Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 06.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 24.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 114 S 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 26 BauO BB, § 60 Abs 1 BauO BB, § 32 BauO BB 1998, § 72 Abs 1 BauO BB 1998 |
1. Die Ergänzung von Ermessenserwägungen im Zulassungsverfahren ist als neue Tatsachenlage zu berücksichtigen, sofern das materielle Recht dies zulässt.
2. Die Abwägung, ob und inwieweit von bauordnungsrechtlichen Bestimmungen (hier des vorbeugenden Brandschutzes) abgewichen werden darf, erfordert die konkrete Feststellung der Anforderungen, von denen abgewichen werden soll, sowie die Bestimmung der mit der jeweiligen Anforderung verfolgten einzelnen Schutzziele.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das ihr am 8. Februar 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt(Oder) wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.500 EUR festgesetzt.
I.
Die Beteiligten streiten um eine Baugenehmigung, die die Beklagte dem Beigeladenen für den Um- und Ausbau eines Hauses erteilt und die das Verwaltungsgericht auf die Klage der benachbarten Klägerin hin aufgehoben hat.
Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks A... in der Altstadt von E..., das mit einem unter Denkmalschutz stehenden Wohn- und Geschäftshaus mit drei Geschossen und einem Dachgeschoss bebaut ist. Die Klägerin ist Eigentümerin des benachbarten Grundstücks A..., auf dem sich ein zweigeschossiges Gebäude befindet. Im Jahr 1999 beantragte der Beigeladene eine Baugenehmigung für den Aus- und Umbau seines Hauses, wobei das Bauvorhaben unter anderem die Ersetzung der Dachkonstruktion sowie das Abtragen von Teilen des Mauerwerks einschließlich der Grenzwand zum Grundstück der Klägerin sowie deren Ersetzung durch neues Außenmauerwerk umfasste. Die Genehmigung wurde im Januar 2000 erteilt. Durch Nachtragsgenehmigung vom 15. August 2000 wurden Änderungen in der bautechnischen Ausführung des Vorhabens, die durch den teilweise desolaten Bauzustand bedingt waren, sowie geringfügige Änderungen im Grundriss genehmigt. Zugleich ließ die Beklagte eine Abweichung vom Erfordernis einer Brandwand (§ 32 Abs. 1 BbgBO a.F.) zu. Die Klägerin legte gegen die Baugenehmigung sowie die Nachtragsgenehmigung jeweils Widerspruch ein, über die nicht entschieden worden ist. Das Bauvorhaben wurde entsprechend der Genehmigung durchgeführt, dabei wurde unter anderem die an der Grenze zum Grundstück der Klägerin verlaufende Außenwand des Gebäudes in Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde neu gestaltet und saniert, wobei die Fachwerkkonstruktion erhalten blieb bzw. wiederhergestellt wurde.
Auf die von der Klägerin im Mai 2006 als Untätigkeitsklage erhobene Klage hin hat das Verwaltungsgericht im Februar 2011 die Baugenehmigung in der Fassung des Änderungsbescheides aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Im Hinblick auf Art und Umfang der vorgenommenen Veränderungen sei das Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen nicht mehr durch einen Bestandsschutz gedeckt. Die Genehmigung sei rechtswidrig, weil sie gegen die auch den Grundstücksnachbarn schützenden Bestimmungen über den vorbeugenden Brandschutz durch Errichtung einer Brandwand nach § 32 BbgBO a.F. bzw. § 26 BbgBO n.F. verstoße. Ebenso sei die durch die Änderungsgenehmigung zugelassene Abweichung rechtswidrig. Sie fuße auf der Fehleinschätzung, dass das Vorhaben vom Bestandsschutz gedeckt sei. Zudem sei sie auch deshalb ermessensfehlerhaft zu Lasten der Klägerin, weil sie sich nicht dazu verhalte, wie die verbleibenden brennbaren Materialien an der Außenwand sowie das unterschiedliche Material einzelner Mauerabschnitte zu bewerten seien. Daran hätten auch die in der Klageerwiderung und der mündlichen Verhandlung nachgeschobenen Ermessenserwägungen nichts geändert.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Das Vorbringen der Beklagten, das den Prüfungsumfang für das Oberverwaltungsgericht bestimmt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.
1. Gemessen an den Einwendungen der Beklagten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Derartige Zweifel sind dann gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und auch die Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses solchen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris Rn. 16; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 1. November 2013 - OVG 10 N 72.10 -, juris Rn. 4). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen nicht.
