeblich. Wenn der Gesetzgeber mithin mit der begrenzten Berücksichtigung einer Berufsentwicklung nach dem Unfall nicht zur konkreten Schadensberechnung übergegangen ist, so hat er in Kauf genommen, dass diese günstigere JAV-Berechnung nach § 90 Abs. 1 SGB VII auch demjenigen Versicherten zugute kommt, der das voraussichtliche Ausbildungsziel trotz der Unfallfolgen erreicht hat und ein entsprechendes Einkommen erzielt, also keinen wirtschaftlichen Schaden im Beruf erlitten hat (etwa Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 07. November 2000 – B 2 U 31/99 R -, zitiert nach juris Rn. 15, 17, 20 f.). Für die Neufestsetzung ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, welches in dem Zeitpunkt der Neufestsetzung, das heißt am Tage nach Beendigung der Ausbildung nach dem jeweils örtlich und zeitlich gültigen Tarifvertrag für die tariflich festgelegte Arbeitszeit gezahlt werden würde (etwa Becker, in: LPK – SGB VII, 3. Auflage 2011, § 90 Rn. 9).
Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt in einer Berufsausbildung zum Industriemechaniker im Sinne des § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Seine Ausbildung im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII war mit dem Abschlusszeugnis vom 17. Februar 2000 beendet. Da die Ausbildung des Klägers unfallbedingt keine Verzögerung erfuhr, ist der Stichtag für die Neufestsetzung des JAV der 18. Februar 2000 als der auf das Ausbildungsende folgende Tag. Soweit mithin der Neufestsetzung des JAV das Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen ist, welches am 18. Februar 2000 für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen war, ist hierfür der am 18. Februar 2000 gültige Tarifvertrag anzuwenden. Dies ist der für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I, anzuwendende Tarifvertrag vom 25. Februar 1999. Dieser sieht als Ecklohn monatlich 1.615,69 € vor. Hinzu kommt gemäß dem Abkommen über betriebliche Sonderzahlungen für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet I vom 07. Januar 1997 eine jährliche Sonderzahlung nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit von 55 % eines Monatsverdienstes (Höchstbetrag), demzufolge 888,63 €. Insgesamt ergibt sich so – wie von der Beklagten zugrunde gelegt - ein JAV von 20.276,91 €.
Soweit der Kläger für die Ermittlung des JAV auch auf eine Betriebsvereinbarung zurückgreifen will, aus welcher Arbeitnehmer eine Vergütung erhielten, die aus dem so genannten Tariflohn und einem Systemlohn bestand, wobei der monatlich gezahlte Systemlohn deutlich höher als der monatlich zu zahlende Tariflohn war, lässt sich dies auf § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII nicht mehr stützen. Der Wortlaut steht entgegen.
Bei der Auslegung der Norm bildet der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes und dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung (Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 2007, S. 163 ff.). Dabei gehen dem allgemeinen Sprachgebrauch der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes und der allgemeine juristische Sprachgebrauch vor (Larenz/ Canaris, a.a.O., S. 145, 164).
Hiervon ausgehend steht einer ausdehnenden Auslegung des § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII die Wortwahl „Tarifvertrag“ als terminus technicus entgegen. Der Tarifvertrag in Deutschland ist nach dem Sprachgebrauch des Tarifvertragsgesetzes (TVG) und dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch ein privatrechtlicher Vertrag zwischen tariffähigen Parteien; er regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien – schuldrechtlicher Teil – und enthält Rechtsnormen über Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie die Ordnung von betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen – normativer Teil (vgl. § 1 Abs. 1 TVG und Creifelds, Rechtswörterbuch, 20. Aufl. 2011, Stichwort Tarifvertrag). Die Tariffähigkeit im vorstehenden Sinne ist nach dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch die Fähigkeit, einen Tarifvertrag abzuschließen, und wird in § 2 TVG beschrieben (Creifelds, a.a.O., Stichwort Tariffähigkeit). Tarifvertragsparteien sind gemäß § 2 Abs. 1 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Hiervon ausgehend ist der Betriebsrat nicht tariffähig, mithin keine Tarifvertragspartei, mit der Folge, dass zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarungen keine Tarifverträge sind.
Nach Vorgehendem kann zwar noch ein so genannter Haustarifvertrag zwischen einem Unternehmen und einer Gewerkschaft ein Tarifvertrag im Sinne von § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII sein, nicht aber Vereinbarungen zwischen der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat (Keller, in: Hauck, SGB VII – Kommentar, 52. Erg-Lfg. 2011, K § 90 Rn. 11; Ricke, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 69. Erg.-Lfg. 2011, § 90 SGB VII Rn. 6).