Den Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegen die (auch) nachbarschützende Vorschrift über die Errichtung von Brandwänden nach § 32 BbgBO a.F. bzw. § 26 BbgBO n.F. verstößt und sich der Beigeladene insoweit nicht auf Bestandsschutz berufen kann, greift die Beklagte im Zulassungsverfahren nicht an. Sie wendet sich vielmehr gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass auch die durch die Änderungsgenehmigung zugelassene Abweichung von den in § 32 Abs. 1 BbgBO a.F. festgeschriebenen Anforderungen an eine Brandwand rechtswidrig sei, und trägt in diesem Zusammenhang weitere Gründe für die getroffene Ermessensentscheidung vor. Dies vermag ernstliche Zweifel nicht zu begründen. Die mit der Begründung des Zulassungsantrags erstmals vorgebrachten Ermessenserwägungen der Beklagten können zwar im Zulassungsverfahren Berücksichtigung finden (a), auch in diesem Fall stellt sich jedoch die Baugenehmigung einschließlich der Abweisungsentscheidung als rechtswidrig dar und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (b), so dass das Verwaltungsgericht der Klage zu Recht stattgegeben hat.
a) Die im Zulassungsverfahren vorgetragenen Ermessenserwägungen stellen eine zulässige Ergänzung der bisherigen Ermessensentscheidung dar und sind bei der Entscheidung über den Zulassungsantrag zu beachten. Nach § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Diese Vorschrift hat (lediglich) prozessuale Bedeutung und stellt klar, dass ein Nachholen von Ermessenserwägungen jedenfalls nicht an prozessrechtlichen Hindernissen scheitert (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - BVerwG 8 C 46.12 -, juris Rn. 34 m.w.N.). Ob ein Nachschieben von Ermessensgründen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht (BVerwG, Beschluss vom 30. April 2010 - BVerwG 9 B 42.10 -, NVwZ-RR 2010, 550, juris Rn. 4 m.w.N.; Urteil vom 20. Juni 2013, a.a.O., Rn. 31). Zulässig ist dabei allerdings nur eine Ergänzung der Ermessenserwägungen, was voraussetzt, dass eine Ermessensentscheidung zumindest ansatzweise bereits vorhanden ist, die durch die weiteren Erwägungen angereichert und vertieft wird. Die erstmalige Ausübung des Ermessens ist danach ebenso ausgeschlossen wie die inhaltliche Auswechslung der Ermessensgründe (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 2010, a.a.O., Rn. 4). Diese Grenze hat die Beklagte vorliegend nicht überschritten.
Die Begründung der Nachtragsgenehmigung vom 15. August 2000 lässt ebenso wie die Ausführungen der Beklagten in ihrer Klageerwiderung vom 21. September 2009 und die Ergänzung der Ermessensentscheidung in der mündlichen Verhandlung erkennen, dass die Beklagte die Abweichung vom Erfordernis der Errichtung einer Brandwand insbesondere aus Gründen des Denkmalschutzes zugelassen und das Ziel, den Nachbarn (und die Gebäudenutzer) vor Rauch, Hitze und Feuer zu schützen, durch die Festschreibung einer Wand mit einer Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten als gewahrt angesehen hat. Diese Überlegungen werden im Zulassungsvorbringen aufgenommen und vertieft.
Durch die Ergänzung ihrer Ermessensentscheidung hat die Beklagte eine neue Tatsachenlage geschaffen, die auch im Zulassungsverfahren zu beachten ist. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils grundsätzlich auch Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen hat, die erst nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung eingetreten sind. Maßgeblich ist nicht, ob das Verwaltungsgericht seinerzeit richtig entschieden hat, sondern wie das Berufungsgericht nunmehr über den Streitgegenstand zu entscheiden hätte. Ob das angefochtene Urteil den (dargelegten) ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit begegnet, bestimmt sich daher nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über den Zulassungsantrag (vgl. zum nachträglichen Eintritt entscheidungserheblicher Tatsachen BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 - BVerwG 7 AV 3.02 -, NVwZ 2003, 490, juris Rn. 10 f.; zur nachträglichen Rechtsänderung Beschluss vom 15. Dezember 2003 - BVerwG 7 AV 2.03 -, NVwZ 2004, 744, juris Rn. 9 f.). In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsmittelführer die neuen Tatsachen selbst geschaffen hat, um dem angegriffenen Urteil den Boden zu entziehen. Auch insoweit beurteilt sich die nachträgliche Berücksichtigungsfähigkeit der neuen Tatsachen allein nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002, a.a.O., Rn. 12). Daraus folgt, dass auch eine nach dem Ergehen des erstinstanzlichen Urteils erfolgte Ergänzung von Ermessenserwägungen im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. OVG NW, Beschluss vom 29. April 2011 - 18 A 1491/10 -, NVwZ-RR 2011, 623, juris Rn. 4 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 124 Rn. 7 c; anders für die gerade keine Ergänzung darstellende erstmalige Ermessensbetätigung im Zulassungsverfahren etwa BayVGH, Beschluss vom 18. Juli 2011 - 10 ZB 10.1434 -, BayVBl. 2012, 22, juris Rn. 13), sofern das materielle Recht dies zulässt. Dies ist hier der Fall.