Für eine analoge Anwendung von § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII des Inhalts, dass auch Betriebsvereinbarungen für die Ermittlung des JAV zu berücksichtigen seien, fehlt es bereits an der Planwidrigkeit einer insoweit allenfalls zu unterstellenden Gesetzeslücke. Bei § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII handelt es sich eh nur um eine – begünstigende – Ausnahme zum aus § 82 Abs. 1 SGB VII folgenden, sonst geltenden Grundsatz, dass künftige Verdienstentwicklungen bei der JAV-Berechnung nicht zu berücksichtigen sind (Becker, in: LPK – SGB VII, 3. Auflage 2011, § 90 Rn. 1). Hierbei ist für eine Berücksichtigung rein persönlicher Verhältnisse, welche auf eine höhere Entlohnung durchschlagen können, kein Raum (Keller, in: Hauck, SGB VII – Kommentar, 52. Erg-Lfg. 2011, K § 90 Rn. 10a). Die Vorschrift trifft eine pauschalierende Regelung, um individuelle Zufälligkeiten im Rahmen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses nach der Ausbildung mit unter Umständen auch gegebenen Feststellungsschwierigkeiten auszuschließen. Daher bleiben tarifliche Regelungen für besondere persönliche Leistungen oder Arbeitsbedingungen außer Betracht, etwa Leistungszulagen und Bereitschaftsdienstentgelte. Übertarifliche Zahlungen sind schon ihrer Natur nach nicht Tarifentgelte (Ricke, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 69. Erg.-Lfg. 2011, § 90 SGB VII Rn. 6a). Dementsprechend wird in der Bemerkung zum vom Kläger vorgelegten Auszug aus den ab 01. Mai 2000 geltenden Monatslohntabellen von D die Differenz zwischen Systemlohn und Tariflohn als übertariflicher Lohnbestandteil bezeichnet. Welchen Aufschluss die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung zum Vergütungssystem „era“ geben soll, dessen Einführung ab 2012 beabsichtigt ist, erschließt sich nicht.
Anhaltspunkte dafür, dass die Anwendung der Regelberechnung gemäß § 82 Abs. 1 SGB VII für den Kläger günstiger wäre, bestehen nicht. Hierfür wäre auf den Zeitraum von Oktober 1996 bis September 1997 abzustellen, in welchem der Kläger lediglich ein Bruttoarbeitsentgelt von 15.582,28 DM erzielte (vgl. Auskunft der D AG vom 18. März 1998).
Auch verhilft die Regelung aus § 90 Abs. 2 SGB VII dem Kläger nicht zur Berücksichtigung eines höheren JAV. Nach dieser Vorschrift wird, wenn die Versicherten zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn es für sie günstiger ist, der JAV jeweils nach dem Arbeitsentgelt neu festgesetzt, das zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist (S. 1 Hs. 1). Besteht keine tarifliche Regelung, ist das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort des Versicherten gilt (S. 1 Hs. 2). Es werden nur Erhöhungen berücksichtigt, die bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres vorgesehen sind (S. 2). Da die vorliegenden, im Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Tarifvertragsregelungen nichts für eine berufs- oder lebensjahresabhängige Entlohnung hergeben - vgl. Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I, vom 07. Januar 1997, welcher lediglich eine Lohngruppeneinteilung enthält -, bewendet es bei der mithin günstigsten Berechnung nach § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII.
Raum für die in § 90 Abs. 3 SGB VII enthaltene Sonderregelung, welche Versicherte betrifft, welche in den Fällen des § 90 Abs. 1 und 2 SGB VII unter anderem infolge des Versicherungsfalls einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können, besteht nicht. Der Kläger ist nicht infolge des Arbeitsunfalls erwerbsunfähig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist mangels Revisionszulassungsgrunds im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zuzulassen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Hierzu bedarf es einer über den Einzelfall hinaus bedeutsamen, klärungsbedürftigen Rechtsfrage (etwa Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG – Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 160 Rn. 7a und 8 f.). Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit. Widersprechende obergerichtliche Entscheidungen sind nicht ersichtlich. In der Literatur ist unbestritten, dass bei Anwendung von § 90 Abs. 1 S. 2 SGB VII lediglich auf Tarifverträge, nicht auch auf Betriebsvereinbarungen abzustellen ist. Im Übrigen ergibt sich die Antwort auf die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage – wie gezeigt - unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass der rechtliche Kontext etwas für eine Analogie hergibt.