Die in der vorliegenden Fallkonstellation maßgebliche Frage, ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, wobei es insoweit auf den Ausgangsbescheid ankommt. Änderungen, die im Laufe des Widerspruchs- oder Klageverfahrens eintreten und sich zu Lasten des Bauherrn auswirken, haben außer Betracht zu bleiben (vgl. zum Widerspruchsverfahren schon BVerwG, Urteil vom 19. September 1969 - BVerwG IV C 18.67 -, NJW 1970, 263, juris Rn. 22). Nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten sind dagegen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2010 - BVerwG 4 B 43.10 -, BRS 76 Nr. 162, juris Rn. 9 m.w.N.; explizit zur Berücksichtigungsfähigkeit von Änderungen, die nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, aber vor der Zulassung der Berufung entstanden sind, BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - BVerwG 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179, juris Rn. 3 f.). Da die nachträgliche Ergänzung der Ermessenserwägungen eine Abweichungsentscheidung betrifft, die im Interesse des Beigeladenen als Bauherrn getroffen worden ist, um sein Bauvorhaben zu ermöglichen, kann sich die damit geschaffene neue Tatsachenlage zu dessen Gunsten auswirken, so dass sie bei der Beurteilung der Nachbarklage beachtlich ist.
Der Berücksichtigungsfähigkeit der nachgeschobenen Ermessenserwägungen steht auch nicht entgegen, dass sie von der Beklagten stammen, die als untere Bauaufsichtsbehörde im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 2 BbgBO für den Ausgangsbescheid zuständig ist, und zu einem Zeitpunkt erfolgt sind, in dem das Widerspruchsverfahren, das vom Landkreis geführt wird, noch nicht abgeschlossen gewesen ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt die Entscheidungsbefugnis während der Dauer des Widerspruchsverfahrens nicht ausschließlich bei der Widerspruchsbehörde. So ist anerkannt, dass die Ausgangsbehörde auch nach Abgabe des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde konkurrierend zuständig bleibt und etwa weiterhin befugt ist, dem Widerspruch abzuhelfen (vgl. Dolde/ Porsch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 72 Rn. 7; Kopp/ Schenke, a.a.O., § 72 Rn. 2). Vorliegend kommt hinzu, dass die Widerspruchsbehörde deutlich gemacht hat, während des Laufs des gerichtlichen Verfahrens nicht entscheiden zu wollen. Die Klage ist (zulässig) als Untätigkeitsklage gegen die Beklagte erhoben worden und auf Aufhebung des Ausgangsbescheides gerichtet. Damit ist die Ausgangsbehörde als Beteiligte dieses gerichtlichen Verfahrens befugt, über den Streitgegenstand zu verfügen. So wie sie (weiterhin) die Möglichkeit hat, die Baugenehmigung von sich aus aufzuheben, steht es ihr auch zu, ihre bisherigen Ermessenserwägungen - im Rahmen des nach materiellem Recht und allgemeinem Verfahrensrecht Zulässigen - zu ergänzen (vgl. zur Absicht des Gesetzgebers, durch die Neufassung des § 114 Satz 2 VwGO gerade das Nachschieben von Gründen durch die Ausgangsbehörde zu ermöglichen, BT-Drucks. 13/3993 S. 13).
b) Auch unter Berücksichtigung der im Zulassungsverfahren vorgebrachten weiteren Ermessenserwägungen der Beklagten begegnet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Nachbarrechte der Klägerin verletzt, keinen ernsthaften Zweifeln. Die Baugenehmigung widerspricht - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen zur Errichtung von Brandwänden.
Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung und der Abweichungsentscheidung galt die Brandenburgische Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 1998 (GVBl. I S. 82) - BbgBO 1998 -. Nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 BbgBO 1998 sind Brandwände u.a. herzustellen zum Abschluss von Gebäuden, bei denen die Abschlusswand bis zu 2,50 m von der Nachbargrenze errichtet wird. Durch die späteren Neufassungen des Gesetzes sind insoweit keine Änderungen eingetreten, die sich zugunsten des Bauherrn auswirken könnten und deshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen zu beachten wären. Das Erfordernis zur Errichtung von Gebäudeabschlusswänden als Brandwände an der Grundstücksgrenze oder im grenznahen Bereich von bis zu 2,50 m Abstand ergibt sich nunmehr aus § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 der seit dem 1. September 2003 geltenden und insoweit nicht geänderten Fassung der Brandenburgischen Bauordnung vom 16. Juli 2003 (GVBl. I S. 210) - BbgBO -. Da das Gebäude des Beigeladenen nach der im Zuge der Sanierung erfolgten Entfernung eines geringfügigen Überbaus und teilweisen Rücksetzung der Außenwand nunmehr grenzständig errichtet ist und einen geringfügigen Abstand von (nach den Angaben des Beigeladenen) ca. 0,70 m zum Gebäude der Klägerin aufweist, gilt für die Abschlusswand das Brandwanderfordernis. Dass diesem nicht entsprochen wird, ist unstreitig und gerade Anlass für die Abweichungsentscheidung. Schon die von außen erkennbare Fachwerkkonstruktion widerspricht etwa der Vorgabe, dass Brandwände aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen müssen.
Auf einen Bestandsschutz kann sich der Beigeladene nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht berufen. Die Klägerin kann den Verstoß als Verletzung ihrer nachbarlichen Rechte rügen, weil die brandschutzrechtlichen Vorschriften der Landesbauordnung insoweit nachbarschützende Wirkung haben, als sie (auch) die Ausbreitung eines Brandes auf ein Nachbargebäude verhindern sollen; dies gilt insbesondere für die Vorschriften über äußere Brandwände in Bezug auf Nachbargrundstücke (OVG Bln-Bbg, Urteil vom 6. Dezember 2011 - OVG 10 B 6.11 -, BRS 79 Nr. 205, juris Rn. 36 m.w.N.).
Die Beklagte hat zwar im Rahmen der Nachtragsgenehmigung vom 15. August 2000 eine Abweichung von der Regelung über Brandwände in § 32 BbgBO 1998 zugelassen, diese ist jedoch nicht geeignet, den Verstoß gegen die Nachbarrechte der Klägerin zu beseitigen.
Der Senat kann ebenso wie das Verwaltungsgericht und die Beklagte letztlich offen lassen, nach welcher Gesetzesfassung die Abweichungsentscheidung zu beurteilen ist. Rechtsgrundlage der Entscheidung war seinerzeit § 72 Abs. 1 BbgBO 1998. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn die Abweichungen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind, insbesondere dem Zweck der bauaufsichtlichen Anforderung in gleicher Weise entsprechen und die nachbarlichen Interessen nicht beeinträchtigen. Nach der Neufassung der Brandenburgischen Bauordnung im Jahre 2003 fand sich eine weitgehend entsprechende Bestimmung in § 60 Abs. 1. Diese wurde im Rahmen der Novellierung im Jahr 2008 geändert mit dem Ziel, das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde zu erweitern (vgl. LT-Drs. 4/5691, Begründung zu Art. I Nr. 15 [§ 60]). Nunmehr kann die Bauaufsichtsbehörde auf Antrag Abweichungen von Anforderungen zulassen, wenn die Abweichungen dem Schutzziel der jeweiligen Anforderung entsprechen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BbgBO, vereinbar sind. Da sich die mit der Neufassung bezweckte Erweiterung der Möglichkeiten, Abweichungen zuzulassen, zugunsten des Bauherrn auswirkt, dürfte die Gesetzesänderung hier berücksichtigungsfähig sein. Allerdings ist insoweit zu beachten, dass bei der Frage, inwieweit sich die nachträgliche Änderung der Bauordnung zugunsten des Bauherrn auswirkt, stets die Rechtslage insgesamt verglichen werden muss. Es können daher nicht einzelne rechtliche Änderungen, die sich günstig auswirken, isoliert betrachtet und im Kontext mit Vorschriften einer früheren Gesetzesfassung angewendet werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 3. Dezember 2007 - 1 B 05.3080 -, BRS 71 Nr. 158, juris Rn. 28). Die Abweichungsentscheidung ist daher entweder nach der im Jahr 2000 geltenden Rechtslage (Abweichung nach § 72 Abs. 1 BbgBO 1998 von den Anforderungen des § 32 BbgBO 1998) oder nach den nach der Novelle 2008 geltenden Bestimmungen (Abweichung nach § 60 Abs. 1 BbgBO von den Anforderungen des § 26 BbgBO) zu beurteilen. Dem hat auch die Beklagte Rechnung getragen, die in ihrem Zulassungsvorbringen beide Vorschriftenkomplexe berücksichtigt hat.
Die Abweichungsentscheidung erweist sich jedoch unabhängig von der zugrunde gelegten Gesetzesfassung als rechtswidrig. Die brandschutzrechtlichen Bestimmungen sind allerdings trotz der großen Bedeutung, die ihnen im Hinblick auf den Stellenwert der geschützten Güter zukommt, einer Abweichungsentscheidung nicht grundsätzlich entzogen. Insbesondere nach der Erweiterung des Ermessensspielraums der Bauaufsichtsbehörde und dem Verzicht auf das Erfordernis, dass dem Schutzziel der Anforderung „in gleicher Weise“ entsprochen werden muss, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bestimmte bauordnungsrechtliche Grundanforderungen wie etwa der Brandschutz unverzichtbar und einer Abweichung von vornherein nicht zugänglich wären (vgl. Otto, Brandenburgische Bauordnung, 3. Aufl. 2012, § 60 Rn. 6).
Eine rechtmäßige Ausübung des Ermessens im Zusammenhang mit einer Abweichungsentscheidung setzt aber voraus, dass der (entscheidungserhebliche) Sachverhalt zunächst vollständig ermittelt und in die Ermessenserwägungen eingestellt wird (vgl. Jäde in: Jäde/Dirnberger u.a., Bauordnungsrecht Brandenburg, Stand: Februar 2013, § 60 Rn. 16). Die Abwägung, ob und inwieweit von bauordnungsrechtlichen Vorschriften abgewichen werden darf, erfordert die konkrete Feststellung der Anforderungen, von denen abgewichen werden soll, sowie die Bestimmung der mit der jeweiligen Anforderung verfolgten einzelnen Schutzziele. Erst wenn feststeht, welche einzelnen brandschutzrechtlichen Vorgaben nicht erfüllt werden und welche Bedeutung diesen Vorgaben im Hinblick auf das allgemeine Schutzziel der Verhütung von Bränden zukommt, ist die Prüfung möglich, inwieweit diesem Schutzziel durch eine andere Brandschutzkonzeption entsprochen werden kann. Hierfür genügt die pauschale Zulassung einer Abweichung „von § 32 Abs. 1 BbgBO (Brandwand)“ im Bescheid vom 15. August 2000 nicht, da auch in Verbindung mit der anschließenden Begründung nicht erkennbar wird, dass sich die Beklagte des Ausmaßes der erteilten Abweichung und der Bedeutung der einzelnen Anforderungen einer Brandwand, von denen abgewichen werden soll, hinreichend bewusst gewesen wäre. Die nachträglichen Ergänzungen der Ermessenserwägungen enthalten zwar insoweit Konkretisierungen, insbesondere geht die Beklagte im Zulassungsverfahren bei der Gegenüberstellung von Ist-Zustand und Soll-Zustand erstmals konkret auf die einzelnen Anforderungen an eine Brandwand ein und vergleicht diese mit dem tatsächlich erreichten Zustand. Dieser zutreffende Ansatz ist jedoch nicht ausreichend, weil auch bei diesen Erwägungen das tatsächliche Ausmaß der vorliegenden Abweichung von den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen über Brandwände nicht vollständig erkannt und gewürdigt worden ist.
Zutreffend hat die Beklagte als wesentliches Schutzziel der Bestimmungen über Brandwände den Schutz der Nachbarn vor einer Ausbreitung von Feuer und Rauch erkannt. § 26 Abs. 1 BbgBO formuliert im Hinblick auf diesen Zweck mehrere Anforderungen an Brandwände. Diese müssen als raumabschließende Bauteile zum Abschluss von Gebäuden oder Gebäudeabschnitten durchgehend und in allen Geschossen übereinander angeordnet sein, aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen und auch unter zusätzlicher mechanischer Beanspruchung feuerbeständig sein. Die Beklagte hat sich in ihrer Abweichungsentscheidung insbesondere mit der Problematik der Baustoffe und der Verwendung von teilweise brennbaren Materialien (insbesondere den Holzanteilen in der Fachwerkkonstruktion) befasst und durch Auflagen zur technischen (Innen-)Verkleidung der zum Nachbargrundstück der Klägerin weisenden Abschlusswand und Aufrüstung der Holzbalkendecken die Errichtung einer Wand in „F 90-Qualität“ sowie der Holzbalkendecke in „F 90-B - Konstruktion“ festgeschrieben. Mit diesen Bezeichnungen wird auf die Feuerwiderstandsklassen im Sinne der DIN 4102 - Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen - Bezug genommen, wobei die Zahl 90 für eine Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten steht und der Buchstabe B auf die Verwendung von brennbaren Materialien verweist. Die Beklagte hat damit dem Erfordernis der Feuerbeständigkeit Rechnung getragen, weil feuerbeständige Bauteile einer Brandbeanspruchung von einer oder mehreren Seiten (mindestens) 90 Minuten lang standhalten müssen (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BbgBO).
Mit der weiteren Anforderung nach § 26 Abs. 1 BbgBO, wonach die Feuerbeständigkeit auch unter zusätzlicher mechanischer Beanspruchung bestehen muss, befasst sich die Beklagte dagegen nicht. Damit Brandwände ihren Zweck wirksam erfüllen können, genügt allein ihre feuerbeständige Ausbildung nach DIN 4102 nicht. Sie müssen zudem aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen und so beschaffen sein, dass sie auch während des Brandes tragfähig bleiben und die entstehenden Wärmespannungen aufnehmen können, selbst wenn andere Bauteile auf sie stürzen (vgl. Kühnel/Gollwitzer in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Juli 2013, Art. 28 Rn. 9 zur entsprechenden Vorschrift im Bayerischen Landesrecht). Der Hinweis auf die Feuerbeständigkeit auch unter mechanischer Beanspruchung verweist auf das Erfordernis nach DIN 4102, wonach Brandwände auch unter bestimmter Stoßbeanspruchung standsicher und raumabschließend bleiben müssen (vgl. näher Otto, a.a.O., § 26 Rn. 4). Damit soll sichergestellt werden, dass die brandbegrenzende Wirkung der Brandwand auch bei deren Beanspruchung durch Einsturz von Bauteilen des Gebäudes erhalten bleibt. Darüber hinaus bieten die Brandwände auf diese Weise zugleich den Feuerwehrkräften Schutz bei der Annäherung an einen Brandherd (vgl. Böhme in: Jäde/Dirnberger, a.a.O., § 26 Rn. 2, 6; Otto, a.a.O., § 26 Rn. 2). Entsprechende Anforderungen galten auch nach § 32 BbgBO 1998, wonach Brandwände bei einem Brand ihre Standsicherheit nicht verlieren dürfen. Die Neufassung in § 26 BbgBO bedeutete insoweit keine inhaltliche Änderung, da auch nach der alten Fassung die Anforderungen der als technische Baubestimmung eingeführten DIN 4102 zu beachten waren (vgl. LT-Drs. 3/5160, Begründung II.23 [zu § 23] und II.26 [zu § 26]). Dass sich die Beklagte mit der Frage der Standsicherheit der Wand im Brandfall bei besonderer Stoßbeanspruchung befasst hätte, ist nicht ersichtlich. Die Aussagen zur Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten lassen nicht erkennen, ob hierbei auch die Frage einer besonderen mechanischen Beanspruchung berücksichtigt worden ist. Die Hinweise der Beklagten in der Klageerwiderung sowie im Zulassungsantrag auf den Standsicherheitsnachweis im Prüfbericht vom 17. Juli 2000 (Bl. 36 der Teilakte 2) genügen in diesem Zusammenhang nicht, weil sich dieser Bericht mit statischen Nachweisen für die Deckenbalkenlagen auf der Grundlage der Genehmigung vom Januar 2000 befasst und nur Aussagen zu Lasten nach DIN 1055, nicht aber zur Standsicherheit im Brandfall bei besonderer mechanischer Beanspruchung enthält.
Im Übrigen verhält sich die Abweichungsentscheidung nicht zu weiteren Anforderungen, die in § 26 BbgBO (bzw. § 32 BbgBO 1998) für Brandwände vorgeschrieben sind. So sind etwa nach § 26 Abs. 5 BbgBO (§ 32 Abs. 7 BbgBO 1998) Brandwände 0,30 m über die Bedachung zu führen oder in Höhe der Dachhaut mit einer beiderseits 0,50 m auskragenden feuerbeständigen Platte aus nicht brennbaren Baustoffen abzuschließen. Dass diese Anforderung vorliegend erfüllt bzw. die Beklagte sich mit der Frage des Übergangs der Gebäudeabschlusswand zum Dach befasst hätte, ist nicht ersichtlich.
Schließlich ist die Abweichungsentscheidung auch deshalb unzureichend, weil sie sich ausschließlich mit der Gestaltung der grenzständig zur Klägerin gelegenen Abschlusswand des Gebäudes befasst, ohne die Seitenwände, also die zur Straßenfront bzw. zur Hofseite gelegenen Gebäudeabschlusswände, in ihre Überlegungen einzubeziehen. Das Erfordernis der Brandwandqualität gilt nicht nur für die parallel zur Grundstücksgrenze verlaufende Gebäudewand, sondern auch für rechtwinklig zur Grundstücksgrenze gelegene Gebäudeaußenwände, soweit diese weniger als 2,50 m von der Grundstücksgrenze entfernt sind (vgl. hierzu näher Urteil des Senats vom 6. Dezember 2011, a.a.O., Rn. 40 m.w.N.; Kühnel/Gollwitzer, a.a.O., Rn. 40 ff., 47). Zwar mag es gerade bei einer rechtwinklig oder schräg verlaufenden Gebäudeabschlusswand in Betracht kommen, eine Abweichung vom Erfordernis einer Brandwand zuzulassen, dies erfordert jedoch stets eine einzelfallbezogene Prüfung, die vorliegend unterblieben ist. Denn die Beklagte hat sich mit der Beschaffenheit der Seitenwände im grenznahen Bereich nicht befasst.
2. Den Zulassungsgrund besonderer (tatsächlicher oder rechtlicher) Schwierigkeiten der Rechtssache hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Hierfür genügt die allgemeine Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit nicht, vielmehr bedarf es einer konkreten Bezeichnung der Frage, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und der Erläuterung, worin die besondere Schwierigkeit besteht, wobei es sich um Fragen handeln muss, die für den konkreten Fall entscheidungserheblich sind (Kopp/Schenke, a.a.O., § 124a Rn. 53 und § 124 Rn. 9). Diesen Anforderungen wird der pauschale Hinweis auf tatsächliche Schwierigkeiten bei der Frage, ob und inwieweit die zur Genehmigung anstehende Bauausführung die nachbarlichen Belange hinreichend berücksichtige, ebenso wenig gerecht wie das Vorbringen, es erweise sich in rechtlicher Hinsicht als überdurchschnittlich schwierig, die Anforderungen an eine Abweichung vom Erfordernis einer Brandschutzwand zu definieren. Auf die Frage der hinreichenden Berücksichtigung nachbarlicher Belange im Rahmen der Abwägungsentscheidung kommt es vorliegend nicht an, weil die Nachtragsgenehmigung bereits deshalb ermessenfehlerhaft ist, weil das Ausmaß der zugelassenen Abweichung nicht hinreichend ermittelt und gewürdigt worden ist. Worin die besonderen rechtlichen Schwierigkeiten bei Bestimmung der Anforderungen an eine Abweichung vom Erfordernis einer Brandschutzwand bestehen sollen, erläutert die Beklagte nicht.
3. Auch die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache ist nicht hinreichend dargetan. Hierzu wäre erforderlich, dass eine bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte, konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und zudem erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. u.a. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 20. September 2013 - OVG 10 N 53.10 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, „ob und inwieweit der Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO insoweit Grenzen gezogen sind, als die Vorschrift auch im Verfahren der Berufungszulassung Anwendung findet“, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an, weil auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ermessenserwägungen im Zulassungsverfahren der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vorliegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).